Brahms: Vier ernste Gesänge, op. 121
ZitatAlles anzeigenMax Klinger zugeeignet
Vier ernste Gesänge für eine Bassstimme mit Begleitung des Pianoforte
von Johannes Brahms1. (Prediger Salomo, Cap. 3.)
Denn es gehet dem Menschen wie dem Vieh, wie dies stirbt, so stirbt er auch; und haben alle einerlei Odem; und der Mensch hat nichts mehr denn das Vieh: denn es ist alles eitel, denn es ist alles eitel.
Es fährt alles an einen Ort; es ist alles von Staub gemacht, und wird wieder zu Staub.
Wer weiss, ob der Geist des Menschen aufwärts fahre, und der Odem des Viehes unterwärts unter die Erde fahre?
Darum sahe ich, dass nichts bessers ist, denn dass der Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit; denn das ist sein Theil.
Denn wer will ihn dahin bringen, dass er sehe, was nach ihm geschehen wird?2. (Prediger Salomo, Cap. 4.)
Ich wandte mich und sahe an alle, die Unrecht leiden unter der Sonne; und siehe, siehe, da waren Thränen derer, die Unrecht litten und hatten keinen Tröster, und die ihnen Unrecht thäten, waren zu mächtig, dass sie keinen Tröster haben konnten.
Da lobte ich die Todten, die schon gestorben waren mehr als die Lebendigen, die noch das Leben hatten; und der noch nicht ist, ist besser als alle Beide, und des Bösen nicht inne wird, das unter der Sonne geschieht.3. (Jesus Sirach, Cap. 41.)
O Tod, wie bitter bist du, wenn an dich gedenket ein Mensch der gute Tage und genug hat und ohne Sorge lebet; und dem es wohl geht in allen Dingen und noch wohl essen mag! O Tod, wie bitter bist du.
O Tod, wie wohl thust du dem Dürftigen, der da schwach und alt ist, der in allen Sorgen steckt, und nichts Bessers zu hoffen, noch zu erwarten hat!4. (S. Pauli an die Corinther I., Cap. 13.)
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete, und hätte der Liebe nicht, so wär ich ein tönend Erz, oder eine klingende Schelle.
Und wenn ich weissagen könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntniss, und hätte allen Glauben, also, dass ich Berge versetzte; und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts.
Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, und liesse meinen Leib brennen; und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze.
Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Worte, dann aber von Angesicht zu Angesichte.
Jetzt erkenne ich's stückweise, dann aber werd ich's erkennen, gleichwie ich erkennet bin.
Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die grösseste unter ihnen.
1896, ein Jahr vor seinem Tod, komponierte und veröffentlichte Johannes Brahms seine letzte Sammlung von Liedern. Insgesamt 32 dieser Sammlungen sind unter Opuszahlen zusammengefaßt, die meisten als "Bouket" (Brahms) und nur zwei als eng zusammenhängender Zyklus, neben den Romanzen op. 33 (Die schöne Magelone) noch die Vier ernsten Gesänge.
Es ist ein eigenartiges Werk, zwar harmonisch reich, aber auch mit einem achaisierenden Gesang, der sich vom Ton der vielen Lieder deutlich unterscheidet.
Zur Musik nur ein paar karge Anmerkungen (es würde mich freuen, wenn andere das noch ergänzen würden): Der erste Gesang ("Denn es gehet dem Menschen wie dem Vieh", Andante, d-moll) ist durchgehend in düsterem Moll gehalten, mit zwei schmerzhaft auffahrenden Allegro-Phasen, womit es auch endet.
Zurückhaltender der zweite Gesang ("Ich wandte mich und sahe an", Andante, g-moll), der sich erst ganz am Schluß etwas zu G-dur aufhellt.
Der dritte Gesang ("O Tod, wie bitter bist du", Grave, e-moll) knüpft auch motivisch, mit dem fallenden Molldreiklang, an das Vorhergehende an, verstärkt zunächst die schmerzerfüllte Stimmung und wird zuversichtlicher (E-dur), sobald von der tröstlichen Seite des Todes die Rede ist.
Einen deutlichen Kontrast setzt der letzte Gesang ("Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete", Con moto ed anima, Es-dur) und schließt, nach einem Andante-Zwischenteil, mit einer Lobpreisung der Liebe (Sostenuto un poco).
Alle vier Gesänge scheinen in der thematischen Gestaltung genau aufeinander bezogen zu sein; auffällig ist auch die allmähliche, sich von Gesang zu Gesang verstärkende Aufhellung von Moll zu Dur.
Zum Text: Brahms stellt hier vier Bibelzitate zusammen, die eine recht eigene religiöse Sichtweise offenbaren. Christliche Heilsgewißheit scheint weit entfernt, wird ernsthaft in Frage gestellt ("Wer weiss, ob der Geist des Menschen aufwärts fahre, und der Odem des Viehes unterwärts unter die Erde fahre?"); es bleibt lediglich die Einsicht, "dass nichts bessers ist, denn dass der Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit; denn das ist sein Theil", wobei die Musik an dieser Stelle in keiner Weise "fröhlich" klingt, eher sehnsuchtsvoll, mit etwas Hoffnung vielleicht. Trost ist nicht in Sicht ("und hatten keinen Tröster"), die Toten sind besser dran als die Lebenden, ein Pessimismus, der kaum noch zu steigern ist. Linderung verheißt nur die Anrufung "O Tod, wie wohl thust du dem Dürftigen". Erst die Liebe, "die grösseste" gegenüber Glaube und Hoffnung, bietet am Ende eine frohere Perspektive, aber auch dies wird in dieser Stelle aus dem Korintherbrief (übrigens meine Lieblingsstelle aus der Bibel, das nur nebenbei) überwiegend in der Negation beschrieben ("hätte der Liebe nicht"). Per aspera ad astra? Oder eher ein von Pessimismus durchtränktes ästehetisch-religiöses Testament, fernab der Erlösungsphantasien Richard Wagners, wie sie etwa im Parsifal aufscheinen?
Brahms selbst hatte sein op. 121 als "ganz gottlose Lieder" bezeichnet, deren Texte aber "Gott sei Dank in der Bibel" stünden. Auch wenn der Komponist dazu neigte, sich nach außen gelegentlich atheistisch zu geben (vielleicht als Provokation gegen die in den 1890ern in Wien aufkommenden Christsozialen mit ihren klerikalen, antisemitischen Tendenzen, wodurch die Liberalen, denen Brahms zugerechnet wurde, ins Abseits gedrückt wurden) - diese Äußerung kann man wohl ernstnehmen, denn von der orthodoxen christlichen Lehre ist in den Vier ernsten Gesängen nicht viel übrig.
Neben religiös-politischer Enttäuschung hatte Brahms auch persönliche Rückschläge zu verkraften, so den Tod langjähriger Freundinnen und Freunde, etwa Theodor Billroth und Elisabeth von Herzogenburg und, besonders schlimm, den Tod Clara Schumanns im Mai 1896, zu ebender Zeit, als er sein Opus 121 vollendete. In derselben Zeit machte sich auch die schwere Krankheit bemerkbar, an der der Komponist ein knappes Jahr später sterben sollte.
Soweit fürs erste. Zu diskutieren wären weitere Aspekte des Werks und natürlich auch die vielen Einspielungen, die der Markt bereithält.
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Quellen:
Peter Jost: Lieder und Gesänge. In: Wolfgang Sandberger (Hrsg.): Brahms Handbuch. Stuttgart/Kassel 2009. S. 254f.
Noten: N. Simrock Berlin, 1896 ("http://javanese.imslp.info/files/imglnks/…WV__S._485f.pdf")