William Byrd (ca. 1543-1623) - der Letzte der englischen Renaissance
Im Leben eines Engländers gehört die Phase von Mitte des 16. Jahrhunderts bis ins erste Viertel des 17. Jahrhunderts nicht gerade zu den stabilsten Zeiträumen der Geschichte: unglaublich große kirchenpolitische Ereignisse hatten England erschüttert und eine gespaltene Gesellschaft zurückgelassen. William Byrd war Zeuge dieser Epoche mit ihren Kompromissen, Umstürzen, Kämpfen und großen Verlusten. Er war um die 15 Jahre alt, als Elisabeth I. den Thron bestieg und den anglikanischen Ritus ein für allemal etablierte. Es scheint möglicherweise so zu sein, daß seine Familie Protestanten waren und er in dem Sinne ebenso erzogen worden war; umso erstaunlicher, daß er ab den 1570er Jahren Kontakt zu Katholiken unterhielt und im Jahrzehnt darauf ernsthafte Probleme dadurch bekam - aber parallel dazu verstärkten sich die Kompositionen, die dem römisch-katholischen Ritus unterlagen.
Man weiß nicht genau, wann oder wo William Byrd geboren wurde - als Ort wird London oder Lincolnshire vermutet, der Jahrgang schwankt zwischen 1540-1543; es hat sich aber zumeist auf 1543 eingependelt, da er in seinem Testament vom November 1622 davon schrieb, daß er sich in seinem achtzigsten Lebensjahr befände. Seine Jugendzeit ist unbekannt, und wo er ausgebildet wurde, ebenso. Seine Brüder waren Sänger an der St. Paul's Cathedral, daher vermutet man, daß er auch dort gesungen hatte - oder möglicherweise an der Chapel Royal. Das wiederum stellt auch die Möglichkeit in den Raum, daß er Schüler von Thomas Tallis gewesen sein könnte. Seine erste Komposition war eine Kollaboration mit John Sheppard und William Mundy: der Psalm In exitu Israel, etwa 1558 entstanden und noch nach dem Sarum-Ritus gerichtet. Mit nicht mehr als 15 Jahren mit dieser Elite zu arbeiten, zeigt das Talent, welches Byrd gehabt haben mußte.
1563 wurde er Organist und Chorleiter in der Lincoln Cathedral. In den nächsten neun Jahren blieb er dort und komponierte Werke aus verschiedenen Gattungen wie einen Short Service oder Consortmusik. Er komponierte aber auch weiterhin für den katholischen Ritus: so entstanden z.B. die Psalm-Motetten Ad Dominum cum tribularer und Domine quis habitabit. Nach dem Tod von Robert Parsons 1572 wurde er einer der Gentlemen der Chapel Royal. Nun hatte er konkreten Kontakt zum englischen Königshof und konnte Elisabeth I. mit seinen Kompositionen überzeugen; er hätte sonst sicherlich nicht neben Thomas Tallis das alleinige Druckrecht für Musik in England erhalten. Ab 1575 durften nur er und Tallis Musik drucken lassen.
Die Cantiones que ab argumento sacrae vocantur (1575) enthalten 34 lateinische Motetten, die der Königin gewidmet sind und die je zur Hälfte von Tallis und Byrd komponiert wurden. Mit den 1588 und 1589 erschienenen Sammlungen an Consortliedern (Psalms, Sonnets and Songs of Sadness and Pietie & The Songs of Sundrie Natures) bemühte er sich, seine Stellung am Hof wieder zu erneuern, nachdem er 1583 in Ungnade gefallen war. 1589 und 1591 erschienen zwei Teile der Cantiones sacrae, die mit 37 Motetten seine Ausrichtung zum Katholizismus weiter ausbaute.
Dann ab 1593/94 zog er sich aus der Chapel Royal zurück, ohne jedoch komplett auszutreten. Er zog nach Stondon Massey in die Nähe seines neuen Patrons - Sir John Petre - und komponierte für dessen Kapelle katholische Liturgiemusik. Die drei berühmten Messen für 4, 3 und 5 Stimmen entstanden dort, die zwischen 1592 und 1595 auch gedruckt wurden. Dann folgten nach dem Abschluß des Ordinariums die Proprien: 1605 und 1607 erschienen zwei Bände namens Gradualia, die insgesamt 109 Motetten zu verschiedenen Kirchenfesten enthielten. Doch schrieb er in der Zeit auch einige Anthems für den anglikanischen Ritus.
1611 erschienen die Psalms, Songs and Sonnets, seine letzte Sammlung an englischen Liedern; 1613 wurde Parthenia veröffentlicht, eine Sammlung mit 21 Cembalostücken, wovon er acht beisteuerte. Die letzten Werke, die zu seinem Lebzeiten im Druck erschienen, waren vier Anthems (1614). Als er dann am 4. Juli 1623 in Stondon Massey starb, war er ein reicher Mann, hochgeachtet und verehrt.
Rund 470 Kompositionen sind von ihm erhalten, und in ihrer Gesamtheit zeigen sie eine ungeheure Variabilität und Meisterschaft. Byrd beherrschte praktisch alle Gattungen und drückte ihnen seinen eigenen Stempel drauf. Neben Thomas Tallis gehört er zur Spitze der letzten Generation der englischen Renaissance, die sich heutzutage durch eine rege Konzert- und Aufnahmetätigkeit der englischen Alte-Musik-Ensembles äußert. Vorsichtig geschätzt, gibt es zur Zeit rund 150 CD-Titel mit seiner Musik.
William Byrd ist ein Name, auf den man relativ schnell stößt, wenn man sich mit der englischen Musik des 16. Jahrhunderts auseinandersetzt. Allein die Existenz der drei Messen ringt Respekt ab, wenn man sich vor Augen führt, daß England zu der Zeit alles andere als tolerabel zu Katholiken war; umso mehr beeindruckt ihre Anlage und ihre Harmonik. Sein Great Service gehört zu den wichtigsten Vertonungen des anglikanischen Ritus. Seine Consortlieder sind in ihrer Stimmung und kunstvoller Harmonik beeindruckend, und die Gradualia enthält eine konzeptionell erlesene Vertonung aller Proprien. Er hat keine Berühmtheiten wie Spem in alium oder Das Wohltemperierte Clavier geschrieben - aber er verstand sich auf raffiniert ausgeklügelte Konzepte mit großem Sinn fürs Innige.
Links:
"http://de.wikipedia.org/wiki/William_Byrd"
"http://en.wikipedia.org/wiki/William_Byrd"
"http://portraits.klassik.com/people/template.cfm?KID=1208"
"http://www.newadvent.org/cathen/03092f.htm"
jd