Ich finde Den Fliegenden Holländer äußerst spannend wegen der Frage, ob es um Erlösung, um Liebe oder um die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse geht -- und die Frage, ob und wie die Erlösung funtkioneren kann, habe ich mir oft gestellt.
Im Duett mit Senta sagt der Holländer:
Die düstre Glut, die ich hier fühle brennen
sollt ich Unseliger sie Liebe nennen?
Achnein, die Sehnsucht ist es nach dem Heil:
würd es durch solchen Engel mir zuteil.
Parallel dazu erklärt Senta:
Die Schmerzen, die in meinem Busen brennen,
ach,dies Verlangen, wie soll ich es nennen?
Wonach mit Sehnsucht es dich treibt, das Heil
würd es, du Ärmster, dir durch mich zuteil.
Sentas Bedürfnis ist, dass sie es sei, durch die der Holländer erlöst werde.
Es geht weiter:
Holländer:
Wirst du des Vaters Wahl nicht schelten?
Was er versprach, wie - dürft es gelten?
...
Senta:
Wer du auch seist, und welches das Verderben,
dem grausam dich dein Schicksal konnte weihn,
was auch das Los , das ich mir sollt erwerben,
gehorsam werd ich stets dem Vater sein.
Holländer:
So unbedingt, wie? Könnte dich durchdringen
für meine Leiden tiefstes Mitgefühl?
Er sieht hier nicht die Möglichkeit der Erlösung druch Treue aus Liebe, sondern aus Mitgefühl.
Nachdem Senta ihm glaubhaft ihren Willen und Fähigkeit zur Treue versichert hat, sagt eer Holländer:
... Hört es, mein Heil hab ich gefunden.
... Stärkt jetzt dies Herz in seiner Treu.
Senta fragt sich daraufhin:
... Was ists, das mächtig in mir lebt?
Was schließt berauscht mein Busen ein?
Allmächtiger, was so hoch mich erhebet,
lass es dir Kraft der Treue sein!
Ich frage mich, was es ist, das Senta da fühlt. Ist es die Kraft der Treue durch Mitleid? Oder ist es eine Art Triumphgefühl, Euphorie, Selbstbestätigung, weil der Holländer in ihr seine Rettung sieht? Hat Senta ein Helfersyndrom? Wenn sie sagt: Oh welche Leiden! Könnt ich Trost dir bringen! -- ist das Mitleid, oder das Bedürfnis nach Selbstbestätigung?
Mir scheint, sie suggeriert dem Holländer, sich allein aus Gehorsam ihrem Vater gegenüber aufzuopfern. Sie verschweigt, dass sie die Geschichte des Holländers kennt und längst den Wunsch geformt hat, ihm Erlösung zu bringen. Daraus schließe ich, dass das Bedürfnis nach Selbstbestätigung durchaus eine Rolle spielt und ihr auch bewusst ist. Zumal sie ja auch davor schon Erik gegenüber nicht ganz wahrheitsgemäß gegenüber ist, sondern auf sein Bitten hin, bei Daland für ihn ein gutes Wort einzulegen, weicht sie zunächst aus und gibt ihm zweideutige Antworten (Zweifelst du an meinem Herzen? Ich bin ein weiß nciht , was ich singe.). Erik gegenüber gibt sie hier schon vor, Teilnahme für das Schicksal des Holländers zu empfinden, sie spricht ihm gegenüber nicht offen aus, dass sie den Holländer erlösen möchte. Man kam sagen, Senta ist konfrontationsscheu. Erik appelliert an Sentas Mitgefühl (Mein Leiden, Senta, rührt es dich nciht mehr?) -- doch angesichts des viel größeren Leids des Holländers lässt Senta das kalt, sie wirft Erik vor, mit seinem Leiden zu prahlen (oh, prahle nicht! was kann dein Leiden sein?). Das heißt für mich, dass Senta nicht nur das Mitgefühl in Person ist, sondern dass auch hier zum Ausdruck kommt, dass ihre Selbstbestätigung umso größer ist, je größer das Leiden, von dem sie erlösen kann (viel Feind, viel Ehr?), dass es daher das große Leiden des Holländers ist, das seine Elösung für sie so sttraktiv macht.
Im dritten Akt kommt es zum Gespräch zwischen Senta und Erik, der ihr vorwirft, sie habe ihm die Treue gebrochen. Auch hier frage ich mich, wie es um Sentas Ehrlichkeit bestellt ist.
Sie sagt zu Erik:
Ich darf dich nicht sehen,
nicht an dich denken - hohe Pflicht gebeuts.
Möchte sie damit suggerieren, sie wolle Erik sehr wohl sehen und an ihn denken, aber die Pflicht, der Gehorsam dem Vater gegenüber, der von Erik soeben angesprochen wurde, erlaube es nicht? Liegt ihr tatsächlich an Erik, aber höhere Pflicht, die Erlösung des Holländers, lässt es nicht zur? Ist es bewusst doppeldeutig formuliert?
Erik hakt nacht:
Welch hohe Pflicht? Ists höh're nicht zu halten,
was du mir einst gelobest, ewige Treue?
Hat Senta Erik die Treue gelobt oder nicht? Wohl nicht mit Worten:
Erik:
Als sich dein Arm um meinen Nacken schlang,
gestandest du mir Liebe nicht aufs Neu?
Was bei der Hände Druck mich hehr durchdrang,
sag, wars nicht Versicherung deiner Treu?
War Senta sich dessen bewußt, dass Erik sich ihrer Treue sicher war? Hat sie ihm durch ihr Verhalten ein Treueversprechen suggeriert, hat sich aber wohlweislich bedeckt gehalten, da sie ja eigentlich von der Rettung des Holländers besessen war? Hat sie mit Erik nur gespielt? Oder hat sich Erik das Treueversprechen eingeredet und mehr in die Situation hineininterpretiert, als da war -- war es Sriks Wunschdenken? Für Sentas Umgebung schienen Senta und Erik ein Paar zu sein.
Der Holländer, der das Gespräch belauscht hat, schlussfolgert, dass Senta Erik die Treue gebrochen habe und dementsprechend nciht zur ewigen Treue gegenüber ihm fähig sein könne.
Bevor es zur Eheschließung, der Treueversicheurng vor dem Ewigen kommt, bricht der Holländer die Sache ab, um Senta vor dem Fehler zu bewahren, vor dem Ewigen ein Versprechen zu geben, das sie seiner Meinung nach nicht halten könne.
Nun erst gibt Senta zu, den Holländer und seine Geschichte zu kennen, um ihm zu signalisieren, dass sie sich des ganzen Ausmaßes bewußt sei.
Nach der Logik des Holländers hätte Senta vor dem Ewigen die Treue schwören müssen (Eheschließung), und hätte ihm dann bis in den Tod die Teue halten müssen, um ihn zu erlösen und selbst der Verdammnis zu entgehen. Ebenso ist in den Augen des Holländers Senta zu dieser Treue nicht fähig, auch die Ehe wurde noch nicht geschlossen. So kann die Erlösung also nicht funktionieren.
Ich denke, es kommt darauf an, wie man den Charakter Sentas interpretiert -- ist ihr Selbstmord ein übersteigerter Akt der Selbstdarstellung, Helfersyndrom bis zur Selbstzerstörung (keine Erlösung, der Holländer irrt weiter)? Oder ist es schließlich doch ihre Anteilnahme, ihr Mitleid und ihr Tod als Selbstaufopferung, durch welche der Holländer erlöst wird?
Ich kenne Wagners Schriften nicht sonderlich gut und weiß nicht, ob und inwieweit der Gedanke der Erlösung durch Mitleid bereits im Zusammenhang mit dem Holländer dort Erwähnung findet.
(Ich bitte Tippfehler und unglücklche Formatierung zu entschuldigen, da ich den Beitrag auf dem Tablet verfasst habe).