Ives, Charles - Der große Einzelgänger der modernen Musik
Charles Ives ist ein Faszinosum der klassischen Musik, eine ganz eigenartige Erscheinung, vollkommen selbständig, ja, ich sage es mal, von einer nahezu dämonischen Selbständigkeit in der Musik, ein Komponist, der es ab einem gewissen Punkt seiner musikalischen Entwicklung völlig aufgegeben hat, auch nur nach irgendeinem Publikum zu schielen, sondern der einfach nur noch unbekümmert exakt die Musik geschrieben hat, die er schreiben wollte.
Dies hat natürlich auch einen gewissen kulturellen Hintergrund. Charles Ives war Amerikaner und wurde 1874 geboren, lebte bis 1954. Den kulturellen Hintergrund von Charles Ives kann man dann so beschreiben: Die USA jener Zeit waren eine kulturell zurückgebliebene, oberflächliche Gesellschaft, in der man sich für die gute Musik mal irgendeinen europäischen Musiker kommen ließ und Kultur in diesem Sinne für käuflich hielt, aber an wirklich anspruchsvoller Kulturpflege wenig Interesse hatte. Ein Amerikaner, der anspruchsvolle Musik schrieb, das interessierte damals niemanden. Es ist dann auch eine Tatsache, daß Ives Fall dann weitaus tragischer zu bewerten als der von Anton Bruckner. Von seinen orchestralen Werken hat Charles Ives kaum eines gehört, sie wurden nicht aufgeführt, ein paar Sachen hat er gehört, aber da war er ein sehr alter Mann und hatte mit dem Komponieren aufgehört. Besonders tragisch ist es wohl, daß Gustav Mahler seine 3. Sinfonie aufführen wollte und das hätte Ives möglicherweise eine kompositorische Karriere eröffnet, aber Mahler wurde krank, es kam nicht mehr dazu.
Also Charles Ives lebte vollkommen unbeachtet von seiner Umwelt und schrieb ein Werk nach dem anderen. Leben konnte er davon nicht, er war Vertreter für Lebensversicherungen. Auch das ist eine Tatsache, die mich immer fasziniert hat: Warum lebt ein musikalisches Genie wie Charles Ives nun ausgerechnet von Lebensversicherungen, warum versucht er nicht, auch nur irgendeine musikalische Karriere anzustreben? Mir ist kein Komponist bekannt, der in diesem Sinne einen so einzigartigen Lebensweg gegangen wäre.
Verständlicher wird der Lebensweg von Ives vielleicht vor dem Hintergrund seiner kulturellen Prägung und es ist klar: Charles Ives wurde in stärkster Weise von der amerikanischen Transzendentalistenschule geprägt, dessen hervorragendste Vertreter wohl Emerson und daneben Thorough waren. Wer etwa den Essay "Selbstvertrauen" von Emerson liest, dem wird klar, daß die amerikanischen Transzendentalisten eine geistige Richtung waren, die nach absoluter Autonomie strebten, dahin gehört auch Thoroughs Buch "Walden".
In dieser Hinsicht ist es dann vielleicht doch nicht so seltsam, daß ein musikalisches Genie von Lebensversicherungen lebt, es drückt auch die absolute Autonomie aus, das sich völlige Unabhängigmachen von jeglichem Urteil irgendeiner musikalischen Umwelt. Eben weil Charles Ives jeglichem musikalischen Betrieb gegenüber völlig autonom war und einem ganz ordinärem Beruf nachging, schrieb er eben exakt, was er schreiben wollte, und kümmerte sich nicht um die Urteile anderer. Und als er ein alter Mann war und man ihm einen Preis überreichen wollte, kommentierte er das nur sarkastisch "Und ich dachte immer, Preise wären für Kinder."
Man muß nun in Charles Ives Werk zwei Phasen unterscheiden, eine frühe, noch konservativere, und eine spätere, eher avantgardischere. In dieser Hinsicht ähnelt er nun wieder Schönberg, dessen ziemlich exakter Zeitgenosse Charles Ives war. Nun ist das Frühwerk von Charles Ives allerdings weniger raffinierteste Spätromantik wie bei Schönberg, sondern es hat teilweise eine geradezu volksliedhafte Frische, teilweise wohl auch eine Herkunft aus amerikanischen Hymnen, die im religiösen Zusammenhang damals erklungen sind.
Das heißt nun noch lange nicht, daß die frühe Musik von Charles Ives primitiv wäre, dies durchaus nicht, nur ist es ein Phänomen von Ives, das sowohl die frühen "konservativeren" Werke von Ives betrifft wie die späteren avantgardistischen, daß Ives die einfache Musik, den frischen volksliedhaften Song, in seine Werk immer auch integriert hat.
Ansonsten aber ist Ives, eben weil er so ein vollkommener Einzelgänger war, immer ein durchaus experimentierender Komponist geblieben. Ives hat mit allem möglichen experimentiert: Mit Vierteltonmusik, mit Polytonalität, mit der absoluten Parallelität vollkommen verschiedener musikalischer Verläufe. Nun bin ich ein musikalische Laie, also mögen dann andere musikalisch fundiertere Aussagen zu Ives treffen.
Mich hat Ives jedenfalls immer fasziniert und ich kenne ihn ziemlich lange, eigentlich schon seit meiner Jugend. Dies kam daher, daß ich damals viel Radio gehört habe und irgendwann liefen die Sinfonien von Ives im Radio und die habe ich mir mitgeschnitten. Später interessierte mich auch Kammermusik und die Klaviersonaten. Die Musik von Ives war für mich ein Phänomen, für mich war Ives der Komponist, der für mich zum Inbegriff eines musikalischen "nach neuen Ufern strebens" war.
Soweit erst einmal.
Gruß
Malcolm