Konzerterfahrungen in München
Hallo zusammen,
Ich hatte hier von meinem geplanten Konzertbesuch bei Simone Kermes und Vivica Genaux berichtet. Gestern hat das Konzert stattgefunden.
Das Programm 'Barocke Rivalitäten' ist gestern zum ersten Mal über die Bühne gegangen, gemäß der Website von Simone Kermes soll es noch gut 40 Aufführungen erfahren. Insofern können nach meiner Kritik andere Leser entscheiden, ob sie bei anderer Gelegenheit vielleicht Lust haben, hierfür Konzertkarten zu kaufen. Vivica Genaux hat vor kurzem ein Hasse/Handel-Recital mit (zumeist) unbekannten Arien für Faustina Bordoni mit der Capella Gabetta vorgelegt. Das Programm dieses Recitals hat keinen Niederschlag im neuen Programm gefunden, alle Arien, Sinfonien und Duette sind dort nicht aufgenommen. Simone Kermes hat Arien für Francesca Cuzzoni, Vivica Genaux erneut solche für Faustina Bordoni gesungen. Ob das alles philologisch richtig ist, kann ich nach einem Konzertbesuch natürlich nicht einschätzen, aber man mag es wohl glauben.
So sind zehn der 16 vorgesehenen Nummern im Programmheft als Welterstaufführungen in der Neuzeit tituliert worden. Das finde ich, bei aller Skepsis gegenüber diesem Begriff, ein sehr schönes Vorgehen, das man ja auch schon bei vielen CDs von z.B. Simone Kermes oder Cecilia Bartoli beobachten kann, sie haben sich beide von Claudio Osele viel Musik aus Archiven heraussuchen lassen, die zu ihrer jeweiligen Stimme passt. Das hat er nun auch für Vivica Genaux und das Orchester gemacht. Auch wenn es einige Abweichungen gegenüber dem angekündigten Programm gegeben hat, ist meine Neugier auf 'neue' alte Musik ausreichend gestillt worden.
So gab es Musik von 11 Komponisten der Geburtsjahrgänge 1653 (Carlo Francesco Pollarolo, mithin ein Zeitgenosse von Corelli) - 1713 (Giuseppe Arena, mithin ein Zeitgenosse Glucks) aus den Jahren 1718 - 1739, lediglich Porpora und Hasse kamen mehrfach im Programm vor. Das vermutlich bekannteste Stück im Programm war die Handel-Arie aus dem Scipione, die Simone Kermes bereits auf ihrem Cuzzoni-Album gegeben hat, die sie hier auch als Auftrittsarie genutzt hat.
Wie immer sind ihre Barockarien-Konzerte Zur-Schau-Stellungen ihres enormen gesanglichen Vermögens, u.a. sehr viel stimmliches Metall und eine erstaunliche Virtuosität vorzuführen. Das hat sie gestern auch so gehalten, allerdings finde ich es bei dem anhaltend perfekten Stimmsitz und der Bühnenpräsenz auch richtig, diese Karte zu spielen. Dass sie leise Töne und auch sehr stimmige Interpretationen produzieren kann, hat sie an vielen Stellen auch auf Tonträgern dokumentiert (ich finde Ihre Nitocris in Handel's Belshazzar unter Peter Neumann unglaublich präsent und angemessen). Ein (alleiniger) Arienabend mit Simone Kermes nutzt sich allerdings in ihrer Vorführung der stimmlichen Möglichkeiten auch immer etwas ab. Und an der Stelle ist der gemeinsame Auftritt mit der stimmlich ganz anders gelagerten Vivica Genaux für beide ein Zugewinn. Vivica Genaux hat alleine bis auf eine Ausnahme nur 'Erstaufführungen' gesungen, ihre gerade in den tiefen Lagen wunderbare klingende Stimme stellt einen wunderbaren Kontrast zum Timbre von Simone Kermes dar. Einzig ihre etwas merkwürdige Art, Koloraturen und Triller mit sehr schnellen Mundbewegungen zu gestalten, ist etwas gewöhnungsbedürftig, dürfte aber vermutlich ab Reihe 10 kaum noch zu erkennen gewesen sein.
So kann ich den Besuch eines derartigen Konzerts eigentlich nur empfehlen, Kermes ist weiterhin in einer bestechenden stimmlichen Form, es gibt wenige Sänger, die ihr an dieser Stelle das Wasser reichen können, Vivica Genaux ist aber kein Programmfüller, sondern eine perfekte Ergänzung.Die Sängerinnen bereichern sich gegenseitig. Und man wäre natürlich gespannt, was ein Komponist von Handels Qualität für eine Sängerin wie Simone Kermes schreiben würde .... Aber das ist natürlich nur ein wüster Traum .... Und ja, ich kann schon, wenn ich die aufgeführten Stücke höre, erkennen, warum ein GF Handel als Komponist von seinen Zeitgenossen hoch geschätzt und heute als weithin berühmter gelten muss, die aufgeführten Arien von Leonardo Leo und Giuseppe Arena sind deutlich einfacher als die aufgeführte Handel-Arie, die nun weiß Gott nicht zu den bekanntesten des Hallensers gehört.
Johann Joachim Quantz hob bei Faustina Bordoni hervor, sie besitze 'eine scharfe Beurteilungskraft, den Worten, welche sie der größten Deutlichkeit vortrug, ihren gehörigen Nachdruck zu geben', bei Cuzzoni lobte der gleiche (komponierende) Autor hervor, diese singe 'unschuldig und rührend'. Nun sind diese Eigenschaften, auf die heutigen Interpretinnen der Sängerinnen übertragen, sicher nicht die größten Vorteile von Genaux und Kermes. Vermutlich ist die Sängerin in McGegan's 'Arien für'-Platte bei Cuzzoni, Lisa Saffer, die deutlich überzeugendere 'Aktualisierung' der sängerischen Fähigkeiten einer Francesca Cuzzoni, aber es ist natürlich dennoch sehr faszinierend, den völlig anders gearteten hervorragenden Sängerinnen zuzuhören, die dann rein zufällig auch noch beim gleichen Plattenlabel sind. Ich hoffe, ich habe Interesse geweckt.
LG Benno