Claudio Abbado (1933-2014)

  • Ich fand die Zusammenstellung sehr gelungen. Schubert Fierrabras Ouvertüre, Verdi Don Carlos, Debussy aus Luzern, Mozart mit Martha Argerich, Xenakis mit dem Gustav Mahler Jugendorchester, kurze Würdigungen unter anderem von Mitgliedern der Berliner Philharmoniker, am Ende das Finale Mahler Neunte aus Berlin (grandios transparent). Die meisten Aufnahmen habe ich, zwei, die ich nicht habe (und auch nicht kaufen werde, weil ich schon zu viele Aufnahmen dieser Werke habe, das Requiem ja auch mit Abbado, die Wiener Aufnahme), haben mich aber auch tief beeindruckt in ihrer Transparenz und Ausdrucksintensität: die Brahms Dritte und das Verdi Requiem aus Berlin, letzteres laut Ansage das erste Konzert nach Abbados Krebserkrankung.

     

    Was Mahler betrifft bin ich jetzt auch ganz stark gefährdet, alles (wirklich alles was es auf CD und DVD gibt) von Abbado zu sammeln...

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Seine späten Bruckner- und Mahler-Dirigate waren überwältigend

    Von Abbado habe ich nur Einzelaufnahmen einiger Mahler-Symphonien: Nr. 1 (CSO 1982) und Nr. 10 (WPh 1988); Nr. 5 (BPh 1993) und Nr. 7 (CSO 1984). Insbesondere die Aufnahme der Fünften finde ich herausragend - auch was die Aufnahmequalität betrifft. Da mir die Solti-Aufnahmen mit dem CSO (die ich früher sehr geschätzt habe) zunehmend zu "krawallig" sind (man wird halt alt... :rolleyes: ), würde ich mir gerne einen kompletten Zyklus von Abbado zulegen und bin dabei auf diese beiden Boxen gestoßen:

    Die von mir erwähnte Fünfte mit den Berlinern ist wohl in beiden Sets enthalten; ansonsten blicke ich aber nicht ganz durch, welche Aufnahmen jeweils enthalten sind. Kennt jemand beide Boxen und kann mir eine Kaufempfehlung geben? (Ja, ja, ich weiß, am besten beide... :D )

    Früher war nichts besser, aber: Es gab Sachen, die waren früher gut. Und sie wären es auch heute noch - wenn man die Finger davon gelassen hätte! (Jochen Malmsheimer)

  • Ich besitze die zweitgenannte (ältere) Box, anhand derer ich Mahlers Symphonien genauer kennengelernt habe. Schon aus diesem Grund hat diese Box einen Ehrenplatz in meiner Sammlung. Sie enthält halt auch ein paar ältere Aufnahmen (genauere Angaben kann ich gerade nicht machen, da ich nicht zuhause bin). Abbado musiziert hier durchgehend auf wunderbarem Niveau, einziger kleiner Abstrich ist aus meiner Sicht das Fragment der Nr. 10 - das Adagio klingt in Rattles bekannter BPhil-Aufnahme m. E. kontrastreicher und etwas weniger geglättet.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • In der älteren Box stammen die Aufnahmen von 2, 3, 4 und 9 aus Wien, die von 6 und 7 aus Chicago.

    In der neuen sind alle aus Berlin, bis auf die 2., die in Lucerne aufgezeichnet wurde.

    Es gibt also wenig Überlappung, ob es sich bei den Berliner Aufnahmen in beiden Boxen um die gleichen handelt, weiß ich allerdings auch nicht.

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Die von mir erwähnte Fünfte mit den Berlinern ist wohl in beiden Sets enthalten; ansonsten blicke ich aber nicht ganz durch, welche Aufnahmen jeweils enthalten sind. Kennt jemand beide Boxen und kann mir eine Kaufempfehlung geben? (Ja, ja, ich weiß, am besten beide... )

    Identisch sind in beiden Boxen Nr. 1, 5 und 8, jeweils mit den Berlinern.

    Ansonsten in der oberen Box: Nr. 2 mit dem Lucerne Festival Orchestra und Nr. 3, 4, 6, 7, 9 mit den Berlinern.

    Ansonsten in der unteren Box: Nr. 2, 3, 4, 9 und 10 (Adagio) mit den Wienern, Nr. 6 und 7 mit dem Chicago Symphony Orchestra.

    Grosso modo sind die Aufnahmen aus Chicago und Wien etwas älter (70er und 80er), die aus Berlin und Luzern etwas neuer (90er und frühe 00er).

    Ich kenne nicht alle, aber die meisten Aufnahmen. Welche man bevorzugt, bleibt Geschmackssache (bei Bedarf auch gerne etwas detailliertere Erläuterungen), ich ziehe in den meisten Fällen die späteren Aufnahmen vor. Manchmal sind die interpretatorischen Unterschiede eher gering, manchmal sehr groß (Nr. 6).


    Wenn's auch DVD oder Blu-Ray sein darf, dann empfehle ich die überwiegend grandiosen Aufnahmen aus Luzern (2003-2010, auf CD ist nur die Zweite von 2003 erschienen). Die Aufführungen der Sinfonien 3, 5, 6 und 7 habe ich dort selbst erlebt - das gehört zu den großartigsten Musikerfahrungen meines Lebens. Leider finde ich jetzt eine Sammelbox nur auf Blu-Ray (ohne Nr. 9), auf DVD muss man sich die Aufnahmen anscheinend einzeln zusammenkaufen:

     

    :wink:

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  • einziger kleiner Abstrich ist aus meiner Sicht das Fragment der Nr. 10 - das Adagio klingt in Rattles bekannter BPhil-Aufnahme m. E. kontrastreicher und etwas weniger geglättet

    So kann's gehen ;) . Für mich ist das Adagio-Fragment mit Abbado und den Wienern schon immer eines der schönsten Dokumente des Wiener Streicherklangs gewesen. Und ich kenne keine Aufnahme, bei dem der Tutti-"Choral" vor dem Neuntonklang so orgelartig-majestätisch klingt, was die dann folgende Auflösung in die Dissonanz um so einducksvoller macht.

    :wink:

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  • So kann's gehen ;) . Für mich ist das Adagio-Fragment mit Abbado und den Wienern schon immer eines der schönsten Dokumente des Wiener Streicherklangs gewesen. Und ich kenne keine Aufnahme, bei dem der Tutti-"Choral" vor dem Neuntonklang so orgelartig-majestätisch klingt, was die dann folgende Auflösung in die Dissonanz um so einducksvoller macht.


    Diese (in der Tat sehr wichtige) Stelle müsste ich nochmal im Vergleich hören. Zu Beginn des Satzes gibt es nach dem einleitenden Bratschen-Thema (das Floros übrigens in Beziehung zur Hirtenmelodie im dritten Aufzug des "Tristan" sieht) und dem Hauptthema recht plötzlich diese etwas tänzerisch-bizarre Stelle. Hier finde ich es wichtig, dass diese in einem mutigen Kontrast zum vorherigen Streicher-Gesang und mit etwas Schwung gestaltet wird, was Rattle m. E. besser gelungen ist als Abbado. Es ist aber tatsächlich inzwischen etwas her, dass ich beide Aufnahmen gehört habe.

    Ansonsten bedauere ich es, dass Abbado (im Gegensatz zu Rattle) offensichtlich nie die Cooke-Vervollständigung der Zehnten aufgenommen hat.

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Ansonsten bedauere ich es, dass Abbado (im Gegensatz zu Rattle) offensichtlich nie die Cooke-Vervollständigung der Zehnten aufgenommen hat.

    Die mochte er wohl nicht. Auch mit der Achten hatte er seine Probleme - die für Luzern 2011 vorgesehenen Aufführungen hat er ein halbes Jahr vorher abgesagt und durch ein anderes Programm ersetzt. Und die Berliner Aufnahme des Werks ist wohl eher eine Pflichtübung für die Vollständigkeit gewesen. Interessant auch, dass Abbado manche Mahler-Sinfonien x-mal aufgeführt und teilweise viermal aufgenommen hat, vom Lied von der Erde aber m.W. nur der Livemitschnitt in der Berliner Digital Concert Hall (mit Kaufmann und von Otter, 2011) vorliegt.

    :wink:

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  • Auch mit der Achten hatte er seine Probleme - die für Luzern 2011 vorgesehenen Aufführungen hat er ein halbes Jahr vorher abgesagt und durch ein anderes Programm ersetzt.


    Ist es gesichert, dass dies mit einer Abneigung gegenüber dem Stück zusammenhing? Warum hätte er es dann initial überhaupt ins Programm nehmen sollen?

    Könnte es eventuell auch sein, dass es ihm 2011 gesundheitlich bereits so schlecht ging, dass er sich ein Dirigat des für die Achten benötigten Riesen-Apparates konditionell nicht mehr zugetraut hat?

    LG :wink:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Vielen Dank! Da habe ich diesen Thread ja offensichtlich aus seinem Dornröschenschlaf geküsst! :kuss1:

    Da werde ich mich wohl für die Box "Berlin/Lucerne" entscheiden - u. a. wegen des hier genannten Lobes für die Zweite, die ich (neben der Solti-Aufnahme) noch in einer älteren Aufnahme (1975) mit den Wienern habe (Mehta - Cotrubas, Ludwig) - aber das gehört eher in einen Mahler-Thread...

    Früher war nichts besser, aber: Es gab Sachen, die waren früher gut. Und sie wären es auch heute noch - wenn man die Finger davon gelassen hätte! (Jochen Malmsheimer)

  • Ist es gesichert, dass dies mit einer Abneigung gegenüber dem Stück zusammenhing? Warum hätte er es dann initial überhaupt ins Programm nehmen sollen?

    Könnte es eventuell auch sein, dass es ihm 2011 gesundheitlich bereits so schlecht ging, dass er sich ein Dirigat des für die Achten benötigten Riesen-Apparates konditionell nicht mehr zugetraut hat?

    LG :wink:

    Hm, ich meinte, ich hätte damals irgendwo eine mehr oder weniger zuverlässig überlieferte Äußerung Abbados zum Thema gelesen. Finde sie aber nicht mehr. Gut möglich, dass meine Erinnerung täuscht.

    In der Presse wurden/werden verschiedene Gründe kolportiert: a) A. mochte das Werk nicht, b) nachlassende Kräfte, c) der Saal des Luzerner KKL erschien ihm dann doch zu klein für das Werk (Chailly hat die Achte ja dann vor einiger Zeit dort aufgeführt und sah sich prompt mit der Kritik der angeblich zu großen Besetzung und Lautstärke konfrontiert.)

    :wink:

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  • Musikliebhaber, die Claudio Abbado sehr schätzen, können demnächst sein diskografisches Erbe bei DGG und Decca komplett in einer Box erwerben, 257 CDs und 8 DVDs für den stolzen Preis von € 799,99. Bei der Durchsicht der gelisteten Einspielungen musste ich feststellen, dass ich ca. 1/3 der Aufnahmen besitze und das obwohl ich gar kein besonderer Abbado-Verehrer bin. Hat sich halt in über 40 Jahren so ergeben. ;)

    Toleranz ist der Verdacht, der andere könnte Recht haben.

  • Folgende Mucken, die nach Eindruck meiner Lauscherchen Maestro Abbado und Instrumentenquäler am fetzigsten realisierte:

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    bisher zogen die keine Wozzeck-Wiedergabe sich rein, mit klanglich derart mega aufgefächerten, auch mit zartesten, zerbrechlichsten Feinheiten gespickten und dennoch gleichermaßen enagagierten Orchester ...

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    Lauschchen werden von klangsinnlicher Wiedergabe der geilen Webernschen Orchestervariationen op. 30 immer wieder totalst angefixt ...

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    Spätmucke Nonos No hay caminos hay que caminar ... Andrej Tarkovskij" (1987), die sich zu widerrufen im Begriff zu sein scheint, indem sie ständig ins Sprach- bzw. Klanglose abkackt, kommt unter Abbado in höchster Intensiät und mit brutalst-fahler Schärfe rüber ...

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Musikliebhaber, die Claudio Abbado sehr schätzen, können demnächst sein diskografisches Erbe bei DGG und Decca komplett in einer Box erwerben, 257 CDs und 8 DVDs für den stolzen Preis von € 799,99.

    Ich bin zwar in gewissem Sinn ein Verehrer von Abbado, vor allem durch Konzerte in Luzern mit dem Lucerne Festival Orchestra, wo ich auch bei Proben zugegen sein durfte, trotzdem kann ich zu dieser Veröffentlichung nur den Kopf schütteln und sehe keinen Sinn in diesem Wahn, dass alles komplett veröffentlicht sein muss. Bekanntermaßen hat Abbado gerne und viel aufgenommen, und da ist beileibe nicht alles wert für die Ewigkeit aufgehoben zu werden.

    Und wie Du auch schon angemerkt hast, haben die Abbado-Fans wahrscheinlich sowieso schon sehr viel im Regal und brauchen diesen „Schinken“ kaum.

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    Was ist heute Kunst ? Eine Wallfahrt auf Erbsen. (Thomas Mann, Doktor Faustus, Kap. XXV)

  • Empfehlung (anlässlich des 10. Todestages kostenlos):

    Playlist: Claudio Abbado und die Berliner Philharmoniker | Digital Concert Hall
    Unter den großen Dirigenten war Claudio Abbado eine Ausnahmeerscheinung: liebenswürdig und frei von Allüren, aber völlig kompromisslos beim Erreichen seiner…
    www.digitalconcerthall.com
    Claudio Abbado - ARTE Concert | ARTE
    Assistent von Leonard Bernstein, Dirigent der Mailänder Scala, der Wiener Philharmoniker sowie der Berliner Philharmoniker, Generalmusikdirektor der Stadt…
    www.arte.tv

    Beste Grüße vom Stimmenliebhaber

  • Danke für diese Tipps, stimmenliebhaber!

    Da werd ich mir sicher einiges anhören. In jedem Fall das "Lied von der Erde", das Abbado erstaunlicherweise nur sehr selten, wenn nicht überhaupt nur bei dieser einen Konzertserie dirigiert hat - zumindest gibt es unter ihm nur diese eine Aufzeichnung des Werks.

  • Empfehlung anlässlich des 10. Todestages

    Welch eine wichtige Empfehlung! Vielen Dank dafür. Mein Gott - Claudio Abbado ist bereits seit zehn Jahren tot. Bin jetzt mittendrin bei ARTE Concert. Mahler - "Auferstehung". Zur "Nachahmung" empfohlen!

    Heute 17.40 Uhr in ARTE

  • Für mich war Claudio Abbado zweifellos einer der zehn eindrucksvollsten und positiv prägenden Live-Dirigenten meines Opern- und Konzertgängerlebens. In den 1990ern habe ich in der Berliner Philharmonie einige Konzerte und konzertante Opernaufführungen erlebt, wobei ich die Instrumentalkonzerte in der Regel eindrucksvoller fand als die konzertanten Opernaufführungen (wie z.B. "Boris Godunow" 1993 und "Otello" 1995, "Fierrabras" 1997), weil ich da nie von allen beteiligten Sängern begeistert war. Als Operndirigent begeisterte mich Abbado vor allem mit "Falstaff" 1997 in der Staatsoper Berlin - wenn ich mich recht erinnere, was ich von 6 Aufführungen 5x drin, vielleicht waren es aber auch nur 5 Aufführungen und ich war immer drin.

    Besonders wichtig war Abbado für mich als Mahler-Dirigent. Einem Trauma-Erlebnis (die Achte 1994) stehen drei umwerfende und unvergessliche Mahler-Erlebnisse gegenüber: mein allererster Philharmonie-Besuch war im Dezember 1989 die Generalprobe zu Abbados Antrittskonzert als gewählter neuer Chefdirigent der Berliner Philharmoniker. Meine Eltern hatten im Radio gehört, dass DDR-Bürger diese Generalprobe kostenlos besuchen dürften. Also fuhr ich frühmorgens im Berliner Umland los und war schon um 8 Uhr an der Berliner Philharmonie, als die Schlange noch relativ kurz war. Eine Stunde vor Probenbeginn wurden die Kassen geöffnet, man zeigt seinen Ausweis vor und bekam eine Karte. aufgrund meiner vorderen Position in der Schlange bekam ich Block A Reihe 9 am mittigen Gang, also nicht ganz vorne und vor allem nicht außen, das war schon ziemlich ideal. Die erste Sinfonie, die ich dann von diesem Orchester und diesem Dirigenten erleben durfte, war Schuberts "Unvollendete". Es folgten ein zehnminütiger Rihm (nun ja...) und die Pause. Nach der Pause folgte dann Mahlers Erste - und das war für mich eine absolute Offenbarung. Ich kannte sie noch gar nicht - im Gegensatz zu Schuberts "Unvollendeter" - und genoss sie doch noch weit mehr. Spannend war auch, dass wir am Ende des Sinfonie-Durchlaufs nicht gleich den Saal verlassen mussten, sondern noch Korrekturen einiger Stellen, also etwas Probenfeeling, miterleben durften.

    Mein zweites unvergessliches Mahler-Erlebnis mit Abbado war dann 1995 Mahlers II. am 100. Jahrestag der Uraufführung mit dem Uraufführungsorchester (nun natürlich in der neuen Philharmonie). Es war damals schon seit etwa drei Jahren meine absolute Lieblingssinfonie und ich war bis dato mit einigen erlebten Live-Darbietungen (Stefan Sanderling 1992 open air in Potsdam vor dem Neuen Palais, dann in Berlin Schönwandt mit dem BSO im Schauspielhaus und Ashkenazy mit dem DSO in der Philharmonie) überhaupt nicht zufrieden gewesen, aber dieses Konzert unter Abbado war einfach eine "Sternstunde", wo alles stimmte. Bei jedem von ihm gewählten Tempo hatte ich das Gefühl: so muss das sein. Keine äußeren Effekte, Extreme, überlange Generalpausen (wie später bei seinem Nachfolger...), sondern ganz organisch, alles im natürlichen Fluss.

    Mein drittes unvergessliches Mahler-Abbado-Erlebnis war dann das "Lied von der Erde" am Mahlers 100. Todestag im Mai 2011. Ich hatte Abbado mit dem "Lied von der Erde" bereits im die Jahrtausendwende in der Berliner Philharmonie erlebt (mit Polaski und Heppner) und war da nicht so sehr begeistert wie damals von Mahlers Zweiter, obwohl ich das "Lied von der Erde" auch sehr liebe. Nun wollte ich an diesem 18. Mai eigentlich in den Kammermusiksaal der Philharmonie zu Brahms-Quartetten gehen, bei denen Thomas Quasthoff mitwirken sollte. Dafür kosteten die Karten weit weniger Geld als für das "Jahrhundertkonzert" im Großen Saal. Als Quasthoff absagte, dachte ich: Scheiße, ich versuche es, sonst werde ich mich immer drüber ärgern, es nicht versucht zu haben. Also spazierte ich zur Abendkasse und fragte, ob es noch zwei Karten gäbe. In der Tat gab es noch genau zwei Karten in Block A - zu astronomisch hohen Preisen. Ich fragte dann, ob meine 2x 25 Euro für den Kammermusiksaal denn anrechenbar seien, und als das bejaht wurde, bezahlte ich spontan die teuersten Konzertkarten, die ich je bezahlt habe. Das Adagio der Zehnten war das Geld m.E. zwar nicht wert, aber "Das Lied von der Erde" war schon toll (obgleich Frau von Otter schon etwas über den Zenit war und Herr Kaufmann auch nicht mein absoluter Lieblingssänger ist) - und trotzdem stellte sich bei diesem "Lied von der Erde" für mich zum dritten Mal dieses absolute Glücksgefühl ein wie 1989 bei Mahler 1 und 1995 bei Mahler 2.

    Anschließend standen vor dem Bühnenausgang ganz viele Leute, um Autogramme von Jonas Kaufmann zu ergattern. Ich fragte dann jemanden, ob Abbado hier auch rauskäme und erhielt die Antwort: Der geht durch einen Seitenausgang und gibt auch selten Autogramme. Wir sind dann zu diesem Seitenausgang, aus dem er wahrscheinlich käm, standen da fast als einzige, er kam da raus und er gab mir ein Autogramm auf meine Eintrittskarte. Es war das letzte Mal, dass ich Abbado live erlebt habe, zu seinem letzten Berliner Konzert 2013 konnte ich nicht und dann war seine Kraft in seinem jahrelangen Kampft gegen den Krebs (seit dem Jahr 2000) auch aufgebraucht. Aber nicht nur wegen dieser drei ganz besonderen Mahler-Konzerte 1989, 1995 und 2011 wird er mir immer unvergesslich bleiben, es gibt glückerweise auch viele lohende Opern- und Konzertaufnahmen von ihm. Und so wie Abbado in Berlin zwischen Karajan und Rattle wirkte, greife ich dann bezüglich der Aufnahmen auch gerne zwischen Karajan und Rattle, nämlich zu Abbado.

    Beste Grüße vom Stimmenliebhaber

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