BIZET: Carmen – Kommentierte Diskographie

  • Aber, wie heißt es so schön in Margarethe: Ja das Gold regiert die Welt!!!

    Was man um der 'Kultur' willen lieber aus dem Original zitieren sollte: "Nach Golde drängt / am Golde hängt doch alles. [Ach, wir Armen!]"
    ;+) :wink:

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    Musica est exercitium metaphysices occultum nescientis se philosophari animi

  • Bei Maazel und "Carmen" müssen es nicht unbedingt die Moffo oder Julia Migenes sein. Bei ORFEO erschien 2008 die Live-Aufnahme einer Aufführung der Wiener Staatsoper im Februar 1966:

    Das waren noch Zeiten, möchte man fast sagen (was aber gegenüber der Gegenwart doch ein bisserl ungerecht wäre). Liest man die Namen der Mitwirkenden, so rieseln einem als Wiener nostalgische Wonneschauer über den Rücken.

    Lorin Maazel und das Staatsopernorchester (= die Wiener Philharmoniker) spielen göttlich und herrlich präzis. Elegant und tänzerisch faßt Maazel die Musik auf, nie derb, kostet aber auch die lyrischen Momente bezwingend aus.
    Christa Ludwig ist hier noch wesentlich besser als in ihrer älteren Studioaufnahme unter Horst Stein. Gleich in der Habanera macht sie deutlich, daß hinter dem Kätzchen eine Katze lauert, keine ganz wilde, aber eine, deren Weltbild doch elementar gestrickt ist. Die Ludwig vermittelt viel sinnliche Ausstrahlung mit sehr nuancierten Details.
    Ihr Don José James King und sein Timbre mögen nicht jedermanns Sache sein. King war keinem Tenorfach wirklich voll zuzurechnen, er saß quasi zwischen allen Stühlen (und war bezeichnenderweise ein beachtlicher Florestan). Damals befand er aber zweifellos stimmlich auf seinem Höhepunkt. Er legt viel Hingabe und sängerische Intelligenz in die Partie, die er natürlich nicht kavaliersmäßig anlegt, sondern durch seine Schwächen (die zugleich seine Stärken bildeten) geschickt als bäurisch-dickköpfigen Leidenschaftler anlegt. Spritzigkeit ist von ihm nicht zu erwarten, aber ausgesprochen intensiver, ehrlicher Ausdruck. Wenn er zwar auch "schöne" Töne produziert, so weiß er doch die gepreßten und herben als überzeugende Ausdrucksgestaltung wirken zu lassen. Passion ist viel, Form wenig. Sein Verzweiflungsausbruch im Schlußakt ist eine hervorragende Leistung. Für mich ein mehr als eindringlicher José, dem ich manche Härten und Eigenheiten des Timbres deshalb gern nachsehe, und der mich anrührt. King läßt den leidenden Menschen in diesem Soldaten spüren, der die Welt nicht mehr versteht.
    Eberhard Waechter als Escamillo war auch noch bei voller Stimmkraft, mit sehr virilem Selbstbewußtsein gibt er einen aufgheblasenen Gockel von Torero, gut geeignet für ein paar heiße Stunden. Wäre es zu einer Trennung von Carmen gekommen, hätten beide darunter nicht gelitten.
    Als Micaela hören wir Janette Pilou. Ihr Französisch hebt sich natürlich von dem der anderen Mitwirkenden ab (obwohl das in den meisten Fällen gar nicht so schlecht ist), besonders aber von dem Kings. Glücklicherweise verkörpert sie aber nicht den timiden Typus. Ihre Stärke liegt aber weniger im Ausdruck als in der kunstvollen Form. Die übrige Besetzung zergeht mir auf der Zunge: Lucia Popp und Margarita Lilova (Frasquita und Mercedes), Oskar Czerwenka und Reid Bunger (Zuniga und Morales), Murray Dickie und Erich Kunz (Remendado und Dancaire).
    Ein kostbares Dokument einer tollen Aufführung, die einen glücklichen Ausgleich zwischen vollendeter musikalischer Kunstform und realistisch-sentimentalem Gefühlsempfinden bietet.

    Als Kontrast gönnte ich mir die berühmte Beecham-de los Angeles-Aufnahme von 1958/59, die heuer auch bei Membran als 3 CD-Version herauskam (was den Vorteil hat, daß man nicht mitten im Akt unterbrechen muß). Die Tonqualität ist glänzend.

    Areios' Charakterisierung von Sir Thomas Beechams Auffassung als klassizistisch möchte ich unterstreichen. Ohne das Feuer so extrem lodern zu lassen wie z.B. Fritz Reiner, schafft Beecham dennoch hinreißende Spannungsbögen. Er faßt die Oper belcantistisch auf, nimmt sich Zeit und baut vollendete Rubato-Effekte ein. Irgendwie möchte man glauben, daß das eine sehr authentische Wiedergabe im Sinn des Komponisten ist (nur weiß man natürlich nicht, ob das wirklich stimmt). Raffiniert und elegant wie sein Dirigat sind auch die Stimmen.

    Was soll ich über Victoria de los Angeles sagen, die hier fast mühelos allerhöchstes Spitzenniveau bietet? Sie legt die Carmen als rätselhaftes Geschöpf an, nicht elementares oder gar vulgäres Zigeunerkind, sondern eine intelligente, unergründliche femme fatale. Sie zieht alle Register ihrer Traumstimme. Ihr Französisch ist perfekt, klar und deutlich.
    Nicolai Gedda ist der ideale Partner für sie. kein Bauerntölpel mit ein paar überdurchschnittlichen Gaben, sondern heroisch und elegant, ein Cousin von Manrico und Ernani.
    Ernest Blanc gibt den Escamillo so wie ein Latin Lover sein soll: rassig-dekadent, betörend im Timbre, treffsicher in allen frauenverführenden Eigenschaften. Xavier Depraz glänzt als Zuniga, während der zwar gute, aber nicht sensationelle Bernard Plantey als Morales dagegen zurückbleibt. Frasquita und Mercedes sind bei Denise Monteil und Marcelle Croisier bzw. Monique Linval vorzüglich aufgehoben. Bei der Aufnahme, die sich ewig hinzog, sollen ja zweitweise zwischen den Protagonisten und dem alten Zyniker Beecham die Messer geflogen sein, was vermutlich die Doppelbesetzung der Mercedes erklärt.

    Klassischer Fall einer Fünfstern-Aufnahme!


    Liebe Grüße

    Waldi

    ______________________

    Homo sum, ergo inscius.

  • Frasquita und Mercedes sind bei Denise Monteil und Marcelle Croisier bzw. Monique Linval vorzüglich aufgehoben. Bei der Aufnahme, die sich ewig hinzog, sollen ja zeitweise zwischen den Protagonisten und dem alten Zyniker Beecham die Messer geflogen sein, was vermutlich die Doppelbesetzung der Mercedes erklärt.

    Lieber Waldi,

    nach meinen Informationen hat sich die Aufnahme so lange hingezogen, dass Marcelle Croisier in der Zwischenzeit - sicherlich zu jung - verstorben ist. Die Chemie zwischen Beecham und den Protagonisten stimmte allerdings wirklich nicht, insbesondere da Walter Legge als Carmen Victoria de los Ángeles besetzte und nicht Beechams ausdrückliche Wunschkandidatin Kerstin Meyer. Bei dem exquisiten Ergebnis halte ich Legges Entscheidung auf jeden Fall für ausgezeichnet; denn es ist ein einmaliges Rollenporträt der Carmen, das uns da geschenkt worden ist: nicht die einzige Möglichkeit, eine exzellente Carmen zu singen, aber ein Unikum, das es wert war, festgehalten zu werden.

    Was uns an Kerstin Meyers Carmen verlorengegangen ist, kann ich nicht beurteilen; nicht einmal bei Youtube findet man aussagekräftige Aufnahmen dieser schwedischen Mezzosopranistin.

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Lieber Areios,

    Danke, davon hatte ich keine Ahnung, daß Croisier dazwischen starb. Man muß auch schon über ein perfektes Gehör verfügen (habe ich leider nicht), um den Wechsel herauszuhören. Beecham schafft es bewundernswert, alle Mitwirkenden zu einem einheitlichen Ensemble zusammenzuschweißen. Es gibt nicht viele Opernaufnahmen, die auf diesem Niveau so homogen wirken.

    :wink: Waldi

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    Homo sum, ergo inscius.

  • Die "beste" deutsche Carmen ist wohl diese hier:

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    Mit Cissy Kraner als Carmen, Heinz Petters als trotteligen Don José, Ossi Kolmann als Escamillo u.a. Ich glaube Frau Deutinger singt die Micaela, ein Trutscherl vom Land.

    Heinz Holecek ist der Zuniga, der beweist, dass, der noch ungeborene, Robert Stolz als der Komponist dieser Oper gelten sollte. :juhu:

    Liebe Grüße sendet Euch Peter aus Wien, der Stadt der Opernparodie. :wink:

  • Die allererste Carmen-Aufnahme ist eine deutsche Carmen, und zwar diese hier:

    mit Emmy Destinn als Carmen, Karl Jörn als Don José, Minnie Nast als Micaela, Hermann Bachmann als Escamillo, Ochester der Hofoper Berlin geleitet von Bruno Seidler-Winkler.
    Oktober 1908.
    Ich habe sie in dieser Ausgabe:

    Hört sich an wie Carmen mit Kammerensemble (wäre es in Wien, würde man von Schrammel-Carmen sprechen).
    Die Introduktion zum zweiten Akt ist besonders schön ;)

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Carmen ist nicht gerade meine Lieblingsoper, aber diese Aufnahme von 1995 habe ich immer sehr geschätzt:

    War bisher immer nur hochpreisig zu haben. Jetzt kommt diese spottbillige Neuauflage raus.

    Es handelt sich zwar um eine Studioaufnahme, aber sie ist im Rahmen einer Aufführungsserie an der Münchner Staatsoper entstanden (in der Lina-Wertmüller-Inszenierung, die noch heute ein trauriges Repertoiredasein an der Bayerischen Staatsoper fristet). Dargeboten wird die Dialogfassung nach Oeser, und zwar - wenn ich mich richtig erinnere - ziemlich vollständig.

    Die großen Pluspunkte dieser Einspielung sind das ungemein farbige Orchesterspiel unter der sehr nuancierten, eher "leichten" Stabführung Sinopolis sowie die technisch und musikalisch großartige Carmen von Jennifer Larmore. Auch fast eine Idealbesetzung für die Micaela ist die junge Angela Gheorgiu. Samuel Ramey macht das, was Escamillo-Sänger halt so machen, das aber macht er gut. Leichte Abstriche bei Thomas Moser als José, aber er singt immer noch differenzierter und idiomatischer als so mancher italienische Startenor. Die Sprachidiomatik, soweit ich sie beurteilen kann, ist ziemlich gut, wenngleich natürlich nicht ideal.

    Verglichen mit den zwei weiteren mir bekannten Aufnahmen der Dialogfassung (Abbado und Solti) fand ich Sinopolis Einspielung immer deutlich überlegen. Aber Vorsicht: ich werte hier aus der Erinnerung, nicht aufgrund einer aktuellen Hörsession.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Aus "Eben verarmt" hierher kopiert. - Areios

    Hallo zusammen,

    heute entdeckt - und da ich Magdalena Kocenas Stimme sehr faszinierend finde, muss ich da glatt zuschlagen:

    Den Hörproben nach zu urteilen, scheint sie auch als Carmen durchaus hörenswert zu sein.

    Viele Grüße - Allegro

    "Musik ist ... ein Motor, Schönheit, Intensität, Liebe, Zauber, alles in allem: ein Elixir." Lajos Lencsés

  • Den Hörproben nach zu urteilen, scheint sie auch als Carmen durchaus hörenswert zu sein.

    Ja, unbedingt! Magdalena Kozená ist endlich wieder einmal eine echte Opèra-comique-Carmen, die die Partie vom Chanson her anlegt (in völliger Übereinstimmung mit Bizet: alle Soli der Carmen sind als "Chanson" betitelt und auch so komponiert, die einzige echte Arie ist die "Air" der Micaela im 3. Akt!) und auch den Witz und die Schlagfertigkeit der Figur transportieren kann. :juhu: Die ganze Aufnahme ist von einer Françaisité (oder was auch immer die Entsprechung zu Italianità ist), die man in den Carmen-Aufnahmen der letzten Jahrzehnte (!) meist vergeblich suchte. Den Werbetext auf jpc kann ich eigentlich weitgehend unterschreiben:

    Zitat

    Simon Rattle, der von sich selbst sagt, eine Carmen-Jungfrau zu sein, folgt ganz bewusst der originalen französischen Opéra-comique-Tradition und verlässt damit den Pfad der Grand Opéra der letzten Jahrzehnte. Ebenso ist auch Magdalena Koženás Carmen angelegt: "Stimmlich verfügt sie über ein Timbre, das gerade an jenen Stellen überzeugt, in denen Biegsamkeit und Flexibilität gefordert sind"...

    Und damit wäre auch mein Wunsch von Seite 1 dieses Threads auf das Glücklichste erfüllt, als mich Rideamus nach meiner derzeitigen Favoritin für die Carmen frug:


    Und dann frage ich mich auch, ob Magdalena Kozená die Rolle jemals gesungen hat und wie das war...

    Liebe Grüße,
    Areios

    "Wenn [...] mehrere abweichende Forschungsmeinungen angegeben werden, müssen Sie Stellung nehmen, warum Sie A und nicht B folgen („Reichlich spekulativ die Behauptung von Mumpitz, Dinosaurier im alten Rom, S. 11, dass der Brand Roms 64 n. Chr. durch den hyperventilierenden Hausdrachen des Kaisers ausgelöst worden sei. Dieser war – wie der Grabstein AE 2024,234 zeigt – schon im Jahr zuvor verschieden.“)."
    Andreas Hartmann, Tutorium Quercopolitanum, S. 163.

  • Ich habe gestern die Carmen-Ouvertüre einer meiner Schallplatten aufgenommen und auf Youtube hochgeladen. Dirigent ist Willem van Otterloo (kenne ich nicht). Aufnahme aus dem Jahr 1962.

    Mir gefällt der Teil mit den Streichern, wie sie das "Toreador-Thema" vortragen, schön elegant und schwungvoll - das habe ich oft schon viel zu sehr dahingeleiert gehört.

    Vielleicht hat ja jemand Interesse?

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  • Zitat von »Allegro«
    Den Hörproben nach zu urteilen, scheint sie auch als Carmen durchaus hörenswert zu sein.

    Ja, unbedingt! Magdalena Kozená ist endlich wieder einmal eine echte Opèra-comique-Carmen, die die Partie vom Chanson her anlegt (in völliger Übereinstimmung mit Bizet: alle Soli der Carmen sind als "Chanson" betitelt und auch so komponiert, die einzige echte Arie ist die "Air" der Micaela im 3. Akt!) und auch den Witz und die Schlagfertigkeit der Figur transportieren kann. Die ganze Aufnahme ist von einer Françaisité (oder was auch immer die Entsprechung zu Italianità ist), die man in den Carmen-Aufnahmen der letzten Jahrzehnte (!) meist vergeblich suchte. Den Werbetext auf jpc kann ich eigentlich weitgehend unterschreiben:

    Zitat
    Simon Rattle, der von sich selbst sagt, eine Carmen-Jungfrau zu sein, folgt ganz bewusst der originalen französischen Opéra-comique-Tradition und verlässt damit den Pfad der Grand Opéra der letzten Jahrzehnte. Ebenso ist auch Magdalena Koženás Carmen angelegt: "Stimmlich verfügt sie über ein Timbre, das gerade an jenen Stellen überzeugt, in denen Biegsamkeit und Flexibilität gefordert sind"...


    Mir ist die Carmen gestern quasi in die Tasche gesprungen: Ich mag Magdalena Kozena einfach sehr. Sie ist sicher nicht das erotischste Geschöpf in dieser Rolle, aber sie ist eine tolle Gestalterin aller Solo-Stücke, letztlich wird sie ja immer als spielende 'Komödienfigur' gegen die tragische Figur Don Jose gesetzt. Und an der Stelle ist die Gewichtung mit Jonas Kaufmann nahezu ideal, der die Tragik der Figur musikalisch überzeugend gestaltet. Ich mag seine Stimme nicht besonders (gebe ich gerne zu), aber er knödelt fast gar nicht (weder in den Duetten mit Micaela und Carmen noch habe ich es sonst besonders gehört.

    Meine bisherige Carmen mit Jessye Norman und Neil Shicoff hatte einfach vom Stimmgewicht eine merkwürdige Vertauschung der Rollenanlage beinhaltet.

    Simon Estes ist als Escamillo vermutlich etwas überzeugender .... aber bei der Gegenüberstellung von Micaela Freni und Genia Kühmeier kann ich mich kaum entscheiden .....

    LG Benno

    Überzeugung ist der Glaube, in irgend einem Puncte der Erkenntniss im Besitze der unbedingten Wahrheit zu sein. Dieser Glaube setzt also voraus, dass es unbedingte Wahrheiten gebe; ebenfalls, dass jene vollkommenen Methoden gefunden seien, um zu ihnen zu gelangen; endlich, dass jeder, der Überzeugungen habe, sich dieser vollkommenen Methoden bediene. Alle drei Aufstellungen beweisen sofort, dass der Mensch der Überzeugungen nicht der Mensch des wissenschaftlichen Denkens ist (Nietzsche)

  • SONY 2009 (1970)

    Über diese Aufnahme wurden schon sehr unterschiedliche Urteile gefällt, jetzt konnte ich meine Neugier endlich stillen, und, um es vorwegzunnehmen, für mich ist das eine der besten "Carmen" überhaupt, wenn auch sicher nicht in strengem Sinn authentisch. Die straffe, aber phantastisch zündende Orchesterführung durch Lorin Maazel paßt perfekt zur eher veristisch-leidenschaftlichen Auffassung, welche die Sänger vertreten. Dabei geht es nicht um tiefschürfende Intellektualität, sondern um simple Triebhaftigkeit. Die Moffo, der ich sonst nicht immer unkritisch zuhöre, überzeugt mich hundertprozentig als ein Geschöpf, das weder Gut noch Böse kennt, sondern ihren Trieben folgt, ohne darüber viel zu reflektieren. Ihre erotische Ausstrahlung wirkt hier nicht aufgesetzt (was sonst bei Anna Moffo nicht immer ganz der Fall war), sondern elementar. Und elementare Männlichkeit verströmt auch Franco Corelli, der natürlich kein eleganter oder französisch wirkender José ist, sondern eine Virilität ausstrahlt, die durch Kraft und Farbe gekennzeichnet ist. Richtig betörend, aber nicht für lange, denn elementares Mannestum, aber wesentlich facettenreicher und vielschichtiger, bietet auch Piero Cappuccillis Escamillo, der dadurch für Carmen viel interessanter wird. Da hat weder José mit seinen großartig anzuhörenden verführerischen Beschwörungen eine Chance noch der ebenfalls elementar, aber vergleichsweise beinahe primitiv wirkende Zuniga, bestens verkörpert von José van Dam. Helen Donath als Micaela läßt zwar die Freni nicht vergessen, aber beeindruckt schon sehr. Auch sonst ist die Besetzung luxuriös: Arleen Auger (Frasquita), Jean-Christophe Benoit (La Dancaire) usw.
    Insgesamt mitreißend und auf Fünf-Stern-Niveau. Über Stilfragen kann man natürlich streiten, aber "Carmen" läßt - für mich problemlos - sehr verschiedene Intepretationsmöglichkeiten zu, die ich nicht gegeneinander ausspielen will und kann. Ich liebe sie alle.

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    Homo sum, ergo inscius.

  • Jetzt muss ich doch mal fragen. Was haltet ihr davon:

    Diese Aufnahme habe ich noch zu LP-Zeiten gekauft, es war meine vierte Oper (nach Figaro, Zauberflöte und Fidelio).

    Die Sänger und Sängerinnen gefallen mir durchweg (auch Katia Ricciarelli), und an der Musik habe ich absolut nichts auszusetzen. Etwas eigenwillig ist die Tatsache, dass der gesprochene Text durch Profi-Schauspieler realisiert wird. Klingt wie im Theater. Ist wohl karajanscher Perfektionismus. Hinterlässt bei mir ein komisches Gefühl, aber immer noch besser als das miese Französisch, welches ich schon live über mich ergehen lassen musste.


    Thomas Deck

    Das war meine erste Opern CD überhaupt, vermutlich noch innerhalb des ersten Jahres, in dem ich anfing, Klassik zu hören. (Erst ein gutes Jahr später oder so kam die Zauberflöte/Marriner hinzu, und danach lange nichts mehr an Opern; vermutlich erst so ein Jahrzehnt später die Lady Macbeth von Mzensk (Rostropowitsch).) Diese Carmen habe ich früher sehr gerne gehört. Allerdings jetzt vermutlich so 20 Jahre nicht mehr gehört. Sollte ich mal wieder tun.

    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • Falsch gepostet, korregiert . aber bei dieser Gelegenheit meine Lieblings-Carmen aus Marseille 1942 :

    Good taste is timeless "Ach, ewig währt so lang " "But I am good. What the hell has gone wrong?" A thing of beauty is a joy forever.

  • Schade, nun wollte ich auch meinen Senf dazugeben und dann hat Areios im 4. Beitrag eigentlich schon alles gesagt.

    Das genau (Cluytens und Beecham) sind die Aufnahmen, die mich wirklich total umgehauen haben und zu denen ich immer greife, will ich mal die Carmen hören.

    Als 'Callas-Witwer' sollte ich ja eigentlich ihre -späte- GA auch aufführen. Und natürlich tue ich das auch. :P

    Ich finde das ein faszinierendes Rollenporträt und auch ihre Partner sind rollendeckend. Pretre versucht und schafft es noch einmal an die französische Gesangskunst zu erinnern, allerdings, vergleicht man ihn mit Cluytens, eher eine Mischform zwischen Italien und Frankreich. Aber immerhin. Was mich aber stört, ist leider, und ich sage es ungern, die Callas. So überwältigend sie interpretiert, ihre Stimme klingt doch durchweg als würde sie ständig in einen hohlen Kürbis singen. Ich glaube, John Ardoin hat es so genannt. Und er hat recht. Wehe, wenn man einmal sich diesen Klang bewusst gemacht hat. Dann wird es sehr anstrengend. Zudem fehlte ihr in bestimmten Passagen schon die Kraft, um die notwendige Leichtigkeit zu erzielen. Unendlich schade, denn sie verstand offensichtlich sofort (und konnte das auch umsetzen), was es heißt, den richtigen Stil für die französische Oper zu finden.

    Da Baltsa hier genannt wurde. Das ist weit von der wirklichen Opèra Comique entfernt, eben aus der italienischen Gesangstradition heraus gestaltet. Ich weiß von daher auch nicht, ob ich mir die HvK-Aufnahme mit ihr zulegen würde. Aber ich habe sie live auf der Bühne zusammen mit Shicoff gesehen. Und das war solch ein Moment, in dem Stilfragen einfach nicht mehr interessierten.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

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