Martha Argerich

  • ...mehr als Lampenfieber!

    ...echt fiese Panikattacken teilweise!! - im eben (Beitr.7) benannten Doku-Film spricht sie sehr offen darüber....

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • Von den Solo-Aufnahmen der 60er-70er mag man einige zu einseitig brillant-intensiv finden, ich schätze aber manches davon sehr (Kreisleriana) und finde auch die eher umstrittenen Chopin-Aufnahmen hörenswert (Preludes, Sonaten 2+3, Scherzi 2+3 u.a.). Aber hier gibt es natürlich sehr viele hochklassige Alternativen.

    "Brilliant" klingt mir zu sehr nach gepflegtem Oberflächenglanz. Ich finde diese Aufnahmen mitreißend energisch und stürmisch, dabei voller Risiko (inklusive der Bereitschaft, auch mal ein paar falsche Töne stehen zu lassen). Vor allem bei Argerichs Schumann spürt man diese permanente innere Nervosität, aber auch in den schnellen Chopin-Préludes (b-moll!) und im 2. und vierten Satz der b-moll-Sonate. Das sind für mich nach wie vor Sternstunden des Klavierspiels, die sie in späteren Jahren wohl doch nicht mehr erreicht hat. Ihre diversen Klavierduo-Ausflüge finde ich sehr unterschiedlich: Von großartig (Rachmaninow und Lutoslawski mit Nelson Freire) über ganz gut (Tschaikowsky mit Nicolas Economou) bis katastrophal schlampig (Messiaen mit Alexander Rabinovich).

    Zu meinen Favoriten gehören jedenfalls die Beethoven-Violinsonaten mit Kremer, auch wenn der Ton und die nervöse Spielweise dieses Geigers nicht jedermanns Sache sein mögen, sind das mit die dramatischsten und leidenschaftlichsten Aufnahmen dieser Werke, die ich gehört habe.
    Ebenfalls sehr hoch schätze ich die Schumann-Kammermusik-Mitschnitte (wenn auch, da live, manchmal etwas uneben)

    Von den Beethoven-Sonaten kenne ich nur die ersten drei, die habe ich in guter Erinnerung. Die Schumann-Kammermusik fand ich wieder unterschiedlich: Ziemlich gut die Fantasiestücke mit Maisky, zu einseitig das Klavierquintett.

    Christian

  • Die Schumann-Kammermusik fand ich wieder unterschiedlich: Ziemlich gut die Fantasiestücke mit Maisky, zu einseitig das Klavierquintett.

    Kennst Du die Violinsonaten aus Lugano? (Bildchen geht nicht - deshalb mit Géza Hossza-Legocky bzw. Renaud Capuçon)
    Deine Meinung interessiert mich.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Allerdings muss ich leider Deinem leuchtenden Gegenbeispiel Svjatoslav Richter ebenfalls etwas von seinem Heiligenschein nehmen: Ich hatte mal eine Karte für einen Klavierabend in Braunschweig (wenn ich mich recht erinnere), den er dann kurzfristig abgesagt hat. Kurze Zeit darauf erfuhr ich, dass er am selben Abend beim Schleswig-Holstein-Festival kurzfristig aufgetreten ist... So etwas tut man auch nicht.

    Wenn er in Braunschweig absagte, aber dafür am selben Abend woanders auftrat, kann ich mir das nur so erklären, dass ihn in Braunschweig etwas gestört haben muss. War der Veranstalter dort vielleicht nicht in der Lage, ihm einen anständigen Yamaha-Flügel hinzustellen (Richter spielte in seiner Spätphase nur noch Yamaha)? Falls es solcherlei Versäumnisse vor Ort gab, kann ich schon nachvollziehen, dass er seinen Koffer packte und woanders spielte, wo man ihm die Arbeitsbedingungen bieten konnte, die er brauchte.

    Ihre diversen Klavierduo-Ausflüge finde ich sehr unterschiedlich: Von großartig (Rachmaninow und Lutoslawski mit Nelson Freire) über ganz gut (Tschaikowsky mit Nicolas Economou) bis katastrophal schlampig (Messiaen mit Alexander Rabinovich).

    Am allertollsten finde ich eine Aufnahme, die ich in den 80er Jahren aus dem Rundfunk mitgeschnitten habe: Martha Argerich und Alexis Golovin live mit Schuberts Rondo zu vier Händen. Leider scheint es keine "offizielle" Aufnahme der beiden zu geben, so dass ich mich insoweit weiter mit meiner alten CompactCassette begnügen muss.

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

  • Dank an "music lover" und all die anderen hier für die "kritischen Töne", mit denen eine wesentliche Seite von Martha Argerich zur Sprache kommt, die m.M.n. nicht ausgespart sein sollte.
    Diese "Schattenseiten" (???) sind für mich untrennbar verbunden mit ihren strahlenden Facetten und m.M.n. bedingen sie sich gegenseitig.

    Höllenqualen an Lampenfieber und Selbstzweifeln standen vor jedem ihrer Solo-Auftritte.
    Die hieß es durchleben und ... überwinden!
    Jedes mal ein Kraftakt sondergleichen.
    Ohne diesen Sieg hinter dem Podium keine Möglichkeit, hinauszutreten aufs Podium vors Publikum,
    das nur "Teil 2" kennt, die "schöne, souveräne Tasten-Löwin",
    und das mit seinem Ticket ein Anrecht erworben hat, auf genau dieses (Zirkus-)Erlebnis.

    Was Wunder, wenn sich diese Kraft über die Jahre erschöpft,
    sie immer mehr das Bedürfnis nach Schutz empfindet.
    Schutz vor dem Publikum, Schutz in einer Gemeinschaft.

    Ihre Wege aus der Qual - Kampf, Flucht und Veränderung.
    All das hat Argerichs Lebensweg geprägt und das macht sie für mich so faszinierend.

    Liebe Grüße,
    Berenice

    Colors are like music using a short cut to our senses to awake our emotions.

  • In dieser Box
    ist (fast?) alles drin, was auf einer älteren Schumann gewidmeten Doppel-CD (*, in dieser gab es noch op.47, bei dem Rabinovitch spielte, und Adagio+Allegro op.70 mit Neunecker) enthalten war und auch die von Philbert genannten neueren Aufnahmen der Violinsonaten. Es gibt auch noch eine ältere DG-Studioaufnahme mit Schumanns opp. 105 und 121 mit Kremer.

    op.105 mit Hosszu-Legocky, Lugano 2004
    op.121 mit R. Capucon, Lugano 2008,
    *op.121 mit Schwarzenberg Nijmegen 1994
    op.73 mit Nakariakov, Flügelhorn?!?!?
    *op.73 Mit Gutman, Cello (wie wär es mal mit der Originalbesetzung...) Nijmegen 1994
    *op.113 mit N. Imai, Nijmegen 1994
    op.44, Lugano 2002
    *op.44 Nijmegen 1994
    op.47 Lugano 2006
    *op.46 Nijmegen, 1994
    op.88 mit 2x Capucon, Lugano 2009

    Allein aufgrund des günstigen Preises würde ich die empfehlen; meiner Erinnerung nach insgesamt sehr hörenswert und nicht so durchwachsen wie einige der einzelnen Lugano-Folgen (die teils auch sehr preiswert zu haben waren, allerdings spielen dann eben öfter mal irgendwelche von M.A. protegierten JungpianistInnen)

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Kennst Du die Violinsonaten aus Lugano? (Bildchen geht nicht - deshalb mit Géza Hossza-Legocky bzw. Renaud Capuçon)
    Deine Meinung interessiert mich.

    Kenne ich leider nicht, ich habe nur mal irgendwann die Aufnahme mit Gidon Kremer gehört und eben bei Spotify eine Aufnahme der d-moll-Sonate mit Dora Schwarzberg. Bei letzterer ging es mir wie schon öfter mit Argerichs Schumann: Dieses permanente rhythmische "Zerren" wirkt auf mich übertrieben, aber Übertreibung gehört fraglos zum Wesen von Schumanns Musik. Mir fehlt vielleicht doch ein bisschen die "Gegenseite" in Form formaler und polyphoner Strenge, die es ja in dieser Musik ebenfalls reichlich gibt. Mich interessiert bei Schumann mehr die Spannung zwischen diesen beiden Polen. Argerich fokussiert ganz eindeutig - und für mich etwas ein-seitig - auf ausufernde, nervöse Espressivität. Aber aufregend ist das allemal, und es gibt mir den Anlass, mal wieder neu über diese Stücke nachzudenken... Gibt es eigentlich auch eine Aufnahme der dritten Violinsonate mit Argerich? Deren geradezu beängstigend finstere Radikalität könnte ich mir gut mir ihr vorstellen.

    Christian

  • Soweit ich weiß hat Martha Argerich die letzte Sonate von Schumann nicht eingespielt. Sie wird ja auch äußerst selten aufgeführt. In der Schumann-Kammermusik-Box mit Eric Le Sage ist sie natürlich enthalten.
    Für mich ist das faszinierende an Martha Argerich ihre Vielschichtigkeit und Unberechenbarkeit. Das zeigte sich in ihren ersten Jahren an einer unglaublichen Risikofreude (z.B. Rach 3 mit Chailly oder Tchai 1 mit Kondraschin). Und dazu gehört eben auch, dass Sie früher häufiger Veranstaltungen abgesagt hat (ich war selber 2 Mal "Opfer" dieser Absagen), und seit geraumer Zeit nicht mehr allein auftritt. Wenn man aber dafür diese großartigen Kammermusik-Darstellungen bekommt ist das doch ein super Äquivalent. Die Mitschnitte aus Lugano (leider fehlte mir bislang die Zeit live teilzunehmen) sind wunderbare Dokumente beseelter Kammermusik. Und Martha immer mittendrin. Ich glaube sie hat da ihre Erfüllung gefunden, mit all den vielversprechenden Nachwuchskünstlern (zumindest überwiegend) zusammen musizieren zu können.
    Allen die diese Künstlerin neben der Musik näher kennenlernen möchten sei die bereits erwähnte Biografie von Olivier Bellamy wärmstens empfohlen. Sie zeigt den zerrissenen Charakter dieser Ausnahmekünstlerin sehr gut auf. Es ist ja auch nicht einfach mit den Anforderungen an einen Künstler klar zu kommen, wenn man bereits so früh ein entsprechendes Echo erreicht. Und der Chopin Wettbewerb war sicher eine Zäsur in ihrem Leben. Danach wurde der Druck immer stärker. Auch die Trennung von Stephen Bishop muss ihr sehr zugesetzt haben. Zu ihrer gemeinsamen Tochter Stefanie hat sie ja auch ein besonders inniges Verhältnis. Daher wohl auch der Impuls zu deren Film über die Mutter.
    Ich kenne aber nur wenige Pianisten die mich in meiner langen Beschäftigung mit Musik derart in den Bann gezogen haben.

    Eusebius

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • "Brilliant" klingt mir zu sehr nach gepflegtem Oberflächenglanz. Ich finde diese Aufnahmen mitreißend energisch und stürmisch, dabei voller Risiko (inklusive der Bereitschaft, auch mal ein paar falsche Töne stehen zu lassen). Vor allem bei Argerichs Schumann spürt man diese permanente innere Nervosität, aber auch in den schnellen Chopin-Préludes (b-moll!) und im 2. und vierten Satz der b-moll-Sonate. Das sind für mich nach wie vor Sternstunden des Klavierspiels, die sie in späteren Jahren wohl doch nicht mehr erreicht hat.


    "Unnachgiebig" wäre vielleicht ein besserer Ausdruck als "brillant". Ich habe die Preludes und das 3. Scherzo mehr oder weniger mit Argerichs Aufnahme kennengelernt, daher bin ich vielleicht noch positiv voreingenommen. Bei den Sonaten, die ich erst in anderen Interpretationen kannte, waren mir zwei Sätze tendenziell zu schnell (evtl. Kopfsatz der b-moll und Finale der h-moll?) und unnachgiebig und ich kann verstehen, wenn manche Hörer das bei ihren Chopin-Interpretationen insgesamt so empfinden. Auch für mich macht die Intensität diese gewisse Einseitigkeit mehr als wett.

    Die Bach-CD ist auch tendenziell unnachgiebig, gleichwohl gefällt sie mir sehr. Ich finde sehr bedauerlich, dass sie nicht ein paar mehr Solo-Werke von Bach und Beethoven (keine einzige Solo-Sonate) eingespielt hat. Oder Chopins Etuden...

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Immerhin gibt es ja noch Konzerte von Martha Argerich mit Orchester. Diese Konzerte meide ich allerdings nunmehr konsequent nach folgendem Erlebnis: Während "normale" Konzerte der Berliner Philharmoniker (mit durchweg namhaften Dirigenten von Rattle bis Boulez) im letzten Jahrzehnt in aller Regel in der höchsten Preiskategorie 79 Euro kosteten, wurde einem dann, wenn Martha Argerich auftrat (selbstredend mit einem völligen no name-Dirigenten, von welchem man weder vorher noch hinterher jemals wieder irgendetwas gehört hat, denn bei einem halbwegs prominenten Dirigenten hätte ihr dieser ja einen angemessenen Teil der üppigen Abendgage streitig gemacht), ein exorbitanter Preis von 139 Euro abverlangt. Ich ließ mich darauf ein, weil angekündigt war, dass Martha Argerich zwei Klavierkonzerte spielen würde. Prokofiew plus Ravel. Im Saal angekommen, verriet eine kleine Notiz im Programmheft, dass Madame nun doch nur den Ravel spielen wird. Ohne jede Erklärung, warum diese Entscheidung zulasten des von weither angereisten Publikums fiel. Und so erschien sie, lieferte 20 Minuten Musik mit dem Ravel-Klavierkonzert G-Dur ab, und verließ die Bühne. Selbstredend ohne jede Zugabe. Eine Frechheit sondergleichen. Sowas nennt man im Sängerbereich wohl eine "Diva".


    Absagen, vor allem wenn nur teilweise, wären für mich kein Grund, Künstlern weniger Sympathie entgegenzubringen. Der Deal "Geld gegen Kunst" erscheint mir einfach zu simpel, um befriedigende Ergebnisse zu bringen. "Geld gegen Dauer der aufgeführten Musik" finde ich dann noch etwas schiefer. Womöglich wären zwei lustlos aufgeführte Konzerte statt einem prägnant gespielten Ravel viel weniger befriedigend gewesen, da würde ich Künstlern schon ein gewisses Vertrauen entgegen bringen. Möglicherweise hat Argerich das von ihrem Lehrer Gulda abgeguckt, der ja mit dem klassischen Konzertbetrieb oft gehadert hat. (Im Übrigen bewundere ich Pianisten wie Glemser oder Buchbinder, die ihre Leistung meistens sofort abrufen können, sehr, aber das würde ich nicht von allen erwarten.). Das Konzert, das ich mit Argerich besucht habe, wurde übrigens von Dutoit dirigiert, der hat sicher nicht für n Fuffi da dirigiert.

    Ich hab wegen Argerich mal bei Joachim Kaiser nachgeguckt, der hat da ein paar interessante Texte zu geschrieben.

    Zitat

    Jedes Publikum ist ja zugleich naiv begeisterungsfähig und naiv grausam. Es neigt zur mechanischen Bewunderung ebenso wie zum mutwilligen Verrat: "X hat nicht gehalten, was sein Anfang versprach", "früher hatte Ys Spiel mehr Glanz", "Z ist steril geworden". In solchen Sätzen schwingt eine oft unbewußte Zerstörungslust mit. Beständiger Ruhm festigt sich nur, wenn er diese Zerstörungslust übersteht. Die Gladiatoren müssen nicht nur spielen, sondern auch kämpfen. Sie setzen sich, wo will es das Raubtier Publikum, ein.

    Kaiser, Joachim: Große Pianisten unserer Zeit, München 1972/1996, S.38


    Kaiser nennt dann eine ganze Liste von Pianisten, die sich zwischen Konzertbetrieb und hohem künstlerischem Anspruch bewähren mussten. Er nennt Michelangelis' Absagen, Horowitz' depressive Pause, Goulds Unlust usw. Kaiser schließt dann:

    Zitat

    Wir wollen hier nicht den Nachweis führen, daß alle bedeutenden Künstler Sonderlinge seien. Wohl aber läßt sich dieser Aufzählung entnehmen, was für ein spannungsvoller, gefährlicher und belastender Beruf das Virtuosendasein ist. Man muß Ehrfurcht haben vor jenen oft körperlich so schwach und zart wirkenden Heroen, die von der mühseligen Leidenschaft und Lebensaufgabe besessen sind, sich den Meisterwerken, den Ansprüchen der Gegenwart und einer ebenso aufdringlichen wie ungreifbaren "Weltöffentlichkeit" auszusetzen.

    Kaiser, Joachim: Große Pianisten unserer Zeit, München 1972/1996, S.39 f.

  • Das ist im Übrigen auch eine gute Einleitung, um Kaisers eigene Rezensionen zu Argerich einzusortieren. Ich finde, Kaiser ist bei Pianisten eine Wucht, deswegen würde ich kurz zwei Bücher nennen wollen, in denen Kaier über Argerich spricht: Das schon erwähnte "Große Pianisten unserer Zeit" und "Erlebte Musik".

    Im ersten fasst Kaiser kurz aus seiner Sicht die Entwicklung Argerichs in jungen Jahren zusammen, nennt Argerichs Erfolg vor dem 20. Lebensjahr "Seriösen Erfolg". Argerichs Musizieren "war nicht bloß Versprechen, sondern bereits Erfüllung..". Dann allerdings habe Argerich, wie auch die gleichzeitig besprochenen Bruno Gelber und André Watts, Probleme bekommen, mit den "psychischen Folgen" umzugehen. "Das Unheimliche, ja Unstete an Martha Argerich ist, daß sie eigentlich sehr selten - und am seltensten auf Schallplatten - so gut spielt, wie sie "eigentlich" spielt, spielen kann, spielen könnte. Ich "verfolge" diese Künstlerin nun schon seit mehr als zehn Jahren [!]. Ich sehe gleichsam einen Zickzackkurs zwischen sogenannter "Krise" und phantastischem Gelingen."

    Dann lobt Kaiser besonders ihre "feurige, enthüllende Virtuosität" und vermisst das, was ich dachte wahrzunehmen :S: "Schumanns Klavierkonzert gehört gewiß nicht zu den Stücken, die ihr besonders liegen.[...] Denn neben den zahlreichen Ausdrucks- und Kraftnuancen, die Martha Argerich ausspielen kann (rhythmische Delikatesse, Brillanz, höchste Lebendigkeit der Stimmführung, lyrische Empfindsamkeit), verlangt ja dieses romantische Wunderwerk noch eine Eigenschaft, die der Argentinierin vielleicht nicht ganz in so hohem Maße gegeben ist: nämlich die Fähigkeit zu träumerischer, introvertierter Versenkung."

    Im zweiten Buch "Erlebte Musik" findet sich nur eine ausführliche Rezension zu einem Argerich-Konzert, und zwar vom 15. Dezember 1971. Im Grunde bemängelt Kaiser auch hier - bei aller Bewunderung - was ihn auch in seinem Standardwerk stört:

    Zitat

    Die "Grenzen der Technik" - das sind nicht nur die Grenzen, an die jemand kommt, sondern auch die Grenzen der technischen Perfektion, die nichts darstellt als sich selber. Martha Argerich könnte heute sein, was Horowitz um 1930 war: ihr pianistischer Mut, ihre Kampfesfreude, die Klarheit ihres Spiels und ihr "drive" sind phänomenal. Sie hat Liszts Es-Dur-Konzert staunenswert gespielt (in einer Fernsehaufnahme besser als auf Schallplatten; das gilt auch für einige Chopin-Mazurken). Nur, und das geschieht leider nicht zum erstenmal in einem Münchner Argerich-Konzert: als sie wieder Bachs c-Moll-Partita vorführte, wieder Schumanns g-Moll-Sonate darbot (statt der versprochenen h-Moll-Sonate von Liszt), da hat sie wohl doch nur diejenigen Hörer überwältigen können, die das Phänomen Argerich noch nie in natura erlebten. Wir anderen, ihre Bewunderer, ihre Freunde, fragten uns fast bestürzt: warum klingt es so uneigentlich?

    Kaiser, Joachim: Erlebte Musik, Hamburg 1977

  • [Kaiser:] Wir anderen, ihre Bewunderer, ihre Freunde, fragten uns fast bestürzt: warum klingt es so uneigentlich?


    Klingt für mich nach Heuchelei. Argerichs Aufnahme der Kinderszenen (vgl. # 3) haben mir übrigens gezeigt, daß diese Stücke weit mehr sind als nette Übestücke für heranwachsende Klavierschüler. Ich mag diese besondere Mischung aus Reflexivität und Innigkeit, die ich da heraushöre, eine meiner Lieblingsaufnahmen Schumannscher Klaviermusik.

    Allerdings heiße ich nicht Kaiser, bin auch keiner. :tee:

    Auch die Aufnahme von Schumanns Klavierkonzert (mit N. Harnoncourt und dem Chamber Orchestra of Europe) finde ich spannend und aufregend:

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Klingt für mich nach Heuchelei. Argerichs Aufnahme der Kinderszenen (vgl. # 3) haben mir übrigens gezeigt, daß diese Stücke weit mehr sind als nette Übestücke für heranwachsende Klavierschüler. Ich mag diese besondere Mischung aus Reflexivität und Innigkeit, die ich da heraushöre, eine meiner Lieblingsaufnahmen Schumannscher Klaviermusik.


    Ich würde Kaiser jetzt mal (vielleicht etwas erzwungene :D ) Bescheidenheit unterstellen.. Aber das ist wirklich schwer zu sagen. Aber Argerichs Schumann (Klavierkonzert, Fantasie, Fantasiestücke) finde ich auch ganz toll, da kann ich die Bedenken des Meisters nicht ganz nachvollziehen (Die Kinderszenen sind ja übrigens auch keine Stücke für Kinder, das war das Album für die Jugend).

  • Ich verstehe nicht ganz, was die Kritik eines Argerich-Konzertabends von 1971 mit ihrer Aufnahme von Schumanns Kinderszenen von 1984 zu tun hat. Die Vokabel "uneigentlich" mag ziemlich unspezifisch sein, aber was Kaiser sagen will, ist doch relativ klar: In seinen Augen bzw. Ohren hat Argerich in diesem Konzert nicht die außergewöhnliche Qualität gezeigt, die er von ihr zu anderen Gelegenheiten schon erlebt hatte. Kaiser war anscheinend enttäuscht. "Heuchelei" kann ich da nicht erkennen, "Bescheidenheit" - ob ehrlich oder erzwungen - auch nicht.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Richtig: Daß Argerichs Spiel für Kaiser "uneigentlich" klingt, stößt mir nicht auf. "Wir anderen, ihre Bewunderer, ihre Freunde ..." finde ich in diesem Zusammenhang etwas anmaßend und auch ein wenig anbiedernd. Aber vielleicht sollte ich besser das Zitat im größeren Zusammenhang kennen, bevor ich es in dieser Weise beurteile?

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Naja, das ist halt Großkritikerstil, ein bisschen aufgeplustert, aber nicht sehr. Unter "Heuchelei" verstehe ich etwas ganz anderes (unter "Bescheidenheit" allerdings auch).

    Ich habe mir gerade auf Youtube einen relativ neuen Mitschnitt von Schumanns Klavierkonzert mit Argerich und dem Gewandhausorchester unter Chailly angehört. Letzteres klingt mir teils etwas zu massiv, während bei Argerich m.E. der charakteristisch vorwärtsstebende Stil noch erkennbar ist, aber weniger ausgeprägt als früher.

    "

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    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Wie fast immer bei Kaiser kann man sich unter den Beschreibungen nicht viel (oder eben fast alles) vorstellen, sofern man nicht zufällig das Privileg hatte, beim gleichen Konzert anwesend zu sein. :hide:

    Für micht klingt "uneigentlich" hier aber nicht nur nach einer Enttäuschung gegenüber vorhergehenden Erlebnissen, sondern zum einen nach dem Kontrast mit einer Idealvorstellung, wozu die Interpretin "eigentlich" in der Lage sein *sollte*, auch wenn sie es noch nicht gezeigt hat, und zum anderen scheint mir der Ausdruck das anzudeuten, was er weiter oben bzgl. des Schumann-Konzerts anspricht: Die Interpretation ist irgendwie einseitig, Musikstück und Temperament der Interpretin kommen nicht so richtig zusammen.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Wie fast immer bei Kaiser kann man sich unter den Beschreibungen nicht viel (oder eben fast alles) vorstellen, sofern man nicht zufällig das Privileg hatte, beim gleichen Konzert anwesend zu sein.


    Nun ja, da ist schon etwas dran. Vielleicht kann da ein Vergleich helfen.
    Zu Schumanns Klavierkonzert hat - ich hoffe, daß ich mich da richtig erinnere - Joachim Kaiser als beste Aufnahme jene mit Claudio Arrau und Colin Davis als Dirigenten des Boston Symphonie Orchestras aufgeführt unter besonderem Verweis auf die Ausarbeitung der Walzercharakteristik im dritten Satz. Diese Einschätzung mag erklären, welche Erwartung Joachim Kaiser an einen Pianisten hat, welcher Schumann interpretiert. Beide Pianisten, Argerich und Arrau, sind/ waren Pianisten von unbestrittenem Weltrang, aber es liegen Welten zwischen ihren Interpretationen.
    Nebenbei angemerkt: Ich habe sowohl Martha Argerich als auch Claudio Arrau um 1980 live gehört, und Martha Argerich spielte damals das Schumannsche Konzert, Claudio Arrau einen Solo-Abend mit Beethoven, Chopin, Debussy und Liszt. Ich war von Martha Argerich hingerissen - naja, von ihr auch, ja :rolleyes: - und empfand kurz danach Claudio Arrau als grandios, aber insgesamt bei allen Werken zu schwerfällig ....... so kann's einem auch gehen .....

    LG
    tastenrabe

  • Wie fast immer bei Kaiser kann man sich unter den Beschreibungen nicht viel (oder eben fast alles) vorstellen, sofern man nicht zufällig das Privileg hatte, beim gleichen Konzert anwesend zu sein.


    Zugegebenermaßen bietet diese Rezension nicht viel wirklich Fassbares. Es läuft, auch im weiteren Text, daraus hinaus, dass Kaiser technische Perfektion ohne Seele beklagt: "Sie schien nicht mit dem Herzen dabei, nur mit den Händen." Andererseits nehme ich eine Kritik von jemandem mit Kaisers Horizont deutlich ernster, als wenn jemand berichtet, bei dem ich vermute, dass die Kritik kaum belegt werden kann.

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