Arnold Wohler: Für 27 Streicher

  • Maßstab des "musikalischen Sinnvollen"

    "Musikalische sinnvoll" ist für mich das, was die Form ausfüllt: die Binnenstruktur der räumlichen (Dynamik, Lage) und zeitlichen Tonorganisation schafft als ein quasi energetisches Entfaltungsprinzip die äußere Form. Das Ideal wäre in diesem Sinne der einzelne Ton, der, in einer bestimmten Art und Weise hervorgebracht, erklingt und verklingt. Dieser Vorgang des Erklingens und Verklingens beschreibt ein quasi archetypisches musikalisches Grundmuster, das "sinnvoll", sinnhaftig" ist. In diesem Sinne würde ich sagen: Ein Stück ist für mich dann gelungen, wenn es diesem Vorgang ähnlich wird, wenn es wie ein einzelner Ton in einer bestimmten Art und Weise hervortritt, in Erscheinung tritt, um dann in einer bestimmten Art und Weise zu verklingen. Komponieren heißt in diesem Sinne, eben diese Art und Weise des Erklingens und des Verklingens deutlich <ins Bild> zu setzen, die Entwicklung, die zwischen diesen beiden Polen möglich sind, wie durch eine besondere Kamera hörbar werden zu lassen.

    Viele Grüße

    Arnold Wohler

  • Im Gegenteil: Ich rate jedem Hobbykomponisten, ein Instrument zu lernen, auch zu dem Zweck, dass er seine eigenen Stücke spielt.

    Das sehe ich erstmal auch so. Und doch wird der Moment beim Komponieren kommen - ob "Hobby" oder nicht, wo man für Instrumente schreibt, die man nicht selber spielen kann, schon garnicht alle auf einmal.

    Wenn jemand Kompositionen für Instrumente in Form von Computer-Noten-Programm-Soundfiles vorstellt, habe ich immer diesen Verdacht ...

    Und ein gespielter Klavierauszug ist vertrauenerweckender? Vor allem bei Streicher"flächen" sehr eindrucksvoll... :D

    Man bastelt sich heute Musik am PC zurecht. Früher ging man spazieren - mit Bleistift und Notizblock, vielleicht auch mit dem Tonbandgerät, um den Vögeln zu lauschen (oder auch, um das nicht zu tun) - und setzte sich dann ans Klavier.

    There is a difference, wie der Chinese sagt.

    Was spricht dagegen, mit Bleistift und Notizblock spazieren zu gehen, und das erlauschte hinterher statt in eine papierene Partitur in ein Notenprogramm zu schreiben?
    The "Difference" scheint mir vor Allem darin zu bestehen, daß es heute so leicht ist, seine Werke in ansprechender Form zu drucken und als diese pösen MIDI-Soundfiles einen ungefähren Eindruck davon vorzustellen. Da ist die Schwelle doch einiges niedriger, als wenn man handgeschriebene Noten einscannen müßte, um sie hier als pdf zu verlinken. Oder als Klavierauszug aufnehmen...
    Wieso man allerdings aus einem Klavierauszug ein Orchesterstück besser hören kann als aus solchen Files, ist mir schleierhaft..
    Dagegen kann man auch beim komponieren mit solchen Programmen ganz gut testen, wie bestimmte Satzweisen mit bestimmten Sounds funktionieren.
    Wieso nur verlangen Veranstalter von Kompositionswettbewerben grundsätzlich gedruckte (= mit Sibelius etc hergestellte) Noten und oft genug eben genau die zusätzliche Einsendung solcher MIDI-Aufnahmen (soweit es nichts echt gespieltes von dem Werk gibt)?
    Das einzige, was ich als echte Gefahr akzeptieren würde, ist, daß man verleitet ist, Sachen aufzuschreiben, deren relative Spielbarkeit in keinem vernünftigen Verhältnis zum Effekt stehen.
    Es ist also sinnvoll, sich auf jeden Fall mit den Registern der Instrumente und Feinheiten bestimmter Spielweisen zu befassen, um solche Patzer zu vermeiden.

    Aber das ist alles furchtbar OT, denn es betrifft technische Fragen der Vorstellung, und nicht das Stück selbst. Diese technischen Fragen sind an der Stelle geklärt, wo der threadstarter schreibt: "ein MIDI-File". Dann kann man etwas antworten: "MIDI-Files höre ich mir nicht an" und gut ist.
    Was diese Erörterungen sollen, die am Ende nur hinauslaufen auf: "Leute, die am Computer komponieren, kann ich eh nicht ernst nehmen"?????

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Ich habe aber keine Noten zu Gesicht bekommen.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Zitat

    Was diese Erörterungen sollen, die am Ende nur hinauslaufen auf: "Leute, die am Computer komponieren, kann ich eh nicht ernst nehmen"?????

    Ganz so ernst habe ich wiederum mein Posting nicht gemeint, also genommen - und vielleicht beziehst Du Dich auch gar nicht darauf, werter Philmus! Ich meine halt nur, dass die moderne Technik den Kompositionsprozess nicht wirklich ersetzen kann; dass sie bei seiner Umsetzung helfen darf, ist für mich erstens selbstverständlich und verstehe ich, zweitens, nicht so viel davon, dass ich hier eine große Lippe riskieren möchte. Und nochmals: Es geht mir um ein (vages) Allgemeines, auf keinen Fall um "[a]nwesende" (Mauerblümchen) kreative Musiker. Erstens habe ich bereits gesagt, dass mir Wohlers Sachen zu dem kleinen Teil, den ich gehört habe, gar nicht so schlecht gefallen, zweitens siehe oben unter "Lippe".

    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Das einzige, was ich als echte Gefahr akzeptieren würde, ist, daß man verleitet ist, Sachen aufzuschreiben, deren relative Spielbarkeit in keinem vernünftigen Verhältnis zum Effekt stehen.


    schon mal von Conlon Nancarrow gehört?
    "http://de.wikipedia.org/wiki/Conlon_Nancarrow"
    "http://en.wikipedia.org/wiki/Conlon_Nancarrow"

    der hat (fast) sein gesamtes Leben für Pianola komponiert - WEIL er damit unabhängig war, von den spieltechnischen Limitationen eines Musikers aus Fleisch und Blut...
    Alles ein Frage des künstlerischen Ansatzes.

    viele Grüße

    Bustopher


    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • der hat (fast) sein gesamtes Leben für Pianola komponiert - WEIL er damit unabhängig war, von den spieltechnischen Limitationen eines Musikers aus Fleisch und Blut...
    Alles ein Frage des künstlerischen Ansatzes.

    Klingt interessant...
    Aber das ähnelt ja schon eher den Komponisten, die ihre Werke gleich für die elektronische Umsetzung konzipieren bzw den Umweg über die Noten gleich ganz auslassen.
    Ob man für den Abstraktionsprozeß, der darin besteht, am Schreibtisch/Computer für leibhaftige Instrumente/alisten zu schreiben, daraus etwas lernen kann? Diese Notenprogramme mit MIDI-Steuerung können einem allerdings schon das trügerische Gefühl geben, das Stück hören zu können...

    Ich meine halt nur, dass die moderne Technik den Kompositionsprozess nicht wirklich ersetzen kann;


    Wie auch. Ist das nicht selbstverständlich? Ich meinte bei Dir herauszulesen, daß die scheinbare Leichtigkeit, mit der sich Noten eingeben lassen, irgendwie zu einem Qualitätsverlust führt... Aber die Mengen bekritzelten Papiers, die im Ofen gelandet sind, soll man nicht gering schätzen...

    Der entscheidende Schritt zur Digitalisierung der Musik ist irgendwann im Mittelalter passiert: mit der Erfindung der Notenschrift und des musikalischen Autors, vulgo Komponisten. Eine Veränderung der Aufzeichnungssyteme für die Notenschrift, wie sie z.B. ein Notenprogramm darstellt, kann ich nicht so bedeutsam finden - außer daß es jetzt jedem Laien möglich ist, gedruckte Noten herzustellen.
    Eine vergleichbar eingreifende Veränderung würde ich eher darin sehen, daß Komponisten ihre Werke selbst realisieren können, mittels aller möglichen Klangerzeuger. Aber hier geht es ja garnicht darum, sondern um das Schreiben für z.B. 27 Streicher, und die kann man nicht selbst realisieren als Komponist, außer man ist des Streichens von -ine bis -one mächtig und nimmt das Spur für Spur auf.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Wie weit soll das Lernen denn gehen? Es gab nämlich so manch großen Komponisten, der als Instrumentalist nur ein (bestenfalls) mittelmäßiges Niveau erreicht hat - Wagner und Ligeti fallen mir spontan hierzu ein. Allerdings waren das auch keine "Hobbykomponisten"...

    Wagner hat seinen Kram aber am Klavier komponiert. (Dafür muss man auch kein Weltklassepianist sein.)

    Was spricht dagegen, mit Bleistift und Notizblock spazieren zu gehen, und das erlauschte hinterher statt in eine papierene Partitur in ein Notenprogramm zu schreiben?

    Unterschreib.

    The "Difference" scheint mir vor Allem darin zu bestehen, daß es heute so leicht ist, seine Werke in ansprechender Form zu drucken und als diese pösen MIDI-Soundfiles einen ungefähren Eindruck davon vorzustellen. Da ist die Schwelle doch einiges niedriger, als wenn man handgeschriebene Noten einscannen müßte, um sie hier als pdf zu verlinken. Oder als Klavierauszug aufnehmen...

    Unterschreib.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Ist es eigentlich Zufall oder selektive Wahrnehmung, daß mir die Technik des Loopens, also eines mehrstimmigen Spiels mit sich selbst besonders bei Cellisten beliebt scheint?

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Das einzige, was ich als echte Gefahr akzeptieren würde, ist, daß man verleitet ist, Sachen aufzuschreiben, deren relative Spielbarkeit in keinem vernünftigen Verhältnis zum Effekt stehen


    ...oder Lautstärkeverhältnisse falsch einzuschätzen, da man ja am Sibelius- oder DAW-Mixer das Clavichord ohne weiteres lauter drehen kann als die Tuba.

    MFG,

    Normann

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • Komponieren mit ...

    Jeder soll so komponieren, wie er meint, dass es richtig für ihn ist. Schreiben mit dem Bleistift hat allerdings den Vorzug, ganz <auf sich> gestellt zu sein. Es gibt nichts Ablenkendes.

    Viele Grüße

    Arnold Wohler

  • Neue digitale Umsetzung "Für 27 Streicher".

    Liebes Forum,
    ich möchte auf eines meiner Videos aufmerksam machen, in dem ich "Für 27 Streicher" mit einem besseren, weil realitätsnäheren, klanglichen Resultat zur Darbietung bringe. Es würde mich freuen, wenn Ihr einmal hinhören und insbesondere auch den 2ten Satz unter dem Aspekt des klanglich Resultates anhören würdet.
    Vielen Dank!

    Das Video ist bei Youtube unter

    https://www.youtube.com/watch?v=-JmS0zEs4pE&t=7s

    abrufbar.

    Viele Grüße
    Arnold Wohler

  • Für 27 Streicher mit Partitur

    Geehrte Forumer,
    hiermit möchte ich Euch die Gelegenheit geben, mein Stück für 27 Streicher anhand der Partitur zu verfolgen. Das entsprechende Video ist unter
    https://www.youtube.com/watch?v=UCb4SGiPrrU
    abrufbar. Leider handelt es sich immer noch um ein Midi-Datei, weshalb ich gerne meinen Aufruf nochmals tätige: Ich suche dringendst Dirigenten und Streicher, die dieses Stück einmal ausprobieren möchten! Vielen Dank fürs Anhören und Ansehen.
    Viele Grüße
    A. Wohler

  • Ist das Absicht, dass man die Noten nicht lesen kann?

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Format der Partitur

    Das große Format der Partitur bringt es mit sich, dass die einzelnen Stimmen im Video nicht besonders gut leserlich sind. Würde ich einzelne Stimmen näher heranzoomen, würde wiederum das Ganze aus dem Blickfeld geraten. Und weil das Stück eigentlich mehr "Klangmassen" vor sich herschiebt, ist es m.E. für einen ersten Eindruck wichtiger eben diese "Klangmassen" anhand der Partitur beobachten zu können: Was dabei die einzelnen Instrumente im Einzelnen Spielen, geht im Grunde genommen in dem Ganzen mehr oder weniger unter - versinkt qusi darin. In diesem Sinne war es weder meine Absicht, dass die Partitur kaum zu lesen ist, noch scheint es mir notwendig, dass sie im detail leserlich ist - allerdings ist es für eine Aufführung notwendig, dass die Partitur für den Dirigenten gut leserlich ist und die einzelnen Stimmen für die Instrumentalisten gut leserlich sind - das ist klar.
    Viele Grüße
    A. Wohler

  • Danke für den Einblick in deine Arbeitsweise! Sehe ich das richtig, dass du immer Systeme für alle Stimmen schreibst, auch wenn dann natürlich manche Stimmen auf manchen Seiten durchgehend pausieren?

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