Bach für Tasteninstrumente - Welche sind besser?

  • Hallo Miguel

    Die Demostücke klingen m.E. etwas müde und schlaff, und wie durch einen Wattevorhang aufgenommen. ;+)

    Wie findest Du im Vergleich dazu diese Aufnahme: "http://www.musicline.de/de/product/809730503627"

    Gruss Beat

    Ich nehme an, Du meinst Levin? Von der CD klingt es lange nicht so wattig. Diese Samples klingen im Vergleich zur CD deutlich schlechter. Levin spielt eine anderen Nachbau des gleichen in Nürnberger Germanischen Nationalmuseum aufbewahrten Silbermann-Fortepiano. Ich habe das Original noch nicht gehört (wenn es überhaupt noch spielbar ist), nur zwei verschiedene Nachbauten, und die klingen natürlich deutlich weicher als ein Cembalo und deutlich weicher oder wattiger als spätere Wiener Flügel von Walter oder Stein.

    Frau Crossland klingt für mich wie jemand, der versucht, mit der für ein modernes Klavier benötigten Anschlagstechnik auf einem Fortpiano zu spielen. Ihre Anschlagskultur auf dem "alten" Instrument kann sich mit ihrer auf dem m odernen (da sind ja auch andere CDs mit Bach von ihr verlinkt) messen. Jörg Demus hat bei seinen ersten Versuchen auf alten Klavieren so ähnlich geklungen, der Anschlag kommt zu hart und undifferenziert. Das beste Training fürs Hammerklavier, sagen die Kenner, ist Clavichord spielen. Die Mechanik des modernen Klaviers erfordert ganz andere Anschlagstechniken, die auf den alten Instrumenten nicht gut funktionieren, da klingt dann alles zu laut und unbeholfen. Deswegen vermeidet Andreas Staier z.B. auf einem modernen Klavier zu spielen. Richtig gut auf beiden Typen können es tatsächlich nur wenige,

  • Deswegen vermeidet Andreas Staier z.B. auf einem modernen Klavier zu spielen. Richtig gut auf beiden Typen können es tatsächlich nur wenige,

    Ich habe Andreas Staier einmal im Konzert auf einem modernen Instrument spielen hören, Schumann und Mozart. Gewiss gut gespielt, aber nicht so gut wie er auf alten Instrumenten zu spielen imstande ist (und da ist er auch live umwerfend). Man hatte den Eindruck, dass er sich an dem Steinway nicht ganz zuhause fühlte und sich so etwas wie eine innere Unsicherheit auf die Interpretation übertrug.

    Gruß, Cosima

  • Historically Informed Performance (HIP) - Pro und Contra ???

    :wink: Über hip zu streiten ist ganz schön square... :)

    Gruß, Frank

    Eigentlich bin ich ganz anders, aber ich komme so selten dazu.

  • Interessant dürfte für Dich die Aufnahme des WTC von Robert Levin sein, der zwischen mehrern Geräten wechselt (und auch selbst manchmal moderne Flügel spielt, seine japanische Frau tut das hauptsächlich), darunter auch ein Hammerklavier, und eine Orgel. Er macht es von der Textur abhängig, was er wählt (ein Klavier spielender alter Freund von mir hatte zu einigen Stücken die gleiche Wahl im Kopf). Der Wechsel der Instrumente macht das zur kurzweiligsten Aufnahme, die ich kenne.


    Interessant ist die Aufnahme, aber ich würde mit ihr nicht glücklich werden. Der ständige Instrumentenwechsel lenkt meine Aufmerksamkeit zu sehr auf den Klang, und außerdem ist für mich die Orgel für das WTC zu gravitätisch und das Cembalo zu prächtig-silbrig. Meinen Geschmack setze ich als bekannt voraus. ;+)

    Lorenzo Ghielmi spielt auf dieser CD drei Präludien und Fugen aus dem 2. Band des WTC - auf der Kopie eines Silbermann-Flügels von Restelli. Von der Entstehungszeit her gesehen passen diese Stücke durchaus zu der Zeit, in der Bach das Fortepiano kennenlernte.


    So richtig gefällt mir der Silbermann-Flügel bei den Solostücken nicht, mir ist er noch zu oberklangreich, wenn ich das aus den Schnipseln beurteilen kann. Die Gambensonaten gefallen mir klanglich. Interpretatorisch finde ich Maisky/Argerich jedoch besser, und das ist für mich auch ausschlaggebend.

    Es gäbe also durchaus noch die theoretische Möglichkeit, dass mich Bach auch auf dem Cembalo überzeugt; allerdings sind meine Hürden da sehr hoch, es müsste schon eine Cembalo-Argerich oder ein Cembalo-Gulda kommen ... Vielleicht Staier, aber wenn ich seine beiden Scarlatti-CDs als Maßstab nehme - herausragend gespielt, keine Frage, aber selbst bei Scarlatti greife ich lieber zu den Pianisten (neben Staier habe ich Pletnev, Queffélec und Pogorelich).

    Frau Crossland klingt für mich wie jemand, der versucht, mit der für ein modernes Klavier benötigten Anschlagstechnik auf einem Fortpiano zu spielen.


    Ja, auf mich klingt ihr Spiel leider auch nicht überzeugend, zu gewollt.

    Um auf die Frage zurück zu kommen, warum Bach meist auf dem Cembalo und auf dem Flügel gespielt wird, aber selten auf Hammerklavier und Clavichord: Vermutlich ist dies in den meisten Fällen tatsächlich ein schlechter Kompromiss. Zum einen auf Seiten der Hörer: Der Cembalo-Liebhaber vermisst die Pracht und den Glanz, der Flügelliebhaber die Reinheit des Tons. Zum anderen dürften wohl in der Breite die Interpreten fehlen, die auf dem Hammerklavier zu einer interpretatorischen Leistung fähig sind, die den besten Pianisten und Cembalisten nicht nachsteht.

    Historically Informed Performance (HIP) - Pro und Contra ???

    :wink: Über hip zu streiten ist ganz schön square... :)


    Tja, wir lassen uns doch nicht vorschreiben, wann wir zu streiten haben und wann nicht. ;+)

    Hallo Mods: Ich würde gern einen anderen Threadtitel vorschlagen: "Worauf soll man Bach spielen - Cembalo, Hammerklavier oder Flügel?"


    Grüße,
    Jürgen :wink:

    --

    "Wo die Beziehung zu unseren heutigen Ohren, Nerven, Erfahrungen und Lebensbedingungen verlorengeht, wird Interpretation zur Flucht in die Vergangenheit."
    Alfred Brendel

    "Music is a fish defrosted with a Hair-Dryer." Maisie


  • Hallo Mods: Ich würde gern einen anderen Threadtitel vorschlagen: "Worauf soll man Bach spielen - Cembalo, Hammerklavier oder Flügel?"


    Wenn schon, dann sollte das Clavichord mit dazu, denn auf ihm gibt es bis jetzt z.B. deutlich mehr Aufnahmen als mit Fortepiano-Typen.


  • Es gäbe also durchaus noch die theoretische Möglichkeit, dass mich Bach auch auf dem Cembalo überzeugt; allerdings sind meine Hürden da sehr hoch, es müsste schon eine Cembalo-Argerich oder ein Cembalo-Gulda kommen ... Vielleicht Staier, aber wenn ich seine beiden Scarlatti-CDs als Maßstab nehme - herausragend gespielt, keine Frage, aber selbst bei Scarlatti greife ich lieber zu den Pianisten (neben Staier habe ich Pletnev, Queffélec und Pogorelich).


    Ich fürchte, das wird Theorie bleiben, da die von Dir genannten PianistInnen Gestaltungsweisen entwickelt haben, die sehr spezifisch auf das moderne Instrument bezogen sind - genau so kann man auf dem Cembalo nicht spielen. Da zeigt sich doch wieder, wie wenig Klang und Spielweise - und auch die Vorstellungen beim Hörer - zu trennen sind.
    Ansonsten gibt es auch unter Cembalisten eine große Bandbreite - versuch es einfach immer wieder, und wegen des Klangs des Cembalos, mit dem unterschiedliche HiFi-Anlagen sehr unterschiedlich gut zurechtkommen, so meine Erfahrungen, auch auf verschiedenen Anlagen.

  • Ich fürchte, das wird Theorie bleiben, da die von Dir genannten PianistInnen Gestaltungsweisen entwickelt haben, die sehr spezifisch auf das moderne Instrument bezogen sind - genau so kann man auf dem Cembalo nicht spielen. Da zeigt sich doch wieder, wie wenig Klang und Spielweise - und auch die Vorstellungen beim Hörer - zu trennen sind.


    Ja, das mag genau mein Problem sein, dass ich die Qualitäten eines überragenden Cembalisten gar nicht adäquat würdigen kann, weil ich eben bestimmte Gestaltungsweisen erwarte - v.a. dynamische Phrasierungen - die auf dem Cembalo nicht reproduzierbar sind.

    Ansonsten gibt es auch unter Cembalisten eine große Bandbreite - versuch es einfach immer wieder, und wegen des Klangs des Cembalos, mit dem unterschiedliche HiFi-Anlagen sehr unterschiedlich gut zurechtkommen, so meine Erfahrungen, auch auf verschiedenen Anlagen.


    Ich werd meine Ohren offenhalten, aber auch da sehe ich ein Problem, weil meine HiFi-Anlage Schwächen mit obertonreichen Instrumenten hat. Zudem besitze ich etliche Cembalisten-Einspielungen barocker Tastenmusik, keine davon hat bei mir bisher richtig gezündet. CDs werden mich also kaum "bekehren" können, vielleicht eher mal ein Live-Erlebnis.

    Und wenn nicht - so schlimm ist das für mich nicht, ich vermisse ja nichts, wenn ich Bach nicht auf Cembalo haben kann.

    Grüße,
    Jürgen

    --

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  • Historically Informed Performance (HIP) - Pro und Contra ???

    :wink: Über hip zu streiten ist ganz schön square... :)

    Diese Bemerkung verstehen hier bestimmt nur die, die J.E.Berendts Ausführungen zur Philosophie von hip und square gelesen haben ... ;+) - ich fürchte, das sind eher wenige. Oder? :?:

  • Warum muss man sich über HIP und nicht HIP eigentlich streiten und sich für eines entscheiden?

    Beides ist eine Art Musik zu interpretieren die ihre Berechtigung hat und erschafft jeweils eine interessante Art Musik zu hören.

    Keines kann für sich einen Anspruch auf Alleingültigkeit beanspruchen.

    Beethoven hat seine Klaviersonaten teilweise für Klaviere geschrieben die es zu seiner Zeit noch garnicht gab. Er also war immer neuen Instrumenten gegenüber aufgeschlossen ja sogar sehr daran interessiert und ich denke er würde sich mit Begeisterung auf heutige Instrumente stürzen, jede Zeit interpretiert Musik auf ihre Weise und versucht ihr interessantes abzugewinnen. Auch HIP ist letztendlich eine heutige Art Musik zu interpretieren nur auf alten Instrumenten.

    Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum (Nietzsche)
    In der Tat spuckte ... der teuflische Blechtrichter nun alsbald jene Mischung von Bronchialschleim und zerkautem Gummi aus, welchen die Besitzer von Grammophonen und Abonnenten von Radios übereingekommen sind Musik zu nennen (H Hesse)
    ----------------------------
    Im übrigen bin ich der Meinung, dass immer Sommerzeit sein sollte (gerade im Winter)

  • ich denke er würde sich mit Begeisterung auf heutige Instrumente stürzen


    Gleiches wird immer wieder von Bach behauptet. Dies ist allerdings eine reine Vermutung, eine Hypothese, die (zumindest bei Bach) nicht zu belegen ist.

    Zitat

    Auch HIP ist letztendlich eine heutige Art Musik zu interpretieren nur auf alten Instrumenten.


    Diese Aussage ist mir zu undifferenziert. Es geht bei historischer Aufführungspraxis nicht nur um die historischen Instrumente, also um den reinen Klang, sondern auch um eine historisch angemessene Spiel- und Interpretationsweise, die sich aus zeitgenössischen Quellen des jeweiligen Werkes herleitet. Hierzu zwei Beispiele:


    • Violinschulen des 17. und 18. Jahrhunderts (beispielsweise derjenigen von Leopold Mozart) ist zu entnehmen, daß damals nicht - wie heute oft üblich - mit "Dauervibrato" gespielt wurde. Das Vibrato wurde vielmehr als eine Art Verzierung eingesetzt (ähnlich dem "Flattement" bei den Block- und Traversflöten), um einzelne Töne hervorzuheben. Als Ergebnis des weitgehenden Verzichts auf Vibrato erreicht man verbunden mit dem obertönigeren Klang der barocken Streichinstrumente einen Ensemble- bzw. Orchesterklang, der sehr viel durchsichtiger ist, d. h. einzelne Details sind viel besser hörbar.
    • Die korrekte Ausführung von Verzierungen, die ja nur als Symbol notiert und nicht ausgeschrieben sind, ergibt sich ebenfalls aus zeitgenössischen Quellen, bei Bach z. B. aus dem Clavierbüchlein für Wilhelm Friedemann, wo er einen ganzen Katalog von Verzierungen nebst genauer Ausführung notiert hat.


    Es handelt sich also eben nicht um eine heutige Art Musik zu interpretieren, sondern man versucht, sich der damaligen Art anzunähern.

    :wink: Fugato

  • Au weh, der Thread beginnt nach der von mir angeregten Titeländerung schon wieder OT zu werden. :boese: :D

    hip und square ... ich kann mich jetzt auch dunkel erinnern, darüber mal beim Jazz-Papst was gelesen zu haben, die Anspielung ist mir aber leider erst entgangen. Apropops Papst: Wer ist für euch der "Papst" der HIP-Bewegung? Als erster Name würde mir Nikolaus Harnoncourt einfallen, aber päpstlich ist der eigentlich nicht.

    Zitat von »Erzherzog«
    ich denke er würde sich mit Begeisterung auf heutige Instrumente stürzen

    Gleiches wird immer wieder von Bach behauptet. Dies ist allerdings eine reine Vermutung, eine Hypothese, die (zumindest bei Bach) nicht zu belegen ist.


    Na klar, Bach würde sich ja nicht auf moderne Instrumente stützen nur einzig aus dem Grund, weil sie modern sind. Aber ein sehr neugieriger und v.a. kenntnisreicher Instrumentenfreak war er, das ist zu belegen. Also wäre die gegenteilige Behauptung, dass Bach moderne Instrumente per se abgelehnt hätte, erst recht nicht zu belegen.

    Auch HIP ist letztendlich eine heutige Art Musik zu interpretieren nur auf alten Instrumenten.

    Diese Aussage ist mir zu undifferenziert. Es geht bei historischer Aufführungspraxis nicht nur um die historischen Instrumente, also um den reinen Klang, sondern auch um eine historisch angemessene Spiel- und Interpretationsweise, die sich aus zeitgenössischen Quellen des jeweiligen Werkes herleitet. Hierzu zwei Beispiele:


    Mit Nikolaus Harnoncourt würde ich sagen, dass es bei der HIP um die dem jeweiligen Werk angemessene Spiel- und Interpretationsweise geht. Hört sich etwas haarspalterisch an, ist es aber nicht, weil es die dünne Trennlinie zwischen historisierender und lebendiger Interpretation alter Musik markiert. Harnoncourt ist natürlich der Ansicht, dass historische Instrumente dem Klangideal der Epoche und des Komponisten am besten entsprechen und dass zu dieser Werktreue das Erlernen alter Spieltechniken und Spielkonventionen gehört (wie das von dir erwähnte Vibrato"verbot" und die Kunst der Verzierungen). Aber für ihn ist dieser ganze interpretatorische Aufwand nur Mittel zum Zweck, nämlich den alten Stücken wieder ihre Ausdrucksstärke wieder zu verleihen, sie wie "neu" und "modern" klingen zu lassen und nicht etwa glattpoliert-schön oder historisierend-langweilig.

    Es handelt sich also eben nicht um eine heutige Art Musik zu interpretieren, sondern man versucht, sich der damaligen Art anzunähern.


    Das ist ein falscher Gegensatz, weil es für einen echten Musiker niemals Selbstzweck sein darf, "historisch richtig" zu spielen. Auf einem anderen Blatt steht, dass die historisch richtige Spielweise zumeist auch die ausdrucksstärkste ist. Wäre sie dies aber nicht, dann wäre auch ein Abweichen von der reinen Lehre erlaubt. Zumal man ja auch immer mit der Möglichkeit von historischen Irrtümern rechnen muss. Eine Interpretation, die ästhetisch minderwertig klingt, kann niemals die Absicht des Komponisten gewesen sein. Und einem schlechten Interpreten auf einem historischen Instrument ist immer der gute Interpret auf dem modernen Instrument vorzuziehen.

    Warum muss man sich über HIP und nicht HIP eigentlich streiten und sich für eines entscheiden?

    Beides ist eine Art Musik zu interpretieren die ihre Berechtigung hat und erschafft jeweils eine interessante Art Musik zu hören.


    Auch diesen Gegensatz zwischen HIP und nicht HIP gibt es in der Realität nicht. Nur weil etwa ein Pianist Bach auf dem modernen Flügel spielt, heißt das doch nicht, dass er ihn "historisch völlig uninformiert" spielt und sich um Werktreue nicht die Bohne kümmern würde. Er besitzt höchstens andere Prioriäten als der Cembalist.

    Wahrscheinlich hat der angeblich unversöhnliche Gegensatz zwischen HIP und nicht HIP seine Ursache in der Instrumentenfrage, die fast zu einem Glaubenskrieg geworden ist. Für HIP-Gegner waren historische Instrumente einmal ein Ausdruck von rückschrittlichem, verknöchertem Historismus; für HIP-Anhänger hingegen waren sie Garanten für Werktreue und die Benutzung moderner Instrumente vom Teufel.

    Das ist natürlich in beiden Fällen Dogmatismus. Um gute Musik zu spielen, braucht es zuallererst gute Interpreten und gute Instrumente. HIP macht nur dann Sinn, wenn die Musiker ihre alten Instrumente auch angemessen zu bedienen wissen und wenn diese alten Instrumente nicht nur technisch minderwertige Nachbauten von Museumsstücken sind.

    Ich habe jetzt den Fall ausgelassen, wo modernere Instrumente der Substanz der Stücke besser gerecht werden können als das historische Instrumentarium. Für manche Beethoven-Sonaten wird das behauptet, ich bin da aber nicht kompetent. Für Bachs Solotastenstücke ist es meine Überzeugung, dass der moderne Flügel angemessener und werktreuer ist als das Cembalo, das ist für mich eine ästhetische Frage, die kaum objektiv entscheidbar ist.

    Bach und Beethoven stellen aber als ästhetisch sehr avancierte Komponisten Ausnahmefälle dar, so dass in den meisten Fällen authentische Instrumente die geeignetsten darstellen dürften.

    Grüße,
    Jürgen

    --

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    Alfred Brendel

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  • Violinschulen des 17. und 18. Jahrhunderts (beispielsweise derjenigen von Leopold Mozart) ist zu entnehmen, daß damals nicht - wie heute oft üblich - mit "Dauervibrato" gespielt wurde.

    Das stimmt so nicht. Leopold Mozart schreibt in seiner "Gründlichen Violinschule":
    "Es gibt schon solche Spieler, die bey ieder Note beständig zittern, als wenn sie das immerwährende Fieber hätten."
    Er kritisiert also das "Dauervibrato" (übrigens ein unpassender Kampfbegriff, aber das gehört wohl nicht in diesen Thread), bestätigt aber damit eben gleichzeitig, dass andere Geiger es für richtig hielten. Offenbar gab es also verschiedene Ansichten über den Einsatz des Vibratos. Nicht anders als heute...

    Viele Grüße,

    Christian

  • Er kritisiert also das "Dauervibrato" (übrigens ein unpassender Kampfbegriff, aber das gehört wohl nicht in diesen Thread)

    Lieber Christian,

    Deine Wortwahl bestätigt mich leider einmal mehr in der Einschätzung, daß eine sachliche Diskussion über historische Aufführungspraxis in diesem Forum nicht möglich ist. Ich nehme das mit Bedauern zur Kenntnis und ziehe mich aus dieser Diskussion zurück.

    :wink: Fugato

  • Zitat von »ChKöhn«
    Er kritisiert also das "Dauervibrato" (übrigens ein unpassender Kampfbegriff, aber das gehört wohl nicht in diesen Thread)

    Lieber Christian,

    Deine Wortwahl bestätigt mich leider einmal mehr in der Einschätzung, daß eine sachliche Diskussion über historische Aufführungspraxis in diesem Forum nicht möglich ist. Ich nehme das mit Bedauern zur Kenntnis und ziehe mich aus dieser Diskussion zurück.

    "Dauervibrato" ist kein sachlicher, sondern ein parteiischer, polemischer Begriff, in der Sprache der Linguisten: ein Kampfbegriff - als strategisches Mittel, um Diskurshoheit zu erlangen (= die eigene Position als die "natürliche" erscheinen zu lassen).

    Ich habe natürlich nichts gegen Ironie und Polemik einzuwenden, solange nicht das Gegenüber verächtlich gemacht wird. Aber ich finde es andererseits auch völlig legitim, wenn der eigene Sprachgebrauch als parteiisch gekennzeichnet wird. Genau das hat Christian getan. Er war keineswegs unsachlich, er ist nur in der Sache mit dir uneins und weist deshalb die Wortbildung "Dauervibrato" zurück.

    Grüße,
    Jürgen

    --

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  • "Dauervibrato" ist kein sachlicher, sondern ein parteiischer, polemischer Begriff, in der Sprache der Linguisten: ein Kampfbegriff - als strategisches Mittel, um Diskurshoheit zu erlangen (= die eigene Position als die "natürliche" erscheinen zu lassen).

    Das Thema "Vibrato in der Barockmusik" wurde schon bei Tamino ausführlich diskutiert. Die Diskussion nahm einen recht langen, durchaus friedlichen und konstruktiven Verlauf - das mag auch daran liegen, daß dort keiner auf die Idee kam, dem anderen Kampfbegriffe oder Polemik zu unterstellen. Damals hat sich jedenfalls niemand am Begriff "Dauervibrato" gestört...

    :wink: Fugato

  • Zitat von »ChKöhn«
    Er kritisiert also das "Dauervibrato" (übrigens ein unpassender Kampfbegriff, aber das gehört wohl nicht in diesen Thread)

    Lieber Christian,

    Deine Wortwahl bestätigt mich leider einmal mehr in der Einschätzung, daß eine sachliche Diskussion über historische Aufführungspraxis in diesem Forum nicht möglich ist. Ich nehme das mit Bedauern zur Kenntnis und ziehe mich aus dieser Diskussion zurück.

    Meine Güte, allmählich wirds im Schmollwinkel etwas eng, findet Ihr nicht? Eigentlich hätte ich auch Grund, mich dorthin zurückzuziehen, denn das Wort "Kampfbegriff" finde ich weit weniger anstößig als "Dauervibrato", welches - völlig zu Unrecht - suggeriert, heutige Geiger würden das Vibrato nicht gestalterisch einsetzen sondern einmal einschalten und unverändert laufen lassen. Das ist nachweislich falsch. Jeder Geiger, den ich kenne (und das sind eine ganze Menge) beschäftigt sich mit Fragen des Vibrato-Einsatzes, erwägt und verwendet alle möglichen Varianten von non-vibrato bis molto vibrato, mit allen denkbaren Kombinationen von Frequenz und Amplitude, verwendet je nach Stil der Musik ein sehr unterschiedliches Vibrato usw.. Diese persönliche Vibrato-Gestaltung ist so unterschiedlich wie die ausführenden Personen und Künstler es sind. Wer diese Vielfalt mit dem Begriff "Dauervibrato" in eine einzige Kiste stecken will, betreibt bewusste Verunglimpfung: So etwas nennt man einen "Kampfbegriff".

    Viele Grüße,

    Christian

  • Da fragt man sich, was denn Fugato unter einer sachlichen Diskussion versteht.

    Wer heute versucht historisch zu spielen, der spielt wie er denkt, dass man damals gespielt hat, ob dies aber wirklich so ist, bleibt offen. Also spielt er aus heutiger Sicht.

    Dabei ist garnicht berücksichtigt, dass es auch damals verschiedene Auffassungen von der richtigen Spielweise gab.

    Die ganze Diskussion ist m.E. völlig überflüssig. Wichtig ist ob ein Stück überzeugend interessant echt spannend interpretiert wurde, dabei ist völlig Gleichgültig ob auf alten Instrumenten oder dem richtigen Instrument oder auf eine wie auch immer vrerstandene alte Weise.

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    Im übrigen bin ich der Meinung, dass immer Sommerzeit sein sollte (gerade im Winter)

  • Das Thema "Vibrato in der Barockmusik" wurde schon bei Tamino ausführlich diskutiert. Die Diskussion nahm einen recht langen, durchaus friedlichen und konstruktiven Verlauf - das mag auch daran liegen, daß dort keiner auf die Idee kam, dem anderen Kampfbegriffe oder Polemik zu unterstellen. Damals hat sich jedenfalls niemand am Begriff "Dauervibrato" gestört...


    Hab dort eben mal quergelesen. Am Wort hat sich niemand gestoßen, an der Sache aber wohl. Christian kann ich es nicht verübeln, wenn er sich am Urteil stört, dass Dauervibrato bei alter Musik "heute oft üblich" sei. "Dauervibrato" unterstellt doch, dass der Instrumental- oder Vokalmusiker ein solch starkes Vibrato zeigt, dass er Vibrato-Effekte nicht mehr gestalterisch einsetzen kann. Das kann ich nicht glauben, es würde dem hohen Grad an Professionalität widersprechen, den Berufsmusiker heute haben.

    Ich bitte dich, dein Urteil an jüngeren CD-Einspielungen zu exemplifizieren, so dass wir nachprüfen können, was du eigentlich unter "Dauervibrato" verstehst. Ich vermute nämlich, dass dein Ideal das eines vibratofreien Spiels ist und du dich am Naturvibrato störst, das aber in meinen Augen (und in denen von moderaten HIPlern) nicht unterdrückt zu werden braucht, wenn es nicht zu stark ist und kontrolliert werden kann.


    Grüße,
    Jürgen

    --

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  • Wer heute versucht historisch zu spielen, der spielt wie er denkt, dass man damals gespielt hat, ob dies aber wirklich so ist, bleibt offen. Also spielt er aus heutiger Sicht.

    Dabei ist garnicht berücksichtigt, dass es auch damals verschiedene Auffassungen von der richtigen Spielweise gab.


    Das ist der stärkste Einwand überhaupt gegen die Auffassung von der "historischen Richtigkeit". Radikale HIP-Positionen kranken in meinen Augen daran, dass sie den Interpretationsspielraum normativ zu sehr einengen wollen. Interpretationsvorschriften, die keinen Raum mehr für subjektive Gestaltung lassen, geraten zu einer Zwangsjacke, in der sich kein ausführender Künstler wohlfühlen kann. Die Diskussionen über die "richtige Spielweise" gestalten sich dementsprechend und nehmen einen zwanghaften Charakter an. Die Interpreten leben in der ständigen Angst, nicht "korrekt" zu spielen; und die historisch informierten Zuhörer werden zu Fehlerexperten, die unbarmherzig die Verstöße feststellen.

    Ich überzeichne natürlich, es ist nicht ganz so arg wie bei unseren Sprachpolizisten, den selbsternannten Rechtschreib- und Grammatikexperten wie Bastian Sick oder Wolf Schneider, die besser als jeder Sprachwissenschaftler wissen, was "richtiges" Deutsch ist und was nicht. Da tobt sich die Untertanenseele aus, die alles hasst, was ambivalent ist und sich nicht einer festen Norm unterordnet.

    Glücklicherweise ist die HIP-Welt meistenteils tolerant, jedenfalls soweit ich das wahrnehmen kann.

    Grüße,
    Jürgen

    --

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