Raritäten der Kammermusik
Wie angedroht geht es jetzt gleich los (weil Sonntag ist)
Frei nach der "Feuerzangenbowle" könnte man jetzt fragen "wat is en Rarität? Da stellen mir uns mal janz dumm .." In der Tat gibt es nicht die Rarität, denn das hängt ganz vom Erfahrungshorizont jedes Einzelnen ab. Insofern muß man eine Prämisse setzen, und davon ausgehend Werke vorstellen, von denen man vermutet, daß sie einem großen Kreis von Musikliebhabern nicht bekannt sind. Das da natürlich immer Sachen dabei sind, die schon bekannt sind liegt in der Natur der Sache.
Da ich ja so keck Herrn Kornemann als unwissend in Sachen französischer Kammermusik bezeichnet habe (vielleicht tie ich ihm ja auch Unrecht, und er inetressiert sich einfach nicht dafür), so fange ich mit einem aus meiner Sicht schwergewichtigen Werk an.
Charles Valentin Alkan (1813-1888): Sonate für Cello und Klavier E-Dur op.47
Alkan ist vielleicht in erster Linie den Spezialisten für Klaviermusik bekannt. Er hat aber auch einige wenige Kammermusikwerke geschrieben. Insofern ist er mit Chopin vergleichbar, der auch nur wenig Kammermusik aber immer mit Klavier verfasst hat. Beide Komponisten kannten sich recht gut, und wohnten auch in Paris nicht weit von einander entfernt. Er wurde im selben Jahr wie Wagner und Verdi geboren, und das ist vielleicht auch der Grund weswegen er bei den 200-Jahr Feiern 2013 leer ausgegangen ist. Der unermüdlichen Gudrun Parsons vom Verein "Pro Piano" ist es zu verdanken, dass im November 2013 in Hamburg ein kleines aber feines Minifestival zu Ehren von Alkan veranstaltet wurde, bei welchem auch diese Sonate erklang.
Das Werk hat einen klassischen 4-sätzigen Aufbau mit einem Siziliano statt einem Scherzo an 2. Stelle. Im Gegensatz zu vielen seiner Klavierkompositionen vermeidet Alkan hier weitgehend die übermässigen Schwierigkeiten im Klaviersatz, und das Instrument drängt sich auch nicht vor, sondern pflegt einen ausgeglichenen Dialog. Alkan vermeidet auch seine sonst so berüchtigte Exzentrik, was nicht bedeutet das wir es hier mit einem harmlosen Werk zu tun haben, eher im Gegenteil.
Der 1. Satz Allegro molto ist in ständiger Bewegung. Der melodische Gestus erinnert etwas an Schumann, der mit seinem vernichtenden Urteil über Alkan allerdings zu dessen Verschwinden aus der öffentlichen Wahrnehmung beigetragen hat. Aber Alkan ist kein Epigone, er hat genug Eigenes beizusteuern, so dass es eine Reihe Alkan-typischer Einfälle gibt. Der Aufbau ist nahezu schulmäßig, und auch nicht das interessanteste, sondern das ist die Behandlung von Cello und Klavier als gleichberechtigte Partner, sowie die Verarbeitung des musikalischen Materials.
Der 2. Satz Allegrettino spinnt eine sich im wiegenden 6/8 Takt sanfte Melodie fort. Er ist 3-teilig angelegt wie eine Arie, und hat im Mittelteil ein Minore, also die Moll-Variante des Themas. Man sollte sich von dem ersten Eindruck nicht täuschen lassen, denn Alkan hat keinesweges vor hier ein harmloses Siziliano abzuliefern, sonder fürhrt immer mal wieder kleine Widerhaken in Form harmonischer Rückungen und Unterbrechnung des melodischen Flußes ein.
Der 3. Satz Adagio beginnt mit einer kurzen Introduktion, an welche sich eine weit geschwungenen Kantilene des Cellos anschliesst, die nur sparsam vom Klavier begleitet wird. Das Klavier folgt mit einer sanft bewegten Weise, die ihrerseits sparsam vom Cello begleitet wird. Wir haben es hier also mit einem Dialog der beiden Instrumente zu tun, der in dieser Weise den ganzen Satz über fortgesponnen wird. Die Grundstimmung dieses Satzes ist beseelte Ruhe und Frieden, jede Aufregung wird vermieden, es gibt kaum einen nenneswerten Höhepunkt, bis auf ein kurzes sforzato in Takt 93. Das sanft bewegte Tremolo des Klavier erinnert ein wenig an das "Waldweben" aus dem "Siegfried" von Wagner.
Der 4. Satz Prestissimo ist ein mitreissender Saltarello, der in seiner permanenten Motorik ungemein schwungvoll wirkt, und die friedliche Stimmung des vorhergehenden Satzes jäh unterbricht. Er beweist einmal mehr die Fähigkeit des Komponisten bruchlose Stücke ohne Langeweile oder sog. "Brückenepisoden" zu schreiben. Den Ausführenden wird hier einiges abverlangt, und das Werk endet in einer fulminaten Coda mit einem "Rausschmeisser". Der Effekt ist natürlich kalkuliert und soll im Konzert unmittelbare Beifallsstürme entfachen.
Um das Werk auch akustisch erleben zu können möchte ich diese großartige Aufnahme mit Alban Gerhardt und Steven Osborne empfehlen.
Die beiden Protagonisten werden dem Werk vollauf gerecht und beweisen damit einmal mehr ihren Ausnahmerang als Künstler. Die Sonate von Chopin befindet sich ebenfalls auf dieser CD, und der geneigte Hörer mag entscheiden welchem Werk er den Vorzug geben möchte. Meine Wahl ist allerdings vollkommen klar.
Eusebius