Raritäten der Kammermusik

  • Wie wär's mit dem Streichtrio (H.136) von Bohuslav Martinu?

    Laut Werkverzeichnis bereits 1923 entstanden, aber erst 2005 wieder entdeckt. Würde es noch eines Belegs bedürfen, dass Martinu als Komponist ein einzigartiges Chamäleon war, wäre es dieses Werk. Entstanden kurz vor den vom fränzösischen Neoklassizismus und insbesondere auch vom Jazz inspirierten bekannteren Werken, wie der "Revue de Cuisine" scheint das Trio aus einer ganz anderen Welt zu kommen: Dunkel, ernst, vor allem im brütenden langsamen Satz, dann im Finale deutliche Anklänge an die tschechische Tradition, allerdings zugespitzt und überhaupt nicht heiter. Vergleichbar vielleicht mit den späteren Werken von Josef Suk, aber vor allem im Einsatz von Klangfarben deutlich moderner. Sehr hörenswert.

    Eine interpretatorisch wie aufnahmetechnisch hervorragende Aufnahme - zusammen mit anderen selten zu hörenden Kammermusikwerken Martinus - hat das Ensemble Calliopée beim Label "alpha" eingespielt:

    Der CD beigefügt ist auch eine DVD mit umfangreichem Material zu dem Streichtrio.

    Weil mich das Spiel des Ensemble Calliopée so begeistert hat, habe ich gesucht, was es noch von denen gibt - und bin auf allerseltenste Raritäten gestoßen:

    Lucien Durosoir - schon mal den Namen gehört oder gelesen? Ich kannte ihn bis vorgestern nicht.

    Durosoir war vor dem ersten Weltkrieg ein erfolgreicher Solist, der in Frankreich die erste Aufführung des Violinkonzerts von Brahms gespielt hat, aber auch das Violinkonzert des Zeitgenossen Richard Strauss. Nach dem Krieg sollte er eine Stelle beim Boston Symphony Orchestra erhalten, hatte aber einen Unfall, der seine Karriere als Geiger abrupt beendete. Durosoir zog sich in die französische Provinz zurück und komponierte - allerdings blieb fast alles unveröffentlicht, bis seine Werke von seinem Sohn vor wenigen Jahren erstmals editiert wurden. Nun bringt das Label "alpha" eine sorgfältig zusammengestellte Serie mit Durosoirs Kammermusik heraus. Unter anderem mit dem besagten Ensemble Calliopée:

    Die typisch "französische" Harmonik ist zwar unverkennbar, der Einfluss von Fauré wohl auch sehr stark - aber was ich da bisher von Durosoir gehört habe, klingt doch ganz anders. Schweifend, suchend, vielleicht fehlt die zündende Melodik, aber die Dichte der Werke - seien es nun die Streichquartette oder die ganz merkwüdige Fantasie für Oktett und Solovioline "Jouvence" - üben eine rätselhafte Faszination aus. Manches klingt fast nach Richard Strauss, oder doch eher nach dem jungen Korngold, oder vielleicht Ives? Auch das ganz untypische frühe Streichtrio von Martinu hat Ähnlichkeiten. Duroisoir passt in keine Schema und gehört zu keiner Schule. Es ist schlicht ganz großartige Kammermusik.

  • Rarität geblieben ist auch das Schaffen vieler russischer Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts, die sich zur Avantgarde zählten
    und für die das Kulturleben nach der Revolution, spätestens aber unter Stalin keinen fruchtbaren Boden mehr bieten wollte. Einige,
    wie Arthur Lourié, wanderten aus, andere blieben im Land und waren oftmals politischer Schikane und Verfolgung ausgesetzt, wie
    z. B. Aleksandr Mosolov – oder Nikolaj Roslavec.
    Letzterer ist einer der innovativsten Komponisten der russischen Moderne, Das von ihm entwickelte System der „Synthetakkorde“,
    womöglich auf den späten Skrjabinschen Klangzentren fußend, stellt eine der ersten Kompositionsmethoden dar, die als Alternative
    zur bzw. Nachfolge der überkommenen Tonalität gelten wollte.

    Die Cellosonaten sind faszinierende Kompositionen von ganz originärer, außerordentlich expressiver Klangsprache. Skrjabins Erbe
    wiegt natürlich schwer, und bei fast keinem russischen Komponisten der 10er und 20er ließe sich sein Einfluss leugnen, aber die sog.
    „Skrjabinisten“ waren revolutionäre Geister, denen es nicht in den Sinn gekommen wäre, eine Tradition zu bewahren, davon zeugt auch
    ihre Nähe zum Futurismus.

  • Bei der Vervollständigung von Aufnahmen mit Werken von Sergeji Liapunov bin auf sein einziges Kammermusikwerk gestoßen, nämlich sein Sextett für Klavier, 2 Violinen, Viola, Cello und Kontrabass. Eine nicht alltägliche Besetzung, die aber den Vorteil hat, dass dem Cello nicht die alleinige Aufgabe der Bassgrundierung zufällt, sondern es sich diese Aufgabe mit dem Kontrabass teilt, und daher auch mal in anderer Weise in das Geschehen eingreifen kann. Das Werk wurde vor genau 100 Jahren vollendet, aber 1921 noch einmal überarbeitet. Liapunov war kein Musiker der sich an den Entwicklungen seiner Zeit beteiligte, und so ist der Klangcharakter des Werkes noch stark spätromantisch gefärbt. Sein Kompositionsstil ist von Balakirev, Rimsky-Korsakov und Tanejev geprägt. Von letzterem hat er die gründliche Schulung im Kontrapunkt erhalten, was sich besonders in diesem Werk deutlich bemerkbar macht. Die Anlage des Werkes ist ganz klassisch gehalten, mit 4 Sätzen, wobei das Scherzo an 2. Stelle steht.

    Der erste Satz ist ein Allegro maestoso in b-Moll, das mit kräftigen Akkordschlägen des Klaviers beginnt, worauf die Streicher mit einem breit ausschwingenden Thema einsetzen. Das 2. Thema in G-Dur ist etwas verhaltener, aber in der Durchführung wird es dann turbulenter mit weit ausholenden Modulationen, auf deren Höhepunkt das Anfangsthema wieder aufgenommen wird. In seiner klassischen Proportion wirkt der Satz sehr geschlossen, und inspiriert. Trotz des energischen Begins klingt der Satz pp aus.

    Das Scherzo steht in D-Dur und ist ein flinkes Stück, welches mit seinem vorwärts strebenden Gestus an eine Tarantella errinnert. Das Trio ist wiederum deutlich zurückgenommen, und beinhaltet die bei den Vertretern des sog. "mächtigen Häufleins" gebräuchlichen Anleihen an Volksmusik. Der Komponist hält sich indes nicht lange damit auf, und kommt dann nach der Reprise des Anfangsthemas auch recht bald zum Schluss.

    Der langsame Satz, mit "Nocturne" überschrieben, ist ein breit angelegter Gesang, der von Cello und Violine im Zwiegespräch begonnen wird, und mannigfaltige Veränderungen erfährt, bis er ruhig ausklingt. Man könnte dabei durchaus an eine Liebesszene denken, etwa in der Art, wie Rimsky-Korsakov sie in seiner Sheherazade musikalisch ausgedrückt hat. Auch in diesem Satz ist die Faktur sehr kunstvoll ausgearbeitet, was die Stimmführung der einzelnen Instrumente anbelangt.

    Der letzte Satz (Finale - Allegro risoluto) kommt wie der erste klanggewaltig daher. Überhaupt durchströmt das ganze Werk ein satter Streicherklang mit ebenso volltönenden Akkorden des Klaviers. Auch in diesem Satz beweist Liapunov sein Können als Kontrapunktiker, was sich z.B. in einzelnen Fugatopassagen zeigt. Der Satz ist in strenger Sonatenform konstruiert, und schliesst mit einer fulminanten Coda.

    Es gibt nur eine einzige Aufnahme von dem Werk (auf eine konzertante Aufführung dürfen wir wohl kaum hoffen), die beim Label Dutton auch schon wieder gestrichen ist.

    Demzufolge gibt es auch keine Vergleichsmöglichkeiten. Aber das Dante Quartett in Kollaboration mit John Twaithes am Klavier und Leon Bosch am Kontrabass macht seine Sache sehr gut. Sie bringen den melodischen Schmelz wie auch das resolute dieses Werkes sehr schön zum Ausdruck. Das Spiel wirkt zu keinem Zeitpunkt langweilig oder angestrengt, sondern immer inspiriert, und den Schönheiten dieser Musik auf der Spur. Wer russische Kammermusik im Stil des ausgehenden 19. Jh. mag, dem kann ich diese Aufnahme wärmstens empfehlen. Leider ist die CD in Deutschland nur zu einem sehr hohen Preis zu haben. In UK hingegen ist sie etwas günstiger. Wer mit einer mp3 Version zufrieden ist bekommt sie allerdings noch günstiger.

    Eusebius

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • auf eine konzertante Aufführung dürfen wir wohl kaum hoffen

    Immer diese Seitenhiebe aufs Konzertleben. Mal rausfahren aus dem verschlafenen Hamburg :D. Auf dem Hambacher Schloss in der Pfalz gab's erst vor gut drei Monaten eine Aufführung, prominent besetzt mit Mitgliedern des Mandelring- und Fauré-Quartetts. Außerdem fand vor fünf Jahren in Kempten (Allgäu) ein Kammermusikfestival mit Musik unbekannterer russischer Komponisten statt, da wurde das Werk auch gespielt. Eine Aufführung beim Festival von Wissembourg (Elsass) von 2012 ist bei Youtube dokumentiert.

    Den Mitschnitt (bzw. den Kopfsatz und jetzt auch das Scherzo) hör ich gerade. Die Musik hätte ich jetzt blind auf ca. 1880 datiert, nicht auf 1915/1921.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Außerdem fand vor fünf Jahren in Kempten (Allgäu) ein Kammermusikfestival mit Musik unbekannterer russischer Komponisten statt, da wurde das Werk auch gespielt.


    In der Tat ist Hamburg nicht gerade das Mekka der Kammermusik, obwohl man sich redlich bemüht (momentan laufen gerade 3 Veranstaltungsreihen gleichzeitig). Zum Kempten Classics, organisiert von dem sehr rührigen Oliver Triendl, würde ich auch gerne mal fahren, denn da bekommt man in der Tat ein aussergewöhnlich breites Programm geboten.
    Aber wenn das so ist, nehme ich meinen Seitenhieb zurück, und gelobe fortan die Veranstaltungshinweise genauer zu durchleuchten :hide:
    1880 passt schon, denn Zukunftsmusik darf man von diesem Komponisten nicht erwarten. Aber was er macht macht er sehr gut. Man könnte fast das (von mir nicht geschätzte) Mantra von NDR Kultur bemühen: "Hören und geniessen".

    Eusebius

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • In der Tat ist Hamburg nicht gerade das Mekka der Kammermusik, obwohl man sich redlich bemüht (momentan laufen gerade 3 Veranstaltungsreihen gleichzeitig).

    Saarbrücken ist Mekka für garnix, aber drei Kammermusik-Veranstaltungsreihen gibt's auch hier. Besonders rühmenswert ist diejenige der Deutschen Radiophilharmonie (deren Orchesterkonzerte mich nicht immer überzeugen) - mit Alte- und Neue-Musik-Specials, aber auch mit vielen Raritäten: nächste Saison z.B. mit Nonetten von Coleridge-Taylor und Villiers, Holzbläserkammermusik von Maurice Emmanuel, Florent Schmitt und Albert Magnard, Streicherduos von Frank Bridge und Ysaye usw. Letzte Saison gab's Arenskij, Fesca, Röntgen, Jolivet, Taffanel, Gade... Überhaupt haben Kammermusikreihen von Orchestern den Vorteil, dass man aus den Mitgliedern leicht alle möglichen, auch exzentrischen Instrumentalkombinationen zusammenstellen kann. (Und außerdem den Vorteil, dass man sich im Gegensatz zu privaten Veranstaltern über die Auslastung weniger Gedanken machen muss: manchmal sitzt man da mit 40-50 Leuten im Publikum...)

    Bei manchen Stücken reicht mir allerdings das Kennenlernen und ich freu mich dann doch aufs Forellenquintett... ;+)


    1880 passt schon, denn Zukunftsmusik darf man von diesem Komponisten nicht erwarten. Aber was er macht macht er sehr gut.

    Durchaus.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Alle Achtung, da wäre ich bestimmt häufig anzutreffen. Hört sich wirklich gut an. Und warum gibt es das nicht bei uns? seufz .. ;(

    Eusebius

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Wie wär's mit Rebecca Clarkes 2 Einzelsätzen für Streichquartett "Comodo E Amabile" und "Poem"?

    hier ersteres:

    "

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    "

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • Wie wär's mit Rebecca Clarkes 2 Einzelsätzen für Streichquartett "Comodo E Amabile" und "Poem"?

    Die Bratschensonate von Rebecca Clarke (1919) habe ich mal in Bamberg im Konzert mit Tabea Zimmermann gehört und kenne sie auch von dieser exzellenten CD:

    Dieses Werk finde ich nicht nur "interessant", "lohnenswert" usw. - es begeistert mich richtig, ich höre es immer mal wieder. Mit einem ganz spezifischen optimistisch-schwärmerischen Tonfall, in puncto Modernität durchaus der Entstehungszeit angemessen, mit sehr prägnanten Themen. Und von Zimmermann und Gerstein toll gespielt.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Wie wär's mit Rebecca Clarkes 2 Einzelsätzen für Streichquartett "Comodo E Amabile" und "Poem"?

    Bei Dutton gibt es derzeit eine Reihe von Aufnahmen zu Sonderpreisen, so auch diese Scheibe. Für Freunde britischer Musik insbesondere auch Kammermusik gibt es hier eine Menge zu entdecken. Allerdings sind auch andere Nationen vertreten (Rebecca Clarke ist Amerikanerin), aber der Schwerpunkt bei Dutton liegt bei britischen Komponisten.

    Eusebius

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Ich fürchte....

    meine kleine Fehde mit Kollegen Eusebius wird noch ein wenig weitergehen müssen, denn es gibt schon wieder einen Dissens bezüglich eines Werkes. Diesmal die E-Dur Cellosonate in E-Dur, op. 47, von Charles Alkan. Gleich im ersten Beitrag dieses Threads schwärmt ja Eusebius von dem Werk, dementsprechend gross war die Erwartungshaltung - welche immerhin teilweise erfüllt wurde. Die Sonate ist tatsächlich im Vergleich mit den anderen Sachen, die ich bisher von Alkan gehört habe, sehr "solide". Der erste Satz ist gut nachverfolgbar, allerdings nicht ganz so "durchschnittlich" gebaut, wie von Eusebius behauptet. Der Durchführungsteil ist extrem lange und die Reprise ziemlich reduziert - jedenfalls habe ich nach zweimaligem Hören den Eindruck. Schumann und Mendelssohn kann man tatsächlich zumindest in der Exposition heraushören, in der Durchführung vermeine ich eher Anlehnung an Schubert herauszuhören. Der Beginn der Durchführung ist wohl auch der stärkste Teil des Werks: düster, harmonisch interessant, klanglich gut realisiert. Was mich allerdings an diesem Satz insgesamt stört, ist das recht blasse thematische Material und die doch vergleichsweise geringere Stringenz. Die Schlussgruppe der Exposition ist zudem seltsam holprig. Der zweite Satz, Allegretto, ist für mich der schwächste Satz des Werks und einfach langweilig. Der langsame Satz weiss hingegen wirklich mit interessanten Klangkombinationen, v.a. im Klaviersatz, zu interessieren - ich dachte allerdings nicht wie Eusebius an Wagner, sondern an Debussy. Der Satz ist mir trotzdem zu lang für das gebotene Material. Der Schlusssatz ist sicher mitreissend, wenn auch etwas repetetiv. Dass das Cello so an Klavierstimme klebt, fand ich nicht so ideal, aber in der Coda zieht Alkan alle Register. Das ist toll gemacht und sehr hörenswert. Die Interpretation von Emmanuelle Bertrand und Pascal Amoyel ist mMn ohne Fehl und Tadel:

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • meine kleine Fehde mit Kollegen Eusebius wird noch ein wenig weitergehen müssen,


    Warum sollten wir uns wegen unterschiedlicher Auffassung bei der Beurteilung einzelner Werke streiten? Jeder hat doch seine eigene Sicht der Dinge, und ich habe nicht die Absicht jemand zu missionieren, noch lasse ich das bei mir geschehen, wenn ich von einem Werk nicht überzeugt bin. Wir werben hier alle nur für Werke die uns wichtig und beachtenswert erscheinen. Ein Urteil muß sich am Ende jeder selber bilden, und zwar durch aktives Anhören. Ich halte auch wenig von Klassifizierungen wie besser oder schlechter. Es gibt m.E. auch keinen Komponisten, der ausschliesslich Meisterwerke geschaffen hat, und so schwankt das Niveau zum Teil auch beträchtlich. Aber auch um das beurteilen zu können bedarf es Erfahrung, spezieller Kenntnisse und Gespür für eine Komposition. Und selbstverständlich spielt der persönliche Geschmack eine entscheidende Rolle.

    Das übrigens der langsame Satz aus der besagten Sonate langweilig wirkt, kann ich sogar nachvollziehen. Das ist aber hier als bewusstes Stilmittel eingesetzt, wie Alkan das auch in anderen Kompositionen macht, um eine vollkommen emotionsfreie Atmosphäre zu schaffen. Der Kontrast zum stürmischen Finale ist hier also bereits einkalkuliert.

    Eusebius

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Warum sollten wir uns wegen unterschiedlicher Auffassung bei der Beurteilung einzelner Werke streiten?


    Keine Sorge, meine Aussage war mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Trotzdem scheine ich der einzige zu sein, bei dem du Missfallen über Werke auch mal offen ausdrückst.. :pfeif: Aber mir soll´s nur recht sein.

    Die Alkan-Sonate ist schon ok, aber die meisterlich gefertigten Cellosonaten Chopins und Mendelssohns sind für mich trotzdem eine andere Liga. Ich habe gestern noch mal die Alkan-Sonate und op. 65 von Chopin gegengehört und fand meinen Eindruck bestätigt. Abschnittsweise ist die Alkan-Sonate allerdings grossartig, etwa wie in der von mir bereits hervorgehobenen Durchführung des ersten Satzes.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Trotzdem scheine ich der einzige zu sein, bei dem du Missfallen über Werke auch mal offen ausdrückst.. :pfeif: Aber mir soll´s nur recht sein.

    Das täuscht. Wenn mir etwas nicht gefällt schreibe ich darüber, egal zu welchem Post auch immer. Es gibt auch keine Veranlassung sich zurückzuhalten. Nur niedermachen weil mir etwas nicht gefällt gibt es bei mir nicht. Ich bemühe mich meine Ablehnung auch zu begründen. Die Sonaten von Chopin und Medelssohn finde ich nun mal weniger spannend als Du. Das können wir aber ruhig so stehen lassen.

    Eusebius

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Da hier momentan nordische Musik besonders angesagt zu sein scheint, habe ich hier ein Werk ausgegraben, welches es nach meiner Überzeugung verdient gehört zu werden.

    Sigurd von Koch: Klavierquintett


    Sigurd von Koch (1879-1919) war ein schwedischer Komponist und stammte aus einer Familie in der alle Mitglieder sich in irgend einer Form künstlerisch betätigten. Seine beiden Schwestern sollen z.B. talentierte Malerinnen gewesen sein, und seine Brüder malten oder betätigten sich literarisch. Und auch Sigurd war sich zunächst unschlüssig welche Richtung er einschlagen sollte. Sein Vater verordnete ihm einen 2-jährigen Militärdienst bei der Marine. Ab 1895 studierte er dann an verschiedenen Orten Violine, Klavier und Komposition. Während all dieser Jahre betätigte sich Sigurd von Koch außerdem als Schriftsteller und Maler, er kann also durchaus als eine Art musisches Universalgenie gelten. Seine literarischen Ambitionen führten zu mehreren Büchern, und Publikationen für diverse schwedische Zeitungen, wo er sich als Kritiker und Musikschriftsteller betätigte.

    Sein musikalisches Schaffen umfasst neben Liedern ein Reihe von kammermusikalischen Werken (u.a. 2 Violinsonaten) und wenige Werke für Orchester. Insgesamt scheint der Ausstoß eher gering zu sein. Sigurd Koch starb 1919 an der zu der Zeit in Europa wütenden spanischen Grippe.


    1. Satz Allegro agitato

    Es geht gleich mit einem stürmischen Thema los. Das Nebenthema ist wie üblich etwas ruhiger gehalten und schwelgt in sattem Klang. Die Stimmung ist ganz und gar spätromantisch, mit vollgriffigen Akkorden im Klavier, und sehr leidenschaftlichem Vortrag. Eine ruhige Episode leitet die Durchführung ein, in deren Verlauf das Hauptthema allerdings mehr rhapsodisch als schulmäßig entwickelt wird. Der Satz erhält so die Anmutung einer freien Fantasie. In den Übergängen mogelt sich Koch hingegen etwas durch, da fehlt mir ein wenig die organische
    Entwicklung. Zum Schluß gibt es eine Stretta, die das Werk mit einem pathetischen Motiv enden lässt.


    2. Satz Lento lugrube

    Das Klavier bringt das Einleitungsthema unisono wie ein Rezitativ, gefolgt vom Cello, das einen klagenden Gesang anstimmt. Die übrigen Streicher treten hinzu, lassen jedoch dem Klavier den Vortritt. Der Grundcharakter des Satzes ist Melancholie. Die rezitativschen Momente kehren zwischendurch immer wieder zurück. Im Mittelteil folgt eine pastorale Stimmung, die zu wunderbaren harmonischen Wendungen der Streicher führt, die sich in einem Wechselgesang verschränken. Mit Bestimmtheit wird das Eingangsthema vom Klavier und anschliessend den Streichern wieder angestimmt. Es folgt wieder eine pastorale Episode. Nach einem Aufschwung wird die melancholische Stimmung wieder aufgenommen. Der Satz verklingt ersterbend.

    3. Satz Scherzo: Allegro con fuoco

    Die Grundstimmung entspricht einem Saltarello, der vom Klavier begonnen und dann von den Streichern aufgenommen wird. Der Fluß der Musik wird allerdings gelegentlich gebremst, was dem Satz einen unsteten Charakter verleiht. Das Trio steht wie üblich im Kontrast zu dem unruhigen Scherzoteil, der unverändert wiederholt wird. Eine beschleunigende Coda beschliesst den Satz.

    4. Satz Finale: Allegro molto e triomphale

    Diesmal beginnt das Cello und leitet in ein rasch voranschreitendes Thema über, das vom gesamten Ensemble aufgenommen wird. Auch hier herrscht wie im Scherzo ein tänzerischer Duktus vor. Der Satz ist wie der Hauptsatz in Sonatenform konstruiert. Es gibt eine Reihe herrlicher sotto voce Passagen. In der Durchführung hören wir einen Anklang an das Scherzo. Ein maestoso ausgeführtes Thema beschließt diesen sehr stimmungsvollen Satz.

    Insgesamt ein klangschönes und von unterschiedlichen Stimmungen durchzogenes Quintett, welches in der Nachfolge zu Brahms steht, ohne ihn zu imitieren. Schwedische Volksmusik sucht man hier jedoch vergebens. Das Werk steht ganz in der Tradition der deutsch-österreichischen Schule.

    An Tonaufzeichnungen gibt es meines Wissens nur eine beim Label musica sveciae, einem Speziallabel für schwedische Komponisten.

    Da ich keine weiteren Vergleichsmöglichkeiten habe, und auch kein Notenmaterial verfügbar ist, kann ich nur den Eindruck wiedergeben, den die Einspielung auf mich gemacht hat. Die Pianistin Lucia Negro und das Lysellquartett machen ihre Sache gut, der Klang ist transparent und die Leidenschaftlichkeit der Musik kommt gut herüber.

    Eusebius

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Jean Cras hatte mit Roussel den Beruf gemeinsam: beide gehörten der Marine an. Während Roussel die Seefahrerei schon bald an den Nagel hängte und sich als professioneller Musiker etablierte, blieb Cras der Marine treu und betätigte sich nur "nebenamtlich" als Komponist. Das hat ihn aber nicht gehindert, erstaunlich gute Musik hervor zu bringen, die inzwischen langsam wieder entdeckt wird.

    Sein Quintett für Harfe, Flöte, Violine, Viola & Cello von 1928 lässt sich schon wegen der Klangfarben eindeutig der franzöischen Tradition zuordnen. Harmonisch wie rhythmisch ist es "konservativer" als Roussel, steht aber in der Qualität der Verarbeitung den Vorbildern Debussy oder Ravel mit ihren bekannteren Stücken für Harfe und Kammerbesetzung nicht nach.

    Vom Quintett gibt es eine klanglich hervorragende Aufnahme des Horenstein Ensembles, die noch weitere Kammermusikraritäten enthält:

    Cras ist jemand, den es zu entdecken lohnt. Das Label Timpani hat mehrere CDs mit Klavier-, Kammer-, Orchester- und Vokalmusik von ihm herausgebracht.

    Nachdem ich am vergangenen Sonntag das grosse Vergnügen hatte bei einer kammermusikalischen Matinée der rheinischen Philharmonie zum ersten Mal Jean Cras zu hören, habe ich ihn hier im Forum gesucht und tatsächlich gefunden! Bei Capriccio gibt es nichts, was es nicht gibt..... Ich kann mich Ulliwers Lob nur anschliessen, das ist wunderschöne sehr impressionistische Musik, der man die grosse Leidenschaft für das Meer anhört. Ein Klangteppich der weder seicht ist noch spröde. Crash war Schüler von Henri Duparc, dessen Lieder wahre Juwelen sind.
    Dazu gab es Debussy Danses profanes und danses sacrées, Ravel (Harfe und Streichquartett) und ein programmatisches Werk von André Caplet "Le masque de la mort rouge" ,nach einer Erzählung von Edgar Allen Poe. Ein wahres Fest für Freunde frz. Kammermusik. Dass Jean Crash so wenig bekannt ist, liegt gewiss nicht an mangelnder Qualität. Wer Gelegenheit hat, ihn mal zu hören sollte das unbedingt tun. :fee:

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Ein wahres Fest für Freunde frz. Kammermusik.

    In der Tat, wo ist der Neid-Smiley? Nehme ich halt den: ;)

    Das Caplet-Stück z. B. ist etwas ganz erlesen Schönes!

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Dass Jean Crash so wenig bekannt ist ...

    Er war kein Brite, sondern ein Bretone, deshalb Jean Cras (und das S wird ausgesprochen)
    :) :) Nichts für ungut ...
    Es hat mich an eine Sendung vom MDR erinnert, wo von Charles Valentin Alkan die Rede war (Charles wie Prince Charles, Valentin wie Karl Valentin und Alkan wie all-can).
    Das gespielte Werk war seine Esquisses, Es-kwisses ausgesprochen (w wie in whiskey).

    Alles, wie immer, IMHO.

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