Wie wär's mit dem Streichtrio (H.136) von Bohuslav Martinu?
Laut Werkverzeichnis bereits 1923 entstanden, aber erst 2005 wieder entdeckt. Würde es noch eines Belegs bedürfen, dass Martinu als Komponist ein einzigartiges Chamäleon war, wäre es dieses Werk. Entstanden kurz vor den vom fränzösischen Neoklassizismus und insbesondere auch vom Jazz inspirierten bekannteren Werken, wie der "Revue de Cuisine" scheint das Trio aus einer ganz anderen Welt zu kommen: Dunkel, ernst, vor allem im brütenden langsamen Satz, dann im Finale deutliche Anklänge an die tschechische Tradition, allerdings zugespitzt und überhaupt nicht heiter. Vergleichbar vielleicht mit den späteren Werken von Josef Suk, aber vor allem im Einsatz von Klangfarben deutlich moderner. Sehr hörenswert.
Eine interpretatorisch wie aufnahmetechnisch hervorragende Aufnahme - zusammen mit anderen selten zu hörenden Kammermusikwerken Martinus - hat das Ensemble Calliopée beim Label "alpha" eingespielt:
Der CD beigefügt ist auch eine DVD mit umfangreichem Material zu dem Streichtrio.
Weil mich das Spiel des Ensemble Calliopée so begeistert hat, habe ich gesucht, was es noch von denen gibt - und bin auf allerseltenste Raritäten gestoßen:
Lucien Durosoir - schon mal den Namen gehört oder gelesen? Ich kannte ihn bis vorgestern nicht.
Durosoir war vor dem ersten Weltkrieg ein erfolgreicher Solist, der in Frankreich die erste Aufführung des Violinkonzerts von Brahms gespielt hat, aber auch das Violinkonzert des Zeitgenossen Richard Strauss. Nach dem Krieg sollte er eine Stelle beim Boston Symphony Orchestra erhalten, hatte aber einen Unfall, der seine Karriere als Geiger abrupt beendete. Durosoir zog sich in die französische Provinz zurück und komponierte - allerdings blieb fast alles unveröffentlicht, bis seine Werke von seinem Sohn vor wenigen Jahren erstmals editiert wurden. Nun bringt das Label "alpha" eine sorgfältig zusammengestellte Serie mit Durosoirs Kammermusik heraus. Unter anderem mit dem besagten Ensemble Calliopée:
Die typisch "französische" Harmonik ist zwar unverkennbar, der Einfluss von Fauré wohl auch sehr stark - aber was ich da bisher von Durosoir gehört habe, klingt doch ganz anders. Schweifend, suchend, vielleicht fehlt die zündende Melodik, aber die Dichte der Werke - seien es nun die Streichquartette oder die ganz merkwüdige Fantasie für Oktett und Solovioline "Jouvence" - üben eine rätselhafte Faszination aus. Manches klingt fast nach Richard Strauss, oder doch eher nach dem jungen Korngold, oder vielleicht Ives? Auch das ganz untypische frühe Streichtrio von Martinu hat Ähnlichkeiten. Duroisoir passt in keine Schema und gehört zu keiner Schule. Es ist schlicht ganz großartige Kammermusik.