• Haftbefehl

    Soeben hörte ich seine aktuelle CD an:

    Zusammen mit Gluck war das meine interessanteste Neuanschaffung im letzten Jahr. Man muss halt den Text mitlesen, dann merkt man, dass das weit über das übliche Gangster-Rap-Blabla hinaus geht.

    Interessant auch die zweite Seite diese Doppel-CD:
    Hier wird der Großteil der Lieder wiederholt und dabei mit Gastauftritten diverser anderer Rapper ergänzt bzw. "kommentiert". Das ist zwar jeweils von unterschiedlicher Relevanz, aber durchweg reizvoll im Vergleich.

    Am Samstag werde ich ihn in Münster live sehen. Hier ein Bericht aus München:

    http://www.sueddeutsche.de/kultur/tourauf…oehne-1.2339110


    Thomas

  • Kurzer Bericht zum Konzert:

    - Halle (Skaters Palace in Münster) fast voll, es passen aber nur 900 Leute rein.
    - Nur Stehplätze, und man darf rauchen, krass.
    - Eine Stunde Verspätung. Zu viel.
    - Zunächst traten einige Rapper von Haftbehls Label "Azzlackz" auf: Hanybal, DOE, Milonair, später auch Capo (der jüngere Bruder von Haftbefehl). Milonair war der beste.
    - Dann kam Haftbefehl. Er war leider krank und musste mehrfach von der Bühne. Am Ende hielt er mit Mühe durch, alle Achtung.

    Haftbefehls Texte sind einfach präziser und treffender als die der anderen, und sein Bühnenpräsenz wirkt abgeklärter. Er ist der Babo.
    Es kam nicht alles gleich gut rüber, zumal gesundheitsbedingt auch hin und wieder improvisiert werden musste. Dennoch wäre insgesamt noch mehr Präzision wünschenswert.
    Beste Nummern:
    Chabos wissen wer der Babo ist (http://www.youtube.com/watch?v=ve1RgXPWTdk). Das ist einfach top. Krasser Text, Teile davon kannt das Publikum auswendig.
    Ich rolle mit meim Besten (http://www.youtube.com/watch?v=D8ETnXrsaoM).

    Das Publikum war zu 90% männlich, davon ca. 10% mit Migrationshintergrund. Kaum jemand über 30. Alles ziemlich friedlich, gute Stimmung. Auch auf der Bühne war die Stimmung gut.


    Was bei oberflächlicher Betrachtung nicht so rüberkommt, ist die ironische Überzeichnung der Texte bzw. die durchaus erkennbare Kritik an Statussymbolen. Außerdem sind von den 15 Songs auf seiner CD 7 ziemlich nachdenklich:
    1999 Pt. I
    Engel im Herz, Teufel im Kopf
    1999 Pt. II
    Schmeiß den Gasherd an
    Azzlackz sterben jung 2
    Seele
    1999 Pt. III

    Texte siehe hier:
    http://genius.com/albums/Haftbefehl/Russisch-roulette


    Fazit:
    Ich werde nicht zu Rap-Fan, aber auf Haftbefehls nächstes Album bin ich gespannt.


    Thomas

  • Ich rolle mit meim Besten

    ...

    die ironische Überzeichnung der Texte

    Ich sehe eher Fragen, die aufgeworfen werden.

    Wie sollen wir den Markt in den Arsch ficken?
    Nach was riecht dieser Schwanz?
    Warum gibt es Heckmeck bei (nach? zu?) In die Fresse Rap?
    Wer fickt wessen Mutter?

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms

  • Was ist "Babo"?

    Ansonsten bleib ich in dem Genre lieber bei NWA, Ebenso dumm (textlich wahrscheinlich wesentlich dümmer), aber die Rhythmen fließen besser, der Flow kommt professioneller, Aißerdem Reggaeelemente, mag ich immer gern mal. Das Produkt das dabei rauskommt ist immerhin ziemlich perfekt (wenn auch nicht sympathisch),aber es hat immerhin eher mit Musik zu tun als mit Verlautbarungen - der Rest (sie nennen ihn vermutlich "Inhalte" oder "Statements") ist mir eh egal...

    ...und: vor alle sie rappen immerhin auf englisch. Ich verstehe also nur Fetzen. Und das ist eine echte Erleichterung für die Ohren, das Hirn und das Herz.

    Aber Spaß gehabt? Gut so. Um nix andres geht's doch am Ende.

    Klasse!

    LG

    "Verzicht heißt nicht, die Dinge dieser Welt aufzugeben, sondern zu akzeptieren, daß sie dahingehen."
    (Shunryu Suzuki)

  • Ich sehe eher Fragen, die aufgeworfen werden.

    Wie sollen wir den Markt in den Arsch ficken?


    Nicht fragen, machen. Du weißt doch: Die Märkte sind der Grund allen Übels. Frag mal die Griechen.

    Zitat


    Nach was riecht dieser Schwanz?


    Nach Svinje.

    Zitat


    Warum gibt es Heckmeck bei (nach? zu?) In die Fresse Rap?


    Weil die Zeit dafür reif ist.

    Zitat


    Wer fickt wessen Mutter?


    In dem Moment wird niemand gefickt. Es geht nur um sogenannte "Fick-deine-Mutter-Mucke", also Musik ohne künstlerischen Anspruch. Für Heckmeck reicht das, alles andere wäre Verschwendung und schlecht für die CO2-Bilanz. Der 600er SL schluckt schon einiges (auch wenn man nur "rollt"), daher muss an anderer Stelle gespart werden. Wir Deutschen sind für unsere Effizient bekannt.


    Thomas

  • Ich habe wegen Deines letzten Threads zu ihm mich ja kurz damit beschäftigt.
    Musikalisch halte ich es für Mist. Sprachlich für kreativ, wobei ich aber nicht beurteilen kann, was nun aus dem Umfeld "geklaut" ist, und was persönliche Weiterentwicklung.
    Das ganze Zeugs ist aber gewaltverherrlichend und zum Kotzen.
    :wink:

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Selbst der insgesamt eher kritische im "Presseschau-Thread" erwähnte Artikel in der FAZ stimmte in das Lob der angeblichen sprachlichen Kreativität ein (einschl. Zitat eines Linguisten, der auf die unterschiedlichen grammatischen Strukturen des Deutschen bzw. Türkischen hinwies).
    Leider finde ich alle zitierten Zeilen sprachlich besch... und verstehe beim besten Willen nicht, was daran besonders kreativ sein soll. Vielleicht muss man dazu türkisch verstehen? Mir scheint das hingerotzt und nebeneinandergestellt ohne witzige Reime, Metaphern usw. wie sie mir bei meinen sehr begrenzten HipHop-Erfahrungen mit anderen Gruppen (Fettes Brot, Fanta4 und auch die seinerzeitigen Migrationsrapper wie Schwester S usw.) wenigstens teilweise begegnet sind.

    (Es drängt sich mir jedenfalls wieder Grillparzers Kommentar zu Webers Euryanthe auf... vielleicht sollte ich den in meine Signatur übernehmen :D)

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Vielleicht ist es ja wirklich nicht kreativer als die unfreiwillige Kreativität desjenigen, der eine Fremdsprache nicht beherrscht.
    :D

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  • Selbst der insgesamt eher kritische im "Presseschau-Thread" erwähnte Artikel in der FAZ stimmte in das Lob der angeblichen sprachlichen Kreativität ein (einschl. Zitat eines Linguisten, der auf die unterschiedlichen grammatischen Strukturen des Deutschen bzw. Türkischen hinwies).
    Leider finde ich alle zitierten Zeilen sprachlich besch... und verstehe beim besten Willen nicht, was daran besonders kreativ sein soll. Vielleicht muss man dazu türkisch verstehen? Mir scheint das hingerotzt und nebeneinandergestellt ohne witzige Reime, Metaphern usw. wie sie mir bei meinen sehr begrenzten HipHop-Erfahrungen mit anderen Gruppen (Fettes Brot, Fanta4 und auch die seinerzeitigen Migrationsrapper wie Schwester S usw.) wenigstens teilweise begegnet sind.


    Jetzt mal allgemein zur Kunst. Besonders schlimm ist es auf Tamino. Aber hier gibt es dieses Phänomen auch: Ein Kunstwerk wird nach seiner handwerklichen Qualität beurteilt.

    Was soll das???

    Ich gehe in die Oper und mache (à la Beckmesser) eine Strichliste, an wie vielen Stellen das Libretto missachtet wurde?
    Ich zähle die Fehler der Sänger?
    Ein Werk ist umso besser, je technisch anspruchsvoller es ist?
    Herta Müller schreibt nicht so "kunstvoll" wie Robert Musil?
    Und Caravaggio malt besser als Emilio Vedova?

    Also taugt der Vedova nichts. Weil er nicht gut malt.

    Wer erkennt den Fehler?


    Der Künstler muss die handwerklichen Mittel finden, die geeignet sind, die künstlerische Aussage auszudrücken. Und zwar so, dass es passt. Daher muss Haftbefehl so schreiben. Würde er so schreiben wie Robert Musil, dann wäre das künstlerisch verfehlt.

    Haftbefehl ist also an seiner künstlerischen Aussage zu messen. Und natürlich spielt er nicht in der Liga eines international bedeutenden Schriftstellers. Man kann ihn z.B. an Lena oder an einen sonstigen Vertreter der aktuellen Popmusik messen. Und da sind seine Texte (und damit auch das jeweilige Werk) eben relevanter. Inhaltlich wie auch formal. Die meisten Popmusiker verstecken sich hinter unverbindlichen Floskeln. Haftbefehl nicht.

    Was Gluck betrifft:
    Musikalisch kann man das natürlich nicht vergleichen. Aber vor 2 Wochen in Kassel (Iphigénie en Tauride) meinte meine ältere Sitznachbarin (Pianistin): "Das Thema (der Oper) ist mir fremd. Spricht mich nicht an." Kann ich verstehen. Fiktive Geschichte, fiktive Personen, das berührt einen nicht im Geringsten.

    Gluck erzeugt positive Gefühle. Aber nur so lange wie die Musik läuft. Haftbefehl hat musikalisch nur einen geringen Wert. Aber er regt an, die Texte zu lesen und zu reflektieren. Das ist 2014. Und auch 2015.

    Ja, man wird in 100 Jahren immer noch Gluck hören, Haftbefehl wahrscheinlch nicht mehr. Ich möchte mit dieser Betrachtung nur klarmachen, auf welche Weise man sich dieser "Musik" nähern kann. Man muss es nicht. Man kann auch 4′33″ von Cage hören. Was ich z.B. nicht tun würde.


    Thomas

  • Haftbefehl hat musikalisch nur einen geringen Wert. Aber er regt an, die Texte zu lesen und zu reflektieren.


    Hab ich doch.
    Was ist "Svinje", nach dem/der Deiner Meinung nach dieser Schwanz riecht?

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms


  • Hab ich doch.
    Was ist "Svinje", nach dem/der Deiner Meinung nach dieser Schwanz riecht?


    Du willst meinen Beitrag nicht verstehen. Also noch mal: Du sollst nicht an den Wörtern kleben.

    Svinje ist Svinje. Etwas, was audiamusse und Eccliticos nicht verstehen müssen. Weil das nicht ihre Welt ist. Die audiamusse und Eccliticos müssen auch Emilio Vedova nicht zu 100% verstehen. 60% reicht.


    Thomas

  • Kater Murr hat die Texte aber mit anderen Vertretern der Populärmusik der jüngeren Vergangenheit verglichen und nicht mit Petrarca.

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  • Du sollst nicht an den Wörtern kleben.

    Hm. Die Mucke ist mies, und an den Wörtern kleben soll ich auch nicht. Bleibt nicht mehr viel.

    Die audiamusse und Eccliticos müssen auch Emilio Vedova nicht zu 100% verstehen. 60% reicht.

    Woher weißt Du, wieviele Prozente ich von Vedova verstehe?
    Und was sind 60% von Schwanz bzw. Svinje?
    Und welcher Teil von "fick-die-Mutter" bleibt nach Abzug der restlichen 40% stehen?

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms

  • Nö, ich beurteile Haftbefehl subjektiv nach meinem guten, in langen Jahren trainierten Geschmack.
    Das Handwerkliche habe ich nur angeführt, weil immer wieder zu lesen ist, wie sprachlich innovativ das alles sei, hauptsächlich wegen Deutsch-Türkisch-Asi-Pidgin. Und das kann ich nun einmal beim besten Willen nicht nachvollziehen.

    Während ich selbst einem Kalauer wie Wolle Petrys "Du bist ein Wunder, Du bist ein Wunder... ein wunder Punkt in meinem Leben", gar nicht zu reden von der Reimvirtuosität einiger deutschsprachiger Hiphopper der 1990er gewissen Respekt zollen muss, sehe ich bei Haftbefehl schlicht gar nichts, was ich sprachlich witzig oder reizvoll fände. Da findet man z. Zt. vermutlich in jeder zweiten Büttenrede kreativeren Umgang mit Sprache. Ich sehe aber auch nicht ein, meine Datenbasis über das neulich als Video verlinkte Babo/Chabo-Lied und die in den Zeitungsartikeln zititerten Verse auszuweiten. Dafür ist mir die Musik zu abstoßend.

    Der Erfolg von Haftbefehl rührt m.E. nicht von irgendeiner sprachlichen oder musikalischen Originalität her, sondern vom Eindruck eines authentischen "Gangsta"-Raps des deutsch-orientalischen Großstadtmilieus, in dieser brutalen Coolness, im Ignorieren aller politisch korrekten Sprachregelungen usw. Das scheint unserem tintenklecksenden iphonetippenden Säkulum anscheinend echt, männlich, lässig.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Eccliticos Argumentation ist unangreifbar, weil tautologisch:

    Der Künstler muss die handwerklichen Mittel finden, die geeignet sind, die künstlerische Aussage auszudrücken. Und zwar so, dass es passt. Daher muss Haftbefehl so schreiben.


    These 1 von Ecclitico: Haftbefehl hat eine künstlerische Aussage.
    These 2 von Ecclitico: Haftbefehl hat die handwerklichen Mittel gefunden, um die künstlerische Aussage auszudrücken. "Und zwar so, dass es passt".
    These 3 von Ecclitico: Darum muss er sich so ausdrücken. Denn Haftbefehl hat eine künstlerische Aussage.

    Und so weiter ad inifinitum.

    Und wenn wir das nicht verstehen, dann liegt es an uns.

    Nun, es gibt es viele Beispiele in der Kulturgeschichte dafür, dass große Kunstwerke als später als solche anerkannt wurden. Bruckner. Wagner. Schönberg. Usw.

    Im Falle von Haftbefehl gehöre ich gerne zu denen, die es heute vielleicht schlechter wissen als zukünftige Generationen.

    Gruß
    MB

    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Eccliticos Argumentation ist unangreifbar, weil tautologisch:


    These 1 von Ecclitico: Haftbefehl hat eine künstlerische Aussage.
    These 2 von Ecclitico: Haftbefehl hat die handwerklichen Mittel gefunden, um die künstlerische Aussage auszudrücken. "Und zwar so, dass es passt".
    These 3 von Ecclitico: Darum muss er sich so ausdrücken. Denn Haftbefehl hat eine künstlerische Aussage.

    Und so weiter ad inifinitum.

    Der entscheidende Punkt dieser Argumentation ist doch, dass "es passt".
    Ich finde aber manchmal unpassende Mittel ästhetisch sehr überzeugend, bei Busoni vielleicht z.B.
    Und ich finde perfekt passende Popularmusik meistens nicht so toll und nie so toll wie E-Musik.
    Trotzdem ist oft, wenn etwas nicht gelungen ist, der Vorwurf, etwas würde nicht passen, nachvollziehbar.
    Also finde ich das obige Argument nicht ganz hohl.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
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  • Svinje ist Svinje.

    Schwein ist Schwein
    und ist kroatisch = Schwein (ich bin durch das russische swinja drauf gekommen)
    Der Schwanz stinkt also nach Schwein (manche behaupten ja, nach Aal,---kann ich nicht beurteilen ich rieche nicht an anderer Leute Sch... und ich wasche mich täglich rundum),
    aber bei Haftbefehl gilt für jedes "argumentieren": bacati bisere pred svinje (Perlen vor die Säue werfen)
    Jeder hat halt so seinen Spleen, der eine sammelt Toilettenschüsseln und der nächste Haftbefehl(e).

    Herzliche Grüße:
    KALEVALA :wink:

    Die Wahrheit ist hässlich: wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen. (Nietzsche)


    Es gibt nichts Überflüssigeres und Schädlicheres als wie Musik. Wenn ein Mensch eine gewisse Zeit lang Musik hört, wird sein Gehirn faul und unseriös. (Ayatollah Khomeini)

  • Eccliticos Argumentation ist unangreifbar, weil tautologisch:


    These 1 von Ecclitico: Haftbefehl hat eine künstlerische Aussage.
    These 2 von Ecclitico: Haftbefehl hat die handwerklichen Mittel gefunden, um die künstlerische Aussage auszudrücken. "Und zwar so, dass es passt".
    These 3 von Ecclitico: Darum muss er sich so ausdrücken. Denn Haftbefehl hat eine künstlerische Aussage.

    Und so weiter ad inifinitum.

    Und wenn wir das nicht verstehen, dann liegt es an uns.


    Nicht an uns, sondern an dir. Dein Kunstbegriff ist falsch. Kunst ist alles, was als Kunst gedacht ist. Ohne Ausnahme. Dann gibt es gute und schlechte Kunst, wie überall im Leben. Die Kriterien dafür sind aber gerade nicht das handwerkliche oder technische Niveau. Sondern die Relevanz.

    Wenn Marcel Duchamp im Jahr 1917 ein Pissoir kauft, auf einen Hocker legt und das "Fountain" nennt, dann ist das relevante Kunst. Wenn du etwas Ähnliches im Jahr 2015 machst, kann das immer noch Kunst sein, nur eben ohne Relevanz.

    Die Relevanz sinkt natürlich, wenn eine gute Idee schlecht umgesetzt wird. Bei Leonardo war technisches Geschick absolut notwendig, sonst wäre das nichts geworden mit seiner Malerei.


    Bzgl. Haftbefehl muss man sich fragen:

    Bringt er Neues? Kann das jeder? Spricht es mich an?

    Antworten: Derzeit ja. Nein. Derzeit ja.

    Die Macho-Sprüche beim Gangster-Rap hat man irgendwann satt, egal wie originell sie sind. Bushido z.B. scheint inzwischen zum reinen Handwerker abgestiegen zu sein. Er könnte genauso gut Körbe flechten. Bei Haftbefehl überzeugt derzeit die Konfrontation der Macho-Sprache mit der Beschreibung der Realität, siehe z.B. hier: http://genius.com/Haftbefehl-azzlackz-sterben-jung-2-lyrics
    Damit erscheinen auch die Brutalo-Stücke in einem anderen Licht.

    Das Argument, in den USA gab's das schon vor 10 Jahren, zählt nicht. Das ist eine andere Sprache und eine andere Kultur, der Hinweis ist also irrelevant. Außerdem müsste die Aussage "das gab's in den USA schon" sorgfältig überprüft werden, also direkt am Text und im Gesamtzusammenhang. Aber letztendlich sind die Milieus in den USA komplett anders. Und in Paris sind sie wieder anders.

    Bleibt:
    Diese Musik muss einen nicht ansprechen. Wenn sie einen nicht anspricht, hat sie für diesen einen keine Relvanz. Wenn sie überhaupt niemanden anspricht, dann hat sie auch allgemein gesehen keine Relevanz. Dem scheint aber nicht so zu sein. Und daran ändert sich auch nichts, wenn man den Rezipienten unlautere Motive vorwirft.


    Thomas

  • Nö, ich beurteile Haftbefehl subjektiv nach meinem guten, in langen Jahren trainierten Geschmack.
    Das Handwerkliche habe ich nur angeführt, weil immer wieder zu lesen ist, wie sprachlich innovativ das alles sei, hauptsächlich wegen Deutsch-Türkisch-Asi-Pidgin. Und das kann ich nun einmal beim besten Willen nicht nachvollziehen.

    Ist ok.

    Zitat


    Während ich selbst einem Kalauer wie Wolle Petrys "Du bist ein Wunder, Du bist ein Wunder... ein wunder Punkt in meinem Leben", gar nicht zu reden von der Reimvirtuosität einiger deutschsprachiger Hiphopper der 1990er gewissen Respekt zollen muss, sehe ich bei Haftbefehl schlicht gar nichts, was ich sprachlich witzig oder reizvoll fände. Da findet man z. Zt. vermutlich in jeder zweiten Büttenrede kreativeren Umgang mit Sprache. Ich sehe aber auch nicht ein, meine Datenbasis über das neulich als Video verlinkte Babo/Chabo-Lied und die in den Zeitungsartikeln zititerten Verse auszuweiten. Dafür ist mir die Musik zu abstoßend.

    Ist ok.

    Zitat


    Der Erfolg von Haftbefehl rührt m.E. nicht von irgendeiner sprachlichen oder musikalischen Originalität her, sondern vom Eindruck eines authentischen "Gangsta"-Raps des deutsch-orientalischen Großstadtmilieus, in dieser brutalen Coolness, im Ignorieren aller politisch korrekten Sprachregelungen usw. Das scheint unserem tintenklecksenden iphonetippenden Säkulum anscheinend echt, männlich, lässig.

    Ist nicht ok.

    Du kannst das nämlich gar nicht beurteilen, weil du dich weder mit dieser Musik noch mit ihren Rezipienten auseinandersetzt. Du musst das auch nicht tun. Aber wenn du es nicht tust, dann kannst du auch nicht urteilen. Und du musst dich auch fragen lassen, ob du in anderen Bereichen auch vorschnell urteilst. Vielleicht ist dein Geschmack gar nicht so gut trainiert. Nicht das mich das stören würde. Nur so als Hinweis.

    Es gibt ja Leute, die "wissen" genau, dass klassische Musik Mist ist und nur von Bildungsbürgern gehört wird, die sich damit von anderen abgrenzen wollen, obwohl sie diese Musik in Wirklichkeit auch langweilig finden. Das ist genau der gleiche Denkfehler. Nur weil es solche Dinge gibt, wird das munter verallgemeinert. Würde man tiefer einsteigen, sähe man die Sache differenzierter.

    Aber man muss nicht tiefer einsteigen...


    Thomas

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