Das klassische Menuett

  • Das klassische Menuett

    Die Blütezeit des Menuetts umfasst etwa anderthalb Jahrhunderte (~1650 – 1800). Zwar ist das Menuett schon im Barock seit Lully eine äußerst populäre Gattung, doch in der Suite hat es keinen festen Platz erobern können. Der Höhepunkt der Gattung folgt später: Keine andere Gattung kann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hinsichtlich der Quantität der Kompositionen dem Menuett wohl auch nur annähernd das Wasser reichen: allein Haydn hat 400 Menuette geschrieben!
    Worin gründet diese heute kaum mehr nachvollziehbare Popularität? Ein wichtiger Grund mag sein, dass das Menuett in seiner Knappheit, Ausgewogenheit und streng reglementierten Form sich bestens zum Erlernen des klassischen Handwerks eignet. So lässt Joseph Riepel (1709 – 1782) in seiner Kompositionslehre seinen fiktiven Lehrer äußern: "Es ist zwar keine große Ehre, Menuets zu componieren, sondern eines theils wohl gar gewissenhaft. Da aber ein Menuet, der Ausführung nach, nichts anders ist als ein Concert, eine Arie, oder Simpfonie; welches du in etlichen Tagen ganz klar sehen wirst: also wollen wir immer ganz klein und verächtlich damit anfangen, um nur bloß was größeres und lobwürdigeres daraus zu erlangen." (Aus dieser hellsichtigen Aussage wird deutlich, dass der klassische Stil eigentlich im Wesentlichen durch die Übertragung der Tanzsatzregeln (und damit auch der Tonalität in unserem eng gefassten Sinne) auf anspruchsvollere Formen zustande gekommen ist.)
    Auch anhand von Mozarts Aufzeichnungen zum Kompositionsunterricht mit Thomas Attwood lässt sich ersehen, dass das Komponieren von Menuetten nach dem Erlernen der satztechnischen Grundlagen als erste Übungen im freien Satz seinen Platz einnimmt.

    Joseph Riepel nennt, nachdem sein fiktiver Schüler einen kläglichen ersten Versuch einer Menuettkomposition vorlegt, eine Reihe von Regeln, die er zum besseren Gelingen zu befolgen hat. Alle Regeln sind immer auf die Melodie bezogen und fast alle Notenbeispiele sind einstimmig. Die wichtigsten sind:

    1) Ein Menuett fordert stets "gerade Täcte", also Gruppen von 2 bzw. 4 Takten.
    2) Jeder der zwei (zu wiederholenden) Teile eines Menuetts soll nicht mehr als 8 Takte enthalten.
    3) Das Thema des Menuetts soll immer aus 2- oder 4-Takt-Gruppen bestehen.
    4) In einem Menuett sollen immer vollkommen (= drei Viertel, bis zu zwei davon können diminuiert sein) und unvollkommen (= ein Viertel + eine Halbe oder umgekehrt) erhebende Takte vorkommen, von letzteren niemals zwei hintereinander. Der 4. und der 5. Takt sollen immer verschieden erhebend, also deutlich voneinander abgesondert sein.
    5) Der erste Teil eines Menuetts soll von der Bewegungsrichtung steigen, der zweite fallen.
    6) Das Menuett soll nicht durch überflüssige Wiederholungen gedehnt werden, also knapp und konzentriert ausfallen.

    Die Regeln dienen vor allem als erster Richtungsweiser und werden teilweise im weiteren Verlauf des Textes relativiert. So können z. B. 2-Takter an einzelnen Stellen gezielt wiederholt werden, wodurch sich die Teile auf 4+6 oder 6+4 = 10 Takte ausdehnen. Wenn aber sein fiktiver Schüler berichtet, in einem Menuett dreitaktige Phrasen gehört zu haben, erwidert der Praeceptor: "Glaube nur nicht, daß derjenige ein Meister könne genennet werden, welcher in seinen Compositionen weder Ordnung noch Deutlichkeit zeiget."

    Riepels Regelwerk ist vor allem für das spätklassische Menuett wohl deutlich zu eng gefasst. Doch vor diesem Hintergrund, der der galanten Norm entsprochen haben mag, erscheint der Witz, der etwa für die Haydn'schen Menuette kennzeichnend ist, umso plastischer. Haydn erweist sich dabei als tüchtiger Geschäftsmann: Die Unregelmäßigkeiten und die Komplexität, die wir mit Haydn'schen Menuetten verbinden – Taktgruppen, die asymmetrisch in etwa 5+3 unterteilt sind, gegen den Strich bürstende Dynamik (sforzati), dichtes polyphones Geflecht aus, ausgedehnte epische Formen usw. – zeigen sich hauptsächlich in den heute bekannteren sinfonischen und kammermusikalischen Einlagen, etwa den Menuetten der Sinfonien und Streichquartette. Dort wird, fast möchte man sagen, mehr "mit dem Menuett" als Menuett komponiert. Daneben gibt es aber jede Menge Sammlungen von etwa 8, 12 oder sogar 24 Menuetten, die alle unter Hob. IX verzeichnet sind. Diese Menuette (für Clavier, gemischte Kammerensembles und Orchester) sind weitaus mehr "regelkonform" und in ihrer Machart der Tendenz nach deutlich schlichter. Sie sind wohl meist für höfische Anlässe und auch durchaus zum Tanzen komponiert. So gibt es in den 12 Menuetten IX:11 (ursprünglich für Orchester, aber auch von Haydn für Clavier gesetzt) tatsächlich keine asymmetrischen Drei- oder Fünftaktgruppen und die meisten halten sich an die Riepel'sche Norm von 8+8 Takten (das Trio folgt den Gesetzmäßigkeiten des Menuetts, also auch 8+8). Nichtsdestotrotz ist jedes einzelne durch seinen spezifischen Charakter deutlich abgesondert und in seiner Schlichtheit entzückend.

    Ähnliches lässt sich im Werk von W. A. Mozart beobachten, der immerhin ca. 130 Menuette geschrieben hat. Bei Schubert sind es noch 70, während Beethoven gerade einmal auf 38 kommt. Doch bei allen vier Komponisten zeigt sich das Menuett als hybride Gattung: Vom einfachen pädagogischen Lehrstück über höfische Gebrauchsmusik bis zum gelehrten Spiegelkanon in einem Streichquartett: ein Menuett konnte alles sein, und gerade darin besteht seine Einzigartigkeit. Wenn die verschiedenen Sphären im Menuett zusammenkommen, zeigt sich dessen besonderer Reiz.

    Es ließe sich noch viel sagen zum Menuett. Jetzt lasst uns aber mal ein hervorstechende Beispiele sammeln. Ich fange an mit dem Menuett aus Haydns Sinfonie Nr. 82 "Der Bär": Wunderbar, wie nach der Dehnung der ersten Taktgruppe (4 -> 6) und der bereits abgeschlossenen Modulation durch die zweite trotzdem noch ein viertaktiger Abgesang im zarten cantabile der Oboe folgt, klangfarblich in gänzlichem Kontrast zum festlichen Beginn. Im zweiten Teil kadenziert dann dieser Abgesang durch erneutes Hinzutreten des Tuttis jäh ab – besonders markant in der Aufnahme mit Nikolaus Harnoncourt und dem Concentus Musicus Wien.

  • Wäre nicht irgendein anderer, Anfang des 18. Jhds. üblicher Tanzsatz nicht ebenso gut geeignet gewesen? Gibt es Ideen, warum das Menuett, das ja in der barocken Suite/Partita gar kein Standardsatz war, auf einmal die wichtigste Tanzform und Bestandteil von Sinfonie, Streichquartett usw. geworden ist? (Ich vermute ja bei so etwas meist einen selbstverstärkenden Prozess, aber irgendwie muss es ja begonnen haben.)

    Was mich seit jeher interessiert, ist dass die als "Menuett" bezeichneten Sätze in Sinfonien, Quartetten usw. ein relativ breites Ausdrucks- und auch Tempospektrum aufweisen. So gibt es vereinzelt noch gravitätische oder "galante" (und ausführlich verzierte) Menuette in relativ langsamem Tempo, zB die langsameren Einschübe im Finale von Mozarts Konzert KV 271 oder der mittlere Satz einer Beethoven-Violinsonate (op.30 Nr.3, wenn ich recht erinnere). Häufiger sind jedoch solche in eher schnellen Vierteln (~130-140) oder sogar ganztaktig im Walzer/Ländlertempo oder noch schneller. Haydn nennt in op.33 schon einmal alle "Menuette" "Scherzi" und die sind auch alle sehr knapp (und eher ganztaktig zu nehmen, wenn ich recht erinnere), später heißen sie normalerweise wieder "Menuetto".
    Interessant ist auch die Verwendung eines "Tempo di Menuetto" als Finale. So etwa die eher langsamen melancholischen Sätze in Haydns Sinfonie Nr. 26 und der Klaviersonate cis-moll (die davor als Mittelsatz ein "Scherzo" hat).

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Wäre nicht irgendein anderer, Anfang des 18. Jhds. üblicher Tanzsatz nicht ebenso gut geeignet gewesen?

    So viele kommen nicht in Frage: Von den Standardsätzen der Suite ist die Sarabande zu langsam, die Gigue zu schnell. Die Allemande ist im 4er-Takte und außerdem zu komplex, genauso wie die Courante mit ihrem metrischen Wechselspiel 6/4 – 3/2 für den galanten Stil wohl auch nicht schlicht genug war.

    Gibt es Ideen, warum das Menuett, das ja in der barocken Suite/Partita gar kein Standardsatz war, auf einmal die wichtigste Tanzform und Bestandteil von Sinfonie, Streichquartett usw. geworden ist?

    Das Menuett wurde auf jeden Fall erst zum beliebtesten Tanz, bevor es zum Standardsatz in Sinfonien und Streichquartetten wurde. Haydn hat schon vor 1760 Menuettsammlungen komponiert (und sein ganzes Leben keine Couranten oder Allemanden), aber in den frühen Sinfonien finden sich Menuette nur vereinzelt. Auch für C. P. E. Bach waren die barocken Suitensätze schon zu altmodisch, während er das Menuett lebenslang pflegte.
    Aber so selbstverständlich wie man meint gehörte das Menuett zunächst nicht in die Sinfonie. Johann Adam Hiller kritisierte schon in den 60ern: "Menuetten bey Symphonien kommen uns immer vor, wie Schminkpflästerchen auf dem Angesichte einer Mannsperson; sie geben dem Stück ein stutzerhaftes Ansehen, und verhindern den männlichen Eindruck, den die ununterbrochene Folge drey aufeinander beziehender ernsthafter Sätze allemal macht, und worinnen eine der vornehmsten Schönheiten bestehet." Für Charles Burney war das Menuett in der Sinfonie eine "deutsche Unart".

    Weshalb das Menuett zum "Herz der ganzen Tanzkunst" (Journal des Luxus und der Moden 1797) wurde, das sich "über alle anderen Tänze erhebt" (M. Bacquoy-Guédon 1778) – da müsste man wohl mal einen ausgewiesenen Tänzer fragen. Es passte aber mit seinem Charakter der "mäßigen Lustigkeit" (Mattheson) und seiner klaren, stark kodifizierten Form vortrefflich zum galanten Stil.

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