HIP-Inszenierungen in der Oper

  • In dem Thread "Bach für Tasteninstrumente" entwickelte sich eine kleine Diskussion über HIP- oder Nicht-HIP-Aufführungen von Opern des 17./18. Jhdts. Dieses Thema hat definitiv einen eigenen Thread verdient. Einerseits gibt es (wenn auch noch selten) Rekonstruktionsversuche einer barocken Aufführungspraxis (z.B. Lullys Cadmus et Herminone in Paris, Händels Radamisto in Karlsruhe), andererseits ist es heute aber durchaus üblich, diese Opern sehr modern zu inszenieren (und HIP zu musizieren). Ich hoffe, auf rege Diskussion. (Mela)



    Das ist der stärkste Einwand überhaupt gegen die Auffassung von der "historischen Richtigkeit".


    So langsam frage ich mich, wer hier fanatischer ist. Eigentlich sind es die HIP-Leute. Aber wenn nun ein besonnener Mensch wie Jürgen so was schreibt, komme ich langsam ins Zweifeln.

    Es ist doch ganz einfach: Die HIP-Leute wollen "historisch korrekt" spielen. Da die modernen Leute darauf keinen besonderen Wert legen, folgt daraus zwangsläufig, dass die Interpretationen der HIP-Leute historisch korrekter sind. Das ist ein Naturgesetz. Eine Diskussion über diese Tatsache ist nicht zulässig. Zum Vergleich: Leute, die den Mont Everest besteigen wollen, kommen dem Gipfel näher als solche, denen der Everest völlig gleichgültig ist.

    Die entscheidende Frage: Ist es sinnvoll, den Everest zu besteigen (besteigen zu wollen)? Ist es sinnvoll, eine Haydn-Oper historisch korrekt wiederzugeben?

    Das lässt sich nicht objektiv beantworten.

    Subjektiv: Eine Haydn-Oper quasi per Zeitmaschine ins 21. Jahrhundert zu holen, das fände ich schon mal interessant. Aber dauerhaft? Dann müsste ich auch das Essen des 18. Jahrhunderts gut finden (würg), fette Frauen müssten mir gefallen, gepuderte Männer mit Perücken. Nein, da bevorzuge ich doch das 21. Jahrhundert, auch bzgl. der Aufführungspraxis von Opern.

    Aber: Die HIP-Interpretationen von Instrumentalmusik (Bach wie auch Haydn) gefallen mir sehr gut. Keine Ahnung, ob das an der HIP oder an sonstwas liegt. Vielleicht bin ich unterbewusst von den vielen langweiligen Interpretationen zwischen 1950 und 1990 beeinflusst. Da ich kein Musikwissenschaftler bin, lasse ich das offen. Jedenfalls bin ich froh, dass es die HIP gibt, und kann deren Vertreter nur dazu ermuntern, weiter zu machen.


    Thomas Deck

  • So langsam frage ich mich, wer hier fanatischer ist. Eigentlich sind es die HIP-Leute. Aber wenn nun ein besonnener Mensch wie Jürgen so was schreibt, komme ich langsam ins Zweifeln.


    Lieber Thomas,

    womöglich ist dir meine Aussage in den falschen Hals geraten. Gemeint habe ich nur, dass es *die* historische Richtigkeit nicht gibt, zu jeder Zeit gab es Interpretationsspielräume, mal größer, mal kleiner, aber es gab sie. Auf der anderen Seite gibt es natürlich jede Menge Spielweisen, die historisch nicht korrekt sind. Daraus folgt natürlich zwangsläufig, wie du zu Recht sagst, dass HIP-Interpretationen in der Regel auch historisch korrekter sind als andere.

    Und ich kann nur wiederholen, dass heute in den meisten Fällen die historisch korrekten Spielweisen auch die adäquatesten sind und sich in der durchgängig hohen künstlerischen Qualität von HIP-Einspielungen bemerkbar machen. Vor einigen Jahrzehnten noch mag dies anders gewesen sein, als die Originalklangbewegung eine möglichst "objektive", "antiromantische" Spielweise von Bach und anderen Vertretern der "Alten Musik" propagierten. So weit ich weiß, wussten die meist noch nichts von historischer Aufführungsspraxis und haben einfach nur den nackten Notentext "exekutiert". (Man möge mich korrigieren.)

    Aber: Die HIP-Interpretationen von Instrumentalmusik (Bach wie auch Haydn) gefallen mir sehr gut. Keine Ahnung, ob das an der HIP oder an sonstwas liegt. Vielleicht bin ich unterbewusst von den vielen langweiligen Interpretationen zwischen 1950 und 1990 beeinflusst. Da ich kein Musikwissenschaftler bin, lasse ich das offen. Jedenfalls bin ich froh, dass es die HIP gibt, und kann deren Vertreter nur dazu ermuntern, weiter zu machen.


    Dem kann ich von ganzem Herzen zustimmen! :yes:

    Grüße,
    Jürgen

    --

    "Wo die Beziehung zu unseren heutigen Ohren, Nerven, Erfahrungen und Lebensbedingungen verlorengeht, wird Interpretation zur Flucht in die Vergangenheit."
    Alfred Brendel

    "Music is a fish defrosted with a Hair-Dryer." Maisie


  • womöglich ist dir meine Aussage in den falschen Hals geraten. Gemeint habe ich nur, dass es *die* historische Richtigkeit nicht gibt, zu jeder Zeit gab es Interpretationsspielräume, mal größer, mal kleiner, aber es gab sie.


    Ok, mir fällt gerade ein Gedankenspiel ein, mit dem ich dich besser verstehe:

    Haydn, L'infedeltà delusa, Uraufführung 1773. Die HIP-Leute wollen exakt die Uraufführung nachstellen. Und aufgrund ihres unermüdlichem Forscherdrangs gelingt es ihnen auf perfekte Weise. Nur leider stellt sich heraus, dass viele Details der Uraufführung dem Zufall zu verdanken sind. Inszenierung geklaut von einer anderen Oper 2 Jahre vorher, Ausstattung lustlos zusammengeschustert aus altem Zeug, Haydn war gar nicht dabei, sein Kapellmeister hat den Laden geschmissen, der war war aber nur 2 Monate vor Ort, hatte also mit der Lokalität (Esterháza) nichts am Hut, usw. usw.

    Das Ziel HIP ist also eigentlich verfehlt. Und doch wird diese "Kopie eines falschen Originals" näher am 18. Jahundert sein als alles andere.

    Man darf da den Kopf schütteln, aber eine gewisse Achtung vor der Arbeit solcher Leute halte ich dennoch für angebracht. Selbst wenn ein Alfred Schmidt auf die Schnapsidee kommen sollte, ein Opernhaus zu gründen, in dem ausschließlich Produktionen mit üppigster Ausstattung (pseudo-historisch natürlich) aufgeführt werden, würde mich die damit verbundene Anstrengung beeindrucken. Man müsste sich sowas ansehen, ggf. aber die Leute darauf hinweisen, dass die Ressourcen auch gewinnbringender einzusetzen wären.

    Zurück zu Haydn-Opern: Hier bemerke ich einen gewissen Widerspruch, der von Experten vielleicht aufgeklärt werden kann:
    Die besten Produktionen zeichnen sich dadurch aus: Orchester: HIP. Regie: modern. (Harnoncourt, Jacobs, Spering). Warum gefällt mir diese Kombination am besten? Ist das logisch oder bin ich doch nur ein Kind des Zeitgeistes?


    Thomas Deck

  • Zurück zu Haydn-Opern: Hier bemerke ich einen gewissen Widerspruch, der von Experten vielleicht aufgeklärt werden kann:
    Die besten Produktionen zeichnen sich dadurch aus: Orchester: HIP. Regie: modern. (Harnoncourt, Jacobs, Spering). Warum gefällt mir diese Kombination am besten? Ist das logisch oder bin ich doch nur ein Kind des Zeitgeistes?


    Thomas Deck

    Das ist eine Frage, die mich auch seit einiger Zeit beschäftigt. Genau wie Thomas bevorzuge ich bei älteren Opern (und d.h. mindestens bis Mozart) musikalisch den HIP-Ansatz. Aber bei den Inszenierungen bin ich ein großer Fan des modernen Musiktheaters. So in der Richtung Jacobs-Bieito 8+) .

    Stellt sich die Frage: Warum werden wir (oder jedenfalls viele von uns) durch einen historisierenden musikalischen Ansatz angesprochen, bei Inszenierungen aber nicht? Es scheint so zu sein, dass HIP uns die Musik näher bringt, während es uns das Theater entfremdet.

    Zum Beispiel:

    - eine historisierende Aufführung der ersten Oper von Lully. Sehr schön übrigens. Mir hat auch die Inszenierung Spaß gemacht, aber: Das Stück wird dadurch sehr abstrakt, es wird eine große Distanz hergestellt. Und so schön das auch war: Ich fände es verfehlt, auf diesem Weg weiter zu machen. Vielleicht noch zum Abschluß eine der großen Lully-Opern so inszenieren (Armide oder auch Amadis ;+) ) - aber mehr auch nicht. Ich denke, danach würde sich das tot laufen.

    Und jetzt muß ich weg - später mehr dazu. :wink:


    Michel

    Es gibt kaum etwas Subversiveres als die Oper. Ich bin demütiger Diener gegenüber diesem Material, das voller Pfeffer steckt. Also: Provokation um der Werktreue willen. (Stefan Herheim)

  • Die einzigen "Fanatischen" sind die HIP Gegner, die eine andere Sichtweise als die der eigenen nicht ertragen können.

    Um historische Korrektheit oder um ein "authentisches Hörerlebnis" geht es keinem mir bekannten HIP Ensemble, die wissen sehr genau das man nicht reproduzieren kann, was man nicht erlebt hat.
    Daher ist HIP eine äußert moderne herangehensweise an alte Werke - fast eine Strömung der neuen Musik :whistling:


    Zitat

    Die entscheidende Frage: Ist es sinnvoll, den Everest zu besteigen
    (besteigen zu wollen)? Ist es sinnvoll, eine Haydn-Oper historisch
    korrekt wiederzugeben?

    Warum nicht ?
    Was spricht denn dagegen ?


    Das sei Dir auch gelassen, zum Glück gibt es ja verschiedene Ansätze Oper zu machen.
    Für mich ist nur die Phantasie und Kreativität entscheidend, alles andere ist sekundär.

    Aber:

    Hast Du schon Rezepte des 17. und 18.. jahrhunderts ausprobiert ?
    Ich glaube kaum, sonst kämst Du nicht zu so einem Urteil :shake:

    Im 18. Jahrhundert waren "fette Frauen" auch nicht das Schönheitsideal - die Gemälde und die Mode spricht da eine andere Sprache. Im 17. Jahrhundert sah das ein wenig anders aus, und auch da würde ich die Damen eher als weiblich oder mollig bezeichnen.
    Außerdem waren alle gepudert, da die trockene Toilette im 18. Jahrhundert einfach das Optimum war und es kompliziert gewesen ist sauberes Wasser in den Ballungszentren zu bekommen. (Seife gab es übrigens schon, Louis XIV hatte ein Monopol auf die Seifenherstellung)
    Perücken wurden nur zu festlichen Anlässen getragen, ansonsten trug man den Haarbeutel. Aber das will ich nicht weiter ausführen, aber anscheinend müssen wir hier mal einen Thread zur Mode und Körperpflege des 17. und 18. Jh. aufmachen um gewisse Vorurteile auszuräumen :pfeif:

    Daher erst informieren, bevor man polemisiert :P


    Zitat

    - eine historisierende Aufführung der ersten Oper von Lully. Sehr schön
    übrigens. Mir hat auch die Inszenierung Spaß gemacht, aber: Das Stück
    wird dadurch sehr abstrakt, es wird eine große Distanz hergestellt. Und
    so schön das auch war: Ich fände es verfehlt, auf diesem Weg weiter zu
    machen. Vielleicht noch zum Abschluß eine der großen Lully-Opern so
    inszenieren (Armide oder auch Amadis ;+) ) - aber mehr auch nicht. Ich denke, danach würde sich das tot laufen.

    Das sehe ich anders, die Inszenierung von Cadmus et Hermione ist noch sehr ausbaufähig.
    Und ich denke wenn man da einfach mehr Phantasie mit einfließen läßt hat dieser Ansatz wesentlich mehr Potential.

    Bei Fantasy Filmen funktioniert es ja auch mit völlig absurden Mitteln zu arbeiten.
    Das ist nichts anderes.
    Was hier gefehlt hat, war die Bühnentechnik, der historische Tanz.
    Und mir persönlich waren die Kostüme zu bunt - aber ich sehe das eben erst mal als Experiment das soweit geglückt ist.
    Aber da muss noch mehr passieren.
    Es ist der gleiche Weg wie in der Interpretation der Musik, die ersten Versuche waren faszinierend aber "merkwürdig"

  • Subjektiv: Eine Haydn-Oper quasi per Zeitmaschine ins 21. Jahrhundert zu holen, das fände ich schon mal interessant. Aber dauerhaft? Dann müsste ich auch das Essen des 18. Jahrhunderts gut finden (würg), fette Frauen müssten mir gefallen, gepuderte Männer mit Perücken. Nein, da bevorzuge ich doch das 21. Jahrhundert, auch bzgl. der Aufführungspraxis von Opern.

    Hallo!

    Bevorzugst Du auch musikalisch des 21. Jahrhundert, hörst Du also zB lieber Opern von Rihm, Ligeti oder Lachenmann als solche von Haydn oder Mozart?

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • Manchmal ist das durchschnittliche Opernpublikum merkwürdig:
    Inszenierungen sollen nicht "modern" oder "verfremdet" sein. Man soll sie so machen, "wie es der Komponist gemeint hat", bzw. "wie es im Textbuch steht".
    Bei der Musik wird jedoch HIP in allen Abstufungen abgelehnt. An derm Willen des Komponisten soll man sich hier nicht orientieren.

    Kurzum: Die meisten empfinden schlichtweg das als gut, was sie gewohnt sind.

    Beste Grüße,
    Falstaff

  • Zurück zu Haydn-Opern: Hier bemerke ich einen gewissen Widerspruch, der von Experten vielleicht aufgeklärt werden kann:
    Die besten Produktionen zeichnen sich dadurch aus: Orchester: HIP. Regie: modern. (Harnoncourt, Jacobs, Spering). Warum gefällt mir diese Kombination am besten? Ist das logisch oder bin ich doch nur ein Kind des Zeitgeistes?

    Hallo Thomas,

    meinen letzten Beitrag kann man wie folgtverkürzen:
    das durchschnittliche Publikum will es genau anders herum als Du.

    Falstaff

  • Lieber Falstaff,

    das gilt vielleicht für Opern von Mozart, aber ich denke für Barockopern bis Händel nur eingeschränkt. Wenn man sich die Aufführungen anschaut, werden auch an traditionellen Opernhäusern HIP-Ensemble eingesetzt. Wenn dieses aus budgetären Gründen nicht möglich ist, versucht man immerhin das moderne Orchester durch hinzuziehen einiger HIP-Instrumente und meistens auch HIP-geschulter Dirigenten sich immerhin anzunähern (ich denke z.B. an München, die für ihren Händel-Zyklus Ivor Bolton bevorzugen, oder die Armide letztens in Berlin, die von Junghänel dirigiert wurde.) Derartige Kompromisse werden von der Kritik dann meistens auch leicht bedauert.

    Die Inszenierungen hingegen, sind kompromisslos modern. Insofern scheint mir Thomas Kombination durchaus den heutigen Standard zu spiegeln.

    Ob die beiden historisierenden Inszenierungen, die oben erwähnt werden, diesen Trend brechen können muss sich noch zeigen. Im Moment sind mir keine Projekte bekannt, die auf den Erfahrungen aufbauen wollen und in dieser Richtung weitermachen wollen.

    Viele Grüße,

    Melanie

    With music I know happiness (Kurtág)

  • Die Inszenierungen hingegen, sind kompromisslos modern. Insofern scheint mir Thomas Kombination durchaus den heutigen Standard zu spiegeln.

    Liebe mela,

    du hast natürlich Recht. Thomas' Standpunkt spiegelt den heutigen Standard wieder, was die Aufführungen angeht. Ich bezog mich jedoch auf die Reaktionen des Publikums auf diese Aufführungspraxis, und zwar des Gelegenheits-Publikums. Ich höre schon öfters Fragen, warum denn alle Inszenierungen "modern" sein müssen, mit abfälligem Unterton. Wenn man unter Gelegenheits-Klassikhörern HIP erwähnt, scheinen mir auch abfällige Reaktionen zu überwiegen. Als in München derr Händel-Zyklus begann, ist über Intendant Peter Jonas auch erstmal hergefallen worden (damals war Händel noch nicht in Mode).

    Beste Grüße,
    Falstaff

  • Als in München derr Händel-Zyklus begann, ist über Intendant Peter Jonas auch erstmal hergefallen worden (damals war Händel noch nicht in Mode).


    Hallo Falstaff,


    Und jetzt sind sie über Bachler (Jonas' Nachfolger) hergefallen, der die Händel-Inszenierungen in den Fundus entsorgt hat.

    Generell habe ich aber durchaus den Eindruck, dass sich HIP bei Barock-Musik auch beim Publikum auf breiter Front durchgesetzt hat. Sicher nicht bei jedem (wie man ja auch an dem Forum hier erkennen kann). Ich hoffe, dass ist jetzt keine zu gewagte Behauptung - statistisch belegen kann ich die natürlich nicht :pfeif:

    Viele Grüße,

    Melanie

    With music I know happiness (Kurtág)

  • Um historische Korrektheit oder um ein "authentisches Hörerlebnis" geht es keinem mir bekannten HIP Ensemble, die wissen sehr genau das man nicht reproduzieren kann, was man nicht erlebt hat.
    Daher ist HIP eine äußert moderne herangehensweise an alte Werke - fast eine Strömung der neuen Musik :whistling:

    HIP ist absolut eine Strömung der neuen Musik. Ein großes Wort gelassen ausgesprochen, Monsieur le Duc! :klatsch:

    Und das ist genau der Punkt. Und die Frage, die ich mir selbst auch nicht beantworten kann: Wieso empfinde ich musikalisch HIP als modern und unmittelbar mitreißend (natürlich nur wenn's gut gemacht ist), während ich historisierende Inszenierungen nur als intellektuelles Spiel begreife, das mich aber auf emotionaler Ebene eigentlich kalt lässt?

    Ganz allein von der Wirkung auf mich selbst (und nach einigen Posts auf einige andere) zu urteilen schafft es "musikalisch HIP" die Werke in Gegenwart zu beamen, während historisierenden Inszenierungen doch irgendwo immer auch etwas Akademisches oder Museales anhaftet. Es ist natürlich möglich, dass unser Duc Recht hat und in einigen Jahren auch die Theatermacher ihr HIP-Handwerk so souverän beherrschen wie heute die Musiker, und dass dann lebendiges HIP-Theater oder HIP-Oper existieren wird. Ich kann es zwar nicht begründen, aber ich glaube nicht wirklich daran.

    Viele Grüße
    Michel

    Es gibt kaum etwas Subversiveres als die Oper. Ich bin demütiger Diener gegenüber diesem Material, das voller Pfeffer steckt. Also: Provokation um der Werktreue willen. (Stefan Herheim)

  • Eine ganz naive Frage: Was versteht Ihr unter einer HIP-Inszenierung? Man soll dabei sicher nicht auf elektrische Beleuchtung der Bühne verzichten. Wie sieht es mit sonstigen Lichteffekten aus? Die Kostüme sollten sich am historischen Original orientieren, hier dürfte am ehesten Übereinstimmung herrschen. Bühnenbilder und Personenregie in früheren Jahrhunderten, ist hier der Kenntnisstand groß genug, um Inszenierungen daran orientieren zu können?

    Falstaff

  • Eine ganz naive Frage: Was versteht Ihr unter einer HIP-Inszenierung? Man soll dabei sicher nicht auf elektrische Beleuchtung der Bühne verzichten. Wie sieht es mit sonstigen Lichteffekten aus? Die Kostüme sollten sich am historischen Original orientieren, hier dürfte am ehesten Übereinstimmung herrschen. Bühnenbilder und Personenregie in früheren Jahrhunderten, ist hier der Kenntnisstand groß genug, um Inszenierungen daran orientieren zu können?


    Tendenziell natürlich ohne elektrischen Strom. Oder pragmatischer: Mit Strom, aber soll so aussehen, als ob es keine Elektrizität gäbe. Der Rest auch so original wie möglich.

    Ich glaube im Moment zwar nicht, dass mich sowas dauerhaft reizen würde, aber das wäre jedenfalls HIP.

    Eigentlich ist es logisch, dass so etwas in der Breite keinen Erfolg haben kann. Die Mehrzahl der Menschen lebt gedanklich nun mal in der Gegenwart. Die Frage ist eher, warum uns HIP in der Instrumentalmusik gefällt. Offensichtlich sind wir der Meinung, dass uns die Regisseure des 18. Jahrhunderts nichts mehr zu sagen haben, die Musiker aber schon noch...


    Thomas Deck

  • Lieber Falstaff,

    hier kann der Duc bestimmt ausführlichere Auskunft geben. So weit ich weiss gibt es jede Menge Dokumente zu Bühnenbildern, aber auch zu den kodifizierten Bewegungen, um eine Annäherung zu ermöglichen. Auch Tanzchoreografien sind ab einer bestimmten Zeit überliefert. Natürlich wird man, wie bei der instrumentalen HIP-Bewegung, Annahmen treffen müssen und letztlich auch künstlerische Entscheidungen, die sich nicht an der historischen Praxis belegen lassen.

    Ich will nur ganz schnell auf einen Punkt hinweisen: Die Aufführung von Cadmus et Hermino hat tatsächlich auf der Bühne nur Kerzenlicht verwendet. Ich hatte bereits in einem anderen Thread darauf hingewiesen, dass dies eine seltsam gedämpfte, fast unwirkliche Atmosphäre schafft. Das war ein Aspekt, der sich mir tiefsten eingeprägt hat. Leider, leider haben in Paris die grünen elektrisch beleuchteten Notausgangsschilder den Gesamteindruck negativ beeinflusst. Ich hatte von meinem Platz aus viele davon im Blickfeld. In einer normal hell beleuchteten Opernaufführung fallen sie vermutlich viel weniger auf.

    Meiner Meinung ein gutes Sinnbild, dass wir uns der historischen Wiedergabe höchstens annähern können.

    Viele Grüße,

    Melanie

    With music I know happiness (Kurtág)

  • Eigentlich ist es logisch, dass so etwas in der Breite keinen Erfolg haben kann. Die Mehrzahl der Menschen lebt gedanklich nun mal in der Gegenwart. Die Frage ist eher, warum uns HIP in der Instrumentalmusik gefällt.

    Ganz einfach: Weil gute HIP-Aufführungen immer solche für die Gegenwart sind und sich auch entsprechender Mittel bedienen. Sie finden statt auf der Basis tatsächlicher oder vermeintlicher historischer Vorbilder, sind aber - und können es prinzipiell auch gar nicht sein - keine Kopien vergangener Aufführungen. Eine Interpretation besteht, wenn sie gut ist, ja aus erheblich mehr als der Wahl des Instrumentariums, der Anwendung bestimmter Spieltechniken, Artikulationen etc.. Gerade Alte Musik lässt dem Interpreten einen großen Spielraum, der von guten Musikern natürlich zeitgemäß und nicht historisch ausgefüllt wird. Der "Duc" hat zu Recht geschrieben, dass HIP im Grunde eine moderne Art der Interpretation ist. Sie altert übrigens auch entsprechend, was man z.B. sehr gut hören kann, wenn man ältere HIP-Aufnahmen mit neueren vergleicht. Letztere sind nicht etwa "noch authentischer" sondern eben neuer, zeitgemäßer. Dieser ganze Streit zwischen HIP und nicht-HIP findet folgerichtig unter Musikern eigentlich kaum (mehr?) statt, weil die einen den Anspruch auf historische Korrektheit längst als Hirngespinst erkannt und zu den Akten gelegt haben, und weil die anderen die Ausdrucksmöglichkeiten alter Instrumente und historischer Spielweisen als willkommene Bereicherung sehen und zum Teil auch nutzen. Die Grenzen sind längst bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht, so dass sich heutzutage z.B. kaum ein HIP-Dirigent scheut, ein modernes Orchester mit modernen Instrumenten zu dirigieren. Die Haltung, man müsse etwas genau so und nicht anders machen, weil man es früher auch schon so gemacht habe, ist in ihrer ganzen Spießigkeit ("Das war schon immer so, basta!") und Kunstfeindlichkeit glücklicherweise unter Musikern kaum anzutreffen. In Internet-Foren hoffentlich bald auch nicht mehr :pfeif: .

    Viele Grüße,

    Christian

  • Die einzigen "Fanatischen" sind die HIP Gegner, die eine andere Sichtweise als die der eigenen nicht ertragen können.

    Das bestätigt sich leider immer wieder.

    Zitat

    Um historische Korrektheit oder um ein "authentisches Hörerlebnis" geht es keinem mir bekannten HIP Ensemble, die wissen sehr genau das man nicht reproduzieren kann, was man nicht erlebt hat.

    Schon HIP-Pioniere wie Harnoncourt oder Leonhardt waren sich sehr wohl dessen bewußt, daß es Authenzitität im Sinne von "genauso hat es damals geklungen" nicht geben kann und niemals wird geben können. Leonhardt antwortete in einem Interview auf die Frage, welche Bedeutung er dem Begriff "Authenzität" beimesse: "Keine, in der Musik gibt es sie nicht." Diejenigen, die den HIP-Musikern dennoch dieses Ziel unterstellen, sollten sich

    Zitat

    Daher erst informieren, bevor man polemisiert :P

    :wink: Fugato

  • Zurück zum eigentlichen Thema: Wie sind in diesem Zusammenhang die Aufführungen von Mozart-Opern durch Arnold Östman im Hoftheater von Schloß Drottningholm zu bewerten? Wäre so etwas auch für Haydn-Opern erstrebenswert?

    :wink: Fugato

  • Zurück zum eigentlichen Thema: Wie sind in diesem Zusammenhang die Aufführungen von Mozart-Opern durch Arnold Östman im Hoftheater von Schloß Drottningholm zu bewerten? Wäre so etwas auch für Haydn-Opern erstrebenswert?

    Nach grober Google-Recherche (mir hatte der Name Arnold Östman nichts gesagt):

    Interessant wäre es allemal. Ich befürchte aber, dass bei Haydn der entsprechende Aufwand vom Publikum nicht honoriert wird. Das Publikum hat ja ein gewisses Vorwissen und eine Erwartungshaltung: Bei Mozart kennt es die Musik und viele vorangegangene Inszenierungen. Da kann man durchaus neugierig sein, wie das denn vor 200 Jahren ausgesehen hätte. Bei Haydn gibt es dagegen kaum Vorkenntnisse. Das Publikum ist "nur" neugierig auf die Musik und die Handlung. Wenn die Haydn-Opern zukünftig öfter auf den Spielplan kommen würden, sähe das anders aus. Man würde sich an die Musik und die Handlung gewöhnen und man würde im Laufe der Zeit auch mitbekommen, dass Haydn 30 Jahre lang an einem festen Ort (Esterháza) arbeitete. Man würde sich fragen, wie eine typische Aufführung dieser Zeit ausgesehen hätte.

    Das Konzept von Arnold Östman hat sich aber auch bei Mozart nicht durchgesetzt, oder?

    Übrigens sah ich letztes Jahr in Drottningholm Haydns Il mondo della luna und war nicht allzu begeistert. Die Maßnahmen der Regie beschränkten sich auf diverse mehr oder weniger witzige Details, die zwar spontanes Lachen bzw. Schmunzeln erzeugten, aber keinen nachhaltigen Eindruck hinterließen. Das war allenfalls eine HIP-Inszenierung "light" oder gar "very light", so bringt das nichts. Natürlich war das Publikum zufrieden, wir sind ja in Drottningholm, so ein schönes Theater, etc., aber gerade von Haydn kenne ich wesentlich bessere Inszenierungen (Wien, Berlin, Aix-en-Provence, Regensburg(!), Potsdam), allesamt modern. Was nicht heißt, dass nicht auch eine spannende HIP-Inszenierung möglich wäre. Die Frage ist, mit welchem Aufwand...


    Thomas Deck

    PS: Grundsatzdiskussionen zum Thema "HIP" und auch zum Thema "Regietheater" würden idealerweise in einem anderen Thread stattfinden. ;+)

  • ich finde man sollte ein gesundes Mittelmaß finden und einfach ohne Dogmatischen Ansatz heran gehen.

    so schön die musikalische Interpretation der Oper auch ist durch Savall und so wunderschön die gemalten Kulissen sind, so stinklangweilig und uninteressant ist die Regie, die das Ansehen dieser Oper zum Schlafmittel macht: Konzept - singende Statuen:


    das hat mit einer historischen, also stilechten Inszenierung gar nichts zu tun, das ist eben "Staubi Theater"

    Hier hat man die Handlung ins antike Griechenland bzw- Arkadien verlegt.
    Die Sänger haben keine barocken Theaterkostüme an sondern stehen in ihrer Toga auf der Bühne (...)
    Nee, also sowas gefällt mir gar nicht.


    dagegen sollte man sich mal diese 2 Barockopern ansehen:

    &


    das sprüht vor Witz und Phantasie - so muss für mich Oper sein, das ist moderner Barock!
    Keine langweiligen Kostüme, keine abstrakten Bewegungen (ich hasse es wenn Sänger grundlos in Straßenkleidung am Boden rumkriechen)

    Gegen solche Inszenierungen haben momentan weder Regietheater noch konsequente Historisierung eine Chance, der Staubi Ansatz der 50er, 60er Jahre erst recht nicht.

    Aber dieser Ansatz, das wird der Weg sein.
    Bei Rameau hätte ich mir z.B. mehr historische Choreographie gewünscht, aber ansonsten ist das bisher die beste Operninszenierung die ich bisher gesehen habe - Live muss das gigantisch gewesen sein.

    Aber in Deutschland wird man von so einem Esprit wohl nur träumen dürfen.....


    die Östmann Produktionen sind ebenfalls nur scheinbar historisierend.
    Es gibt weder historischen Tanz, noch stimmt die Gestik.
    Das mutet nur entsprechend an, hat aber mit der Personenregie des 18. jahrhunderts nur oberflächlich etwas zu tun.
    (musikalisch ist Östmann ohnehin nicht mein Fall, der ist mit der Oper fertig bevor man bequem sitzt :shake: )

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