Was ist schön im 20. Jh.?
Diese Grundsatzdiskussion wurde ausgegliedert aus Helmut Lachenmann - Rattern, Kratzen, Schaben, Quietschen, Hauchen - Musik!! - Areios.
Ja, Amfortas, rätselhaft sind Schumanns Liederkreis op. 39 oder dessen Es-Dur Klavierquintett ganz gewiss, dazu aber auch s c h ö n!
...und dabei kommts drauf an, wie mit dem Begriff Schönheit - und was alles so darunter fällt - operiert wird (wurde bereits mal im Musik-oder-kakophonie-thread erörtert). Deine Wertschätzung eben auch der Mucke Alban Bergs und B.A. Zimmermanns bildet doch klaren Hinweis, dass Schönheit sich nicht auf unveränderliche Kriterien oder Stile festnageln lässt, sondern prozessual sich entfaltet.
Zu Verdeutlichung dazu zwei - mir ganz besonders nahe - Beispiele aus Schumanns Liederkreis
„http://www.youtube.com/watch?v=G2yvo3VoAGQ“
„http://www.youtube.com/watch?v=Q-rTDYSdrFs“
wenn ich hierzu posten würde, dass ich beide Lieder ausschließlich des Wohlklangs der Gesangslinie wegen als schön erlebe, dann würdest du mit Recht einwenden, dass mit dieser einseitigen Haltung man dem Liederkreis nicht gerecht werden würde, sondern diesen auf bloß gefällig-galantes Reinziehn verkleinerte und zudem noch der Klavierpart unterm Tisch fiele ...
Nun ein Beispiel aus Bergs Wozzeck:
„http://www.youtube.com/watch?v=FUTFQuOezpk“
1:16:05
nachdem Wozzeck Marie abgestochen hat, kommen vom Orchester wieder diese Quinten rüber und dann als ungeheuerliches Zwischenspiel und auch quasi als Kommentar ein beklemmendes Crescendo vom H bekräftigt durch unbarmherzige Trommelschläge, nach dem 2. Crescendo plötzlich ein voll krasser Film-Cut zur Kneipe.. der gesamte Wozzeck besteht für mich durchgängig (also in jedem kleinsten Augenblick) aus sog. „schönen“ Stellen, gilt eigentlich für alle geile Mucke.
Also will sagen, die Wozzeck-Mucke ist doch auch schön, aber Schönheit kommt da in anderer Gestalt/Form/Ausdruck rüber als in Schumanns op. 39.................
Manche zeitgenössische Komponisten legen durchaus auch Wert auf gesangliche und lyrische Elemente, wie z.B. im fetzigen Cellokonzert vom späten Dallapiccola:
„http://www.youtube.com/watch?v=_hFj0B4jip4“
Megageil also „schön“ bei Dallapiccola das Cello im Zusammenspiel mit Orchester ...
Oder Bernd Alois Zimmermanns Solokantate ‘Omnia Tempus Habent”
“http://www.youtube.com/watch?v=6y5kUbVufAs”
Kantatentext aus der Vulgata:
“http://www.bibelwissenschaft.de/online-bibeln/biblia-sacra-vulgata/lesen-im-bibeltext/bibel/text/lesen/stelle/21/30001/39999/ch/f182a2e60a496952f249dc6eef928161/”
Übersetzung:
“http://www.die-bibel.de/online-bibeln/luther-bibel-1984/bibeltext/bibelstelle/pred3,14/”
ich halte Bazis Solokantate für sperriger als Lachenmann. Jedoch die ausdrucksvolle Behandlung der Singstimme innerhalb strenger Gefugtheit dieser Bazi-Mucke könnte für dich nachvollziehbar sein; und damit die Kantate in ihrer Strenge. Strenge bildet beim Reinziehen großen Reiz und ist damit auch Bestandteil von Schönheit.
Oder der höchst expressive Sopran-Part - gleichsam mit offenen Visier - in Nonos ‘Como una ola de fuerza y luz’ (für Orchester, Klavier, Tonband und Sopran):
“http://www.youtube.com/watch?v=BY4iCqLYMWU”
ab 2:30
und ab 6:33 der mitreißende Einsatz des Klaviers...
Text (und Erläuterungen): „http://www.toddtarantino.com/hum/nono.html“
Dallapiccolas oder Nonos Mucke wäre dir vermutlich näher, als Lachenmanns „Geräuschpissereien“ (Zitat Edwin), weil beide Italiener auch Wert auf sanglichen, lyrischen Ausdruck legen ...
Ich erlebe allerdings Lachenmanns Geräuschpissereien auch als schön....
Die ebenfalls auch höchst anschauliche/unterhaltsame Metapher von Berndt (Arundo Donax) zur Lachenmann-Mucke ist mir leider nicht mehr komplett auf Schirm...
Nicht, dass ich im 19. Jahrhundert hätte leben wollen, mit der Musik jener Epoche allerdings schon.
Ich will beides...Gegenwart und sog. Tradition ...