Papst Benedikt XVI. und die Musik

  • Zitat

    Die Schönheit dieser Musik stamme aus der Begegnung mit der Wahrheit und könne als «Wahrheitsbeweis des Christentums» gedeutet werden.

    diese Behauptung ist problematisch (falls es überhaupt ein genaues Zitat ist), denn sie läuft darauf hinaus, Mucke in der Weise dienstbar zu machen, dass sie quasi als "ästhetischer" Gottesbeweis funzen soll, auch wenn bloß von "Deutung" die Rede ist.
    Es drängt sich viel eher die Vermutung auf, dass der Theologie ihre eigenen Inhalte zunehmend sich verflüchtigen/verdünnisieren, so daß sie wie Graf Dracula z.B. sich der abendländischer Mucke bedient, davon quasi frisches "Blut" aufsaugt, um zu versuchen, sich damit wieder aufzumöbeln.....

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann


  • Ist ja schon ein bisschen drollig, dass ein ehemaliges Oberhaupt der katholischen Kirche einem protestantischen Komponisten zuzutrauen scheint, die Wahrheit des Christentums auszudrücken. Womöglich konvertiert Ratzinger noch.

    Nur weil etwas viel Arbeit war und Schweiß gekostet hat, ist es nicht besser oder wichtiger als etwas, das Spaß gemacht hat. (Helge Schneider)


  • Ist ja schon ein bisschen drollig, dass ein ehemaliges Oberhaupt der katholischen Kirche einem protestantischen Komponisten zuzutrauen scheint, die Wahrheit des Christentums auszudrücken. Womöglich konvertiert Ratzinger noch.

    Konvertieren wird er bestimmt nicht. Eigentümlich sind aber seine Reden. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern (insbesondere Johannes Paul II) stellt er nicht Maria in den Vordergrund, sondern Jesus Christus. In jeder Hinsicht auch erkenntlich in seiner dreiteiligen Buchveröffentlichung (noch als Papst) "Jesus von Nazareth". Unter Katholiken scheint er mir aufgrund dieser Tatsache gerade in Deutschland (außer Bayern ;+) ) nicht der beliebteste Papst gewesen zu sein. Die wissenschaftliche Aufarbeitung in dem Werk "Jesus von Nazareth" bei Ratzinger und die musikalische Aufbereitung fast immer zum gleichen Thema in den Kantaten und den Passionen bei Bach, können den Ex-Papst nur zu einem Bach-Freund gemacht haben - wenn er ist nicht schon immer war.


    Gruß
    Josquin

  • Zitat


    Es drängt sich viel eher die Vermutung auf, dass der Theologie ihre eigenen Inhalte zunehmend sich verflüchtigen/verdünnisieren, so daß sie wie Graf Dracula z.B. sich der abendländischer Mucke bedient, davon quasi frisches "Blut" aufsaugt, um zu versuchen, sich damit wieder aufzumöbeln.....


    Glauben und Musik hatten lange eine symbiothische Beziehung. Der Gottesdienst brauchte Musik, und die Gottesverehrung gab Anlass zur Komposition und Ausführung von gottzugewandter Musik. Die Kirche hat heute seine zentrale Wirkung auf die Musik verloren. Ratzinger beklagt das. Die Musik hat aber andererseits auch ihren früheren zentralen Bezugspunkt verloren. Was für Motetten würde ein säkularisierter Bach heute komponieren?

    Hudebux


  • Glauben und Musik hatten lange eine symbiothische Beziehung. Der Gottesdienst brauchte Musik, und die Gottesverehrung gab Anlass zur Komposition und Ausführung von gottzugewandter Musik. Die Kirche hat heute seine zentrale Wirkung auf die Musik verloren. Ratzinger beklagt das. Die Musik hat aber andererseits auch ihren früheren zentralen Bezugspunkt verloren. Was für Motetten würde ein säkularisierter Bach heute komponieren?

    Hudebux


    Wieso? Es wird doch massenhaft Sakralmusik geschrieben. Pärt, Vasks, Penderecki, etc...Möglich, dass das Herrn Ratzinger nicht gefällt, aber er ist ja - nicht mehr - das Maß aller Dinge.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Im Gegensatz zu seinen Vorgängern (insbesondere Johannes Paul II) stellt er nicht Maria in den Vordergrund, sondern Jesus Christus. In jeder Hinsicht auch erkenntlich in seiner dreiteiligen Buchveröffentlichung (noch als Papst) "Jesus von Nazareth". Unter Katholiken scheint er mir aufgrund dieser Tatsache gerade in Deutschland (außer Bayern ) nicht der beliebteste Papst gewesen zu sein


    Der jetzige Papst ist mW Jesuit. Daran kann es also nicht liegen. Es ist schon eher die Persönlichkeitsstruktur.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Ich meine die Tendenz. Natürlich ist die sakrale Welt nicht völlig verschwunden, und es gibt auch neue sakrale Musik. Aber Religion und Glaube stehen doch längst nicht mehr so im Zentrum wie in den vergangenen Jahrhunderten.
    Hudebux


  • Zitat von »Josquin«
    Im Gegensatz zu seinen Vorgängern (insbesondere Johannes Paul II) stellt er nicht Maria in den Vordergrund, sondern Jesus Christus. In jeder Hinsicht auch erkenntlich in seiner dreiteiligen Buchveröffentlichung (noch als Papst) "Jesus von Nazareth". Unter Katholiken scheint er mir aufgrund dieser Tatsache gerade in Deutschland (außer Bayern ) nicht der beliebteste Papst gewesen zu sein
    Der jetzige Papst ist mW Jesuit. Daran kann es also nicht liegen. Es ist schon eher die Persönlichkeitsstruktur.

    Genau das ist damit gemeint. Ratzinger kann sich mit der Musik Bachs und den darin liegenden barocken Texten identifizieren - man vergleiche die zitierten Bücher - da gibt es schon entsprechende Parallelen, was Verinnerlichung angeht.

  • Ratzinger schätzt aber interessanterweise Musik aus einer Zeit, in der diese Tendenz schon sehr stark ausgeprägt war. Schon im 18. Jhd machte die Sakralmusik nur noch einen kleinen Teil der Produktion aus - siehe Haydn oder Mozart. Händel schrieb bereits fast alles an religiös inspirierter Musik für den Konzertsaal. Konsequenterweise müsste Schütz Ratzingers Idol sein.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Nicht Masse sondern Qualität, bzw. Wesensverwandtschaft. Mit Mystik und leichter Esoterik à la Messiaen kann Ratzinger wenig anfangen. Und was soll die nachahmenden Simplifizierung eines Pärt? Da hört man doch lieber gleich das Original

  • Aber Ratzinger führt doch nicht nur Bach an, sondern auch Mozart, Haydn und Bruckner. Mich stört ja gar nicht seine Begeisterung für Bach, welche ich absolut teile, sondern, dass er seinen Geschmack absolut setzt. Musik darf nicht zu "flach" aber auch nicht zu "ausgetüftelt" sein, und wie durch ein Wunder befindet sich sein eigener Geschmack haargenau im "Optimalbereich". Das ist für mich Taminoismus, wobei man Ratzinger zugute halten muss, dass für ihn Bach im Optimalbereich liegt, während andere eher für Pleyel oder Raff votieren.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Ich fühlte mich nach Lektüre dieses Artikels in meiner Vermutung bestätigt, dass Herr Ratzinger eher konservativ gesinnt ist.


    "konservativ" auch im Verhältnis zu den Traditionen der kath. Kirche?
    War es da nicht eher die Aufgabe der Musik, einen "würdigen Schmuck" für die Texte abzugeben, in denen die Wahrheit lag?
    Daß auch die "Musik selbst" ein Ausdruck von Wahrheit sein kann, ist das nicht eher 19. Jahrhundert?
    Der verlinkte Text scheint es mir allerdings etwas in der Schwebe zu halten, ob und wie Ratzinger sich da positioniert.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).


  • "konservativ" auch im Verhältnis zu den Traditionen der kath. Kirche?
    War es da nicht eher die Aufgabe der Musik, einen "würdigen Schmuck" für die Texte abzugeben, in denen die Wahrheit lag?
    Daß auch die "Musik selbst" ein Ausdruck von Wahrheit sein kann, ist das nicht eher 19. Jahrhundert?
    Der verlinkte Text scheint es mir allerdings etwas in der Schwebe zu halten, ob und wie Ratzinger sich da positioniert.


    Ich habe mich nur zu seinen geschmacklichen Aussagen geäußert. Aber es ist aus dem Text ersichtlich, dass er eine präkonzilische Sicht auf das Musikmachen in der Kirche hat. Das kann man getrost als konservativ bezeichnen.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • ich mag Ratzinger, den " mozart der theologie", sehr und freue mich über jedes produktive Lebenszeichen von ihm.
    der artikel in der nzz ist freilich kein original ratzinger sondern die eingedampfte kurzberichtfassung einer sicherlich gewitzten und umfangreichen rede.
    man wird sie bei gelegenheit sicher im original lesen können.
    und das lohnt bei B XVI eigentlich immer. bei hochvergeistigten , dichten, komplexen texten wie auch bei den texten für das breite publikum.
    man lese auf vatican.va die entsprechende enzykliken oder reden (im bundstag, in der uni regensburg, auschwitz, uno, die kreuzwegandacht am kolosseum, in der vom unrat in der kirche die rede ist, .... ) lest ihn im original, zum thema musik auch den band "der geist der liturgie" und "das fest des glaubens, johannes-verlag 1993), liest sich allemal besser als das gedöhns von küng.

    Ins Gebüsch verliert sich sein Pfad, hinter ihm schlagen die Sträuche zusammen.

  • Daß auch die "Musik selbst" ein Ausdruck von Wahrheit sein kann, ist das nicht eher 19. Jahrhundert?

    Na ja, dieser Idee hing in gewisser Weise schon Beethoven an...

    Glauben und Musik hatten lange eine symbiothische Beziehung. Der Gottesdienst brauchte Musik, und die Gottesverehrung gab Anlass zur Komposition und Ausführung von gottzugewandter Musik.

    Ich habe den Eindruck, dass z.B. Bachsche Passions Mucke durch ihre Eigenwirkung die Tendenz hat liturgischen Rahmen zu sprengen.

    Die Kirche hat heute seine zentrale Wirkung auf die Musik verloren. Ratzinger beklagt das. Die Musik hat aber andererseits auch ihren früheren zentralen Bezugspunkt verloren.

    Warum sucht Ratzinger das ausgerechnet in der Kunst; Kunst, die dem Schein eng verschwistert ist, und es ist auch keinesfalls ausgemacht, ob sie überhaupt in sich so was wie einen unkorrumpierbaren Wahrheitskern trägt.
    Wahrheit sollte doch – nach seinem eigenen christlichen Verständnis - eigentlich in den Überlieferungen der Evangelien (und den Paulus-Briefen) ausreichend plausibel verankert sein. Außerdem ist die Formulierung «Wahrheitsbeweis des Christentums» gedeutet schief: ein Beweis muss doch nicht gedeutet werden, sonst wäre er kein Beweis.

    Was für Motetten würde ein säkularisierter Bach heute komponieren?

    Ob gänzlich säkularisiert, Null-Schimmer. Tja was würde Bach an „geistlicher“ Mucke heute komponieren ?
    Ist natürlich bloßes Spekulieren.
    Ich könnte mir vorstellen/einbilden, dass die bereits enthaltenen Spannungen seiner Passionen oder seiner H-Moll-Messe heutzutage in seiner Mucke auf das höchste verstärkt wären... vielleicht wäre es Mucke der Tendenz nach, wie B.A.. Zimmermanns Ekklesiastische Aktion oder Requiem für einen jungen Dichter (bei Bach möglicherweise mit größeren orchestralem Anteil, weniger Lingual) oder Nonos „Il canto sospeso“ (das ist allerdings säkularisiert)....

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

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