Festival "Jazz à Vienne" 2009
Das Festival "Jazz à Vienne" existiert seit 1981, als es von einer Gruppe ortsansässiger Jazz-Enthusiasten ins Leben gerufen wurde. Bis heute ist der Verein "Vienne Action Culturelle" (VAC) Betreiber des Festivals. Dieser organisiert seit 1975 Kulturveranstaltungen aller Art im wunderschönen, winzigen Stadttheater von Vienne sowie im antiken römischen Theater. 1980 wurde auf Anregung von Jean-Paul Boutellier, dem Präsidenten des Jazz Club im nahen Lyon, im Théâtre antique eine "Nuît du Blues" mit Muddy Waters, Fats Domino und B.B. King veranstaltet, zu der gleich 5000 Besucher erschienen. Das ermutigte die VAC, im Folgejahr erstmals ein Jazz-Festival in dieser prachtvollen Kulisse zu veranstalten; zu fünf Konzerten erschienen im ersten Jahr bereits 15000 Besucher. Schon damals gab es gleich einige große Namen: Count Basie, Art Pepper, Lionel Hampton und Herbie Hancock waren dabei. Inzwischen findet "Jazz à Vienne" jährlich für ca. 14 Tage etwa Anfang Juli statt; Hauptveranstaltungsort ist das antike römische Theater der Stadt.
Mir ist das Festival zwar seit etwa 10 Jahren bekannt, als ein Freund ins Département Isère zog und es für sich entdeckte, aber erst in diesem Jahr habe ich es endlich geschafft hinzufahren; es wird sicher nicht das letzte Mal gewesen sein! Die einzigartige Kulisse der alten Theaterruine [Blockierte Grafik: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Vienne-cavea-du-haut.jpg&filetimestamp=20080830121725], das eher gemütliche ("douillet et familial") Flair des Festivals (pique-nique!), das für solche Veranstaltungen ungewöhnlich gesittete (und zu offenbar erheblichen Teilen fachkundige) Publikum und die überaus angenehme Athmosphäre in der ganzen Altstadt von Vienne tragen dazu in hohem Maße bei. Schön auch, Abend für Abend einen musikalisch bestens untermalten Bilderbuchsonnenuntergang über den Hügeln an der Rhône erleben zu können . Das musikalische Programm ist breitgefächert, aber durchaus vom feinsten. Ganz im Gegensatz dazu übrigens die vergleichsweise niedrigen Preise: schon die 36 € pro Abend (Vorverkauf: 32 €) sind günstig; im frühen Vorverkauf gibt es das 7er-Abonnement mit freier Konzertwahl und Platzgarantie für alle Konzerte zu 115 €. Dafür gibt es allabendlich ein Doppelkonzert, an Samstagen sogar drei Konzerte und in der Abschlußnacht sechs - für die, die lange genug aushalten: in diesem Jahr spielte Archie Shepp seine letzten Töne um sechs Uhr morgens...
Neben den Hauptkonzerten im Théâtre antique gibt es noch (kostenlose) Nachtkonzerte an zwei Stellen der Stadt, im Stadttheater und in einem Zelt am Rhôneufer, wo weniger bekannte Musiker spielen, aber die insgesamt wohl interessantesten Konzerte zu hören sind. Außerdem am Nachmittag Konzerte von Nachwuchsgruppen; das reicht von der örtlichen Musikschule über amerikanische College-Bands bis zu semiprofessionellen Nachwuchsmusikern, überwiegend aus Frankreich, wie den Preisträgern des Nachwuchswettbewerbs "RéZZo". Schon hier ist ein beachtliches Niveau zu hören!
Aufgefallen ist mir, daß insbesondere unter den jüngeren und jüngsten Musikern endlich auch in nennenswertem Umfang Frauen und Mädchen Jazz machen (und nicht nur singenderweise), auch an bisher für sie eher ungewöhnlichen Instrumenten. So hatte die aus 13-14 Jährigen bestehende "College Groove Gang" des Vienner Conservatoire eine (schon ziemlich versierte, vor allem aber stilsichere) Schlagzeugerin, die ebenfalls ortsansässige Big Band hatte einige Bläserinnen (und nebenbei mit Robinson Khoury einen unglaublich virtuosen 18jährigen Posaunisten), eine der amerikanischen High School Bands präsentierte im Wechsel u.a. zwei Kontrabassistinnen und eine Schlagzeugerin. Zu einer anderen Schlagzeugerin später mehr! Das mit einem ungewöhnlichen und sehr interessanten musikalischen Konzept angetretene "Orioxy-Quartett" aus Paris brachte die klassische Rhythmusgrundlage des Jazz (Bassist und Schlagzeuger) mit einer Harfenistin und einer experimentierfreudigen Sängerin zusammen. Weit überwiegend bleibt der Jazz aber offenbar noch eine Männerdomäne.
2009 stand das Festival unter dem Motto "Métissages", was ich mit "Mischformen" oder "Vermischungen" übersetzen würde (Frankophone vor, bitte!), was sich u.a. auf die recht große Spannweite des Programms beziehen ließe, das vom im Freejazz wurzelnden Sun Ra Akestra bis zur Pop-Ikone Seal reichte. Daneben selbstverständlich die "Nuît du Blues" sowie die inzwischen traditionelle "Nuît brésilienne". Ein wenig war auch die sog. Klassik vertreten: Barbara Hendricks sang den Blues. Einige Künstler haben aber offenbar das Motto auf ihre Konzerte übertragen und in ihrem Programm vieles miteinander vermischt. Das war insbesondere bei Martial Solal und Roy Hargrove der Fall, die beide einen Abend für sich alleine hatten (dazu später mehr); auch Wynton Marsalis hat, wie mir berichtet wurde, ein extrem weit gefächertes Programm gespielt.
Im weiteren ein Überblick über die Konzerte der Woche, in der ich in Vienne war.