Probleme mit der Orgel als Instrument

  • Beim Mikrophonieren muß man sich halt entscheiden, ob man die Orgel präzise mit wenig Raum oder den Raum mit diffuser Orgel einfangen will. Eine schwierige Gratwanderung. Es kommt aber auch auf die Orgel, die Komposition und die Interpretation an. Wenn man Widor mit sinfonischer Mächtigkeit haben will, wäre mehr Raum sinnvoll; bei Renaissanceorgeln sollte man näher am Instrument stehen.

    Letztendlich ist es auch eine ästhetische Entscheidung. Deshalb würde ich nie von Aufnahmen mit Orgel abraten - man muß sie halt individuell bewerten.


    jd :wink1:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • @'Josquin Dufay
    Genau das ist das Problem, lieber Josquin! Ich will ja nicht abraten vom Erwerb von Orgel-CDs oder was auch immer für Aufnahmen. Es ist für meine, ich wiederhole: MEINE Auffassung schwierig, die Wirkung von Orgelmusik angemessen auf Tonträger zu übertragen. Es ist eben ein Unterschied, ob eine Frequenz von, sagen wir mal 30 Hz von der Kopfhörermembran ans Ohr gelangt, oder ob die Welle im Raum steht und dort vom Ohr aufgenommen wird, die Wellenlänge liegt ja über 10m, das google ich noch aus!
    Nochmal Grüsse,
    Der Eisbär

  • Es ist für meine, ich wiederhole: MEINE Auffassung schwierig, die Wirkung von Orgelmusik angemessen auf Tonträger zu übertragen.

    Das habe ich auch so verstanden, lieber Eisbär. Man muß bei Aufnahmen ohnehin immer mit einer "Übertragung" rechnen, weil die Mikros und die anschließende Abmischung eine eigene Ästhetik erhalten, die der Wirklichkeit in etwa entsprechen kann, sie aber nie genau trifft. Ist bei einem Symphonieorchester aber nicht anders.

    Und in einer Kirche ändert sich der Klangeindruck ebenso - je nachdem, wo man sich hingesetzt hat.


    jd :wink1:

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  • Meine Theorie:

    Bei der Orgel kann man die Töne nur an- oder ausschalten. Es gibt zwar tausende davon, und man kann sie (fast) beliebig kombinieren. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass es sich um ein grundlegend anderes Hörerlebnis handelt im Vergleich zu anderen Instrumenten.

    Anders ausgedrückt: Bei einem normalen Instrument klingt ein Ton an und wieder ab (z.B. Cembalo, Triangel, Pauke), oft wird der Tonverlauf auch noch zusätzlich manipuliert (Blasinstrumente, Violine, Klavier, etc.).

    Bei der Orgel entsteht eine Art Collage, bestehend aus vielen "unveränderlichen" Einzeltönen. Ob man das nun live in einer Kirche oder zuhause von CD aus hört, ändert nichts am Grundprinzip.

    Das heißt natürlich nicht, dass Orgelmusik "schlechter" ist. Sie ist nur anders.

    Ich selbst habe mehrere hundert CDs. Davon 2 mit Orgelmusik. Passt.


    Thomas

  • Bei der Orgel entsteht eine Art Collage, bestehend aus vielen "unveränderlichen" Einzeltönen. Ob man das nun live in einer Kirche oder zuhause von CD aus hört, ändert nichts am Grundprinzip.

    Ganz platt gesagt - man drückt auf eine Taste und der Ton steht, ohne dass man die Möglichkeit hat, zu modulieren. Das ist sicher eine zentrale Kategorie dieses Instruments.

  • oft wird der Tonverlauf auch noch zusätzlich manipuliert (Blasinstrumente, Violine, Klavier, etc.).

    Wie genau funktioniert das eigentlich beim Klavier? Deckel zu, während der Ton klingt, oder Klavierflageoletteffekte? Zum Beispiel im langsamen Satz einer Mozart-Sonate.

    Ganz platt gesagt - man drückt auf eine Taste und der Ton steht, ohne dass man die Möglichkeit hat, zu modulieren.

    Hmmmm ... wenn die zu der Taste gehörenden Pfeifen in einem Schwellkasten stehen, kann man bspw. bei geschlossenem Schweller beginnen und dann langsam die Jalousien öffnen. Das Ergebnis ist ein ausgehaltener Ton mit Crescendo.

    Bitte mal einen Pianisten, das nachzuspielen ... ;)

    Gruß
    MB

    :wink1:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Bei der Orgel kann man die Töne nur an- oder ausschalten.

    macht es bei Orgeln mit mechanischer Traktur nicht doch einen Unterschied, ob das Ventil schnell oder langsam geöffnet/geschlossen wird?
    Das wäre immerhin eine bemerkenswerte Möglichkeit, auch wenn man "zwischendurch" nichts machen kann (abgesehen vom Schweller).

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Bei der Orgel entsteht eine Art Collage, bestehend aus vielen "unveränderlichen" Einzeltönen.

    Wäre beim Cembalo kaum anders, auch wenn die Tonstückerl dort abklingen, während sie bei der Orgel stehenbleiben.

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    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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  • Angesichts der definitiv anderen Klangintensitätsverläufe bei Cembalo und Orgel ist es doch bemerkenswert, wie lange eine Art Gemeinschaftsliteratur für beide Instrumententypen existierte. Auf die Schnelle habe ich nur zwei Beispiele gefunden:

    die 1716 veröffentlichten "Sonate d'intavolatura per Organo e Cimbalo" von Domenico Zipoli,

    die 1773 oder 1784 veröffentlichten "Sechs Sonaten für Cembalo und Orgel" von Franz Xaver Schnizer.

    Das alleine ist sicher noch kein Freibrief für den modernen Steinway, zeigt aber zumindest, dass die Komponisten seinerzeit vielleicht nicht ganz so dogmatisch dachten und etwa an genau einen Klang gedacht hätten oder ihre Stücke genau auf die Angebote und Begrenzungen eines einzigen Instrumententyps hin entworfen hätten. Zumindest nicht immer.

    Gruß
    MB

    :wink1:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Angesichts der definitiv anderen Klangintensitätsverläufe bei Cembalo und Orgel ist es doch bemerkenswert, wie lange eine Art Gemeinschaftsliteratur für beide Instrumententypen existierte

    Das ist sicher noch kein Freibrief für den modernen Steinway, zeigt aber, dass die Komponisten seinerzeit vielleicht nicht ganz so dogmatisch dachten und etwa an genau einen Klang dachten oder ihre Stücke genau auf die Angebote und Begrenzungen eines einzigen Instrumententyps hin entworfen haben.

    ... oder der scheinbar bedeutende Unterschied ist, jedenfalls bei bestimmten Kompositionsstilen, weniger gravierend als man denken sollte.

    ich habe mal eine Diskussion in einer Musikhochschule mitbekommen können, da ging es darum, ob Orgelstudierende als Zweitinstrument auch Cembalo anstelle von Klavier wählen können sollten. Der Orgelprofessor wandte sich dagegen, Orgel und Cembalo seien zu eng verwandt, nur das Klavier erlaube hinreichend unterschliedliche musikalische Erfahrung.

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


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  • Ich muss zugeben, mit Orgelmusik auf CD auch meine Probleme zu haben, allerdings nur bei Orgeln, die Register voll ausnutzen und "majestätisch" klingen. Die akustisch bescheidenere Orgelmusik der ausgehenden Renaissance und des frühen Barock macht mir auch auf Konserve keine Probleme. Ich vermute, dass hier die Qualität der Anlage eine besonders grosse Rolle spielt (meine ist eben nicht gerade top-notch). In der Kirche klingt Orgelmusik natürlich auch für mich wunderbar.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Wenn eine französische Orgel des 19. Jahrhunderts sich durchs Tutti frißt, dann ist die Klangbalance einer Aufnahme besonders gefährdet, allein schon durch den Hall, der Vieles zu verwischen droht. Da die Wirkung der Orgel auch durch den Raum bedingt wird, wäre eine entferntere Abnahme mittels Mikrophon zwar schön, aber die Aufzeichnung gerät viel schneller an die Grenze des "Verständlichen", wenn ich es mal so nenne.

    Eine analytische Anlage könnte aus dem Signal was herausholen, aber nur im begrenzten Rahmen. Ist die Aufnahme per se ziemlich hallig, lassen sich feine Details dadurch nicht unbedingt deutlich besser erfassen. Unser Ohr könnte das an der entsprechenden Position des Mikros in der Kirche, aber die Aufnahme hat eben auch gewisse physikalische Beschränkungen mittels des Mikros, der Schaltungen in der Signalverarbeitung usw.

    Ein wichtiger Punkt: die Orgel wird in (klangliche) Szene gesetzt. Das setzt manchmal besondere Positionen der Mikros voraus. Und die stimmen sehr häufig nicht mit den Sitzpositionen der Hörer überein.


    jd :wink1:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

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  • Ich habe auch mit Orgelmusik des 19. und 20. Jahrhunderts keine Probleme beim Hören von der Konserve.

    Oder sagen wir es so: Die Probleme sind nicht grundsätzlich anders als bei der Wiedergabe großbesetzter Orchesterwerke. Die zugehörigen Räume sind ebenfalls größer als unser Wohnzimmer ... Gurrelieder oder Mahler 8 gehen trotzdem irgendwie. - Klar: Bei Orgelmusik hört es jeder, dass es etwas anderes ist, bei Orchester hört man sich vielleicht schneller ein oder ist es einfach gewohnt.

    Der Geist ist aber größer als die materiellen Beschränkungen. Im 19. Jhd. haben sie Sinfonien vierhändig am Klavier gespielt und auch etwas vom Werk verstanden und etwas erlebt. Ich würde mich nicht so an die äußere Hülle klammern.

    Die Ästhetik des Konzertes und die der Konserve ist halt eine andere.

    Und ob eine Bombarde 32' so richtig durchkommt, hängt halt auch von den Boxen ab. Für den Höreindruck reicht es meist, wenn der Frequenzgang ab dem ersten Oberton richtig rüberkommt, also ab ca. 32 Hz. Das schaffen viele Boxen, sofern es keine Regalboxen sind. Dass der Grundton dann etwas beschnitten wird - geschenkt. Passt schon.

    Die meisten Orgel-CDs sind ohnehin im Frequenzgang beschnitten, weil sie sonst ungeeignete Boxen zerlegen könnten.

    Bei dieser wunderbaren Doppel-CD mit den zwölf großen Orgelwerken von César Franck wurde nicht am Frequenzgang geschnippelt. Nach dem Motto: Nach dem Hören dieser CDs hast Du entweder gute Boxen - oder Du hast schlechte Boxen gehabt. :D

    Das ist schon ein Hörereignis ... im Beiheft wird gewarnt, man möge vorsichtig hören und nur Lautstärken wählen, die weder Ohr noch Apparate beschädigen.

    Gruß
    MB

    :wink1:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Oh, die Franck-Orgel-Box findet sich sogar bei mir! Meine Lautsprecher haben sie bislang gut ertragen, was mich aber interessieren würde: Kann so eine Aufnahme auch Kopfhörer ruinieren?

    :wink1:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Hm.

    ;)

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Oh, die Franck-Orgel-Box findet sich sogar bei mir! Meine Lautsprecher haben sie bislang gut ertragen, was mich aber interessieren würde: Kann so eine Aufnahme auch Kopfhörer ruinieren?

    Also gleich mal Choral Nr. 2 h-Moll gestartet und ein wenig aufgedreht ... :D

    Gruß
    MB

    :wink1:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Sowohl meine Lautsprecher als auch mein Kopfhörer haben eben den Choral Nr. 2 heil überstanden. Die Tiefen kommen besonders bei meinem Kopfhörer (Übertragungsbereich ab 5 Hz) hervorragend zur Wirkung.

    Zum Thema allgemein: Ich habe einige Orgelaufnahmen und bisher nie Probleme empfunden. Finde das nicht schwieriger als bei anderer Musik.

    :wink1:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Die Probleme sind nicht grundsätzlich anders als bei der Wiedergabe großbesetzter Orchesterwerke.

    Eben... :jaja1:

    Im 19. Jhd. haben sie Sinfonien vierhändig am Klavier gespielt und auch etwas vom Werk verstanden und etwas erlebt.

    Genau... :jaja1:

    Die Ästhetik des Konzertes und die der Konserve ist halt eine andere.

    Richtig... :jaja1:


    @Gurni:
    Eher gehen deine Kopfhörer und deine Ohren kaputt - also obacht... :alter1:
    [Du warst schneller...]


    jd :wink1:

    "Interpretation ist mein Gemüse." Hudebux

    "Derjenige, der zum ersten Mal anstatt eines Speeres ein Schimpfwort benutzte, war der Begründer der Zivilisation." Jean Paul

    "Manchmal sind drei Punkte auch nur einfach drei Punkte..." jd

  • Also ich kann einfach nicht verstehen, wie man sich Orgelwerke nicht antun kann!?! :grins3: ;)
    Am liebsten höre ich die Orgel allerdings eingebunden in das Orchester (aber durchaus auch solo),
    es gibt da ja etliche wunderbare Werke,
    allen voran Saint-Saens Orgelsymphonie,
    Widor Symphonien (mit und ohne Orchester)
    Jongen-Symphonie concertante
    H. Andriessen-Concerto per organo e orchestra
    ......et cetera pp :top:
    und von der Barockmusik, wenn überhaupt, sind mir die Orgelwerke die liebsten! :)


    Herzliche Grüße:
    KALEVALA :wink1:

    Die Wahrheit ist hässlich: wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen. (Nietzsche)


    Es gibt nichts Überflüssigeres und Schädlicheres als wie Musik. Wenn ein Mensch eine gewisse Zeit lang Musik hört, wird sein Gehirn faul und unseriös. (Ayatollah Khomeini)

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