Felix Mendelssohn - Streichquintett Nr. 2, op. 87
Mendelssohn schrieb neben seinen 6 (7) Streichquartetten auch zwei Streichquintette in der Besetzung mit zwei Bratschen (zum ersten Quintett gibt es bereits einen Thread, https://www.capriccio-kulturforum.de/index.php?thre…ett-nr-1-op-18/), welche etwas im Schatten der Quartette stehen, aber vielleicht nicht allzu sehr. Das zweite Streichquartett, op. 87 in B-Dur, komponierte Mendelssohn in 1845, etwa 20 Jahre nach dem ersten. Die beiden Werke sind daher ideal geeignet Mendelssohns Früh- und Spätstil mit einander zu vergleichen. Es wurde ja bisweilen angezweifelt, dass Mendelssohn überhaupt einen Spätstil habe, aber gerade in der Kammermusik ist mMn ganz eindeutig eine Entwicklung belegbar. Das zweite Streichquintett steht in zeitlicher Nähe zum zweiten Klaviertrio op. 66 in c-Moll und dürfte in mancher Hinsicht ein Vorläufer des berühmten f-Moll Streichquartetts op. 80 sein. Zwei Dinge fallen bei diesem Werk besonders auf: 1., eine Intensivierung des emotionalen Gehalts (v.a. gegenüber dem ersten Streichquintett und den Streichquartetten op. 44), und 2., das starke Zurückgreifen auf orchestrale Effekte und mechanisch-rhythmische Strukturen. Ähnliches hört man auch beim ersten Satz des 2. Klaviertrios heraus, welches kein kantables Thema hat, wie so oft bei Mendelssohn, sondern eine unruhiges, rollendes Motiv im tiefen Register.
Im ersten Satz (Allegro vivace) des 2. Quintetts scheint gegenüber dem c-Moll Trio zwar die Sonne, aber die Textur ist extrem: die erste Violine steigt wie ein Vogel über 32-steln in den anderen vier Instrumenten in die Luft und geht schließlich in rollende Triolen über den Bassstimmen über. Mir ist in dieser Zeit kein ähnliches Beispiel orchestraler Figuration in der Kammermusik bekannt – außer Mendelssohns op. 80, hier sogar ganz ohne kantables Thema. Das beruhigende, absteigende zweite Thema hat wenig Chance sich zu entfalten, denn bald beginnt schon die Primgeige wieder mit rollenden Triolen den nächsten Zyklus der fiebrigen Erregung. Strukturell ähnelt dieser Satz als modifizierter Sonatenhauptsatz mMn sehr dem Kopfsatz der 2. Cellosonate in D-Dur. Die Durchführung ist sehr kurz und verfremdet das zweite Thema harmonisch. Mehr Durchführungsarbeit gibt es dann wieder in der Reprise. Der Satz endet bravourös mit eine Fortissimo-Coda. Ich denke, es gibt wenige Sätze in der Kammermusik, die ähnlich viel Schwung haben. So manchem mag das schon zu viel sein, aber sicher nicht Johannes Brahms, der im Kopfsatz seines zweiten Streichquintetts, op. 111, ähnliches macht, nur dass hier das Cello und nicht die Primgeige die Melodiestimme führt.
Den zweiten Satz (Andante scherzando) halte ich allgemein für missverstanden. Meist wird er als harmloses Intermezzo zwischen dem ersten und dritten Satz gesehen. Aber für harmlos halte ich dieses flügellahme Scherzo nur auf den ersten Blick. Es scheint mir eher ein sarkastischer Kommentar des damals schon ermatteten, depressiven Mendelssohns auf die Elfenscherzi seiner Jugend zu sein. Die Musik hebt nie wirklich ab, sondern trottet vor sich hin. Überhaupt ein Andante-Scherzo: ist das nicht reine Ironie? Kurz vor Ende plumpst dann die Melodie auf einen Dominantseptakkord (?) und rafft sich noch einmal auf, um den Satz ordentlich zu Ende zu führen.
Der dritte Satz (Adagio e lento) ist einer der ganz wenigen langsamen Sätze Mendelssohns, die als „Adagio“ bezeichnet sind. Hinzu kommt noch „lento“ – also ganz besonders langsam. Dieser außergewöhnliche Satz dürfte der beliebteste in diesem Werk sein und wirkt durch seinen schubertähnlichen Ton sehr ungewohnt bei Mendelssohn. Mendelssohn macht hier reichlich Gebrauch von Tremoli und erzeugt eine bis daher ungekannte Düsternis. Die elegische, strahlende Coda steigt indes wieder aus der Düsternis hinauf und führt das Werk zurück in lichte Höhen.
Der vierte Satz (Allegro molto vivace) steht oft für seinen heiteren Ton in der Kritik, auch soll Mendelssohn selbst mit ihm unzufrieden sein und deswegen die Veröffentlichung des Werks zurückgestellt haben. Ich konnte und kann das absolut nicht nachvollziehen. Meiner Meinung nach fügt er sich perfekt in die Dramaturgie des Werks ein, die Coda des Adagios hat ja die Musik wieder versöhnlich werden lassen. Ich finde auch diesen mitreißenden, rhythmisch gefinkelten Satz wesentlich interessanter als das Finale des ersten Quintetts, das eigentlich den Ton des Finalsatzes des Oktetts dupliziert. Ein bisschen wird hier das (irgendwie) fehlende Scherzo nachgeholt. Für mich also ein würdiges Ende eines grandiosen Werks!