Liszt im Stadtschloß Weimar 04.06.2017

  • Liszt im Stadtschloß Weimar 04.06.2017

    Gestern verließ ich das (noch) sonnige Bayerische Schwaben, um kräftigen Gewittern in Thüringen zu trotzen. Der Anlaß dazu war nicht einmal Schubert, sondern Franz Liszt.
    Die Liszt-Biennale Thüringen bündelt unterschiedliche Veranstaltungen rund um Franz Liszt an historischen Orten in Thüringen. Ein Blick aufs Programm hier: http://www.franz-liszt-gesellschaft.de/index.php/aktu…ngen-2017-05-31 kann wohl die Vorfreude auf die Biennale 2019 wecken, es sei denn, man hätte nichts fürs restliche Wochenende vor, da noch ganz interessante Veranstaltungen angekündigt sind.

    Gestern ging es um ein von der Klassik Stiftung Weimar organisiertes Konzert mit dem Thema "Liebe.Lieder.Liszt".
    Aufführende waren das Lied-Duo Andrè Schuen, Bariton mit Daniel Heide, Klavier und Mariam Batsashvili, Klavier.


    Auf dem Programm standen

    Tre sonetti del Petrarca S270 (erste Fassung)

    Tre sonetti del Petrarca aus den Années de Pélerinage, Deuxième année Italie S.161


    Liebesträume : Hohe Liebe (Uhland) S307, Seliger Tod (Uhland) S308, o lieb' so lang du lieben kannst (Freiligrath) S298

    Liebesträume, drei Nocturnes für Klavier S541

    Tre sonetti del Petrarca S270 (zweite Fassung)

    Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung, hielt eine kurze Einführung, in welcher er sprach von der romantischen Auffassung des Verhältnisses zwischen Dichtung und Musik und uns zu einem kleinen Experiment unter Laborbedingungen einlud. Der Laborraum war das prunkvolle klassizistische Festsaal des Stadtschlosses, die Ausrüstung zwei historische Klaviere aus der Schloßsammlung: ein Blüthner 1856 und der Nachbau von Liszts Klavier (Boisselot 1846-47) aus der Werkstatt Pail McNultys.

    Im ersten Teil des Konzerts wurden die drei Sonette je in Übersetzung vorgelesen, dann als Lied dann als Klavierstück interpretiert.


    Andrè Schuen und Daniel Heide kannte ich seit einem Konzert im Oxford Lieder Festival, wo sie mit einem Schubert-Programm auf das liederverwöhnte Publikum einen starken Eindruck gemacht hatten.Vor kurzem hörte ich sie in der Winterreise im Rahmen der Schubertiade Hohenems und in einem Programm-Konzert (Schubert, Liszt, Tosti) in Dortmund. Schuen spielt mit seiner dunkel timbrierten Baritonstimme wie ein Virtuose, der von seinem Instrument alle möglichen dynamischen und farblichen Nuancen abverlangen kann, über die ganze Tessitura ohne Registerbrüche. Und die Petrarca-Sonette in ihrer ersten Version sind echte Virtuosen-Stücke. Original für hohe Stimme komponiert, sind sie Paradestücke für Sänger und Pianisten. Dabei sind sie auch, wie Herr Seemann es andeutete, Reflexionen mit der Sprache über die Sprache, zuerst von Petrarca selber, dann von Liszt tatsächlich im Sinne von August von Schlegels "potenzierte Reflexionen" mit musikalischen Mitteln. Man fühlt schon eine gewisse Schubertsche Abstammung (Schubert selber vertonte drei andere Sonette Petrarcas in Übersetzungen von Schlegel und J.-D. Gries), gekoppelt mit der Virtuosensprache und der Experimentierfreude der Romantiker.

    Es fällt schwer, sich eine gelungenere Darbietung als die von Schuen/Heide vorzustellen. Andrè Schuen ist nicht nur ein versierter Liedsänger, er ist auch auf der Opernbühne präsent. Dazu sind Deutsch und Italienisch (und noch Ladinisch) seine Muttersprachen, so daß er Petrarca genauso präzis und stilgerecht deklamieren kann wie Goethe. Daniel Heide ist ein vollblütiger Liedpianist und ein Kenner Franz Liszts, so daß eine richtige Symbiose entstehen kann. Liszts unverkennbares Klavieridiom kombinert mit einer vokalen Belcanto-Exuberanz im Dienste von Meisterwerken der italienischen, europäischen Dichtung, noch dazu in einem Salon-Rahmen, wo sich jeder individuell angesprochen fühlt, es war ein einzigartiges Erlebnis.

    Zum Erlebnis und auch zur Experiment-Situation trug die Wahl der Instrumente bei. Das Blüthner klang nicht so unterschiedlich von einem heutigen Blüthner, das Boisselot aber hatte keine so gleichmäßige Dynamik und ein heterogeneres Farbregister, was Mariam Batashvili vor eine sonderbare Aufgabe stellte. Bataschivili, im Erscheinungsbild das ziemlich genaue Gegenteil von Martha Argerich, konnte sie hervorragend bewältigen. Nach den ersten Sekunden, als man sich auf die ungewöhnliche Farbpalette einstellen mußte, ließ man sich von der Musik tatsächlich tragen, mit den Worten noch im Ohr, um neue Klangräume zu eröffnen. Batashvili war sicher nicht demonstrativ im lisztschen Sinne, eher gab sie den Eindruck, alles komme ungezwungen.

    Nach der Pause kam ein ähnliches Experiment mit den Liebesträumen, diesmal ohne Rezitation - die Texte sind auf Deutsch. Zu loben ist, daß die Texte im Programm nicht gedruckt waren. Die Aussprache Andrè Schuens macht es sowieso überflüssig; die italienischen Sonette waren auch dem Publikum nahegebracht worden.
    Die Liebesträume sind wohl von Liszts Seite kein so gewagtes Experiment wie die Petrarca-Sonette. Die Texte sind nicht auf der gleichen Höhe, stilistisch lassen sie sich leichter in die Lied-Tradition unterbringen. Immerhin sind es drei schöne Lieder und drei erfolgreiche Klavier-Nocturnes, die auch mit der gleichen Sorgfalt und dem gleichen stilistischen Scharfsinn interpretiert wurden. Sentimentalismus, ja, aber kein Abdriften in die Sentimentalität.

    Dann die zweite Lied-Version der Petrarca Sonette, diesmal in der originalen Bariton-Tessitura. Diese zweite Version ist nicht so populär wie die erste, wohl weil sie auf viele Darstellungselemente verzichtet. Man fühlt, daß es das Ergebnis einer Reflexion Liszts über die eigene Kreation ist. Das lyrische tritt zugunsten des dramatischen zurück; Wagner scheint auf einmal nicht so weit zu sein (diese Version wurde 1865 komponiert), dabei ist die harmonische Sprache erstaunlich modern. Es gab Schuen und Heide die Möglichkeit, ihre stilistische Versatilität zu zeigen und zu beweisen, daß auch Liszt Texte in ganz unterschiedliche Lichter zeigen kann.

    Als Zugabe kam dann Tostis ultima canzone, mit Augenzwinkern aber auch Stil und Können dargeboten. Mit Schuen/Heide ist es kein Macho-Stück wie so oft bei Tenören-Galas sondern hat auch eine nostalgische Note.

    In unserer Event-süchtigen Zeit konnte dieses Konzert zeigen, daß Kultur nach wie vor ambitioniert sein kann, daß intellektuelles Niveau weiterhin mit ästhetischem Anspruch kombinierbar ist und daß man es auch uneingeschränkt genießen kann.
    Allen Beteiligten, den drei hervorragenden Interpreten wie auch den Organisatoren und dem Team drumherum herzlichen Dank!

    Alles, wie immer, IMHO.

  • In unserer Event-süchtigen Zeit konnte dieses Konzert zeigen, daß Kultur nach wie vor ambitioniert sein kann, daß intellektuelles Niveau weiterhin mit ästhetischem Anspruch kombinierbar ist und daß man es auch uneingeschränkt genießen kann.

    Das finde ich sehr erfreulich! Vielen Dank für diesen anschaulichen und informativen Bericht!

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

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    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

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