BELLINI: "La straniera" - Die Ästhetik des schönen Leidens

  • BELLINI: "La straniera" - Die Ästhetik des schönen Leidens

    1829 in Mailand uraufgeführte "La straniera" erlebte einige Jahrzehnte großen Erfolges, bevor es still um sie wurde. Allerdings wurde das Werk nicht erst in unseren Tagen wieder aus der Versenkung geholt, sondern schon in der Zwischenkriegszeit. Seither wurde es nicht häufig, aber doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit gegeben, ohne sich im allgemeinen Bewußtsein und auch in dem der Bellini-Verehrer prominent behaupten zu können. Daher gab es bis jetzt auch keinen Thread hier über diese Oper. Erst durch das Engagement von Edita Gruberova wurde die Aufmerksamkeit wieder mehr angestachelt. Auch mich hat die Kombination Bellini-Gruberova zum Kauf dieser Edition veranlaßt:

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    Eine Produktion des Südwestrundfunks 1912, erschienen bei den Nightingale Classics.
    Die Handlung ohne Kommentar und Hintergrundinformation zu verstehen, wäre äußerst mühsam. Angenehmerweise gibt das Beiheft die nötigen Hinweise. Schade natürlich, daß nicht, wie es früher Usus war, das Libretto inkludiert ist.

    Das Hörerlebnis hinterläßt bei mir recht gemischte Gefühle. Einschränkend muß ich dazu bemerken, daß mir in bezug auf dieses Werk jegliche Vergleichsbeispiele fehlen, doch hoffe ich, dieses Manko künftig ein wenig beheben zu können

    Das SWR-Sinfonieorchester und der Chor (Orpheus Vokalensemble) gefallen mir, an ihnen finde ich nichts Wesentliches auszusetzen. Die Leistung des Dirigenten - Pietro Rizzo - empfinde ich annehmbar, aber nicht als herausragend. Natürlich hat er sehr gute Momente, aber irgendwie scheint er in diese Aufgabe erst hineinzuwachsen - wie andere Mitwirkende auch: Im Verlauf der Aufnahme gewinnt die Qualität stetig. Alles in allem empfinde ich die Wiedergabe technisch OK, aber zu kühl, das Bellinische Sentiment wird nur teilweise spürbar. Nicht zuletzt liegt das auch an einigen Sängern, die zwar mit sauberen, gut geführten Stimmen Respekt verdienen, denen es aber doch an Farbe und Ausstrahlung fehlt. Ausnehmen möchte davon nur Laura Poverelli als Isoletta, die sehr schön und rollendeckend agiert und mich sehr beeindruckt. Luca Grassi als Valdeburgo kann hingegen mit Kay Stiefermann (Montolino und Prior) sowie Thomas Michael Allen (Osburgo) nicht ganz mithalten, wenngleich ich sein Bemühen anerkenne.
    Tja, natürlich fragt Ihr Euch jetzt: Was ist mit der Gruberova? Klar: Eine derart fordernde Partie wie die der Adelaide (sie gehört wohl zu den allerschwierigsten der Opernliteratur) in diesem Alter noch zu schaffen, verdient, ungeachtet aller Kritik, Bewunderung und bleibt eine bemerkenswerte Leistung. Offenbar war sie zum Zeitpunkt der Aufnahme nicht in guter Form, denn nicht nur vorher, sondern auch nachher habe ich wesentlich bessere stimmliche Präsentationen von ihr im Ohr. Selbstverständlich beeindrucken manche Passsagen trotzdem, aber letztlich liefert sie eine äußerst ungleichmäßige Leistung. Tolle Töne wechseln mit etlichen Unsicherheiten und stimmlichen Abnützungssymptomen. Sie kämpft oft mit der Rolle und findet dadurch nicht zum nötigen Ausdruck. Dennoch könnte ich mir vorstellen, daß sie in einer besseren Phase, wie sie sie ja doch noch immer wieder hat, es vermögen würde, die Partie sehr eindrucksvoll interpretieren.
    Ihr tenoraler Partner José Bros als Arturo bietet eine respektable und teilweise auch rollenadäquate Leistung, aber an die großen Bellini-Tenöre in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts kommt er nur teilweise und im Schmelz ganz sicher nicht heran. Zumindest nicht hier, obwohl ich ihn trotzdem zu den Pluspunkten der Aufnahme rechne.
    Insgesamt scheint mir das mögliche Potential des Ensembles nicht ganz ausgeschöpft. Mit mehr Routine und mehr Vorarbeit sollte diese Mannschaft ein besseres Ergebnis erzielen können. Um gerecht zu sein: Da es sich um kein Werk des gängigen Repertoires handelt, und wenn man die immensen Ansprüche bedenkt, die es beinhaltet, dann sollte man vielleicht nicht so viel beckmessern, sondern dankbar sein, daß man sich an dieses schwierige Vorhaben gewagt hat. Daß Bellinis Musik einfach traumhaft ist, versteht sich von selbst. Das gilt auch, wenn nicht - wie hier - alles so perfekt ist, wie man es gerne hätte.

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    Homo sum, ergo inscius.

  • Erwähnen sollte man zwei andere Aufnahmen:

    als Live-Aufnahme einer konzertanten Auufführung in New York 1969 mit Montserrat Caballé in Hochform und Amadeo Zambon, der über mehr Stimme verfügt als José Bros jemals hatte und

    mit Renata Scotto, die sich auch in guter Begleitung befindet.

    Wer auf Tonqualität besonders achtet, wird mit

    zufrieden sein. Patrizia Ciofi ist weder Caballé noch Scotto, aber vor einer greisen Gruberova braucht sie sich nicht zu verstecken, der Rest der Besetzung (Dario Schmunck, Mark Stone, Enkelejda Shkosa) ist unter dem besten, was man sich heute vorstellen kann.

    Eine Aufnahme mit Lucia Aliberti gibt es auch, aber sie ist eher den Aliberti-Fans zu empfehlen.

    Nein, La Straniera wurde nicht erst durch das Engagement der Diva aus Bratislava bekannt gemacht (denn es ist auch zu befürchten, daß die neue Gruberova-Aufnahme kein Anlaß für ein Dauer-Reviival sein wird).

    Diese Oper ist eine derjenigen, der Handlung sich in der Bretagne abspielt. Ein weiterer Grund für mich, sie zu mögen ;)

    Alles, wie immer, IMHO.

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