Haydn, Joseph: Streichquartette op. 20

  • Haydn, Joseph: Streichquartette op. 20

    1772 komponierte Joseph Haydn seine sechs "Sonnen-Quartette" op. 20 (benannt nach dem Titelblatt einer Druckausgabe von Hummel).

    Ich habe vor ca. 12 Jahren die Aufnahme mit dem Hagen Quartett gekauft und liebe die sechs Quartette seither total.

    Da es noch keinen Thread dazu gibt hier ein Angebot, meine ersten Eindrücke von damals noch einmal kurz zusammenfassend.

    Das Streichquartett Es-Dur op. 20 Nr. 1 Hob. III:31 bietet so wie ich es höre zunächst einmal großartig erbauliche Wiener Klassik. An zweiter Stelle steht hier das Menuett, in dem das Trio aufhorchen lässt. Mit dem dritten Satz, „Affetuoso e sostenuto“, tut sich für mich eine ganz wunderbare, neue Welt auf. Wie eine Ziehharmonika oder ein Bandoneon entfaltet Haydn eine sich bewegende Klangfläche, die mich staunen macht. Das ist (so höre ich´s halt) völlig zeitlose Musik, die etwa auch von Schubert stammen könnte. So früh schon ein solcher Höhepunkt, eine solche Entdeckung „für die einsame Insel“? Zupackend kommt das flotte und heitere Finale daher. Mein Fazit nach der Erstbegegnung im vorigen Jahrzehnt: Alleine für dieses Werk hat sich „alles“ gelohnt.

    Beim Streichquartett C-Dur op. 20 Nr. 2 Hob. III:32 taugt mir die großartige „Wiener Klassik“ des ersten Satzes schon wieder, und dann überrascht die expressive Ernsthaftigkeit des zweiten Satzes. das ist ja fast ein Opern-Rezitativ! Im Trio des anschließenden Mnuetts gleich noch mal sowas! Die abschließende Fuge – bewundernswert, wie selbstverständlich und verinnerlicht Haydn, der Meister der Sonatensatzform, der Liedform und des Menuetts sowie der Messe und des großen Oratoriums, um nur einige zu nennen, auch diese Kunstform im Streichquartett auskomponiert…

    G-Moll? Bin gespannt auf das Streichquartett g-Moll op. 20 Nr. 3 Hob. III:33. Erster Höreindruck: Markante Generalpausen zerklüften den ersten Satz – ja, es ist die „Tonart-Welt“ auch von Mozarts beiden Symphonien. „Freundlicher“ erscheint erst das Trio des wieder an zweiter Stelle stehenden Menuetts. Tröstlich schön das „Poco Adagio“ des 3. Satzes. Das Finale: wieder die g-Moll Welt.

    Das Streichquartett D-Dur op. 20 Nr. 4 Hob. III:34: Für mich große, im besten Sinn ernsthafte Wiener Klassik. Eine faszinierende Strenge der Komposition, wie in den Brahms Symphonien. Der zweite Satz ein ausgiebiger Variationensatz, dann folgen zwei ungarisch angehauchte Sätze, zuerst das kurze „Menuetto. Allegretto alla zingarese“ (incl. Cello-Solo im Trio!) und das wie ich finde besonders inspirierte „Presto scherzando“.

    Anders, freundlicher als das g-Moll Werk (aber natürlich immer noch sehr ernsthaft) hört sich für mich das Streichquartett f-Moll op. 20 Nr. 5 Hob. III:35 an. Im langsamen Satz, wieder an dritter Stelle, umspielt die Violine ziemlich ausführlich den Siciliano-Rhythmus. Da sehe ich direkt den Primgeiger eines Quartetts beim Fürsten Esterhazy vor mir, wie er sich mit seiner Perücke und Geige in Szene setzt und die feinen Damen im Publikum in Verzückung zu bringen versucht. Haydn als Meister der Doppelfuge: Bitte den Finalsatz mit seinem polyphonen Gewebe hören!

    Das Streichquartett A-Dur op. 20 Nr. 6 Hob. III:36: leichter, aber wieder inspiriert anspruchsvoll. Die Innigkeit (1. Violine im zweiten Satz, „Adagio“) – Musik mit Seele. Im Menuett ein Trio in tiefer Lage. Und noch einmal eine Fuge. Sage nochmal jemand, eine Fuge kann nicht flott und spritzig sein.

    Jedes der sechs Werke ist für sich eigenständig. Haydn nimmt die Verantwortung, viele Werke zu schaffen, sehr ernst, er entwirft immer wieder neue Ideen, nicht nur Variationen einer Idee. Ich zumindest habe sechs völlig verschiedene Werke gehört.

    Vor einiger Zeit kam bei mir eine Haydn Streichquartett Box mit dem Quatuor Mosaïques dazu, im Netz finde ich allerdings nur eine andere, weniger umfangreiche.

    Mein Eindruck: Das Hagen Quartett spielt mitreißend frisch, sehr kompakt und auf den Punkt, auf mich wirken die Aufnahmen stilisierter und "nobler". Das Quatuor Mosaïques hingegen kommt so wie ich es höre erdiger daher, wiederholt teilweise auch Durchführungen und Reprisen, pflegt einen beredteren Duktus. Bin mit den beiden Aufnahmen sehr froh und höre die Werke in diesen Aufnahmen immer wieder gerne.

    Wer andere Aufnahmen empfehlen möchte, zu den Werken etwas schreiben möchte, op. 20 mit anderen Werken vergleichen möchte (verschiedentlich wird der "Schnitt" zu op. 33 angeschrieben) oder auch für alle, die nur lesen und aber dadurch vielleicht animiert werden, die Werke zu hören (etwa von youtube), was mich sehr freuen würde (ich finde sie wirklich großartig und erbaulich, vollkommene Wiener Klassik) - herzlich willkommen!

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Danke für den Thread; schön, dass diese bemerkenswerte Werkgruppe endlich zu ihrem Recht kommt.
    Ich kann leider wenig Erhellenderes beitragen, höre die sechs Preziosen in der letzten Zeit aber recht häufig und habe mich immer gewundert, warum stets Op 33 als der große Meilenstein verkauft wird. Für mich fängt das Haydn-Quartettwunder bei Op 9 an.
    Mir gefällt meine einzige komplette Aufnahme der Werke mit dem Buchberger-Quartett sehr gut, auch das Auryn-Quartett hat mir gefallen.

    Ich habe eiserne Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen, habe ich auch noch andere.

  • Weil Haydn damals die Werbetrommel gerührt und, nachdem er etwa 9 Jahre keine Quartette komponiert hatte, op.33 als "ganz neue besondere Art" angepriesen hat. Und weil Mozart seine Haydn gewidmeten Quartette angeblich als Reaktion darauf komponiert hat.
    op.20 findet aber ähnlich viel Beachtung wie op.33, meine ich. Die eher übersehenen Werke sind op.9 und 17 und natürlich die frühen Divertimenti. op.9 und 17 sind ja zeitlich auch sehr nahe an op.20; m.E. ist der Unterschied hauptsächlich, dass nicht alle Werke das Niveau komplett halten. Einzelne Sätze und auch ganze Werke wie etwa das d-moll in op.9 und das G-Dur in op.17 sind großartig, aber manche Einzelsätze finde ich etwas dröge, was teils auch daran liegt, dass die Violine dort teils noch recht stark dominiert. In op.20 gibt es überhaupt keinen "Ausfall". Selbst das wohl am wenigsten bekannte Es-Dur hat diesen ganz einzigartigen langsamen Satz, ein grandios witziges Finale und ein bedeutendes, erstaunlich ernstes und umfangreiches Menuett.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • Ich denke schon, dass der geistigere, abstraktere Gehalt von op. 33 gegenüber den drei früheren Zyklen als "neue Art" bezeichnet werden könnte. Schon die erwähnte Dominanz der Violine in op. 9 - 20 vermittelt mehr das Gefühl von "Ausdrucksmusik" als op. 33 - 64.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Wegen des thematischen Bezugs aus "Jeden Tag ein Streichquartett" hierher kopiert. Diskussion zu Aufnahmen von Op. 20 dürfen gern hier fortgesetzt werden. Braccio für die Moderation


    Ich habe mir nach langem Zögern die oftmals gerühmte Aufnahme von Haydns op. 20 vom Hagen Quartett am Gebrauchtmarkt gekauft.

    Und ich muss sagen, ich bin sehr enttäuscht (da ich ihren Mozart und vor allem den Bartók hervorragend finde). Das klingt für mich lustlos runtergespielt und uninspiriert. Wiederholungen wurden prinzipiell ausgelassen. Mosaiques, Festetics, Doric, Auryn gefallen mir durch die Bank viel besser. Abverkaufkandidat....

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Ich habe mir nach langem Zögern die oftmals gerühmte Aufnahme von Haydns op. 20 vom Hagen Quartett am Gebrauchtmarkt gekauft.

    Und ich muss sagen, ich bin sehr enttäuscht (da ich ihren Mozart und vor allem den Bartók hervorragend finde). Das klingt für mich lustlos runtergespielt und uninspiriert. Wiederholungen wurden prinzipiell ausgelassen. Mosaiques, Festetics, Doric, Auryn gefallen mir durch die Bank viel besser. Abverkaufkandidat....

    Vielleicht war meine Einschätzung gestern zu hart, denn das D-Dur Quartett (20/4) gefällt mir viel besser als das g-Moll Quartett gestern. Trotzdem: der Klang (vielleicht durch tontechnische Nachbearbeitung) kommt in meinen Ohren schon ziemlich steril daher.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Vielleicht war meine Einschätzung gestern zu hart, denn das D-Dur Quartett (20/4) gefällt mir viel besser als das g-Moll Quartett gestern. Trotzdem: der Klang (vielleicht durch tontechnische Nachbearbeitung) kommt in meinen Ohren schon ziemlich steril daher.

    Gerade ein paar Versionen des Fugen-Finales des f-Moll-Quartetts verglichen, Buchberger, Angeles, Jerusalem, Pellegrini, Mosaiques, Köckert, Doric, Chiaroscuro und eben Hagen, v. a. wegen der klanglichen Unterschiede.

    Die Hagen-Aufnahme finde ich technisch am schlechtesten. Das Quartett scheint auf sehr engem Raum zu spielen, sofern sich überhaupt der Eindruck eines Klangraums ergibt, die Höhen klingen dünn, die Tiefen völlig unterbelichtet. Ja, das wirkt ziemlich steril, trotz (oder auch wegen) "4D".

    Köckert, eine 1966er DG-Aufnahme, klingt schon deutlich besser. Klangtechnisch fiel mir ansonsten nur die Angeles-Aufnahme auf, weil die Formation da irgendwie recht weit weg vom Hörer wirkte und ich sofort den Wunsch hatte, lauter zu drehen.

    Alle anderen Aufnahmen klangen angenehm, meist ziemlich präsent, dynamisch und ausgewogen. Der unerwartete Klangsieger war meinem völlig subjektiven Eindruck nach die Buchberger-Aufnahme.

    Zum Teil gibt es übrigens erhebliche Tempounterschiede. Die Hagens spielen diesen Satz in einem offensichtlich üblichen schnellen Tempo und brauchen wie die meisten unter drei Minuten, so um 2'45", wenn man die Pause vor dem nächsten Track abzieht. Geschwindigkeitssieger noch vor den rasanten Dorics (2'35") ist das Köckert-Quartett (gut 2'30").

    Erstaunt hat mich das extrem langsame Tempo des HIP-orientierten Chiaroscuro-Quartetts mit Alina Ibragimova als Primaria (um 3'40"). Und auch die Mosaiques brauchen deutlich über drei Minuten. Fand ich - aber sicher beeinflusst durch die Übermacht der Raser - auf erste Hören nicht besonders überzeugend.

  • Die Hagen-Aufnahme finde ich technisch am schlechtesten. Das Quartett scheint auf sehr engem Raum zu spielen, sofern sich überhaupt der Eindruck eines Klangraums ergibt, die Höhen klingen dünn, die Tiefen völlig unterbelichtet. Ja, das wirkt ziemlich steril, trotz (oder auch wegen) "4D".

    Ich bin froh, dass Du meinen Eindruck bestätigen konntest! Vermutlich hat mich dieser Klang vorgestern so beim langsamen Satz des f-Moll Quartetts gestört, dass ich meine "Schmähkritik" hier postete.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Ich habe die lange nicht gehört, aber meiner Erinnerung nach ist die Hagen op.20 vom Zugang her ähnlich wie ihre anderen "früheren" Aufnahmen, etwa die frühen Mozart-Quartette, noch weit entfernt von den "Manierismen" der "Haydn-Quartette" oder gar der CDs beim neuen Label. Der Klang ist halt trockene und direkte 90er Jahre DG, nicht unähnlich bei Emerson, wenn ich recht erinnere.
    Die Angeles-Box leidet teilweise unter einem sehr entfernten Klang; ich glaube, die Hagen-Aufn. war meine zweite nach dieser Box und ich fand sie jedenfalls deutlich ausdruckstärker. Das liegt aber auch daran, dass die Angeles insgesamt sehr stark auf einen "spritzigen" Zugang setzen und die Kontraste nicht so stark ausspielen, was aber durch den entfernten Klang vielleicht auch wieder befördert wird.

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    (B. Pascal)

  • Man schlage mich, aber die Mozartquartette kommen mir vom Klang her viel angenehmer vor als diese Haydnaufnahmen. Der Aufnahmeleiter war desselbe, Wolfgang Mitlehner, allerdings habe ich eine Neuauflage der Mozartaufnahmen (2006) und da steht "Mastering Emil Berliner Studios". Von Remastering ist allerdings nicht die Rede.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Ich meinte weniger den Klang als die Spielweise. Die frühen Mozart-Q wurden 89/90, Haydns op.20 92/93 aufgenommen. "Später Mozart" 1995-2004. Vielleicht ist es ja wirklich ein "4D"-Problem. Mir ist der Klang nie bewusst unangenehm aufgefallen.

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    (B. Pascal)

  • Ich empfinde den Klang als extrem "eng" und synthetisch. Tendenziell finde ich auch, dass die op. 20 Quartette weniger idiomatisch gespielt werden als die etwas später entstandenen "Haydn-Quartette" Mozarts sondern eher geglättet. Ich vermisse auf jeden Fall jenen individuellen Ton, der mMn diese "Sturm und Drang" Werke auszeichnen sollte und der bei vielen anderen Aufnahmen durchaus zu finden ist. Aber man kann da natürlich auch anderer Meinung sein. Ich mag auch ihre Einspielung von Dvořáks op. 96 nicht. Ich habe also immer wieder Probleme mit den Hagens, wo andere vielleicht keine haben.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Die Idee der zunehmenden Länge ist unhaltbar und unverständlich, wenn man die Werke hört, nicht nur Takte zählt.
    Selbst wenn die Tempi der drei Nichtfugenfinali etwa gleich wären (möglich, aber das Presto des Es-Dur hat praktisch keine 16tel, das scherzando des D-Dur staccato-16tel, ist also ziemlich sicher etwas langsamer vom Grundtempo), wäre das Es-Dur klar das kürzeste, da es in 2/4 ist, die anderen dagegen in 4/4.

    Ich bin immer etwas skeptisch bei solchen Übersystematisierungen. Die Sechserpacks sollten Vielfalt und Originalität bieten und obwohl sie vermutlich kaum für Aufführung hintereinander gedacht waren, war es oft üblich, ein leichteres Werk ans Ende zu stellen. (Stimmt bei op.9 und 17, vielleicht auch op.33, allerdings danach auch kaum noch. Ganz und gar nicht bei Mozarts Haydn gewidmeten Quartetten.) Dafür passen aber sowohl das Es-Dur als auch das A-Dur, daher sehe ich auch keine tiefere Moral in dem Unterschied zwischen mutmaßlicher Entstehungsreihenfolge und der späteren Zählung. Die drei m.E. gewichtigsten Werke stehen an 2-3-4 bzw. 3-4-5, in der früheren Reihung das vielleicht "konservativste" am Beginn. Diese Label ("leicht", "konventionell" etc.) lassen sich aber m.E. nicht so leicht verteilen. Auch die Ecksätze des Es-Dur könnte man m.E. eher in op.17 erwarten als das g-moll oder D-Dur-Quartett. Unter den langsamen Sätzen sind die im f-moll und A-Dur am ehesten den "Arien" etlicher der früheren Werke vergleichbar.

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    (B. Pascal)

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