SCHOECK: Penthesilea. Oper Bonn, Premiere am 15.10.2017
Othmar Schoecks Penthesilea ist ein Sonderfall der Operngeschichte. 1927 uraufgeführt, also etwa zeitgleich mit Alban Bergs Wozzeck entstanden, kann sie weder einer spät- oder nachromantischen Tradition noch der Atonalität zugeordnet werden, die Musiksprache ist sehr individuell. Das Sujet geht auf eine Episode der Ilias zurück: als die mit den Trojanern verbündeten Amazonen von den Griechen geschlagen werden, wird ihre Königin Penthesilea vom griechischen Held Achilles erschlagen. Der Sieger verliebt sich in die Sterbende und trauert um sie. Heinrich von Kleist dreht in seinem 1806 entstandenen Trauerspiel die Vorzeichen um: Penthesilea überlebt und verliebt sich ihrerseits. Als Amazonenkönigin darf sie sich aber nur mit einem von ihr besiegten Mann einlassen. Protoe, ihre Vertraute, lässt sie mit Achills Einverständnis glauben, dass sie die Siegerin ist. Als sie den Betrug bemerkt will Achill sich in erneutem Kampf von ihr besiegen lassen. Sie aber tötet den Wehrlosen und lässt ihn von ihren Hunden zerfleischen. Othmar Schoeck hat das Kleist'sche Drama drastisch auf die entscheidenden Szenen gekürzt und den Protagonisten noch einen Chor gegenübergestellt. Die musikalische Timbrierung ist ausgesprochen düster, nicht zuletzt, da Schoeck komplett auf Tutti-Geigen verzichtet (es gibt allerdings vier solistisch eingesetzte Violinen), aber dafür die Bläser, vor allem die Holzbläser (u.a. 10 Solo-Klarinetten!) betont.
Ausstatter Johannes Leiacker hat den Orchestergraben überbaut, die Bühne reicht weit ins Parkett hinein. Das Orchester befindet sich auf einer Tribüne auf der Hinterbühne, Das Blech ist auf der seitlichen Hinterbühne platziert. Zwischen Orchester und Bühne sowie neben der Bühne befinden sich auch Zuschauerplätze. Die Bühne selbst ist ein weißes Viereck mit zwei schwarzen Flügeln darauf. Eine auf der Hinterbühne sitzende Dame hat Nasenbluten und hält sich mit einem Taschentuch die Nase zu, sie hat auch schon Blutflecken auf ihrer weißen Bluse (und entpuppt sich bald als die Hauptdarstellerin). Der junge Mann und die junge Dame neben ihr halten Notenmappen im Arm, sie betreten zu Beginn des Stücks die Bühne und nehmen an den beiden Klavieren Platz. Bald erweist sich, dass nicht wenige Personen im Publikum vor, neben und hinter der Bühne Solisten und Chormitglieder sind. Die Oberpriesterin der Diana sitzt auf dem exponiertesten Platz der Bonner Oper (Hochparkett, 1. Reihe, ganz rechts) und wird, wenn sie singt, in einen Lichtkegel getaucht.
Regisseur Peter Konwitschny verzichtet komplett auf antike Staffage und lässt die Darsteller als moderne Opernbesucher gekleidet spielen. Dabei dient die weiße Bühne mit den Flügeln dazu, die Darsteller in bestimmten Szenen zu exponieren, gespielt wird ebenso rund um diese (innere) Bühne. Das Drama spielt sich als moderne Liebesgeschichte zweier Unangepasster ab, die von der Gesellschaft, besser: ihren jeweiligen Gesellschaften, nicht geduldet wird und an ihrer Eingebundenheit in diese Gesellschaften scheitern muss. Die Flügel dienen dabei (auch) als die Berge Ida und Ossa, auf denen stehend die Liebenden einander nicht erreichen können, werden aber auch zusammengeschoben, damit es doch gehen kann - und wieder auseinander, wenn man sich entfremdet hat. Die Pianisten (auch eine Frau und ein Mann!) werden dabei ins Spiel mit einbezogen, leiden mit den Liebenden oder bieten eine Schulter zum Trost. Am Ende wird Penthesilea kalt und brutal Achill mit drei Schüssen erledigen und sich dann selbst in den Kopf schießen. Für die Schlußszene treten sie aber beide wieder auf, Penthesilea nun im Abendkleid, mit Notenblatt in der Hand, neben den Pianisten einen Liederabend gebend, Achill ihr zwischen den Klavieren stehend lauschend als einziger, der ihrem Vortrag noch folgen kann, während alle anderen schimpfend und kopfschüttelnd nach und nach diese unmögliche Vorstellung verlassen.
Mit dem letzten brutalen Orchesterschlag endet dann eine Vorstellung, die vom ersten Moment berührend und bewegend, ungemein fesselnd und spannend - und nicht zuletzt immer wieder auch mal auf schräge Art recht lustig war. Keinen Augenblick verlassen die Darsteller der kleineren Partien und des Chores ihre Rollen als Opernzuschauer, auch die beiden Pianisten spielen weiter, wenn sie die Bühne mal vorübergehend verlassen. Dazu sei gesagt, dass wir Bühnenplätze hatten (die Dame mit dem Nasenbluten saß zu Beginn gleich neben mir) - von den hinteren Reihen mag man das unter Umständen nicht so deutlich wahrnehmen (Wir werden das in einer anderen Vorstellung überprüfen). Nachteil der Bühnenplätze: wenn die Sänger sich nach vorn (also ins Haupthaus hinein) orientieren, sind sie manchmal nur schlecht zu hören. Das Orchester von hinten, die Sänger aber von vorn zu hören, hat aber auch was!
Was der neue Bonner GMD Dirk Kaftan unter diesen Umständen aus dem Stück herausholt ist schlicht sagenhaft - zum einen erstaunt die musikalischer Präzision im Orchester und auf der Bühne, zum anderen gelingt es ihm, das Riesenorchester voll zur Geltung zu bringen, ohne die Sänger zu überdecken (soweit von unseren Plätzen aus beurteilbar).
Dshamilja Kaiser, mit Kaftan aus Graz gekommen und ins Bonner Ensemble gewechselt, singt und spielt die Titelpartie mit einer Zärtlichkeit und Trauer, einer Wut und einem Hass, mit einer Wandlungsfähigkeit, die staunen macht (sie wurde ja in diesem Forum schon mehrfach lobend erwähnt). Auch alle anderen Rollen, Chor und Extrachor des Theater Bonn (Einstudierung: Marco Medved) inklusive, singen und spielen auf Bestniveau, genannt seien Christian Miedl (Achill), Aile Asszonyi (Prothoe), Ceri Williams (Oberpriesterin), Kathrin Leidig (Meroe), Marie Heeschen (Priesterin), Johannes Mertes (Diomedes), Christian Specht (Hauptmann), Christina Kallergis (Priesterin) und die Pianisten Lucas Huber Sierra und Meri Tschabaschwili. Licht: Thomas Roscher, Dramaturgie: Bettina Bartz.
Auf eine Wiederholung, dann von der anderen Seite gesehen und gehört, freuen wir uns schon jetzt!