Künstler-Presseschlagzeilen, die nicht unmittelbar die künstlerische Tätigkeit betreffen

  • Ich kann den Beiträgen von Christian nur voll zustimmen. Wir hatten das Thema hier ja schon öfter. Die metoo Welle war wichtig, weil sie eine Diskussion über ein großes Problem in der breiten Gesellschaft iniziiert hat. Aber sie hatte auch schlimme Nebeneffekte. Nämlich die totale gesellschaftliche Vernichtung mancher Beschuldigter, ohne Beweis, ohne gerichtliches Verfahren etc. Diese juristischen Verfahren kann es naturgemäß kaum geben, wenn die mutmaßlichen Delikte 30 oder 40 Jahre zurückliegen, zudem im privaten Bereich stattgefunden haben (sollen). Das ist natürlich ein nachvollziehbar schwieriges Problem für die wirklichen Opfer, die lange geschwiegen haben. Sie können jetzt praktisch gar nicht mehr juristisch vorgehen. Aber das bedeutet nicht im Umkehrschluss, dass aufgrund einer Anschuldigung (sei sie berechtigt oder falsch, wir wissen es nicht) eine in der Öffentlichkeit stehenden Person ihre gesellschaftliche Existenz verliert. Und da tragen natürlich auch Institutionen eine Mitschuld, die in den heutigen "politisch korrekten" Zeiten quasi "auf Nummer sicher gehen" und ihr beschuldigtes Mitglied fallen lassen.

    Es ist ein System, was eigentlich nur Verlierer haben kann. Die einzige Chance (gerade auch durch metoo) sehe ich darin, dass jetzt und in Zukunft Personen, die Opfer solcher (sexuellen...) Übergriffe von mächtigen Vorgesetzten werden, bessere Chance haben, zeitnah juristische Schritte zu unternehmen. Natürlich bleibt selbst dann das Problem der Nachweisbarkeit. Und es geht ja auch manchmal schief, siehe Kachelmann, oder den von einer Kollegin beschuldigten Lehrer, der sich nach seiner Verurteilung umbrachte und später "rehabilitiert" wurde.

    Was aber m. E. in jedem Fall falsch ist: hysterischer Aktionismus, voreilige gesellschaftliche Empörung, Vorverurteilung bis hin zur kompletten Löschung der Person und deren Lebenswerk (etwa Woody Allen, Kevin Spacey u. ä.). An solchen Fällen zeigt sich halt oft auch, dass die (möglicherweise "schuldigen") Personen aus ökonomisch.motivierten Gründen fallen gelassen werden, z. B. wenn ein Verlag nicht ein Buch veröffentlichen will, weil der Verlag finanzielle EInbussen zu befürchten hat.

    Ganz schwieriges Thema.

    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • In diesem Zusammenhang.
    Hat eigentlich einmal jemand den Missbrauch von Frauen als Groupies bei Rockmusikern erörtert?
    Die standen nach dem Konzert zur Verfügung was dann?.. War das alles freiwillig, was dann passierte?
    Dennoch hört man so wenig.
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Herren alle "Gentlemen" waren.

    Eine andere Zeit?
    Oh, ja! Die Älteren unter uns wissen davon. Auch dass es bei den Grünen Leute gab, die man aber dann rausschmiss, die Pädophilie propagierten.
    Das Problem heute ist eben, das unser heutiger moralischer Ekel das "Damals" bewertet.
    Wer das damals schon unmöglich fand, ist fein raus. Aber wer das "damals" nicht versteht, der sollte nicht so richten, der sollte erst einmal die Zeit verstehen lernen.
    Ohne Zeiten zu verstehen gäbe es u.a. keine Kirche mehr
    Gruß aus Kiel

    "Mann, Mann, Mann, hier ist was los!"

    (Schäffer)

  • Naja, die Anzeige wurde 2016 von einem 46-Järhigen erhoben und betraf das Jahr 1985, als er also 15 und Levine 41 war. Das "age of consent" in Illinois liegt bei 17 Jahren, insofern wäre das je nach konkretem Tatbestand wohl doch mehr als eine Lappalie - wenn es denn einen Beweis gäbe. ich verstehe, dass es insbesondere für Betroffene kaum auszuhalten ist, wenn eine Tat ohne solchen Beweis ungesühnt bleibt, aber eine öffentliche Hexenjagd darf dennoch nie und nimmer an die Stelle eines rechtsstaatlichen Verfahrens treten. Alice Schwarzer beteuert allen Ernstes noch heute, sie sei "auf nichts so stolz wie auf (ihr) Durchhalten in der Causa Kachelmann". Die Gefahren solcher Gesinnungsjustiz sind jedenfalls keine Lappalie...

    Das ist natürlich schon ein wesentlich ernsterer Sachverhalt, allerdings trifft der Vorwurf der Pädophilie trotzdem nocht nicht zu. Ich finde, da soll man präzise sein, v.a. weil mit dem Begriff in Verbindung mit Homosexualität in der Vergangenheit viel Schindluder getrieben worden ist.

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Das Problem heute ist eben, das unser heutiger moralischer Ekel das "Damals" bewertet.
    Wer das damals schon unmöglich fand, ist fein raus. Aber wer das "damals" nicht versteht, der sollte nicht so richten, der sollte erst einmal die Zeit verstehen lernen.

    Das möchte ich dick unterstreichen! Gilt nicht nur für moralische Verurteilungen in Fällen wie den hier besprochenen.

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Was aber m. E. in jedem Fall falsch ist: hysterischer Aktionismus, voreilige gesellschaftliche Empörung, Vorverurteilung bis hin zur kompletten Löschung der Person und deren Lebenswerk (etwa Woody Allen, Kevin Spacey u. ä.). An solchen Fällen zeigt sich halt oft auch, dass die (möglicherweise "schuldigen") Personen aus ökonomisch.motivierten Gründen fallen gelassen werden, z. B. wenn ein Verlag nicht ein Buch veröffentlichen will, weil der Verlag finanzielle EInbussen zu befürchten hat.

    Das finde ich auch. Völlig kontraproduktiv in jeder Hinsicht.

    Ohne Zeiten zu verstehen gäbe es u.a. keine Kirche mehr

    Den Satz verstehe ich nicht.

    Alice Schwarzer beteuert allen Ernstes noch heute, sie sei "auf nichts so stolz wie auf (ihr) Durchhalten in der Causa Kachelmann".

    Wirklich armselig, wenn man nichts hat, auf das man mehr stolz sein kann. Aber von der Schwarzer hab ich sowieso sehr wenig bis nichts gehalten.

    Wegen der im Mai 2023 in Kraft getretenen Forenregeln beteilige ich mich in diesem Forum nicht mehr (sondern schreibe unter demselben Pseudonym in einem anderen Forum), bin aber hier per PN weiterhin erreichbar.

  • Christian und maticus haben uneingeschränkt vollkommen Recht mit dem, was sie schreiben!

    Und dann denke ich an die Veröffentlichung des Gutachtens, das gestern durch die Nachrichten ging, des Gutachtens, dass das Erzbistum Köln in Auftrag gegeben hatte, um den Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche aufzuarbeiten. Und ich denke an die rege Berichterstattung über dieses Gutachten und die darin erhobenen Vorwürfe, und frage mich, ob man sich die Argumentation und die Sätze aus dieser Diskussion hier auch dort vorstellen könnte, ob man so wie hier über Intendanten, Dirigenten oder Lehrer dort auch über Kardinäle und Generalvikare reden könnte - ich glaube ziemlich sicher nicht.

    Ohne Zeiten zu verstehen gäbe es u.a. keine Kirche mehr

    Ich liebe Wagners Musik mehr als irgendeine andre. Sie ist so laut, daß man sich die ganze Zeit unterhalten kann, ohne daß andre Menschen hören, was man sagt. - Oscar Wilde

  • Vorneweg, ich würde Christian, Maticus und Doc Stänker absolut zustimmen.

    Was damals, in den frühen 90iger Jahren, über ihn in Opernkreisen kursierte, waren. u.a. zwei Geschichten. Levine wäre während seiner Teilnahme an einem bedeutenden Festival mit einem 'Knaben' aufgefunden und von der Polizei verhaftet worden. Freigekommen wäre er nur mit Hilfe der Intendanz, die auch dafür sorgte, dass die Presse nicht erfahren hätte. Dann gab es einen Fall in New York, in dem er bei einem 'Strichjungen' sexuelle Praktiken angewandt hätte, 'bei denen Blut geflossen' wäre. Auch hier griff die Polizei ein, Levine wäre dann aber durch die Zeugenaussage einer namhaften Sängerin entlastet worden.

    So weit das Gerede damals. Wohl gemerkt das Gerede, vielleicht besser gesagt der Tratsch. Von irgendeinem Beweis für diese Geschichten habe ich nie etwas gehört. Von daher auch hier zunächst einmal die Unschuldsvermutung. Aber wenn es stimmen sollte, dann geht es eben nicht nur um Missbrauch durch einen Menschen, geht es nicht nur um Machtausübung durch einen Dirigenten, sondern es geht v.a. auch um das Verhalten einer ganzen Branche, die beide Augen zudrückt, wenn der 'Täter', der 'Beschuldigte' für sie wichtig ist.

    Das Kölner Gutachten hat das für die katholische Kirche einmal mehr gezeigt. Ich bin mir aber sicher, dass das für alle anderen Bereiche, auch für den Kultursektor, genauso gilt. Hat jemand eine bestimmte Position erreicht, liegt Machtmissbrauch in jeder Form nahe. Nahe liegt dann aber auch, dass die ihn umgebenden Bereichen ihn schützen werden.

    Und nochmal. Wenn solche Gerüchte (und andere) schon in Fan-Kreise einsickerten, dann werden die entsprechenden Intendanten, Agenten und Bürokraten davon auch gewusst haben. Und sie haben es zugelassen und das über Jahrzehnte hinweg. Hier liegt für mein Empfinden vielleicht das größte Problem. Dieses ewige Schweigen.

    :wink: Wolfram

    "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." (Samuel Beckett)

    "Rage, rage against the dying of the light" (Dylan Thomas)

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