Schreker: Die Gezeichneten - Komische Oper Berlin (10.2.18)
Alles nicht so einfach mit den Gezeichneten. In München hatte Kryzstof Warlikowski im vergangenen Sommer die Oper als eine gedanken- und bilderreiche, aber auch ziemlich undramatische Reflexion auf die Bühne gebracht. Calixto Bieito interpretiert jetzt in Berlin die Entführung und Vergewaltigung junger Frauen, wie sie in Schrekers Libretto das Skandalon darstellt, als Kindesmissbrauch und die Zentralfigur Alviano als Pädophilen. Das ist eine mögliche Lesart, aber sie funktioniert nicht immer und lässt sich auch nur partiell mit der dominierenden Geschichte um die Dreiecksbeziehung Alviano-Carlotta-Vitelozzo in Übereinstimmung bringen. Das von Alviano geschaffene "Elysium" entpuppt sich im dritten Akt als Vergnügungspark mit allerlei riesigen Stofftieren und anderen überdimensionierten Toys. In den beiden ersten Akten wird das Tabu durch symbolbefrachtete Nebenhandlungen mit Kindern und ubiquitäre Videos angedeutet. Letztlich wirkt die Inszenierung (wie einiges von Bieito in letzter Zeit) halbfertig, oft nur arrangiert, gelegentlich sogar statisch. Einige Szenen (etwa die große Konfrontation Alviano-Carlotta im zweiten Akt) gelingen intensiver, auch dank der darstellerischen Fähigkeiten der Sänger, allen voran die suggestiv spielende Ausrine Stundyte als Carlotta.
Sängerisch hatten die ersten Phrasen Stundytes Schlimmes befürchten lassen - unsicher intoniert, schon in der mittleren Lage bei dynamischer Expansion mit einem wabernden Tremolo und einem scheppernden Beiklang befrachtet. Das bekam sie alles im Laufe der Aufführung (die vierte der Premierenserie) besser in den Griff, aber wirklich optimistisch stimmt diese Leistung für die Sängerin (die nach längerer Karriere jetzt gerade den Sprung auch an große Häuser schafft) nicht. Peter Hoare als Alviano kämpfte mit der deutschen Sprache und gelegentlich auch mit den stimmlichen Anforderungen seiner Partie. Dagegen war der virile Bariton von Michael Nagy eine Idealbesetzung für den Vitelozzo.
Die von Schreker vorgesehene Orchestergröße passt nicht in den Graben der Komischen Oper. Obwohl Harfen und Celesta außerhalb des Grabens positioniert waren, musste man mit einer deutlich verkleinerten Steicherbesetzung auskommen. Was Dirigent Stefan Soltesz, den ich seit seiner Zeit als Essener GMD nicht mehr erlebt hatte, daraus machte, war allerdings bemerkenswert: eine hervorragende Abstimmmung der verschiedenen Instrumentengruppen, die Vielstimmigkeit und Klangfarbenreichtum der Partitur bestens zur Geltung brachte. Das Orchester der Komischen Oper präsentierte sich (anders als bei Debussys Pelléas vor gut zwei Monaten) in Höchstform.