BERG: Wozzeck – Oper des Expressionismus

  • Re Beitr.38

    a) Berg hat, meine ich, mal irgendwo notiert, dass es quasi seine erklärte Absicht sei, dass der "Wozzeck"Hörer von den "Schemata" der einzelnen Szenen möglichst wenig (eher gar nichts) mitbekommen, vielmehr vom Schicksal der Protagonisten - "expressionistisch" eben (?) - "einfach mitgerissen" werden soll....

    b) Den besten Einstieg in die Berg`sche "Gesangswelt" bieten m.E. die "Orchesterlieder op.4"
    (die mich inzw. kompositorisch doch mehr überzeugen als die, vgl.sweise wohl oft zu hörenden, "Sieben frühen Lieder"!)
    - - - - - Bzgl. op.4 ist man vermutlich mit der alten Abbado-Aufnahme (DGG, um 1970) nach wie vor bestens bedient!

    Das TV gibt mehr 'Unterhaltung' aus, als es hat - in der bürgerl. Gesetzgebung nennt man das 'betrügerischen Bankrott' Werner Schneyder Es ging aus heiterem Himmel um Irgendwas. Ich passte da nicht rein. Die anderen aber auch nicht. FiDi über die Teilnahme an seiner ersten (und letzten) Talkshow

  • Demnächst in Radio Ö 1:

    Alban Berg: "Wozzeck"

    Sonntag
    24. März 2013
    20:00

    Mit Simon Keenlyside (Wozzeck), Anne Schwanewilms (Marie), Gary Lehman (Tambourmajor), Herbert Lippert (Hauptmann), Wolfgang Bankl (Doktor) u. a.
    Chor und Orchester der Wiener Staatsoper; Dirigent: Franz Welser-Möst
    (Live-Übertragung aus der Wiener Staatsoper in Dolby Digital 5.1 Surround Sound)

    "http://oe1.orf.at/programm/332313"

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Da ich kürzlich den Wozzeck (werktreu) in der Oper erleben durfte, beschäftigt mich auch das eine oder andere - diese Oper habe ich zuvor höchstens 2x von CD gehört, kenne es also nicht besonders gut.

    Die Augen schließen will ich vor dieser Seite des Menschseins auch nicht. Aber ich bedarf nicht der Musik, um sie mir zu vergegenwärtigen. Ganz im Gegenteil habe ich sie auch ohne Musik viel zu oft vor diesen meinen Augen.....


    Den Schluss erlebte ich als angenehm weinerliche Auflösung des Knotens, der sich bereits vorher in mir gebildet hatte. Die Hammerhärte des Dramas wurde für mich durch die Musik zur angenehmen Sentimentalität gemildert. In meiner Woyzeck-Ausgabe setzt Büchner noch einen Kommentar des Kriminalisten drauf: "Ein perfekter Mord" oder so - bei Büchner bleibt also der Abgrund ohne Aussicht. Berg lässt einen über die süßen Kleinen heulen und gibt dem Hörer mit dem himmlischen Dur eine illusorische optimistische Aufforderung mit. Das halte ich für eine gute Idee, denn ich frage mich mit Bernd, was es für einen Sinn hat, die Scheußlichkeit mit wirkungsvoller Musik zu untermalen zwecks kollektiver masochistischer Erfahrung (Moderne halt). Früher hatte ich diese Schocks sehr gerne, momentan finde ich es weniger angenehm.

    Zitat

    Ich benötige eigentlich keine *Kunst*, um mir der entsetzlichen Seiten, die das Leben auf unserem Planeten für viele Menschen bereithält, bewußt zu sein und zu bleiben.


    So ist es. Der angenehme Kitzel, sich wegen Kunsterfahrung nun für einen guten Menschen zu halten, kommt bei mir nicht mehr.

    Zitat

    Aber wenn in der Kunst um mehr als das Spielerische gehen soll, möchte ich als typischer Boche :D eine metaphysische Dimension sehen. Die Brüder Karamasow zeigen mir diese Dimension (immer und immer wieder), der Tristan zeigt sie mir, auch die Frau ohne Schatten zeigt sie (in vielleicht etwa verquaster Form). Der Wozzeck zeigt sie mir nicht, er zeigt "das ganze Elend", aber nichts, nicht nur ein Fitzelchen, welches über diesen Elend hinausgeht. Und ich persönlich brauche dieses Fitzelchen ganz dringend; das auf sich selbst zurückgeworfene Elend reicht mir als Gegenstand eines Kunstwerks nicht hin.


    Ich sehe das ja nicht so streng, und halte ganz traditionellerweise Woyzeck und Wozzeck für Hauptwerke unserer Kultur – aber mir ist auch lieber, es kommt etwas „Hinausgehendes“ dazu, sonst habe ich letzlich doch beinahe den Eindruck von reiner Spielerei – ausgerechnet dort, wo andere glauben, wegen der Hammerhärte sei kein Platz mehr für Spielerei und es ginge ums Wesentliche.

    Der Musik nähere ich mich etwas langsam durch wiederholtes Anhören – es ist schon sehr sprunghaft und alles sofort wieder weg. Dass es die „erste vollständige atonale Oper“ sein soll, kommt mir komisch vor, da ich so viel Tonales höre, die meisten Melodien könnten anders harmonisiert als Richard Strauss durchgehen. Die Fülle an Quartschritten (insbesondere im Fundament bei der großen Orchesterstelle) und die vielen diatonischen Bewegungen machen mir verständlich, dass Berg damals und heute einen großen Erfolg mit dieser Oper hat – beim breiten Klassikpublikum, nicht nur im Neue-Musik-Kreis.

    Es wird schon die beste Oper des 20. Jahrhunderts sein.

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

  • Hart sich denn jemand von den Freunden dieser Oper die Wozzeck-Chose vom Opernhaus Zürich (2015) reingezogen, welche noch bis 3.9.16 auf ARTE concert liegt?

    http://concert.arte.tv/de/wozzeck-aus-dem-opernhaus-zuerich

    Und was sagen die Experten dazu?

    Die Idee, das ganze als Quasi-Kasperltheater darzubieten fand ich so schräg wie passend. Außerdem: sehr guter Cast. Allerdings bin ich der Oper bisher nur einmal begegnet und hab's daher nicht so mit Vergleichen.

  • Die Idee, das ganze als Quasi-Kasperltheater darzubieten fand ich so schräg wie passend. Außerdem: sehr guter Cast. Allerdings bin ich der Oper bisher nur einmal begegnet und hab's daher nicht so mit Vergleichen.

    habe die beiden letzten Wozzeck-TV-Mitschnitte zwar eingebunkert. Aber bisher nicht getraut mir reinzuziehn, um die ungeheueren Eindrücke der szensichen Umsetzungen von Bieito (diese Arbeit sogar richtig live eingeschmissen mit passioniertem Orchester unter dem damaligen Chef Lü) und Tscherniakow mir nicht zu verkleinern....

    Eine Freundin von uns hatte in der Hertha-Stadt vor oder kurz nach der Wende sich den Wozzeck mit den Wienern unter Abbado (Special Guests) live reingezogen. Wie ich sie bis heute darum höchstlich beneide.....
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    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Alban Berg: "Wozzeck" - Wie Zugang zur Oper finden?

    Die nachfolgenden Beiträge wurden aus einem neu gestarteten Thread "Alban Berg: "Wozzeck" - Wie Zugang zur Oper finden" hierher kopiert, da die Thematik in diesem bereits bestehenden Thread zu Bergs Oper Wozzeck besser passt. Der ursprünglich neu gestartete Thread wurde umbenannt in Zugang zur Musik Alban Bergs im Speziellen und zur Neuen Wiener Schule im Allgemeinen. Dort bitten wir entsprechende Beiträge zu posten, die nicht speziell Bergs Oper Wozzeck zum Thema haben.

    Vielen Dank

    Moderation


    Guten Abend,

    Bezugnehmend auf diesen Thread, wo in den allerhöchsten Tönen von Alban Bergs "Wozzeck" gesprochen wird: BERG: Wozzeck – Oper des Expressionismus
    Einige bezeichnen diese gar als eine der besten Opern der Musikgeschichte.

    Ich persönlich versuche nun schon seit einigen Monaten Zugang zum Wozzeck zu finden und komme nicht weiter. Egal was ich mache, ich verstehe die Genialität nicht, sondern finde "Wozzeck" überaus langweilig und doof. Es will mir einfach nicht gelingen.
    Generell tue ich mich mit zeitgenössischer Musik auch etwas schwer, es hat auch schon einige Jahre gebraucht, bis mir die Opern von Richard Strauss gefallen haben. Aber der Wozzeck ist ja auch bald 100 Jahre alt und gehört zum Repertoire. Da sollte es mir doch als geübter Hörer möglich sein, diese Oper schätzen zu lernen.

    Zum Wozzeck: Ich kenne die literarische Vorlage, habe sie mehrmals im Theater gesehen und im Abitur behandelt. Die Oper habe ich zweimal live gesehen, in Augsburg und neulich in Frankfurt.
    Als Aufnahme habe ich den Boulez auf CD und mehrmals durchgehört. Seit einigen Tagen besitze ich sogar eine Partitur.

    Und so oft ich den Wozzeck auch höre, so oft ich mich mit der Oper beschäftige und die Personen immer besser kenne:
    Ich komme nicht weiter. Mir will es einfach nicht gefallen und ich weiß nicht was an der Musik und der Komposition gut sein soll und ich muss mich zwingen damit mich näher zu beschäftigen.

    Habt Ihr Tipps für mich? Wie finde ich Zugang zu dem Werk? Wie habt Ihr das geschafft? Hat es sich beim ersten Mal anhören direkt geöffnet und die Begeisterung kam?
    Wenn ich den Wozzeck geschafft habe, ist die Lulu dran, glaube das ist noch ein härterer Brocken.

    Grüße
    Phillip

  • Habt Ihr Tipps für mich? Wie finde ich Zugang zu dem Werk? Wie habt Ihr das geschafft? Hat es sich beim ersten Mal anhören direkt geöffnet und die Begeisterung kam?

    Lieber JumpUp, diese Fragen passen doch wunderbar in den von Dir eingangs erwähnten Wozzeck-Thread. Warum stellst Du Deinen Beitrag nicht dort ein? Mein' ja nur... ;)

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Als Aufnahme habe ich den Boulez auf CD und mehrmals durchgehört. Seit einigen Tagen besitze ich sogar eine Partitur.

    Und so oft ich den Wozzeck auch höre, so oft ich mich mit der Oper beschäftige und die Personen immer besser kenne:
    Ich komme nicht weiter. Mir will es einfach nicht gefallen und ich weiß nicht was an der Musik und der Komposition gut sein soll und ich muss mich zwingen damit mich näher zu beschäftigen.

    das wesentlichsten Hindernisse scheinen mir die Wiedergaben/Aufführungen zu sein, die du dir bisher reingezogen hattest. Bisher glitt Bergmucke unter der Leitung von Boulez bei mir gänzlich ab, so sehr ich Boulez als Musiker und Komponist bewundere und schätze. Aber nicht seine Bergsteigerei.

    Idealer Einstieg scheint mir Abbado zu sein. Ich finde seine Wozzeck-Wiedergabe mit den Wienern orchestral einfach hammergeil:
    http://www.youtube.com/watch?v=OdinmlIdnYw
    http://www.youtube.com/watch?v=6Iul1hRx0xw
    http://www.youtube.com/watch?v=viXMstoz5_Q

    Am besten vielleicht mal bestimmte Szenen daraus anklicken, bis der Funke dieser unvergleichlichen Mucke rüberspringt.
    z.B. im 3. Akt die hoch-emotionale Trauermucke nach dem Tod Wozzecks, nach der 4. Szene .. oder die ungeheuerliche 2. Szene im 3. Akt (Marie wird aufgeschlitzt) erst diese Quinten und dann diese Wahnsinnsverwandlungsmucke mit dem H und anschließenden Schlägen sowie der irre "Film-Cut" zur Tanzmucke der Kneipe.. das kommt einfach unglaublich fetzig rüber ... und ...und ....und ..

    Wenn ich den Wozzeck geschafft habe, ist die Lulu dran, glaube das ist noch ein härterer Brocken..

    auch keinesfalls Boulez wählen .. es sollte eine Wiedergabe sein, die klangsinnlich und vor allem verschwenderisch rüberkommt z.B. Levine vom 20.12.80 oder 20.04.02......
    gibt es leider via YT nicht, leider auch nicht Zagrosek (Amsterdam) oder Daniel (Brüssel) erhältlich => Lano
    http://www.youtube.com/watch?v=YCc85R2KFQU ff
    die kommerziell handelbaren Lulu-CDs, die ich mir eingeschmissen habe (z.B. Boulez, Böhm, Schirmer, von Dohnányi) kann ich nicht empfehlen...
    (Eine der wenigen empfehlenswerten Studioaufnahmen vom Bergschen Kammerkonzert ist die von Zabki eingestellte:
    http://www.youtube.com/watch?v=C-Kw5Fyxe_Y ; gelungene Radiomitschnitte davon gibt es mehrere z.B. Levine, Welser-Möst, Gielen, Knussen..)

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Danke für Eure anfängliche Hilfe.
    Dachte bislang, Boulez sei so eine Art Gott für Musik des 20. Jahrhunderts?

    Habe einen neuen Thread eröffnet, da der alte ja irgendwo in den Tiefen dieses Forums liegt und meine Frage gar nicht gestellt wird.

    Ps. Boulez's (Grammatik korrekt?) Lulu habe ich mir neulich auf CD gekauft :)

  • französisch gesungener Wozzeck auch für Berg-Steiger und Raritäten-Freaks....

    http://www.youtube.com/watch?v=YCD91NB2b4s&t=23s

    soeben angefangen mir davon Audio-String einzuschmeissen:
    weniger „historische“ Tonquali während Zwischenspiels zur 3. Szene wär schon cooler ..
    Orchester kommt mir zuweilen gröber rüber als z.B. unter Shao-Chia Lü oder Abbado z.B. in der 2. Szene mit Andres..
    .. so what ?
    .... dafür fetzige Klang-Rasiermesser-Schärfen in 1. Szene mit Hauptmann und geil Aggro vom Blech in 2. Szene mit Andres... immer wieder schön ätzend gepresst .... intensive Marie-Quinten ..... je länger String reingeschlürft, desto mehr Wozzeck-Fetzigkeits-Level, Sog extrem passionierter Muckenwiedergabe .... beide Löffel fressen sich am Audio-String schier fest...
    => bisher anheimelndes Wozzeck-Mucken-Feeling mit einem Schuss NWS-Nostalgie …..

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Die Auffassung, Boulez Darstellungen von Wozzeck und Lulu seien zu spröde oder sonstwie ungeeignet sich den Werken zu nähern, wird gelegentlich geäussert, man muß sie jedoch nicht teilen. Ich bin z.B. ganz und gar nicht dieser Auffassung. Berg gewissermaßen als späten Romantiker zu begreifen und daher den Expressionismus seines Stils zu relativieren ist ein Ansatz von mehreren. Aber Berg war der Schule von Schönberg verpflichtet, die er zwar weniger konsequent umgesetzt hat als dieser selber oder Anton Webern, und daher fordern seine Werke einen analytischen Interpretationsansatz. Das gelingt nun einem in der seriellen Musik geschulten Dirigenten wie Boulez ganz vortrefflich. Daher finde ich seine Darstellung des Wozzeck sehr konsequent, macht er doch die vielfältigen Strukturen dieser Musik sehr deutlich. Denn diese Oper kann man nicht goutieren, weil sie den Stoff von Büchner sehr unmittelbar umsetzt, und sich nicht davor scheut die Brutalität und Ohnmacht musikalisch umzusetzen.
    Ob einen diese Musik unmittelbar anspricht, oder ob man längere Zeit benötigt sich ihr zu nähern, hängt von den musikalischen Präferenzen und der Bereitschaft ab, sich intensiver mit einem Werk zu beschäftigen. Bei einer anderen, vom Libretto ähnlichen Oper, nämlich "Die Soldaten" von Bernd Alois Zimmermann, ist das kompositorische Material noch radikaler als bei Berg. Aber auch das ist schon keine zeitgenössische Musik mehr, denn Zimmermann schied bereits 1970 freiwillig aus dem Leben.

    Generell tue ich mich mit zeitgenössischer Musik auch etwas schwer, es hat auch schon einige Jahre gebraucht, bis mir die Opern von Richard Strauss gefallen haben

    Bei dieser Aussage scheint es offenbar generelle Vorbehalte zur Musik des 20. Jh. zu geben. Aber warum sollte man das Verständnis für ein Werk erzwingen wollen? Es gibt doch genug andere Opern, die sich anzuhören lohnen.
    Der Wozzeck hat sich wohl hauptsächlich wegen seiner Expressivität und genialen Faktur durchgesetzt. Darüber hinaus ist das Libretto im Gegensatz zu vielen anderen hervorragend zur Vertonung geeignet, und bietet auch vielfältige szenische Möglichkeiten zur Umsetzung.
    Ich verehre diese Oper und die Musik von Alban Berg, weil ich die Musik des Expressionismus mag. Die Zeit zwischen dem Beginn des ersten Weltkrieges bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten gehört für mich zu den spannensten Epochen der Musikgeschichte.

    Peter

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Das gelingt nun einem in der seriellen Musik geschulten Dirigenten wie Boulez ganz vortrefflich

    Das soll ja keineswegs geringgeschätzt werden. Aber das allein genügt – nach meiner Erfahrung - nicht zur fetzigen Realisierung von Bergs Mucke. Und gerade Boulez-Lulu kommt mir außerdem nicht besonders transparent rüber. Da bieten Radio-Mitschnitte unter Orchesterquälern wie z.B. Petrenko (Weißwurst-Town) , Tilson-Thomas (englisch, Santa Fee), Pappano (Brexit-Town) oder jüngst der 1. Akt in HSV-Town unter Nagano sehr viel mehr. ...
    Bei Berg-Mucke scheint es mir generell wichtig, dass Wiedergaben – neben der von dir geforderten erforderlichen Deutlichkeit - den Moment des Süffigen, Passionierten und Verschwenderischen nicht verkacken. Ohne dieses Momente, die man - finde ich - nicht mit Romantik identifizieren sollte, kommt sie einem eher tendenziell stumm rüber....

    Denn diese Oper kann man nicht goutieren, weil sie den Stoff von Büchner sehr unmittelbar umsetzt, und sich nicht davor scheut die Brutalität und Ohnmacht musikalisch umzusetzen.

    Auch Wozzeck-Mucke tritt – bei all ihrem Ausdruck von Verzweiflung - ihren ästhetischen Schein nicht in die Tonne. Sie will doch ihren Kunstcharakter nicht abschmieren lassen. Denn z.B. was einem in höchster Fetzigkeit in die Lauscherchen reinträufelt so an buchstäblich süßen Klangfarben, winzig-sinnlichsten Details, kontrastierend zu fiesen + harten expressionistischen Ausbrüchen und dem strukturellen Gefüge, dass den Wozzeck-Mucken-Laden quasi zusammenhält, das ist in jeder Mini-Sekunde so reichhaltig und vielfältig, das lässt sich mit Worten schwer beschreiben.
    Also das Moment des goutierenden Reinschlürfens lässt sich m.E. beim Wozzeck nicht unterbuttern, ohne Wozzeck-Mucken-Reinziehn allein darauf fest nageln zu wollen.....

    Bei einer anderen, vom Libretto ähnlichen Oper, nämlich "Die Soldaten" von Bernd Alois Zimmermann, ist das kompositorische Material noch radikaler als bei Berg. Aber auch das ist schon keine zeitgenössische Musik mehr, denn Zimmermann schied bereits 1970 freiwillig aus dem Leben.

    Wenn man in Spielpläne – nicht bloß 2017 – reinglotzt und sieht, was da an „zeitgenössischer“ Mucke verzapft wird, nämlich oft bloß solche, die den Hörer nicht besonders die Fresse poliert. Derlei Mucke kriegt dann Feedback, wie z.B. a). „ist spielbar“ oder b.) „das kann man sich gut anhören“ so im Falle von z.B.Dialogues des Carmélites, Battistellis Lot, Brittens Midsummer Night's Dream, Glanerts Caligula .. und .. und .. und....
    Menno dagegen kommt einen doch Bazis Soldatenmucke vergleichsweise äußerst "zeitgenössisch" rüber und letztlich auch beide Berg-Opern sowie die von Schönberg, und das ist doch Mucke unserer Ur-Ur-Ur-Großväter ....
    Berg selbst zweifelte an der Qualität seiner Wozzeck-Mucke, weil sie beim Publikum gut ankommt.. so plauderte es mal einer seiner Schüler aus.....

    Ich verehre diese Oper und die Musik von Alban Berg,

    Ich auch. Die Mucke seines Freundes Webern und die seines Lehrers Schönberg nicht minder.

    Die Zeit zwischen dem Beginn des ersten Weltkrieges bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten gehört für mich zu den spannensten Epochen der Musikgeschichte.

    Ja, NWS ist mega-geil. Und auch danach wurde und wird fetzige Mucke geschrieben...

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Zur Frage "Wie Zugang zur Oper finden?":
    Heute Morgen zappte ich zufällt in eine NDR-Sendung der Reihe "Musik Kontakte" rein. Dort wurden Auszüge aus dem 3. Akt gezeigt und näher erläutert. Musikalische Leitung: Gerd Albrecht. Fand' ich sehr interessant und machte Lust auf mehr. Nun hatte ich diese Oper bislang nur 1 x gesehen. Vor einigen Monaten sah ich die Züricher Inszenierung mit Christian Gerhaher im Fernsehen. Nichts gegen die Inszenierung, die mir sogar sehr gefallen hat, aber ich empfand die Oper an sich als ... nun ja, eher "verstörend". Die heutige Sendung hat mir diese Oper jedoch ein wenig näher gebracht. Schade, dass es keine Wiederholung davon gibt. Vielleicht weiß der ein oder andere ja, ob sie nicht doch noch irgendwo verfügbar ist (war eine ältere Aufzeichnung; schätze mal aus den 80er Jahren). Ich denke, früher oder später muss ich mir diese Oper mal live anschauen ...

    "Welche Büste soll ich aufs Klavier stellen: Beethoven oder Mozart?" "Beethoven, der war taub!" (Igor Fjodorowitsch Strawinsky)



  • aber ich empfand die Oper an sich als ... nun ja, eher "verstörend".

    das halte ich für idealen Zugang zur Wozzeck-Mucke...

    Schade, dass es keine Wiederholung davon gibt.

    NDR-Mediathek leider tote Hose... vielleicht gibs in YT demnächst davon der String.

    Ich denke, früher oder später muss ich mir diese Oper mal live anschauen ...

    Unbedingte Empfehlung !
    Ich wünsche dir dabei vor allem ein fetziges Orchester, das Vielfältigkeit, Zartheit und "verstörenden" Ausdruck der Wozzeck-Mucke gleichmaßen rüberkommen lässt Für mich bilden aus der Vergangenheit die Wiener unter Claudio Abbado einer der Favoriten. ...

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • das halte ich für idealen Zugang zur Wozzeck-Mucke...

    Echt? :D

    Unbedingte Empfehlung !
    Ich wünsche dir dabei vor allem ein fetziges Orchester, das Vielfältigkeit, Zartheit und "verstörenden" Ausdruck der Wozzeck-Mucke gleichmaßen rüberkommen lässt Für mich bilden aus der Vergangenheit die Wiener unter Claudio Abbado einer der Favoriten. ...

    Danke, lieber Amfortas09! :) Ich werde mich sicher noch näher mit dieser Oper befassen. :jaja1: :thumbup:

    "Welche Büste soll ich aufs Klavier stellen: Beethoven oder Mozart?" "Beethoven, der war taub!" (Igor Fjodorowitsch Strawinsky)



  • Eben gefunden, unter Grammys 2018 im Bereich Klassik:

    Alban Berg: Wozzeck
    Wozzeck: Roman Trekel
    Marie: Anne Schwanewilms
    Hauptmann: Marc Molomot
    Doktor: Nathan Berg
    Tambourmajor: Gordon Gietz
    Andres: Robert McPherson
    Margret: Katherine Ciesinski
    Erster Handwerksbursche: Calvin Griffin
    Zweiter Handwerksbursche: Samuel Schultz
    Der Narr: Brenton Ryan
    Mitglieder des Houston Grand Opera Children’s Chorus (Karen Reeves, Chorleiterin)
    Chorus of Students and Alumni, Shepherd School of Music, Rice University
    Houston Symphony, Dirigent: Hans Graf

    Die Aufnahme bekam einen "Grammy" in der Rubrik Oper; JPC zitiert lobende Kritiken. Es handelt sich offensichtlich um den Live-Mitschnitt, zusammengesetzt aus zwei konzertanten Aufführungen 2013. Dirigent und Orchester sind mir allerdings noch unbekannt.

    Kennt jemand die Aufnahme und mag etwas dazu äußern?

    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Berg singt mit!
    :versteck1:

    This play can only function if performed strictly as written and in accordance with its stage instructions, nothing added and nothing removed. (Samuel Beckett)
    playing in good Taste doth not confit of frequent Passages, but in expressing with Strength and Delicacy the Intention of the Composer (F. Geminiani)

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