Schostakowitsch: Streichquartett Nr. 5 B-Dur op. 92

  • Schostakowitsch: Streichquartett Nr. 5 B-Dur op. 92

    Momentan habe ich nicht die Muße, hier eine Einführung in dieses Werk zu geben, obwohl es inzwischen/momentan mein Lieblingsstreichquartett ist. Ich möchte hier nur kurz einen Aspekt aufgreifen. Dieses Quartett von Schostakowitsch ist ja u. a. bekannt dafür, dass es das "Ustvolskaja-Thema" aus ihrem Trio für Klarinette, Violine und Klavier (1949) quasi als Leitmotiv enthält. In einem anderen Forum schrieb ich dazu:

    Mehr als erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang nun Folgendes: Im Dezember 2003 fand Olga Digonskaya einen unvollendeten Symphonischen Satz, offenbar im Januar 1945 komponiert und für eine erste Version der 9. Sinfonie vorgesehen. Dieser enthält klar hörbar das oben genannte Motiv, worauf auch David Fanning in dem sehr informativen Text der folgenden CD (Naxos 2009) hinweist:

    Ustvolkajas Trio entstand erst 1949, so dass es nun eher wahrscheinlich ist, dass Schostakowitschs Schülerin Ustvolskaja das Thema von ihm hat und nicht umgekehrt.

    maticus :wink:

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

  • Danke lieber maticus für diese hochinteressanten musikhistorischen Bemerkungen!

    Ich finde: Ein erstaunliches, ganz starkes Streichquartett!

    Ich versuch´s mal in aller Kürze.

    Dmitri Schostakowitschs Streichquartett Nr. 5 B-Dur op. 92 aus dem Jahr 1952 hat drei Sätze, die direkt ineinander übergehen.

    Der erste Satz, Allegro non troppo, ist wieder einmal ein Sonatensatz mit wiederholter Exposition – das erste Thema motorisch, das zweite ein wehmütiger Melodieeinfall, und die Durchführung steigt auf in eine andere Sphäre, aber energisch. Nach der Reprise entschwebt die Coda in leichte Pizzicati. Das zunächst von der Viola vorgestellte Motiv c-d-es-h-cis prägt vor allem die Durchführung hartnäckig. Es beinhaltet die Initialen des Komponisten (d-es-c-h).

    Im zweiten Satz, Andante, bleibt die Zeit stehen. Das ist ein Traumfluss, neun Minuten lang.

    Der dritte Satz, Moderato, beginnt tänzerisch, dann kommt es zu einer großen Steigerung, die aber wieder abflaut. Einsame Stimmen bleiben übrig, wie Rufer in der Wüste. Plötzlich ist aber das Tänzerische wieder da – und verklärt sich ins Sphärische.

    Leidenschaftlich führt mich das Rasumowsky Quartett (gehört aus der von Juni bis Dezember 2005 im Musikstudio 1 des Saarländischen Rundfunks in Saarbrücken aufgenommenen Gesamtaufnahme der Schostakowitsch Quartette, 5 CD Box Oehms Classics OC 562, Spieldauer 31:00 Minuten) durch diese große Streichquartett-Welt. Mit dieser Aufnahme bin ich sofort mittendrin, lebe die Musik mit statt nur distanziert die Verläufe zu beobachten.

    So tolle, singuläre Streichquartett Werke - und ich darf noch so viel entdecken, habe ja noch die Schostakowitsch Quartette 6 bis 15 vor mir, und noch viel mehr...

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Neben den beiden letzten Quartetten gehört das 5. für mich zu den großen Drei.

    DSCH komponierte dieses Werk kurz vor seinem „Schwesternwerk“ (aus zeitlichen wie auch inhaltlichen Gründen so genannt), der 10. Sinfonie. Dies geschah zu einer Zeit, in der fast alle seiner Werke beim Stalin-Regime als unerwünscht galten. Einerseits wurden der Komponist und seine Werke seitens der „Macht“ denunziert und wenig gespielt, andererseits reiste er häufig im Namen seines Landes ins Ausland, um zu repräsentieren; in Europa hatte er schließlich einen guten Namen als Komponist. Während die Sinfonie nach dem Tod Stalins geschrieben wurde, verfasste DSCH das Quartett kurz vorher, wartete mit der Aufführung und Publizierung allerdings, wie bei manch anderen seiner Werke, bis zum Tod des Diktators.

    Das Streichquartett wurde gewidmet und in der Uraufführung gespielt von den Mitgliedern „seines“ Beethoven-Quartetts, und zwar zu deren 30-jährigem Jubiläum. Es besteht aus drei Sätzen, die jeweils durch lang anhaltende Töne verbunden, also nicht durch Pausen getrennt sind. Der erste Satz (Allegro non troppo) besteht aus einer Sonatenform; der Satz ist voller Kraft und rhythmischen Finessen und Gegensätzen, wie z.B. die Grundcharaktere der beiden Hauptthemen. Die Bandbreite der Emotionen ist hier sehr groß; wie in den späten Streichquartetten Beethovens verschmelzen hier krasse Gegensätze zu einer Einheit – stets unter dem allgegenwärtigen Flügel der Melancholie.

    Der zweite Satz (Andante im Wechsel mit Andantino) ist wunderschön; es ist Melancholie, vielleicht auch mit Anteilen von Niedergeschlagenheit, von seiner gestalterisch schönsten Ausprägung – gipfelt aber nie in Hoffnungslosigkeit. Auch wenn, wie Alexander beschreibt, die Zeit stehen zu bleiben scheint, geschieht dennoch so viel. Das ist Poesie.

    Der dritte Satz schließlich ist ebenso ausdrucksvoll wie die beiden vorangegangenen. Trotz tänzerischer und lustiger Themen und Passagen ist die „schostakowitschtypische“ Melancholie und Zartheit stets präsent. Der Schlussatz beinhaltet ein Wechselspiel mit den Ausdrucksweisen der beiden ersten Sätze – und geht am Schluss langsam in einen „Flüsterton“ über, womit er auch endet.

    Das fünfte Quartettt beträgt mehr als eine halbe Stunde. Es ist ein Werk der großen Dimensionen.


    Uwe

    Wenn alle ein klein wenig verrückter wären, dann wäre die Welt nicht so durchgedreht.

  • Ich habe neulich in "Eben gehört" gepostet, dass mir während des Murot-Tatorts unvermittelt Melodien des 5. Streichquartetts, 1. Satz, in den Sinn kamen. Seitdem kommen sie mir häufiger in den Sinn. Und da fiel mir auf, als ich eine der Melodien etwas akzentuierter (und vielleicht auch minimal variiert) geistig für mich hörte, dass es das Motiv aus der Leningrader Sinfonie im ersten Satz, sein könnte, das dort immer weiter gesteigert wird. Es erklingt in der Leningrader (leicht variiert) dreimal direkt hintereiander, jeweils mit dem "Gewaltmotiv" endent, bevor es "ins Maxim" geht. Im 5. Quartett erscheint es nur zweifach direkt hintereinander (jeweils mit Gewaltmotiv endent) am Ende der Exposition. Können das andere auch erkennen bzw. verifizieren? Oder ist das zu weit hergeholt?

    Ich meine z. B. die Stelle 2:12-2:20 in folgender Einspielung (1. Satz). Es hat eher besinnlich-abschließenden Charakter. WenigeTakte später wird die Exposition wiederholt, so dass die Stelle nochmal bei 4:42-4:49 erscheint. Kurz danach beginnt die Durchführung. (Ich habe jetzt keine Partitur hier.)

    Übrigens, das darf man in diesem Thread ja auch loswerden, die Einspielung mit dem Artemis Quartett finde ich umwerfend gut.


    maticus

    Social media is the toilet of the internet. --- Lady Gaga

    Ich lieb‘ den Schlaf, doch mehr noch: Stein zu sein.
    Wenn ringsum nur Schande herrscht und nur Zerstören,
    so heißt mein Glück: nicht sehen und nicht hören.
    Drum leise, Freund, lass mich im Schlaf allein.
                       --- Michelangelo Buonarroti (dt. Nachdicht. J. Morgener)

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!