Was Amateure blechen, wenn Profis versilbern

  • Was Amateure blechen, wenn Profis versilbern

    Im Zusammenhang mit 4’33’’ stellte Micha in unserem beliebten Unterhaltungsthread für die ganze Familie folgende Frage:

    Zitat

    Eine OT-Nachfrage dazu: wie ist das eigentlich mit Tantiemen, wenn man in einem Schülerkonzert moderne Werke aufführt? Das kann ja ganz schön teuer werden. Oder sind Schulen generell davon befreit? Und gibt es sonst Erfahrungen mit Neuer Musik in Schülerkonzerten? Womöglich sogar "Klassiker", die immer mal wieder in so einem Zusammenhang vorkommen?


    Diesen Thread möchte ich mit einigen Beispielen aus dem Alltag beginnen, in der Hoffnung, andere Capricci, die musikalisch aktiv unterwegs sind und mit ihrer Kunst an die Öffentlichkeit treten, mögen ihre Erfahrungen mit anfügen.


    Dieses Schwätzchen ist ein Plaudern aus der Schule und erhebt keinen Anspruch auf juristische Korrektheit.

    Hier geht es natürlich um Werke, die – wie auch immer geartet – noch unter Copyright und Lizenzrecht stehen.


    Zudem wird die Rechtevergabe in der Regel zweigleisig gefahren: Einmal für professionelle Aufführungen (Berufsmusiker, Schauspiel- und Opernhäuser, kommerziell orientierte Einrichtungen etc) , zum anderen für Amateure (Musikliebhaber, Schulensembles, Laienspielgruppen etc).

    Hier kommen teilweise sehr unterschiedliche Regelungen – auch finanzieller Art - zur Anwendung. Muss aber nicht sein.

    Dieser Thread soll sich mit der Amateurschiene beschäftigen, eine Profiparallele wäre, denke ich, sehr wünschenswert.



    Vorbemerkung


    Zunächst sei zur allgemeinen Verwirrung , dass die Schöpfer noch geschützter Werke bzw. ihre Erben bzw. sonstige Interessensgemeinschaften von unterschiedlichsten Körperschaften vertreten werden.

    Privatpersonen, Verlage, Gesellschaften, Agenturen, Anwälte, Erbengemeinschaften, nichts ist unmöglich.

    Will man also ein Werk aufführen, so ist das Studium seiner Partitur und ihre Vermittlung an die Musiker das geringste Problem.

    Erstmal finden.

    Dann bekommen.

    Dann einstudieren dürfen.

    Dann aufführen dürfen.

    Dann unbehelligt bis zur Dernière kommen.


    Zudem sind etliche Werke mit bestimmten Restriktionen belegt. Die gängigste: Keine Veränderung am musikalischen (und/oder auch textlichen) Material.

    Hier stock’ ich schon, wer hilft mir weiter fort?

    Was, wenn für meine Amateurgruppe keine in der Partitur notierte Harfe herbeizuschaffen ist?

    Was, wenn sich mein E-Bassist sich weigert, auf einen Kontrabass umzusteigen?

    Was, wenn meine Sopranistin lieber herunteroktavieren möchte?

    Was, wenn Arrangements, Umorchestrierungen, Kürzungen, Erweiterungen Ergänzungen etc aus bestimmten Situationen und Gegebenheiten heraus notwendig werden?


    Geldstrafe, Knast, Kaffeesuchtentzugserscheinungen, sozialer Abstieg, Anspucken auf der Straße, Depressionen, Selbstmord, mit viel Glück ist wenigstens der in der Partitur musikalisch vorgeformt.

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms

  • Fall 1: Die Dreigroschenoper


    Die Situation:

    Meine Theatertruppe an der Schule, bestehend aus etwa 35 Schülerinnen und Schülern, kam mit dem dringenden, um nicht zu sagen, drängelnden Wunsch auf mich zu, auch einmal ein Musical aufführen und selbst singen zu wollen.

    Da wir kein musisches Gymnasium sind, kaum jemand über eine wie auch immer geartete Gesangsausbildung verfügt und wir überdies in einem Teil Frankens angesiedelt sind, in dem ein Virus sämtliche Streicher ausgerottet hat, hier aber jeder in irgendwas reintrötet, war mein Vorschlag an die Wagemutigen schließlich die Dreigroschenoper.

    Die ist explizit für Schauspieler, nicht für Sänger geschrieben, die Partitur ist zudem frankenfreundlich bläserlastig notiert, und das Werk verlangt auch keine professionelle Dance-Company. Zudem bietet sie jede Menge Rollen, nicht selbstverständlich und eine der größten Schwierigkeiten bei einer so großen Gruppe, und Text wie Musik kann man als durchaus gehaltvoll bezeichnen.


    Die Tatsache, dass sich unsere beiden fest bestallten Musiklehrerinnen letztes Schuljahr durch zwei geplante oder ungeplante Vorfälle mehr oder weniger zufällig parallel in bezahlter Mutterschaftsschutzhaft befanden, schusterte mir die Aufgabe zu, auch die musikalischen Vorbereitungen und Proben zu übernehmen.

    Der als Vertretung eingestellte Schulmusiker zeigte sich nicht kooperativ, der zu erwartende, kompensierende Referendar war zunächst nicht wirklich für ein solches Projekt einzukalkulieren.



    Das Vorgehen:


    War vergleichsweise bequem.

    Dass der Text der Dreigroschenoper bei Suhrkamp verlegt ist, ist bekannt, Universal Edition als Verleger des musikalischen Materials herauszufinden nicht schwer.

    Die Dirigier-Partitur wie die Instrumentalstimmen sind nicht zum Kauf im Handel erhältlich, eine Taschenpartitur jedoch sehr wohl. Die Anforderungen an das Orchester waren also im Vorfeld abcheckbar.


    Ein Anruf bei Suhrkamp brachte weitere erfreuliche Tatsachen an den Tag: Suhrkamp vertreibt für Amateuraufführungen ein Gesamtpaket.

    Aufführungsrechte ohne verpflichtende Abnahme von Textbüchern für das Schauspiel, kombiniert mit Aufführungsrechten für die Musik inklusive leihweiser Überlassung des gesamten musikalischen Materials.

    Der Umfang: 1 Dirigierpartitur (mit zur Suhrkampausgabe nonkonformer Textversion), 5 Klavierauszüge, doppelt ausgefertigte Instrumentalstimmen (I – VII), etwa 10 Chorstimmen.


    Dieses Angebot gilt allerdings nur für Aufführungen auf ehemals westdeutschem Boden. Lägen wir ein paar Kilometer weiter östlich, so läge aufgrund ominöser Rechtsverhältnisse älterer Bauart das Textrecht nach wie vor bei Suhrkamp, um die musikalischen Aufführungslizenz hätte ich mich bei der Kurt Weill Foundation for Music, Inc., New York höchstpersönlich bemühen müssen.

    Schwein gehabt.



    Die Bezahlung:


    Kaum zu fassen: Die Brecht-Erben wollen nicht mehr als wenig bekannte Autoren für beliebige Schultheaterstücke.

    Den Prozentsatz für den Fall des Verkaufens von Eintrittskarten habe ich nicht mehr präsent (muss gelegentlich mal den Vertrag rauskramen), für unsere beiden aufeinanderfolgenden Aufführungen auf Spendenbasis wurden um die € 82.- pro Abend verlangt – eine absolut gängige und für eine Schule problemlos erfüllbare Forderung.


    Für die Aufführungsrechte der Musik, natürlich untrennbar mit jenen für das Schauspiel verbunden, unter zeitlich geradezu unbegrenzter Zurverfügungstellung (Probenbeginn im November, Rückgabe im September des darauffolgenden Jahres, zwei Monate nach den Aufführungen) des gesamten Leihmaterials war Suhrkamp und damit wohl der Weill-Nachfolge die Summe von € 240.- zu entrichten, zahlbar gemeinsam mit den Texttantiemen und in einem Rutsch.

    Komfortabler geht’s kaum.



    Die Bedingungen:


    Der zweiseitige Vertrag sieht strenge Regelungen vor. Oberste Priorität: Originalgetreue Wiedergabe des Werks in Text und Musik. Alle etwaigen Abänderungen bedürfen der Genehmigung des Verlags.


    Prinzipiell also:

    - Es seien keine Kürzungen, Änderungen oder Ergänzungen bezüglich des Textes vorzunehmen.

    - Es seien keine Änderung an der Partitur bezüglich Instrumentierung und Besetzungsstärke vorzunehmen.

    - Das musikalische Material sei vollständig und ausschließlich an den im Text vorgesehenen Stellen (gar nicht so einfach, wenn der Text in der Partitur von jenem im Buch – auch hier gibt es zwei Versionen – abweicht) aufzuführen. -


    Hinzu kommen einige recht hübsche Vorschriften.

    Die Namen beider Autoren (Brecht und Weill) seien auf Plakaten, Programmen und sonstigen Ankündigungen gleich groß anzugeben, der Name des Textautors sei ausdrücklich „Bertolt Brecht“ (nicht Bert oder ähnliches) auszuschreiben, dem Verlag seien Programm- und Plakatexemplare zuzusenden.



    An welche Vorgaben ich mich bei diesem Projekt über ein ganzes Schuljahr hinweg mit 110 Schülerinnen und Schülern onstage und etlichen weiteren in der Vorbereitung gehalten habe, an welche nicht, werde ich vielleicht mal im internen Bereich verraten...



    Fortsetzung folgt mit Fall 2. Wenn ich nicht verhaftet werde.



    audiamus

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms

  • Fall 1: Die Dreigroschenoper
    [...]

    Lieber audiamus,

    eine interessante Schilderung! Wenn ich das so lese bin ich heilfroh, daß ich mich seinerzeit in den Siebzigern als Schüler nicht um derartige Dinge kümmern musste, als wir an unserer Schule Orffs "Catulli Carmina" halbszenisch aufgeführt haben. Soweit ich mich erinnere, gab es dafür damals keine käuflichen Noten, ein bißchen was zu organisieren hatte der Gute da also auch. Ob aber in dem Umfang wie von Dir geschildert, entzieht sich leider meiner Kenntnis.

    Grüße,
    Wolfgang

    Die Wahrheit zu sehen müssen wir vertragen können, vor Allem aber
    sollen wir sie unseren Mitmenschen und der Nachwelt überliefern,
    sei sie günstig oder ungünstig für uns. (August Sander)

  • Lieber audiamus, schöner Bericht! Doch wenn's so schwierig ist: Warum wartet Ihr nicht einfach bis 2026? Dann könnt Ihr mit den drei Groschen machen, was Ihr wollt... :D

    Und jetzt Fall 2. :)

    Es grüßt Gurnemanz

    ---
    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.
    Helmut Lachenmann

  • Der zweiseitige Vertrag sieht strenge Regelungen vor. Oberste Priorität: Originalgetreue Wiedergabe des Werks in Text und Musik. Alle etwaigen Abänderungen bedürfen der Genehmigung des Verlags.

    was sich stellenweise krass anhört, ist bei genauerem Hinsehen logisch:
    Jede Bearbeitung hätte ein zusätzliches Urheberrecht des Bearbeiters zur Folge, was natürlich aus Sicht der (Erst)Urheber tunlichst zu vermeiden ist.

    Und, wie anders als mit knallharten Regelungen wäre sicherzustellen, daß der Wille des Urhebers befolgt wird?
    Daß dabei häufig übers Ziel hinausgeschossen wird, keine Frage.
    Auf die weiteren Folgen bin ich gespannt, v.a. zu welchen Zugeständnissen der Verlag in Anbetracht besonderer Umstände doch noch bereit war (oder wurden die nur unter der Auflage des unbedingten Stillschweigens erteilt...?).

    Khampan

  • Naja. Die Brecht-Erben sind berüchtigt für die Verträge, durch die sie letztlich jede weitergehende interpretatorische Auseinandersetzung mit dem Werk Brechts verhindern. Ich habe mich schon manches Mal gefragt, ob das nicht ein besonderer Fall von (vermutlich unbewusster) Generationen-Rache ist: den übermächtigen Großpapa ins Museum abschieben und dort verstauben lassen...

    Grüße,
    Micha

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