Britten, Benjamin: Serenade für Tenor, Horn und Streicher, op. 31

  • Britten, Benjamin: Serenade für Tenor, Horn und Streicher, op. 31

    (Zusammenfasung eines Threads aus TAMINO)

    "The day's grown old; the fainting sun
    Has but a little way to run,
    And yet his steeds with all his skill,
    Scarce lug the chariot down the hill..."

    Es lange Zeit gedauert bis ich mich mit Brittens Serenade für Tenor, Horn und Streichorchester einigermaßen anfreunden konnte. Ich empfand diese Musik als zu deprimierend, woran besonders die beiden mittleren Sätze Elegy und Dirge nicht ganz schuldlos waren. Denn Britten konfrontiert darin den Zuhörer schonungslos und direkt mit den Themen Vergänglichkeit und Tod. Andererseits ist es eine wunderschöne, genial ersonnene Musik, die selbst eingefleischte Skeptiker in Bezug auf die Klänge des 20. Jahrhunderts für sich einnehmen dürfte. Auch ich habe nach mehrfachem Wiederhören zwischenzeitlich die Qualität und die Schönheit dieses Werks kennen und schätzen gelernt.

    Britten schrieb diese Serenade im Jahr 1943 für den Tenor Peter Pears und den Hornisten Dennis Brain. Das Werk setzt sich aus sechs Liedern nach Texten englischer Dichter zusammen. Umrahmt wird es von einem unbegleiteten Prolog und einem Epilog des Solohorns, wobei der Epilog nichts anderes als eine Reprise des Prologs ist.

    "...The shadows now so long do grow,
    That brambles like tall cedars show;
    Mole hills seem mountains, and the ant
    Appears a monstrous elephant..."

    Das erste Lied Pastoral (Text von Charles Cotton, 1630-1687) malt die Stimmung eines Abends auf dem Lande. Es ist eine recht schlichte Komposition; auf mich wirkt sie heiter und sehr zärtlich und ruft Bilder einer anmutigen Landschaft in den satten Farben des Abendlichts hervor. Das Orchester hält sich hier noch zurück. Es lässt den beiden Solisten den Vortritt und beschränkt sich auf warme Streicherakkorde.
    Etwas mehr Bewegung kommt im Nocturne (Text von Alfred Lord Tennyson, 1809-1892) auf, das für mich ebenfalls die musikalische Darstellung einer nächtlichen Landschaft ist. Die Streichinstrumente sollen mit ihren quirligen Motiven wohl die Seen und Wasserfälle imitieren:

    "...the long night shakes across the lakes,
    And the wild cataract leaps in glory..."

    Sehr schön komponiert hat hier Britten die Übergänge von Bewegung und Stillstand, sowie die immer zu Beginn der einzelnen Strophen wiederkehrenden Impulse, die erneut die Musik zum Fließen bringen:

    "...Blow, bugle, blow, set the wild echoes flying,
    Bugle, blow; answer echoes, answer, dying,
    dying, dying..."

    Mit dem nächsten Lied Elegy (Text von William Blake, 1757-1827) ist es mit dieser heiteren und gelösten Stimmung zunächst einmal vorbei.

    "O Rose, thou are sick!"

    Das abwärts gerichtete Sekundmotiv und die von den Streichern gespielten Synkopen lassen bereits in den ersten Takten keinen Zweifel, dass es für die Rose keine Hoffnung mehr gibt. Während Elegy noch vom Vergehen handelt, befasst sich das darauf folgende Dirge (Text: Anonym,15. Jahrhundert) bereits mit dem Tod:

    "This ae nighte, this ae nighte, Every nighte and alle,
    Fire and fleete and candle-lighte,
    And Christe receive thy saule..."

    Unerbittlich wiederholt der Tenor die kurze Melodie. Die Streicher beginnen zaghaft - zunächst nur die Bässe - den Gesang kommentierend zu begleiten. Der Kontrapunkt erweckt den Eindruck als würde das Orchester gegen die Botschaft rebellieren. Der Tenor lässt sich davon jedoch nicht beeindrucken. Sänger und Orchester scheinen sich gegenseitig hochzuschaukeln. Auch das Horn bemüht sich, Einspruch zu erheben, vergeblich. Zum Ende des Liedes hat das Orchester seinen Kontrapunkt und seinen Protest aufgegeben, als hätte es sich nunmehr mit dem Schicksal abgefunden.

    Glücklicherweise zeigt sich Benjamin Britten gnädig mit uns und erlöst uns im folgenden Hymn (Text von Ben Jonson, 1572-1637) von der morbiden Stimmung. Heitere und lebhafte Jagdtöne erklingen in diesem fast volksliedhaft anmutenden Lied:

    "Queen and huntress, chaste and fair,
    Now the sun is laid to sleep,
    Seated in thy silver chair,
    State in wonted manner keep:
    Hesperus entreats the light,
    Goddes excellently bright..."

    (Ein anderer Forennutzer wies dankenswerterweise auf folgendes hin: Diana/Artemis war die Göttin der Jagd, aber auch Mondgöttin. Hesperus ist der Abendstern.)

    Unterdessen ist es Nacht geworden. Im abschließenden Sonett (Text von John Keats, 1795-1821) wird der Schlaf besungen:

    "...O soothest Sleep! If so it please thee, close
    In midst of this thine hymm my willing eyes..."

    Britten schenkt uns zum Schluss ein wahrhaft inniges, eindringliches und im wahrsten Sinne des Wortes "traumhaftes" Musikstück. Das Horn schweigt. Der Tenor wird allein von den Streichern diskret begleitet. Was für eine Lyrik:

    "...Save me from curious Conscience, that still lords
    Its strenght for darkness, burrowing like a mole;
    Turn the key deftly in the oiled wards,
    And seal the hushed Casket of my soul."

    Unsichtbar hinter der Bühne spielt der Hornist den Epilog.

    Wie wird der Morgen sein?

    (Im Originalthread werden noch einige Einspielungen vorgestellt und besprochen. Diese Beiträge habe ich hier bewusst weggelassen, um weitere Diskussionen nicht abzublocken. Im Übrigen sind noch urheberrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Übernahme von Beiträgen anderer Forennutzer zu klären).

    Einmal editiert, zuletzt von Mittelfranke (21. Mai 2009 um 22:59)

  • Hier mein alter, leicht überarbeiteter Beitrag:


    Ich habe mir vor Jahren folgende CD gekauft:


    [Blockierte Grafik: http://www.musicweb-international.com/classrev/2005/mar05/Britten_Serenade_8557199.gif]


    Eine Aufführung von Brittens Nocturne op. 60 im Konzert stand bevor und ich wollte das Werk kennenlernen. Die Serenade op. 31 habe ich damals nur einmal gehört - sie hinterließ seinerzeit keinen großen Eindruck.

    Das hat sich inzwischen geändert. Nach mehrmaligem Hören nimmt mich das Werk immer mehr gefangen - gerade aufgrund des Fehlens lauter Töne wirkt es stimmungsmäßig sehr suggestiv.

    Die Konzeption ist interessant: eine Reise durch verschiedene Facetten der Nacht, die gleichzeitig eine Reise durch die Geschichte der englischen Lyrik ist (und durch verschiedene inhaltliche und formale Typen von Lyrik: Pastorale, Notturno, Elegie, Klage, Hymne, Sonett), außerdem durch verschiedene thematische Aspekte: Natur, Märchen/Sage, Christentum, antike Mythologie. Das Werk ist spiegelsymmetrisch angelegt - es gibt Entsprechungen zwischen Pastoral und Sonnet, zwischen den beiden scherzoartigen Stücken Nocturne und Hymn sowie zwischen den düsteren Sätzen Elegy und Dirge. Die Vertonung von Blakes großartiger und vielinterpretierter Elegy ist selbst wieder spiegelsymmetrisch gehalten: Der eigentliche Text wird in nicht einmal einer Minute eher rezitativisch dargeboten, ist aber von einem weitgehend identischem Vor- und Nachspiel gerahmt, das für mich zum Eindrucksvollsten des Werks zählt. Ganz schaurig der Effekt kurz vor Beginn der Dirge, wenn das Horn Portamenti auf- und abwärts spielt (das könnte eine akustische Bebilderung des howling storm in der Elegy sein).

    Überhaupt die Rolle des Horns. Das tritt einerseits als Dialogpartner des Sängers auf (im Nocturne), andererseits aber als ein zweites Ich - wenn etwa in der Elegy die Singstimme das Horn erst ablöst, dann wieder von ihm abgelöst wird. Oder wenn es im Sonnet zum Schweigen gebracht ist und dann nur noch aus der Ferne agiert.

    Interessant auch die Stellung des Werks zwischen den Gattungen: Eigentlich (mit Bezug auf das Thema "Nacht") als Serenade bezeichnet, kann es auch als Orchesterliedzyklus oder als Solokantate verstanden werden.

    Die Aufnahme mit Langridge (Tenor), Lloyd (Horn) und dem English Chamber Orchestra unter Bedford ist m.E. ziemlich gut, wobei ich keine Vergleichseinspielung kenne.


    Viele Grüße

    Bernd

    .

  • Ich hab die Einspielung mit Ian Bostridge auf EMI. Die gefällt mir sehr gut. Weil englisch gesungen, nicht wie seine Schumann - und Schubertlieder.


    Obwohl ich diese ebenfalls habe, sind diese schwer zu verdauen. Des Akzentes wegen.


    Gruss R.

  • Zusammen mit dem „Pieter Grimes“ war die Serenade mein Einstieg in das Werk Brittens. Ich höre sie sehr gern, wie so ziemlich alles, was ich bisher von Britten gehört habe (einiges kenne ich leider noch nicht). Meine erste Aufnahme war die Einspielung aus dem Jahr 1944 mit Pears, Dennis Brain und dem Boyd Neel String Orchestra unter der Leitung Brittens.
    Und was Pears angeht, bin ich befangen, denn er gehört zu meinen Lieblingssängern.

    Eine andere Aufnahme, die ich sehr gern höre, habe ich leider nur als Rundfunkmitschnitt auf Kassette: Im Rahmen der Musiktage Hitzacker 2006 sang der Tenor Lothar Odinius begeleitet von dem Ensemble Resonanz das Werk. Ich mag die Stimme dieses Tenors im Britten-Repertoire sehr gern, aber leider gibt es sie wohl nicht auf CD.

    Ian Bostridge höre ich ebenfalls gern, kenne aber seine Einspielung der Serenade noch nicht.

    Viele Grüße
    Petra

  • Wer am 15.10. in München ist, kann sich die Serenade übrigens im Prinzregententheater anhören. Es spielen Christoph Prégardien (Tenor), Franz Draxinger (Horn), Münchner Kammerorchester, Leitung Alexander Liebreich.

    Michel

    Es gibt kaum etwas Subversiveres als die Oper. Ich bin demütiger Diener gegenüber diesem Material, das voller Pfeffer steckt. Also: Provokation um der Werktreue willen. (Stefan Herheim)

  • Heute habe ich in der Hamburger Laeiszhalle Ian Bostridge die Serenade singern hören. Und weil mich das so begeistert hat, möchte ich euch mitteilen: Das war absolut großartig! Gleich nachdem ich mit diesem Beitrag ferting bin, werde ich mir seine CD kaufen - bislang habe ich nur Pears.

    Oben hat Bernd davon berichtet, dass er eine CD mit der Serenade anlässlich eines bevorstehenden Konzertbesuchs erworben hat, das Werk aber erst im Laufe mehrfachen Hörens der CD schätzen gelernt hat. Mir ging es anders herum. Die Pears-CD habe ich nach dem Erwerb einige Male gehört, jetzt aber lange nicht mehr. Jetzt aber, nach dem Konzert-Besuch bin ich hell entflammt und überlege ich, Langridge gleich mitzubestellen...

    Aufgefallen ist mir übrigens, dass ich die, wie soll ich sagen, Wertigkeit der Beteiligung des Hornisten beim Hören der Konserve einerseits und im Konzert andererseits ganz unterschiedlich wahrgenommen habe. In der Konzertsituation ist der Hornist deutlich exponierter. Von der CD gehört nehme ich ihn als Teil des Orchesters wahr, im Konzert hingegen als zweiten Solisten. Der Hornist des Abends war übrigens Stefan Dohr (Solo-Hornist der Berliner Philharmoniker). Er hat nicht nur wundervoll gespielt - von Kleinigkeiten mal abgesehen, die man beim Liveauftritt selten vermeiden kann -, sondern das Publikum auch noch mit seiner Gestik und seinen Schwerzen mit Bostridge, der darauf kaum einging, bestens unterhalten.

    Tolle Musik ist das!

    Lieben Gruß, Thomas

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