Abgenutzt, kaputtgehört, zu Tode geliebt
Der Schweizer Komponist Arthur Honegger soll gesagt haben, dass für ihn Beethovens 5. Sinfonie nach dem 200. Hören nur mehr Geräusch sei.
Eckhard Henscheid bemerkt in "Sudelblätter" zu Mozarts g-moll-Sinfonie KV 550 u.a., er habe sich drei Jahre lang aus freien Stücken von dem Werk verabschiedet "mit dem Ziel, nach dieser Abstinenz diese konsuminflationierteste aller großen Musiken beidseits gut erholt wieder hören zu können". Doch vergeblich, denn "es haftet bei Mozart dieses Gefühl von Unerquicklich-, ja Unerträglichkeit vor allem den in den letzten fünfzig Jahren besonders gerühmten und besonders mythisierten Moll-Musiken an...Die weit überwiegenden Dur-Musiken bleiben von der Hörabnutzung, Hörverrottung, zumal ihre Verwurstung in der Werbung, eher dispensiert." Die Lage hat sich seitdem nicht verbessert. Als Henscheid das schrieb, kannte die Welt noch keine Jamba-Klingeltoncharts, hat noch kein Paul Potts das Nessun Dorma erlegt und erledigt. Wenn ich "La donna è mobile" höre, denke ich nicht an Rigoletto sondern an Choco Chrossies...
Da ich erst seit etwa acht, neun Jahren intensiv klassische Musik höre, habe ich noch kein Werk so oft gehört, dass es mir auf immer verleidet ist. Dennoch schütze ich mich instinktiv vor allzu häufigem Konsum von Lieblingsmusiken, weil mir das Phänomen, das Honegger beschreibt, durchaus bekannt ist, allerdings eher in Bezug auf Rockmusik, wo ich doch sehr vieles, einst heißgeliebtes, wohl für alle Zeiten über habe. Natürlich ist die meiste Rockmusik eher simpel gestrickt und auch oft an ganz bestimmte Lebensumstände gebunden. Was Klassik betrifft, verordne ich mir, nicht zuletzt Henscheids Mahnung eingedenk, selbst Hörpausen, denn ich möchte auch noch in 20 Jahren gerne etwa Mozarts Requiem hören (lief zeitweise täglich dreimal bei mir) oder die vier Jahreszeiten, ohne schon nach ein paar Takten ein resignierndes "och nöö..." oder "verdammt, es geht einfach nicht mehr!" auszustoßen.
Wie steht es mit euch? Kennt ihr die Gefahr des Überhörens, des Überdrusses an Lieblingsmusiken? Ist es wirklich wahr, dass Moll-Musiken tendenziell stärker gefährdet sind als Dur-Musiken? Ich finde, da ist was dran, kann das aber nicht wirklich begründen. Wie geht ihr mit dem Problem, so es denn eines für euch ist, um?
Viele Grüße, Uli