Klar, aber Martin H. scheint ein Kumpel von Arno L. zu sein, der in Arno L.s blog einen Kommentar (reichlich schwammig: "ich habe jetzt allerdings Informationen erhlaten") hinterlässt. Das ist ein stinknormales Internetblog und keine wirklich zitierfähige, gesicherte Information.

War der Musikwissenschaftler H. H. Eggebrecht an NS-Mordaktionen beteiligt?
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Lieber Peter,
Deine Meinung sei Dir unbenommen.
Ich habe noch keine Meinung. ich rate nur zur Vorsicht, bevor Dinge ausreichend bewiesen sind. Mein Vorurteil spricht gegen Eggebrecht, weil ich schon mehr als genug Typen kennen gelernt habe, bei denen ähnliche Sachverhalte vorlagen ... und die nach 45 karrieren in der Bundesrepublik starteten.
Für mich gilt nur der alte Rechtsgrundsatz: Schuldig ist nur der, dessen Schuld nachgewiesen werden kann. Das ist bis dato noch nicht der Fall.
Zitatp.s.: so dürftig wird die Beweislage nicht sein. Von Haken gibt ja an, auf welche Archivquellen er sich stützt. Was diese Fährte betrifft ist von Haken Prieberg eben zuvor gekommen.
Deshalb, lieber Thomas, habe ich einige Musikijournalisten kontaktiert, die sich gerade in diesem Bereich auskennen. Entschieden ist bei mir nichts, ich warte nur auch eine ausreichende Beweisführung. Die bisherige ist es nicht.
Liebe Grüße Peter
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Klar, aber Martin Hufner scheint ein Kumpel von Arno L. zu sein, der in Arno L.s blog einen Kommentar (reichlich schwammig: "ich habe jetzt allerdings Informationen erhlaten") hinterlässt. Das ist ein stinknormales Internetblog und keine wirklich zitierfähige, gesicherte Information.
Was Martin Hufner angeht, irrst Du Dich elementar. Sowohl Christian Köhn wie auch ich, wir kennen ihn persönliich und haben mit ihm über Jahre in intensiven Kontakt gestanden. Als Redakteur der nmz und früher auch im Newsnet gehört er zu den Leuten, die mit ausgezeichneter Fachkenntnis, exzellenten sprachlichen Fähigkeiten und einem überzeugenden journalistischen Ethos viel dazu beigetragen haben, dass sich gerade auch in der Thematik des Musiklebens im Dritten Reich eine aufklärerische Haltung durchsetzte, die sich nicht in einem flauen Moralismus äußerte.
Liebe Grüße Peter
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Und die Mitgliedschaft in der SS war wiederum freiwillig
Das ist grundsätzlich so gewesen.
Eine der neuesten Darstellungen zum Thema "SS" ist übrigens die Biographie Heinrich Himmlers von Peter Longerich:
Eine der interessantesten Studien wie "normale" Männer zu wiligen Vollstreckern wurden ist die Studie von Christopher Browing über das Reserve-Polizeibattalion 101:
Christian
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(Niemand von uns weiß, wie er sich damals verhalten hätte, ich antworte auf diesbezügliche Fragen immer "Hoffentlich richtig!")
Liebe Severina!
Da sagst du m.E. Weises. Ich persönlich glaube ja fest an das Gute in jedem Menschen - und ebenso fest an das Böse in jedem Menschen. Und wie leicht es gerade in Ausnahmesituationen und bei zu großer Macht zu Missbrauch und Ausleben von Aggressionen kommt, haben ja psychologische Experimente eindrücklich gezeigt. Selbstverständlich waren Wehrmachtsangehörige ganz normale Leute, an welchen Gräueln auch immer sie sich beteiligt haben. Aber die Schale der Zivilisation ist bei jedem von uns dünner, als wir hoffen. Das soll jetzt keineswegs irgendwelche Untaten entschuldigen oder relativieren - ich halte meine Sichtweise einfach für realistisch.
Wegen der Unaufgeregtheit der Darstellung finde ich den teilweise autobiographischen "Roman eines Schicksalslosen" von Imre Kertész sehr wichtig und wertvoll. Und wer lieber über sibirische Straflager liest (Lager ist letztendlich Lager!), dem empfehle ich die "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus" von Dostojewski (die es ja auch als geniale Oper von Leos Janácek gibt!).
Liebe Grüße,
Areios -
Liebe Severina!
Da sagst du m.E. Weises. Ich persönlich glaube ja fest an das Gute in jedem Menschen - und ebenso fest an das Böse in jedem Menschen. Und wie leicht es gerade in Ausnahmesituationen und bei zu großer Macht zu Missbrauch und Ausleben von Aggressionen kommt, haben ja psychologische Experimente eindrücklich gezeigt. Selbstverständlich waren Wehrmachtsangehörige ganz normale Leute, an welchen Gräueln auch immer sie sich beteiligt haben. Aber die Schale der Zivilisation ist bei jedem von uns dünner, als wir hoffen. Das soll jetzt keineswegs irgendwelche Untaten entschuldigen oder relativieren - ich halte meine Sichtweise einfach für realistisch.
Wegen der Unaufgeregtheit der Darstellung finde ich den teilweise autobiographischen "Roman eines Schicksalslosen" von Imre Kertész sehr wichtig und wertvoll. Und wer lieber über sibirische Straflager liest (Lager ist letztendlich Lager!), dem empfehle ich die "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus" von Dostojewski (die es ja auch als geniale Oper von Leos Janácek gibt!).
Liebe Grüße,
AreiosLieber Areios,
kennst Du "Nacht" von Edgar Hilsenrath? Darin wird auf beklemmende Art und Weise gezeigt, welche Bestie in fast jedem Menschen schlummert und wie in der Ausnahmesituation eines Ghettos im 2.WK selbst aus den Opfern wieder Täter werden, wenn es ums nackte Überleben geht. Dieser teilweise ebenfalls autobiografisch gefärbte Roman hat mich wirklich schlaflose Nächte gekostet, so aufgewühlt war ich nach der Lektüre.
lg Severina -
Eggebrecht war als deutscher Soldat in der heutigen Ukraine stationiert und musste mit seiner Abteilung an Erschießungen von Gefangenen teilnehmen. Was ist das, wenn nicht eine "einfache NS-Verstrickung, wie etwa die Mitgliedschaft in einer NS-Organisation"?
Lieber Cherubino,langsam scheint es sich in diesem Thread zu verfestigen, dass Eggebrecht nach den vorliegenden Dokumenten ein einfacher Wehrmachtssoldat gewesen sei, wie er auch nach dem Krieg in einem Fragebogen angegeben hat, und nur als solcher möglicherweise an den Wehrmachtsverbrechen auf der Krim-Halbinsel beteiligt war. Dem war aber nicht so. Eggebrecht war Angehöriger der Feldgendarmerie, die zur Hälfte aus Polizisten und aus politisch zuverlässigen Wehrmachtssoldaten gebildet wurde. Bis zum Beweis des Gegenteils dürfte davon auszugehen sein, dass die Mitgliedschaft in dieser Einheit so wie in anderen vergleichbaren Elite-Einheiten freiwillig war. Für diese Freiwilligkeit spricht bei Eggebrecht seine Zugehörigkeit zu NS-Organisationen, in die man nach meinem Wissen nicht gezwungen war, einzutreten. Zitat aus dem ZEIT-Artikel von Boris von Haken:
ZitatAm Tag, an dem er sein Studium an der Hochschule für Lehrerausbildung in Hirschberg aufnimmt, schließt er sich dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund an. Zudem ist er als Musikreferent der Hitlerjugend tätig und betreibt Jugendarbeit in der HJ-Organisation der Hochschule.
Eggebrecht war also nicht der sprichwörtliche "Soldat Arsch", der mit der ganzen Hitlerei und dem Weltkrieg nichts zu tun haben wollte. Sicher ist aber seine Jugend und die Indoktrinierung schon durch das Elternhaus (Vater war Pfarrer der NS-nahen "Deutschen Christen"), aber natürlich auch im totalitären Staat ein wichtiger Grund für uns Nachgeborene, um nicht den moralischen Zeigefinger zu heben. Wir wissen auch nichts über seine konkreten Beteiligungen an Mordaktionen, nichts Belastendes, allerdings auch nichts Entlastendes.Um es klar zu sagen: Wenn etwas Beweisbares an dieser These ist, bin ich der Erste, der sich da vernehmlich zu Wort meldet. Aber die bloße Zugehörigkeit zu einem Truppenteil und (zynischerweise muss man es sagen) fehlende Augenzeugenberichte reichen über Verdachtsmomente nicht hin. Und das ist eben zu wenig, Ich hoffe, dass da von Haken nachlegt und konkrete Belege bringt.
Hakens Argumentation beruht im ZEIT-Artikel auf einem Indizienbeweis, den er leider nicht als solchen benennt, sondern die hohe Wahrscheinlichkeit der Teilnahme Eggebrechts am Judenmord auf der Krim suggestiv als Tatsache hinstellt. Das ist nicht in Ordnung. Wenn Eggebrecht etwas nachweisbar anzulasten ist, dann ist es die Mitgliedschaft in einem Truppenteil, der u.a solche "hübschen" Aufgaben zu erledigen hatte wie Partisanenbekämpfung, Verfolgung von Deserteuren und Durchführung von Polizeiaktionen in besetzten Gebieten. Das allerdings ist schlimm genug, und ich bin nach der Lektüre des ZEIT-Artikels auch davon überzeugt, dass in diesem Punkt die Beweisführung durch von Haken sich als stichhaltig herausstellen wird.Ich habe auch Eggebrechts "Musik im Abendland", darin aber nur sporadisch gelesen, weil mich die Gedankenwelt des Autors vor enorme Rätsel stellt. Seine "Reflexion XIII" über "Sinn und Gehalt in der Musik" ist mir völlig unverständlich. Eggebrecht beharrt darauf, dass Musik mehr ist als l'art pour l'art, sondern auch eine Aussage habe. Mit Sinn und Gehalt meint Eggebrecht allerdings nicht das, was üblicherweise darunter verstanden wird, nämlich eine außermusikalische Bedeutung, sondern etwas innermusikalisches. So schreibt er bspw. über einen "Klang" aus einem Webern-Lied,
" ... so kann ein derartiger Klang eine Devise der atonalen, funktionalen Komposition genannt werden. Das liegt in seiner Formung beschlossen, das ist sein musikalischer Sinn.
Was ist bei diesem musikalischen Gebilde der Gehalt? Er ist - wie immer, so auch hier - an die Formung, den Sinn gebunden und in seiner Benennung zunächst wiederum sprachbegrifflich ineinander mit der Benennung des Sinn: Der Klang hat zu seinem Gehalt die Befreiung der Tonkonstellation aus den Vorentschiedenheiten des tonalharmonischen Gefüges." (S. 680)In diesem schlechten Heidegger-Stil geht das seitenweise und auch das ganze Buch hindurch. Mit wissenschaftlicher Semantik haben die Ausführungen von Eggebrecht null zu tun, "Sinn" und "Gehalt" sind bei ihm völlig undefinierte Begriffe, ich habe nicht einmal eine rudimentäre Zeichentheorie bei ihm finden können. Also liegt der Verdacht unseriösen Geraunes, um Eindruck zu schinden, doch sehr nahe.
Aber warum ist das so? Wollte Eggebrecht mit der Betonung auf dem Aussagegehalt der Musik Anschluss an die in der Nachkriegszeit durch die Besatzungsmacht USA geförderte Avantgardemusik und ihrer Theoretiker (Adorno) finden? Aber gleichzeitig durch den von ihm gepflegten existentialistischen Jargon möglichst unpolitisch erscheinen, um bei keiner Seite ideologisch Anstoß zu erregen?
Grüße,
Jürgen -
Einen Artikel, der in der Sache nichts Neues bringt, allerdings auf Grund der von Hakenschen Vermutung eine vorläufige Wertung vornimmt und vor allem für Nicht-Insider detailliert über die Bedeutung Eggebrechts informiert, stand gestern in der WELT
[EDIT]Was mich daran interessiert, ist die Frage, wieweit sich die Bewertung von Eggebrecht als Wissenschaftler ändert, wenn man nun von Haken zur Kenntnis nimmt. Im Moment ist alles noch ziemlich spekulativ, doch wenn man die Frage ein wenig verallgemeinert (ich habe da immer Gerber im Hinterkopf, den ich aber lieber in einem anderen Thread behandeln will), bleiben weiterhin bedrückende Gedanken.
Bei Eggebrecht war, was er nun tat oder nicht tat, vor seinem Studienabschluss (er unterbrach sein Musikstudium wegen des Krieges). Er kam in akademische Gemeinschaft, in der Vertuschen die allgemeine Verhaltensweise war. Licht wurde auch von nichtkontaminierten Kollegen nicht in die Zeit vor 1945 geworfen. Was wurde nun fortgesetzt, wo Neuanfänge verhindert? Dass es ein Außenseiter wie Prieberg war, der erst hinter die Kulissen schaute, ist bezeichnend. Bei der systematischen Auswertung des Materials kann ich mir allerdings nicht vorstellen, dass er ihn übersehen konnte, vor allem wenn von Haken nun politische Tätigkeiten an der Hochschule anführt. Das ist das andere Rätsel, das mich beschäftigt.[/EDIT]
Liebe Grüße Peter
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WIe gesagt - die Enthüllung finde ich schockierend. Dass allerdings jetzt, erst von Hagedorn in der ZEIT, jetzt noch wesentlich weniger fundiert in der WELT, der Versuch gemacht wird, Eggebrechts Werk auf angeblich Nazistisches herunterzubrechen, ist üble Besserwisserei. Da kommt es dann zu hermeneutischen Glanzleistungen wie dieser hier aus dem von Peter verlinkten WELT-Artikel
ZitatEggebrecht, der seinen gesamten Nachlass vernichtete, fühlte sich sicher genug, gegen Mahler das latent antisemitische Argument anzuführen, dessen Soldatenlieder "opponieren nicht". So verlogen, denkt man jetzt, muss einer erst einmal sein.
Was an der Bemerkung Eggebrechts über Mahlers Soldatenlieder latent antisemitisch sein soll, erschließt sich mir nicht, auch nicht beim zweiten Nachdenken. Erklärbar wird es eigentlich nur aus dem argumentativen Schluss: E. hat als Soldat Juden ermordet, ergo: E. war zeitlebens Antisemit, ergo: jede kritische Bemerkung E.s zum Werk eines jüdischen Komponisten ist antisemitisch. So zu argumentieren ist ganz schön billig. Und perfide dabei ist vor allem das "denkt man jetzt".
Grüße,
Micha -
Also ich fand die beiden Kapitel Reflexion XIII und XIV sehr gut zu lesen und auch lesenswert,
kein existenzialistisches Geraune, kein schlechter Heidegger Stil. -
Naja, also wenn dieses schwurbelige Zitat im Beitrag von Nocturnus typisch für den Stil des Buches ist, so ist das nix für mich...
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WIe gesagt - die Enthüllung finde ich schockierend. Dass allerdings jetzt, erst von Hagedorn in der ZEIT, jetzt noch wesentlich weniger fundiert in der WELT, der Versuch gemacht wird, Eggebrechts Werk auf angeblich Nazistisches herunterzubrechen, ist üble Besserwisserei.
Es zeigt, lieber Micha, wohl etwas davon, dass das cui bono unklar bleibt. Jetzt einmal die Richtigkeit von Hakens vorausgesetzt:
1) Wirft die Nachricht ein Licht auf die Rolle der Wehrmacht, deren Mitglieder und Apologeten sich ja gerne als nicht befangen in Sachen Holocaust herausreden?
2) Wirft die Nachricht ein Licht auf die Person H.H. Eggebrecht, der als Verbrecher hinter Gittern gehört hätte?
3) Wirft die Nachricht ein Licht auf die deutsche institutionelle Musikwissenschaft, in der Aufarbeitung der in den Lebensläufen meist blanken Jahren nicht opportun war, be- und verhindert wurde?
4) Wirft die Nachricht ein Licht auf die deutsche institutionelle Musikwissenschaft, bei der zumindest in Teilen nach dem Krieg fortgefahren wurde wie vor dem Krieg, ohne eine kritische Bestandsaufnahme zu machen?
Es grüßt Peter
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1) Wirft die Nachricht ein Licht auf die Rolle der Wehrmacht, deren Mitglieder und Apologeten sich ja gerne als nicht befangen in Sachen Holocaust herausreden?
Ich dachte, dies sei zumindest für Teile der Wehrmacht längst bewiesen ...Zitat3) Wirft die Nachricht ein Licht auf die deutsche institutionelle Musikwissenschaft, in der Aufarbeitung der in den Lebensläufen meist blanken Jahren nicht opportun war, be- und verhindert wurde?
4) Wirft die Nachricht ein Licht auf die deutsche institutionelle Musikwissenschaft, bei der zumindest in Teilen nach dem Krieg fortgefahren wurde wie vor dem Krieg, ohne eine kritische Bestandsaufnahme zu machen?
Dies trifft sicherlich auf weite Teile von Kultur, Wissenschaft, Lehre und Politik zu - daß die "Entnazifizierung" oft ein Witz und alles andere als seriös war, ist bekannt. Selbst vergleichsweise harmlose Fälle wie Grass oder Walter Jens zeigen doch, wie groß der Aufarbeitungsbedarf noch immer ist. Romane wie Schlinks "Der Vorleser", die vielen Dokus und Spielfilme der letzten zehn Jahre signalisieren das ebenso.Eggebrecht jetzt neu zu lesen und anitsemitisch gefärbtes zu finden, was man vorher überlesen hat, ist in der Tat billig - aber die antisemitischen Tendenzen in der europäischen Kultur wurzeln auch viel tiefer und haben den II. Weltkrieg überlebt.
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Ich dachte, dies sei zumindest für Teile der Wehrmacht längst bewiesen ...So sehe ich das auch. Hier ist der Erkenntniszuwachs offensichtlich nur, in welcher Einheit Eggebrecht diente, es geht um ein biografisches Detail.
ZitatAuch hier gibt es inzwischen reichlich Literatur, beginnend mit Prieberg. Neuere Nachschlagewerke haben diese Lücken in der Regel gefüllt.
Dies trifft sicherlich auf weite Teile von Kultur, Wissenschaft, Lehre und Politik zu - daß die "Entnazifizierung" oft ein Witz und alles andere als seriös war, ist bekannt. Selbst vergleichsweise harmlose Fälle wie Grass oder Walter Jens zeigen doch, wie groß der Aufarbeitungsbedarf noch immer ist. Romane wie Schlinks "Der Vorleser", die vielen Dokus und Spielfilme der letzten zehn Jahre signalisieren das ebenso.Bei Grass und Jens handelte es sich nicht so sehr darum, was sie vor Kriegsende gemacht haben, denn da hat sich kein substantieller Vorwurf finden lassen, sondern mehr um ihre moralische Stellung in der Nachkriegsgesellschaft, die es so nicht gegeben hätte. Es war eher peinlich als verwerflich.
ZitatEggebrecht jetzt neu zu lesen und anitsemitisch gefärbtes zu finden, was man vorher überlesen hat, ist in der Tat billig - aber die antisemitischen Tendenzen in der europäischen Kultur wurzeln auch viel tiefer und haben den II. Weltkrieg überlebt.
Stefan Hoffmann schrieb dazu in den Stuttgarter Nachrichten:
ZitatEs passt einfach nicht richtig zusammen: Auf der einen Seite war Eggebrecht - in welcher konkreten Funktion auch immer - offensichtlich am Massenmord an Juden beteiligt, also an glasklaren Kriegsverbrechen; auf der anderen Seite schrieb er eines der besten und gedankenreichsten Bücher, die es über Gustav Mahler gibt, und seine Mahler-Vorlesung in den 70er Jahren gehört zum Brillantesten, was ich während meines gesamten Studiums zu hören bekam. Auch lud er in den 70er Jahren immer wieder jüdische Musikwissenschaftler wie Zofia Lissa oder Peter Gradenwitz zu Gastvorträgen nach Freiburg ein. Das freundschaftlich-aufgeräumte Verhältnis, das er zu diesen Kollegen pflegte, passte für uns Studenten sehr gut zu der linksliberalen Haltung, die er auch in anderen Bereichen des universitären Lebens an den Tag legte; seit der 68er-Zeit sympathisierte er mit der demokratisch-aufklärerischen Studentenbewegung - auch und gerade, was deren Aufarbeitung der Nazizeit anging.
Auch wenn sein Kontakt zu jüdischen Musikwissenschaftlern und seine Beschäftigung mit Mahler ein Stück weit Kompensation gewesen sein mögen, wird das Ergebnis dieser Beschäftigung dadurch noch nicht diskreditiert. Eggebrecht hat sich an Mahler buchstäblich abgearbeitet; dass er, der Mahler-Begeisterte, sich in seinem letzten großen Mahler-Aufsatz mit dessen achter Sinfonie beschäftigte und darlegte, warum er diese Sinfonie als einzige nicht mag - das ehrt ihn, und nachvollziehbar ist seine Argumentation auch. Adorno mochte die Achte auch nicht, und mir und vielen anderen Mahler-Bewunderern geht das genauso. Ein "grausiger Rückfall" in eine antisemitische Argumentation, wie das in einem Aufsatz in der aktuellen Ausgabe der "Zeit" behauptet wird, war Eggebrechts Position jedenfalls mit Sicherheit nicht. Meine Kommilitonen und ich haben Eggebrecht enorm viel zu verdanken - nicht nur, was unsere Sicht auf Gustav Mahler angeht. Aber die Vaterfigur, die Hans Heinrich Eggebrecht war, die ist durch Boris von Hakens Enthüllungen unwiederbringlich verloren gegangen.
Liebe Grüße Peter
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Danke für den Link zu den Aussagen von Eggebrechts ehemaligen Studenten Stephan Hoffmann - der bringt es gut auf den Punkt: Da passt etwas überhaupt nicht zusammen. Entweder totaler Sinneswandel, und eine Art persönlicher Läuterung mit weitreichenden Konsequenzen für seine Arbeit, oder totale Verdrängung und Neubeginn - mir wäre ersteres lieber. Ich hoffe, Hakens Buch bringt da mehr Details.
p.s. nach den im übernächsten Post zitierten Aussagen des Sohnes tut sich eine dritte Perspektive auf: Eggebrecht war so wie Haken es ihm vorwirft, nicht an den Verbrechen betreiligt - dann riecht es tatsächlich nach Sensationshascherei.
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Lieber Peter,
Jetzt habe ich mir den von Stefan Hoffmann angesprochenen Zeitartikel durchgelesen. Ein peinlicher Versuch im Nachhinein mit aller Kraft hier Dinge hineinzuinterpretieren, die nicht da sind. Wahrscheinlich weil man damit seine eigene "Schuld" darüber, dass man einem Kriegsverbrecher intellektuell gefolgt ist, wiedergutmachen will.
Dass jetzt wieder alle kommen und sagen, ich hab es immer gewusst und es war ganz klar, war unvermeidlich. Das sind auch die, die in der Schule nach der Auflösung des Mathebeispiels geschrien haben "Ist ja eh ganz leicht, warum habt ihr das nicht kapiert."
Eggebrecht war nicht der einzige, der Mahlers Achte nicht mag. Und wenn ich mir die Zitate so anschaue, muss ich sagen, dass das nicht antisemitisch ist, sondern durchaus treffend. Die beliebte Feuilletongleichung: (ehem.) Nazi + Kritik an Jude = Antisemitisch ist so platt wie in diesem Fall dumm.
Eine Aufarbeitung muss her, aber deshalb jetzt seine Bücher in den Giftschrank zu verbannen, weil sie manche als "Mein Kampf -light" sehen, halte ich für verfehlt. Denn dann hätte man auch die Grass'schen Machwerke verbannen müssen, da man sie als heuchlerisch sehen kann (was wohl bis zu einem gewissem Grade auch sind).
An der eigentlichen Tatsache und seinen Kriegsverbrechen ändert das wiederum gar nichts.
Just my two cents
LG Georg -
Inzwischen hat sich auch Benjamin Eggebrecht, Eggebrechts Sohn, in der Badischen Zeitung zu Wort gemeldet. Er spricht von einem perfekten Rufmord. Da er Einiges äußert, was leicht überprüfbar ist, ist er entweder leicht zu widerlegen oder von Haken kommt in Bedrängnis:
ZitatIn einem der BZ vorliegenden Schreiben wirft Eggebrecht von Haken mangelhafte Recherchen vor und zeigt sich verwundert darüber, "weshalb von Haken im Laufe seiner zehnjährigen Ermittlungen kein einziges Mal Kontakt zu meiner Familie aufgenommen hatte, zum Beispiel um die Feldpost oder Tagebücher von damals einzusehen". Der Nachlass seines Vaters sei nämlich nicht, wie von Haken behaupte, vernichtet worden, sondern befinde sich im Freiburger Universitätsarchiv. Eggebrecht: "Tagebuchaufzeichnungen weisen auf eine Tätigkeit meines Vaters als Meldefahrer in der Feldgendarmerie hin."
Das ist natürlich ein gravierender Vorwurf. Spekulationen (wie man sie hier von Haken unterstellt) kann man meist nicht widerlegen, das ist das Niederträchtige an solchen Publikationen, man kann sie aber als Spekulationen immerhin deutlich machen, Offensichtlich ist noch anderes schlecht recherchiert:
ZitatAuch anderen Behauptungen von Hakens widerspricht Benjamin Eggebrecht. So sei von zwei Ritterkreuzen die Rede: "Mein Vater hat niemals ein Ritterkreuz erhalten." Eggebrecht weiter: "Sorgfältige, verantwortungsvolle Recherche ist nicht Herrn von Hakens Stärke. Deshalb habe ich ihm nicht die Feldpost meines Vaters gegeben. Unabhängigen Militärhistorikern... stelle ich diese Unterlagen gerne zur Verfügung."
Da wird nun einiges deutlicher. Ein Musikwissenschaftler hat nicht notwendigerweise die Kompetenz eines Historikers, von einem Spezialisten wie einem Militärhistoriker zu schweigen. Dass es auch bei der Feldgendarmerie unterschiedliche Aufgabenbereiche gibt, auch einige, die Insidern sagen, dass Dienstgrade nicht an anderen Aufgaben beteiligt waren, kann einem Musikjournalisten auf der Suche nach einer Sensation sehr wohl entgehen.
ZitatHierin besteht ein zentraler Vorwurf Eggebrechts an von Haken, den er mit dem Germanisten, Historiker und Musikwissenschaftler Jens Malte Fischer teilt, wenn dieser im Deutschlandradio Kultur monierte: "Hier werden rechtsstaatliche Prinzipien mit den Füßen getreten: Eggebrecht wird als Kriegsverbrecher hingestellt und danach tritt man in die Beweisführung ein. Es hätte umgekehrt sein müssen, Herr von Haken hätte seine Beweise kompetenten Militärhistorikern vorlegen müssen, die hätten das prüfen müssen, und dann hätte er ans Licht der Öffentlichkeit treten sollen."
Mein Reden von Anfang an. Gerade weil ich mich engagiert an der Diskussion seit Jahren beteilige, bin ich nicht betriebsblind. Mir geht es nicht um den nächsten aufgespießten Kopf, selbst wenn man jemanden exhumieren muss. Mir geht es um eine abgewogene Urteilfindung, bei der eben auch gilt, et audiatur altera pars (Ich muss auch die andere Seite anhören). Hass und Missgunst macht nicht gerade ein gerechtes Urteil. Und bei Demokraten sollten rechtsstaatliche Prinzipien gelten.
Dass sich das Ganze um einen Marketing-Trick des Autors von Haken handeln könnte, sollte man auch nicht aus dem Auge verlieren
ZitatAls Musikwissenschaftler und eben nicht Militärhistoriker, schreibt Eggebrecht, wisse von Haken offenbar auch nicht, "was eine (militär)-biographische Befragung in der damals sowjetischen Besatzungszone für einen Menschen bedeutet hat, der schwer verletzt, kriegstraumatisiert und seines großen Wunsches Musiker zu werden, beraubt aus dem Krieg zurückkam".
Eggebrecht hat für das Vorgehen von Hakens, dessen Buch über seinen Vater im Frühjahr erscheint, auch eine Erklärung: Sensationsmeldungen sollen dem Verlag hohe Verkaufszahlen sichern.
Entschieden ist mE noch nichts, auf eine überzeugende Beweisführung von Hakens bin ich gespannt.
Liebe Grüße Peter
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Danke, lieber Peter, für die Hinweise auf die interessanten Wortmeldungen von Hofmann und Eggebrecht jun.
Ich habe den Threadtitel geändert, der mir zu anonym vorkam - Eggebrecht sollte darin m.E. auch namentlich genannt werden. Ich hoffe, dass EinTon als Threaderöffner einverstanden ist.
Grüße,
Micha -
OK, ist recht so!
Normann
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Wie man inzwischen aus der Presse erfährt, hat der Münchner Allitera-Verlag entschieden, das für April avisierte Erscheinen von von Hakens Buch "Holocaust und Musikwissenschaft: Biografische Untersuchungen zu Hans Heinrich Eggebrecht" zu verschieben. Verlagssprecher Alexander Strathern kann einen genauen Erscheinungstermin derzeit nicht nennen. "Wir werden das Manuskript natürlich vorher von zwei Stellen prüfen lassen." Im Hinblick auf so manches Medienecho sei es möglicherweise falsch gewesen, dass von Haken seine Zwischenergebnisse in Tübingen bereits präsentiert habe. Man wolle dem Autor nun Gelegenheit geben, in Ruhe seine Forschungen abzuschließen. Wohl deshalb ist dieser derzeit für eine aktuelle Stellungnahme nicht zu erreichen. Und das überrascht nun am allerwenigsten.
Während die Sensationsmeldung der ZEIT wie ein Brandfeuer durch die Gazetten geht, ist vom Zurückrudern (im Moment) wenig zu lesen. Es hat zwei Recherchen der Hamburger Musikwissenschaftler Friedrich Geiger und Claudia Maurer-Zenck gegeben. Geigers Fazit: Von Hakens Studie sei in mehrfacher Hinsicht problematisch. In die gleiche Richtung geht auch der im aktuellen Merkur-Heft veröffentlichte Essay des Freiburger Musikwissenschaftlers Richard Klein. Er wirft von Haken vor, als Militärhistoriker "überfordert" zu sein und "zum Teil mit unseriösen Mitteln" zu arbeiten.
Geigers Studie ist im Internet lesbar: http://www.uni-hamburg.de/Musi…ch_/geiger_eggebrecht.pdf. Geiger kritisiert die Argumentationskette von Hakens heftig. So seien schon etliche der von ihm genannten Zahlen im Hinblick auf die Stärke von Eggebrechts Kompanie unkorrekt. Auch an der Nachweisbarkeit der von Haken’schen Behauptung, Eggebrechts Zug sei bei den Erschießungen vollständig angetreten gewesen, meldet Geiger Fragen an. Es handle sich lediglich um eine Interpretation eines Vernehmungsprotokolls, aus dem von Haken Passagen ausgelassen hat. Weil sie seiner Argumentation entgegenstanden? Denkbar ist auch, wie Geiger und Maurer Zenck recherchiert haben, dass Eggebrecht zum Zeitpunkt der Erschießungen auf Unteroffizierslehrgang war. Von Haken dagegen behaupte, Eggebrecht sei bereits im November auf Lehrgang gewesen: "Man darf auf seinen Quellennachweis gespannt sein." Zentrale Vorwürfe.
[EDIT]Auch die Recherche von Claudia Maurer-Zenck ist im Internet lesbar: hier. Gleich einmal die erste Fußnote:
ZitatDie Behauptung, es gäbe ein „Tagebuch“ von 1941, dem sich entnähmen ließe, dass Eggebrecht in Simferopol
war (Boris von Haken, „Erdrückende Quellenlage“, in ZEIT, 14.1.10), ist falsch; es gibt auch keinen
Taschenkalender aus diesem Jahr[/EDIT]
Eine Konsequenz dessen, dass von Haken Halbgares als Bewiesenes präsentierte, trifft sicher die Familie am schwersten: die öffentliche Vorverurteilung Eggebrechts.
Liebe Grüße Peter
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