Berwald, Franz – Orthopäde, Glasfabrikant und Komponist

  • Berwald, Franz – Orthopäde, Glasfabrikant und Komponist

    Franz Berwald wurde 1796 in Stockholm geboren. Sein Vater war Violinist in der Stockholmer Hofkapelle, sein Bruder spielte ebenfalls Violine und komponierte, sein Vetter war Dirigent und gleichfalls Komponist. Ab 1812 hatte auch Franz Berwald eine Stellung als Geiger und Bratscher in der Hofkapelle inne.

    Berwalds frühe, wenig erfolgreiche, Kompositionen sind nicht mehr vorhanden. 1829 ging Berwald nach Berlin. Dort gründete er 1835 zunächst eine eigene orthopädische Praxis. 1841 ging er nach Wien und begann dort seine Sinfonien und die sinfonischen Dichtungen zu schreiben.

    Zurück in Schweden, fielen aber auch diese Werke durch. Seine Bewerbungen auf wichtige musikalische Positionen (Königliche Oper in Stockholm, Musikdirektor an der Universität in Uppsala) wurden abgelehnt. Was also tun? Nun, zunächst wurde er Leiter einer Glasmanufaktur, später auch der einer Sägemühle. 1864 wurde er dann endlich Mitglied der Königlichen Musikakademie und erhielt eine Professur für Komposition. Ein kleiner Erfolg, der aber zu spät kam: Berwald starb 1868.

    Woran liegt es, dass seine Werke zu Lebzeiten auf solch große Ablehnung stießen? Vielleicht daran, dass er zwar in die Zeit der Romantik hineinfiel, den Weg Mendelssohns nur teilweise, den von Liszt oder Wagner erst gar nicht mitgehen wollte? Seine Sinfonien beispielsweise beziehen sich viel deutlicher noch auf die Wiener Klassik als die meisten ähnlichen Werke seiner Zeitgenossen. Zudem erscheint mir seine Musik eher "kaltblütig", formal stringent und zumeist auch relativ frei von der beliebten "nordischen Prägung".

    Ich denke, das Bild hat sich im Laufe der Zeit gewandelt und Berwald hat sich mittlerweile durchaus einen Platz der originellen Sinfoniker der Mitte des 19. Jahrhunderts erarbeitet.

    Sinfonie Nr. 1 g-moll "Sinfonie sérieuse" (1844)
    Sinfonie Nr. 2 D-Dur "Sinfonie capricieuse" (1842)
    Sinfonie Nr. 3 C-Dur "Sinfonie singulière" (1845)
    Sinfonie Nr. 4 Es-Dur (1845)


     
    Schwedisches RSO, Roy Goodman, Hyperion, 1995
    Danish National RSO, Thomas Dausgaard, Brilliant, 2000-2004

    Berwalds Sinfonische Dichtungen erfuhren zumindest teilweise zu Lebzeiten einen gewissen Erfolg. Im Zuge der Beliebtheit solcher Stücke, wie Mendelssohns "Hebriden-Ouvertüre" fand auch die Erinnerung an die norwegischen Alpen f-Moll (1842) wohlwollende Beachtung. Weitere dieser Tondichtungen sind: Elfenspiel (1841), Wettlauf (1842), Ernste und heitere Grillen (1842)


    Gävle SO, Petri Sakari
    Naxos, 2000

    Darüber hinaus gibt es ein frühes Violinkonzert, op.2 (1821) und ein Klavierkonzert D-Dur (1855)


    Swedish Chamber Orchestra, Niklas Willén
    Tobias Ringborg - Violine
    Naxos, 1997


    Meinungen, Kritik und Empfehlungen zu Franz Berwald sind herzlich willkommen!

    LG
    C.

    „Beim Minigolf lernte ich, wie man mit Anstand verliert.“ (Element of Crime)

  • Danke für die schöne Eröffnung Carsten! Ich muss gestehen, dass ich Berwald bisher nur aus der Literatur kenne (Nebenbei irgendetwas gehört habe ich vermutlich schon, nur hängengeblieben ist nix :hide: )- von daher freue ich mich auf die eine oder andere Empfehlung- Du hast ja schon einige Hinweise gegeben ;+)

    :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Ich habe diese Einspielung Neeme Järvis mit den Göteborger Symphonikern:

    Jedoch habe ich nur noch dumpfe Erinnerung an die Symphonien als "ganz nett" :D und kann die Einspielung auch nicht mit anderen vergleichen.

    :wink: Matthias

  • Jedoch habe ich nur noch dumpfe Erinnerung an die Symphonien als "ganz nett" :D

    Lieber Matthias,

    das ist doch immerhin schon mal etwas! Vielleicht machst du dir einmal einen erneuten "ganz netten" Abend mit dem Franzl und berichtest dann? ;+)

    LG
    C.

    „Beim Minigolf lernte ich, wie man mit Anstand verliert.“ (Element of Crime)

  • Ich mag die Symphonien Berwalds sehr, das ist ziemlich originelles Zeug. Außerdem war er ein begnadeter Rhythmiker! Aktuell habe ich gerade aber keine Lust, nachzuhören, deshalb nur kurz:

    Die Järvi-GA der Symphonie finde ich relativ bräsig und langweilig. Viel lieber ist mir Blomstedt mit Eins und Vier:

    und sehr sehr sehr gut fand ich die Markevitch-Aufnahme der Dritten und Vierten:

    Die beiden empfehle ich für den Einstieg. Für die Zweite Sy. weiß ich nix. Mich würde brennend interessieren, ob es Berwald inzwischen in HIP gibt!

    Grüße,
    Micha

  • Mich würde brennend interessieren, ob es Berwald inzwischen in HIP gibt!

    Bei "Svensk Musik", dem Informations- Centre für schwedische Musik, finde ich nichts, würde aber vermuten, dass die Aufnahmen der Malmöer mit Ehrling bei BIS "angehipt" sind. Einige schwedische (und norwegische, z.B. Tromsö,Stavanger) Orchester sind inzwischen sehr gut auch in HIP, z.B. Gävle und Linköping. Wenn die Berwald spielen - und sie haben es in Programmen der letzten Jahre gehabt, dann bin ich ziemlich sicher, das sie ihn heute in HIP geben oder mindestens sehr HIP-nah. Goodman und Herreweghe haben z.B. viel mit einigen dieser skandinavischen Orchester regelmäßig gearbeitet und Dirigenten herangezogen. Die Goodman-Aufnahme dürfte auch "angehipt" sein, würde ich stark vermuten, obwohl ich sie nicht kenne und das ansonsten heute sehr gute Schwedische Radio-Symphonie-Orchester nicht zu diesen HIP-Spezies wie Gävle und Linköping oder gar Drottingholm zählt.

    :wink: Matthias

  • RE: Berwald-Aufnahme - Ein Wechsel steht an !

    Hallo Berwald-Freunde,

    zu den Berwald-Sinfonien habe ich mich nie geäußert, weil ich den gleichen Eindruck wie Matthias auch habe:


    Zitat

    Ich habe diese Einspielung Neeme Järvis mit den Göteborger Symphonikern:

    [Blockierte Grafik: http://ec2.images-amazon.com/images/P/B000024Z73.03._SS300_SCLZZZZZZZ_.jpg]

    Jedoch habe ich nur noch dumpfe Erinnerung an die Symphonien als "ganz nett" :D und kann die Einspielung auch nicht mit anderen vergleichen.

    Die "fatale Antwort" kam von Don Fatale, alias Micha:

    Zitat

    Die Järvi-GA der Symphonie finde ich relativ bräsig und langweilig. Viel lieber ist mir Blomstedt


    Es scheint tatsächlich an den Järvi-Aufnahmen zu liegen. Nicht alles mit Järvi ist (bei der Masse) Gold was glänzt. Schon seine Sibelius-Sinfonien in der BIS-GA hatten mich absolut nicht überzeugt - welch ein Genuss seine spätere Neuauflage inclusive Sinf.Dichtungen bei DG dagegen !


    ;( :thumbup: Ich denke da hilft nur eins : Die Aufnahme wechseln und einen Berwald - Neustart beginnnen !

    :?: Ob Dausgaard da die beste Wahl ist ? Ein wenig Zweifel habe ich: Die Langgaard-Sinfonien mit Dausgaard sind Spitze - keine Frage, aber die von mir höchstgeschätzten Sinfonien Nr.4-6 sind, gerade hier wieder mit Järvi (Decca), weit packender interpretiert.

    :wink: Welche nehmen ? Welche sind nicht langweilig, sondern zupackend ?

    Blomstedt und Markewitsch sicher ein guter Tipp, aber dann fehlt die Zweite ! Dafür ist Dausgaard megagünstig bei Brillant !

    ______________

    Gruß aus Bonn

    Wolfgang

  • Hallo,

    Franz (Adolf) Berwald gilt laut Robert Layton als der bedeutendste schwedische Komponist, sogar als der führende Symphoniker in Skandinavien vor Sibelius (vgl. Layton, R., Franz Berwald: Die Symphonien, Booklet zur Doppel-CD Franz Berwald – 4 Symphonies – Göthenburg Symphony Orchestra – Järvi). Besonders der zweite Teil dieser Aussage wird Widerspruch auslösen.

    Seine sehr verzögerte Beliebtheit beruht auch auf dem Umstand, dass die schwedische Konzertkultur damals nicht das spiel-technische Niveau hatte und der Komponist anscheinend der Vor-Ort-Betreuung der (Ur-)Aufführungen seiner Werke zu wenig Aufmerksamkeit schenkte, die Aufführungen ausblieben bzw. die Drucklegung seiner Kompositionen nicht zeitnah stattfand. Man warf ihm Melodielosigkeit und Effekthascherei vor; heute würde man es als unangepasst bezeichnen. Während er in Berlin nicht reüssieren konnte, war ihm in Wien ein kurzzeitiger Erfolg beschienen (Ehrenmitglied des Salzburger Mozarteums).

    Vielleicht fehlte den damaligen Kritikern in Berwalds absoluter Musik eine konsequent durchgearbeitete formale Geschlossenheit i. S. Beethovens?

    Obwohl Berwald (in seinen Symphonien) besonders der Klassik verpflichtet scheint, konnte er z. B. bei F. Mendelssohn-Bartholdy keinen guten Eindruck erwecken. Dieser betitelte ihn 1830 (also vor seinen Symphonien) in einen Brief an den schwedischen Komponisten A. F. Lindblad mit ‚Arroganz und Prahlerei’ (vgl. Komponisten-Lexikon, hrsg. Von H. Weber, 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Stuttgart 2003, S. 55).

    Mir hat das symphonische Werk von Franz Berwald sehr gefallen. Die 4. Symphonie, sie sollte gem. Berwald evtl. „Symphonie naïve“ heißen, habe ich in vier verschiedenen Einspielungen. Sie gehört zu meinen Lieblingssymphonien und erinnert mich ein klein wenig an R. Schumanns Symphonie C-Dur op. 61, besonders wenn sie „auf Geschwindigkeit“ gespielt wird und eine Spur an S. Prokofiews „Symphonie classique“ (vgl. z. B. Anfang 4. Satz Berwalds) [oder dann sogar an J. Haydn?]. Zwar hat Berwald vor dieser Symphonie-Periode (1842-1845) bereits symphonisch komponiert (z. B. Symphonie A-Dur, Uraufführung 1821), jedoch hat er diese Werke verworfen und selbst die Symphonie sérieuse g-moll als seine erste Symphonie bezeichnet.

    Symphonie Nr. 4 Es-Dur

    Allegro risoluto
    I. Markevitch 8:06
    U. Björlin 8:41
    S. Ehrling 9:05
    N. Järvi 8:06

    Adagio
    I. Markevitch 6:23
    U. Björlin 7:50
    S. Ehrling 7:10
    N. Järvi 5:43

    Scherzo: Allegro molto
    I. Markevitch 5:00
    U. Björlin 5:22
    S. Ehrling 5:47
    N. Järvi 5:29

    Finale: Allegro vivace
    I. Markevitch 6:01
    U. Björlin 6:20
    S. Ehrling 6:36
    N. Järvi 6:15

    Total
    I. Markevitch 25:30
    U. Björlin 28:13
    S. Ehrling 28:38
    N. Järvi 25:33

    Aber bedenke: Tempo ist nicht alles!

    N. Järvi Einspielung hat fast die gleiche Laufzeit wie die von I. Markevitch, da er besonders ein sehr „schnelles“ Adagio spielen lässt. Markevitch Aufnahme erklingt schlank, fein und geschwind-feurig. Die Balance zwischen den Streichern und Bläsern ist abgestimmter als unter Järvi. Bei Järvi kommen die Bläser etwas mehr zum "Tragen". Die Aufnahmen von S. Ehrling und U. Björlin sind nicht nur wesentlich langsamer und getragener, sie klingen weniger „klassisch“ sondern „romantisch-idyllischer“. Mir persönlich sind sie zu langsam. Zum Beispiel habe ich eine andere Vorstellung von 'allegro risoluto' = schnell mit Entschlossenheit. Wie so oft, wenn zu langsam, es zerreißt die Struktur und man empfindet Langatmigkeit. Mein Favorit ist die Aufnahme unter I. Markevitch.

    Zu den bereits genannten Aufnahmen diese noch:

    Da m. E. die Aufnahmenvielfalt von Werken F. Berwalds und deutschsprachiger Literatur über ihn nicht sehr groß ist, hoffe ich auf Besserung.

    Bis dann.

  • Estrella de Soria

    Bei der - eigentlich ziemlich irrelevanten Wahl des "wichtigsten skandinavichen Sinfonikers" sollte man mindestens Carl Nielsen nicht vergessen. Wenn aber schon die Sinfonien Berwalds weitgehend unbekannt sind (ich habe die soeben verwiesenen Aufnahmen von Ulf Björlin immer sehr gerne gehört - ist aber schon eine Weile her), was soll man dann über den Opernkomponisten sagen?

    In der kurzen Zeit, in der es sie noch gab, habe ich mal diesen hochinteressanten Querschnitt seiner Oper ESTRELLA DE SORIA geschenkt bekommen, der definitiv Appetit auf mehr macht, auch wenn die musikalische Realisierung, freundlich gesagt, suboptimal ist.

    Außerdem habe ich noch einen Rundfunkmitschnitt seiner DROTTNINGENAF GOLCONDA mit Elisabeth Söderström und Ingvar Wixell aus dem Jahr 1968. Ich müsste aber mal wieder in diese Aufnahmen reinhören, bevor ich mehr zu Berwald schreibe.

    Jedenfalls ist das ein hochverdienter und schon deshalb verdienstvoller Thread.

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • RE: Estrella de Soria

    Zitat von Rideamus

    Bei der - eigentlich ziemlich irrelevanten Wahl des "wichtigsten skandinavichen Sinfonikers" sollte man mindestens Carl Nielsen nicht vergessen.
    ...

    Hallo Rideamus,

    für meinen Teil: Ich habe (z. B.) lediglich zitiert, um auf die teilweise "Nichtberücksichtigung" oder "Nichtbeachtung" F. Berwalds trotz gegensätzlicher Meinung aufmerksam zu machen. Die Wichtigkeit oder Bedeutung stellt die Musikgeschichte her, wir (Capriccio) sind ein mikroskopisch kleiner Teil davon. Von einer grundsätzlichen "Wahl" war keine Rede, das darf zum anderen jeder für sich entscheiden. Da bin ich bei Dir. Opern- oder "Operettenaufnahmen" von F. Berwald interessieren mich ebenfalls sehr. Da scheint es ein Loch (s. o.) zu geben. Die von Dir vorgestellte Aufnahme ist momentan nur hochpreisig und gebraucht zu beziehen. (?)

    Bis dann.

    Nachtrag: Wenn auch F. Berwald mit seinen Instrumenten der Orthopädie erfolgreich war, wäre mir eine andere Reihenfolge seiner Berufsausübung im Threadtitel lieber. ;+)

  • Lieber Keith,

    den Bezug auf die Irrelevanz der Frage, wer der wichtigste skandinaische Sinfoniker ist, hast Du anscheinend in den falschen Hals bekommen. Ich bezog mich damit auf Layton, der das - bezeichnenderweise - im Beiheft zu einer Einspielung der Berwald-Sinfonien geschrieben hat. Von derartigen Werbeaussagen halte ich nun mal ziemlich wenig. Das ging aber nicht gegen den Boten, sondern die Botschaft.

    Leider ist ESTRELLA DE SORIA derzeit in der Tat nur zu Wucherpreisen erhältlich (vielleicht nicht in Skandinavien), und dafür würde ich das Geld auch nicht ausgeben, denn, wie angedeutet, die Qualität der Beteiligten lässt zu wünschen übrig. Ich will aber mal sehen, ob ich gelegentlich etwas mehr zu diesen beiden Opern schreiben kann. Dass Berwald laut Wikipedia auch Operetten geschrieben haben soll, überrascht mich, denn die beiden dort genannten

    • Jag går i kloster. Operette (1843; UA 1843)
    • Modehandlerskan. Operette (1843; UA 1845)

    entstanden immerhin schon zehn Jahre vor der Gattung selbst, wenn man Offenbachs LES DEUX AVEUGLES als deren Ausgangspunkt nehmen will. Dann wäre Berwald ja der "Erfinder" der Gattung. Wahrscheinlicher ist es wohl, dass diese beiden Werke skandinavische Singspiele sind. Die Frage interessiert mich aber sehr, und ich werde mal versuchen, ihr weiter nachzugehen. Weiß vielleicht jemand jetzt schon mehr davon?

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Lieber Rideamus,

    bzgl. der Operetten:
    Das hat mich ebenfalls aus selben Grund sehr irritiert, deshalb habe ich - gerade als Entgegnung auf Deinen Beitrag (als Operetten-Experten!) Anführungszeichen gesetzt [nichts ist ohne Grund ;+) ]. Aber wie ich geschrieben habe, es gibt erstaunlich wenig deutschsprachige Literatur.

    Bis dann.

  • Zu den sogenannten Operetten habe ich in Ermangelung der Berwald- Biographie Robert Laytons noch nichts gefunden. Ich habe jedoch den Anlass genutzt um mir einmal die vor Monaten herunter geladene Aufzeichnung von Berwalds nachgelassener Oper DROTTNINGEN AV GOLCONDA (DIE KÖNIGIN VON GOLCONDA) anzuhören. Ich gestehe, ich weiß nicht, wo ich damals meine Ohren hatte, denn das ist ein absolut bezaubernde Oper irgendwo zwischen Schubert und einer inexistenten Oper von Mendelssohn. Die Produktion des schwedischen Rundfunks von 1958 ist zwar mit einer öfter distonierenden Sopranistin geschlagen, dennoch eindrucksvoll genug um die Grundlage für die Welturaufführung (!) des Werkes im April 1968 in Stockholm gelegt zu haben.

    Berwald hatte die Komposition 1863, also dem Jahr der Uraufführung der PERLENFISCHER und fünf Jahre vor seinem Tod begonnen und ursprünglich gehofft, diese auf einem französischen Libretto nach Walter Scotts "The Abbot" basierende Oper am Pariser Lyrique platzieren zu können. Als sich dies - womöglich wegen der eher deutsch klingenden, jedenfalls sehr unfranzösischen Musik - als aussichtslos erwies, reichte er das Werk bei der Stockholmer Oper ein, wo man es nach seinem Erfolg mit ESTRELLA DI SORIA auch aufführen wollte. Ein Intendantenwechsel zerschlug jedoch auch diese Hoffnung, und so bekam Berwald diese Oper zeitlebens nie zu hören. Die Geschichte um eine verschleppte Provencalin, die irgendwo in Indien die Frau des Königs von Golconda wurde, jedoch zeitlebens ihrer Jugendliebe nachtrauert, die sie am Schluss doch noch bekommt, klingt nach den damals beliebten exotischen fernöstlichen Fabeln. Berwald gab sich aber nicht die geringste Mühe, die provenzalische Herkunft seiner Helden oder gar den indischen Schauplatz durchklingen zu lassen. Tatsächlich ist die Musik weniger exotisch als selbst die ENTFÜHRUNG muselmanisch.

    Gerade in unseren Ohren klingt sie jedoch außerordentlich reizvoll, und ich kann nur sagen, dass hier eine mehr als überraschende deutsche Erstaufführung lauert, auf die man sich richtig freuen kann. Hier noch die Daten "meiner" Aufnahme, nach der zu fahnden ich jedem nur ans Herz legen kann, der sich für unbekanntes Repertoire des 19. Jahrhunderts oder diese völlig unbekannte Seite des Sinfonikers Berwald interessiert, in der sich wahre Schätze zu verbergen scheinen:

    Aline, Königin von Golconda - Carrie Nilsson, Sopran
    Zelie (Hofdame, ihre Vertraute) - Marianne Öhm, Sopran
    Saint-Phar (französischer Gesandter) - Ingvar Wixell, Bariton
    Sadomar (Minister der Königin) - Erik Sundquist, Bariton
    Nadir (Befehlshaber der königlichen Leibwache) - Uno Ebrelius, Tenor
    Abdala (Hofmarschall) - Sven-Erik Jacobsson, Bariton

    Tor Mann dirigiert die Königliche Philharmonie, Stockholm

    :wink: Rideamus

    Ein Problem ist eine Chance in Arbeitskleidung

  • Ich habe jedoch den Anlass genutzt um mir einmal die vor Monaten herunter geladene Aufzeichnung von Berwalds nachgelassener Oper DROTTNINGEN AV GOLCONDA (DIE KÖNIGIN VON GOLCONDA) anzuhören. Ich gestehe, ich weiß nicht, wo ich damals meine Ohren hatte, denn das ist ein absolut bezaubernde Oper irgendwo zwischen Schubert und einer inexistenten Oper von Mendelssohn. (...)
    Berwald gab sich aber nicht die geringste Mühe, die provenzalische Herkunft seiner Helden oder gar den indischen Schauplatz durchklingen zu lassen.
    Gerade in unseren Ohren klingt sie jedoch außerordentlich reizvoll, und ich kann nur sagen, dass hier eine mehr als überraschende deutsche Erstaufführung lauert, auf die man sich richtig freuen kann.

    Lieber Rideamus,

    hab vielen Dank für deine schöne Beschreibung der "Königin von Golconda"! Ich habe zwar lediglich die Ouvertüre und diese gerade noch einmal hervorgeholt. Auch bei diesem Stück habe ich irgendwie dieses oben beschriebene Gefühl, dass Berwald noch eher Mozart oder dem frühen Beethoven näher steht, als einem Weber oder Mendelssohn. Ich pflichte dir völlig bei: Allein diese Ouvertüre klingt für mich frei von jeglichem Exotismus. Stattdessen führt sie in ihren knapp acht Minuten eine Reihe feiner Themen vor, die womöglich bereits Charaktere andeuten und auf kommende Handlungsabschnitte hinweisen. Das kann ich allerdings nur ahnen, den "Rest" - sprich die gesamte Oper - kenne ich ja leider noch nicht.

    LG
    C.

    „Beim Minigolf lernte ich, wie man mit Anstand verliert.“ (Element of Crime)

  • Lieber Carsten,

    ich kenne die Oper noch nicht gut genug um das bestätigen oder dementieren zu können, sollte aber vielleicht an dieser Stelle darauf hinweisen, was die englische Wikipedia schreibt: "The attractive overture may be a later version of the tone poem 'Humorous Capriccio' (1841) from Berwald’s Viennese years". Da ich auch Berwalds "Humoristisches Capriccio aus seinen wiener Jahren nicht kenne, kann ich das nicht weiter kommentieren.

    Was ich allerdings schon sagen kann, ist, dass die Ouvertüre stilistisch so hervorragend zu der Oper passt, dass man zumindest unterstellen kann, dass Berwald das Capriccio für den Ouvertürenzweck überarbeitet hat. Jedenfalls gefällt es mir auch sehr. Berwald ist fraglos eine intensivere Beschäftigung wert.

    :wink: Rideamus

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  • Vergleich N.Järvi - Dausgaard - Kamu

    Ob Dausgaard da die beste Wahl ist ? Ein wenig Zweifel habe ich: Die Langgaard-Sinfonien mit Dausgaard sind Spitze - keine Frage, aber die von mir höchstgeschätzten Sinfonien Nr.4-6 sind, gerade hier wieder mit Järvi (Decca), weit packender interpretiert.

    :wink: Welche nehmen ? Welche sind nicht langweilig, sondern zupackend ?

    Meine Zweifel an der N.Järvi-GA (DG) wurden durch Mathias und Micha´s Beiträge zunächst bestätigt. Den Wunsch nach einer weiteren GA habe ich jetzt realisiert, nachdem meine Frage nicht zufriedenstellend beantwortet werden konnte. Leider konnten meine Zweifel zu Järvi aber durch den Kauf der Dausgaard-GA nicht bestätigt werden.

    :!: Dausgaard legt besonderen Wert auf Details und liefert eine sehr feingliedrige Interpretation mit sogar noch etwas besserm Klang (klar die neueren Aufnahmen entstanden von 2000-2004). An diesen positiven Eigenschaften wäre ja nichts auszusetzen .... wenn Dausgaard nicht total langweilig wäre ! Was sich schon im Vergleich zu Järvi bei den Langaard-Sinfonie Nr.4 - 6 andeutete, wird hier voll zum "Anti-Ereignis". Als Neueinsteiger hätte ich mit diesen Aufnahmen für die Sinfonien 1-4 nicht mehr als ein "ganz nett" übrig gehabt !
    Zum Glück ist es anders gelaufen.

    Trotz der Kritik sind mir die Järvi-Aufnahmen immer noch lieber:
    - der Klang des Göteborg SO ist viel sinfonischer und voller
    - Järvi betont auch das Beethovenvorbild; für ihn sind das hörbar grosse Sinfonien
    - er verpasst keine Spannungsmomente und Effekte
    - etliche Gänsehautstellen werden nicht unterschlagen

    Ich habe auch durch den Kauf des Berwald - Klavierkonzertes D-Dur (1855), dass ich jedem Klassikliebhaber an Herz legen möchte, die wirklich guten Aufnamen mit Okko Kamu Naxos, 1995, DDD) der Sinfonien Nr. 3 und 4 zur Verfügung. Auch wenn das Helsingborg SO nicht die Qualität des Göteborg PO hat, so ist die erfrischende Spielfreude und knackige Interpretation Kamus der Sinfonie Nr.3 um Längen dem Daussgaard-Langeweiler vorzuziehen.

    Beispiel aus der Sinfonie Nr.3:

    Ich will jetzt nicht auf zig Einzelheiten eingehen. Aber eine entscheidende Stelle ist gleich der Anfang meiner höchstgeschätzen Sinfonie Nr.3.
    Der Anfang mit dem wunderschönen Thema mit den fast zukunftsweisenden impressionistischen Farben wird bei Kamu und Järvi wunderbar betont in Klang umgesetzt und löst gleich ein Aha-Erlebnis aus. Dausgaard ganz anders - er lässt das ganze im Pianissimo, kommt erst viel später zum Crescendo - der Anfang wirkt im Vergleich zu Kamu und Järvi wie "Chance total verpasst" und wirkt ohne jeden Pepp. Den gleichen Kram immer wieder wenn das Thema sich wiederholt.
    Solche Beispiele häufen sich nicht nur bei der Sinfonie Nr.3, sondern alle Sinfonien haben unter Dausgaard keinen Pepp ! :S So kommst zumindest bei mir nicht an ...

    Fazit:
    Die Dausgaard - GA wird allerdings durch zwei Tondichtungen Elfenspiel und Erinnerung an die norwegischen Alpen ergänzt. Muss also deshalb im Bestand bleiben.
    Neeme Järvi (DG) ist gar nicht so übel, wie mein Ersteindruck und Kamu (Naxos) setzt an Frische bei der Sinfonie Nr.3 noch einen drauf.


    NAXOS, 1995, DDD


    DG, 1985, DDD


    Eher entäuscht - Kauf wäre nicht nötig gewesen:

    BRILLANT, 2000-4, DDD

    ______________

    Gruß aus Bonn

    Wolfgang

  • Ich hatte das zwar schon viel länger mal vor, bin aber heute erst dazu gekommen Berwalds Sinfonien endlich mal anzuhören.
    In der Version unter Okku Kamu, die bei NAXOS erschienen ist.

    Hier fiel ja die Äußerung 'ganz nett' und ich muss sagen, grundsätzlich dachte ich beim Hören genau das gleiche, eigentlich ist an diesen Stücken oberflächlich gesehen nichts besonderes, nicht herausragendes ABER erstaunlicher Weise reißt es mich eben doch mit. Das ist so Musik, die ganz einfach funktioniert und wo es nicht viel zu erklären oder zu ergründen gibt. Die lebt einfach, macht Freude, ohne aufdringlich oder vernachlässigbar zu sein. Die passt eben.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

  • Hier fiel ja die Äußerung 'ganz nett' und ich muss sagen, grundsätzlich dachte ich beim Hören genau das gleiche, eigentlich ist an diesen Stücken oberflächlich gesehen nichts besonderes, nicht herausragendes ABER erstaunlicher Weise reißt es mich eben doch mit. Das ist so Musik, die ganz einfach funktioniert und wo es nicht viel zu erklären oder zu ergründen gibt. Die lebt einfach, macht Freude, ohne aufdringlich oder vernachlässigbar zu sein. Die passt eben.

    Berwalds Sinfonien haben meines Erachtens schon eine ganz unverwechselbar nordische Färbung; Schubert greift nach Nielsen - sage ich mal. Ich finde sie sehr überzeugend, beinahe spannend.

    Einspielungen hatte ich bereits auf Kassette vom Rundfunk mitgeschnitten. Hinzu kommt mittlerweile die Gesamtaufnahme von Goodman, die Carsten bereits im Eröffnungsbeitrag benennt. Das genügt mir. Man kann nicht alles dreimal kaufen.

    :wink: Wolfgang

    He who can, does. He who cannot, teaches. He who cannot teach, teaches teaching.

  • Wie ganz oben schonmal jemand schrieb, finde ich ebenfalls Berwald ziemlich originell. Ich habe nicht alle Sinfonien gleichermaßen präsent, aber die Integration des Scherzos als Mittelteil in einen langsamen Satz und den Satz mit dem obsessiven Quartenmotiv finde ich sehr eigenständig und auch ich bilde mir ein, einen "nordischen" Ton wahrzunehmen, freilich nicht im Sinne einer greifbaren Landschafts/Stimmungsschilderung wie in Mendelssohns "Schottischer".

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)

  • auch ich bilde mir ein, einen "nordischen" Ton wahrzunehmen

    Berwalds Sinfonien haben meines Erachtens schon eine ganz unverwechselbar nordische Färbung; Schubert greift nach Nielsen


    Das kann durchaus richtig sein, ich bin mit nordischer Symphonik kaum vertraut, kenne eigentlich bisher nur Berwald und Langaard. Nielsen kenne ich nur von seiner Oper "Saul und David", aber ja, die Musik von Berwald Sinfonien ist in meiner Erinnerung schon ähnlich, im Sinne eines vielleicht nordischen Tons.

    "Allwissende! Urweltweise!
    Erda! Erda! Ewiges Weib!"

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