Schumann – verkannt?

Am 12. Dezember wird eine neue Forensoftware installiert. Die Arbeiten dauern voraussichtlich etwa eine Stunde und werden zwischen 13:00 und 18:00 Uhr stattfinden. Für die Dauer der Installation wird das Forum nicht verfügbar sein!
  • Hier interessiert mich ernsthaft, wie solche Leute diese blödsinnige Aussage begründen oder erläutern.


    Gemeint ist vermutlich folgendes:


    Zur Beurteilung, ob etwas Kunst ist, muss man auch den Willen erkennen, der dahinter steckt. Wenn z.B. der Wind ein "schönes" Muster in den Sand bläst, ist das keine Kunst. Ein Pferd kann auch kein Kunstwerk schaffen, egal wie "gut" das Ergebnis ist.


    Man könnte sich also fragen, ob das Werk eines Geisteskranken das Produkt seiner Gehirntätigkeit ist (dann wäre es Kunst) oder ob es einfach zufällig entstanden ist (dann wäre es keine Kunst). Bei einem komplexen Gebilde wie einem Violinkonzert stellt sich diese Frage natürlich nicht.



    Thomas

  • Zitat

    Aber es nicht völlig egal, wie ein Stück Musik oder ein Werk Bildender Kunst gemacht wird, auch wenn Kriterien in jedem Genre, jedem Stil usw. anders sein mögen. Dass nicht jeder Mist gut ist, ist schon ein extrem wichtiger Sachverhalt, weil man sich überhaupt nur deshalb darüber austauschen kann! Andernfalls könnte man immer entgegnen "Och, ich find's aber schön", und es gäbe nichts weiter dazu zu sagen.


    Kunnukun, da bin ich ganz bei dir. Es gibt eine Grenze, jenseits derer der Mist als solcher erkennbar ist - und man muß seine Nase auch nicht tief in den entsprechenden Haufen gesteckt haben, um ihn als Mist einordnen zu können.


    ABER: Sobald man von dieser allgemeinen Feststellungen zu konkreteren Kriterien, nach denen ein »Kunstwerk von Wert« ist, gelangen will, wird es - zumindestens ab einem bestimmten Level - dann doch sehr schnell schwierig und subjektiv.


    Im Falle von späten Werken Schumanns wüßte ich jedenfalls nicht, welche Instanz nach welchen Gesichtspunkten berechtigt wäre, ihren "Wert" einzuschätzen.


    Zitat

    Ja, man könnte auch die "Waldszenen" an den Anfang des Spätwerkes setzten (Vogel als Prophet), da kündigt sich schon was an, aber es kündigt sich eben erst an. Ich empfinde 1848-1850 bei Schumann als Übergangsphase.


    Generell bleiben Schubladen halt Schubladen, in die man je nach Augenmaß dieses oder eben doch lieber jenes stopfen kann. Trotzdem geht es schlecht ohne Schubladen, da sie die Dinge zuerst einmal grob ordnen und dadurch das Leben (und im Falle der begrifflichen Schubladen die Kommunikation) erheblich erleichtern. Das beständige Nachprüfen, ob die Schubladen auch mit zur Aufschrift passenden Inhalten gefüllt sind, ist dann der nächste Schritt...


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zur Beurteilung, ob etwas Kunst ist, muss man auch den Willen erkennen, der dahinter steckt.


    Die Argumente eines Psychiaters, die uns ein Professor, bei dem ich Unterricht hatte, erläuterte (um Falstaffs Frage gleich mitzubeantworten) und nach denen Kunst von geistig bzw psychisch schwer Erkrankten nicht ohne Weiteres als Kunst bezeichnet werden kann, zielen genau in die von ThDeck genannte Richtung. Wenn man von der Prämisse ausgeht, das Kunst ein gewollter Akt mit einem ästhetischen Zielpunkt ist.
    Die Willensfreiheit und das Urteilsvermögen des Kunstschaffenden spielen da eine grosse Rolle.
    Um alle Missverständnisse gleich auszuschliessen: ich teile diese Ansicht nicht, aber es gibt sie!


    Ich bin jedoch der Ansicht, dass man Künstler und Kunstwerk niemals trennen kann. Für mich gibt es kein irgendwo frei im Raume schwebendes ästhetisches Prinzip, das vollkommen unabhängig vom Menschen, der das Werk geschaffen hat, beurteilt werden kann. Kunst wird von einem Menschen gemacht und dieser Mensch gibt ihr seine Handschrift, gehört also untrennbar dazu. Und wenn er schwer krank ist, gehört seine Krankheit auch mit dazu. Was m.E. die Qualität des Werkes nciht mindern und auch nicht steigern muss (von wegen Mythos "Genie und Wahnsinn") , aber das Werk selbst natürlcih in irgendeiner Weise beeinflusst.
    [Offtopic in den blauen Salon (Thread: Heterogenität und Kohäsion) verschoben. - Areios]



    Liebe Petra, Beci geht stark von persönlichen und zwischenmenschlichen, familiären, gesellschaftlichen und sozialen Blickwinkeln an die Schumanns heran.
    Sowohl ihren Ansatz als auch ihre Sprache finde ich weiblich.
    Aber wahrscheinlich kommen jetzt lautstarke Proteste, da es ja korrekterweise weder weiblche noch männliche Denk- und Schreibmuster geben darf.
    Tant pis, ich bin sehr froh, dass es sie trotzdem gibt. :angel:


    F.Q.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Das Cellokonzert - auch schon Spätwerk? In seinem Wert ganz unbestritten, oder?


    Der vierte Satz der Rheinischen: Die Stimmung darin nehme ich als fast bedrohlich wahr, gerade vor dieser abstrusen Feierlichkeit des fünften - ganz persönlich.

    Ich bin weltoffen, tolerant und schön.

  • Zitat

    Der vierte Satz der Rheinischen: Die Stimmung darin nehme ich als fast bedrohlich wahr, gerade vor dieser abstrusen Feierlichkeit des fünften - ganz persönlich.


    Du meinst den dritten und vierten Satz dieser eigenwilligerweise fünfsätzigen Sinfonie, oder? Denn der fünfte Satz ist nicht unbedingt "feierlich".


    Ich glaube übrigens, daß ich die Rheinische erst dann zumindestens ansatzweise *verstanden* habe, als ich selber vor gut 2 Jahren an ihrer Aufführung beteiligt war. Vorher hielt ich sie immer für ganz nett, aber eher unspektakulär....


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    der fünfte Satz ist nicht unbedingt "feierlich".


    Na ja, "Eine ganz andere, fröhliche, gelassen-ausgelassene Welt beschreibt das Finale" heißt es etwa.

    Ich bin weltoffen, tolerant und schön.

  • Ich bin jedoch der Ansicht, dass man Künstler und Kunstwerk niemals trennen kann. Für mich gibt es kein irgendwo frei im Raume schwebendes ästhetisches Prinzip, das vollkommen unabhängig vom Menschen, der das Werk geschaffen hat, beurteilt werden kann. Kunst wird von einem Menschen gemacht und dieser Mensch gibt ihr seine Handschrift, gehört also untrennbar dazu.


    Dass ich, was den Zusammenfall resp. die Trennung von Künstler und Kunstwerk anbetrifft, anderer Meinung bin, wissen wir beide aus grauer Vorvergangenheit. Das tut aber bei der aktuellen Diskussion zum Glück gar nichts zur Sache. Zur Sache tut aber dieser Deiner Sätze:


    Zitat

    Und wenn er schwer krank ist, gehört seine Krankheit auch mit dazu. Was m.E. die Qualität des Werkes nciht mindern und auch nicht steigern muss (von wegen Mythos "Genie und Wahnsinn") , aber das Werk selbst natürlcih in irgendeiner Weise beeinflusst.


    Wenn die Krankheit des Künstlers die Qualität des Werks weder mindern noch steigern muss, ist eben diese Krankheit grundsätzlich von allenfalls sekundärer Bedeutung.
    Wenn aber die Krankheit das Werk beeinflusst, müsste sie (also die Krankheit), um für die Einschätzung, ob es sich bei dem geschaffenen Werk um »Kunst von Wert« handelt oder nicht, nachvollziehbar Spuren im als Kunst zur Disposition gestellten Werk hinterlassen haben.
    Das heißt im Klartext: die im Werk präsenten ästhetischen Strukturen müssten dann nachweislich von, hm, sagen wir mal: pathologischen Strukturen kontaminiert worden sein. Das wiederum heißt: pathologische Strukturen hätten sich - auf welche Weise auch immer - den ästhetischen Strukturen unwillkürlich (und hier beginnt das Elend derer, von denen Ecclitico weiter oben sprach. Wehe wenn die Therapeuten kommen! ;+) ) inkorporiert oder sich zumindest in ästhetische Strukturen übersetzt.


    So, bis hierher ist das alles ganz einfach, weil datt alles so schön theoretisch ist. Jetzt aber wird es kompliziert: Wie lassen sich Kriterien finden, die einen solchen Inkorporationsprozess resp. Übersetzungsprozess beobachtbar und damit auch beschreibbar machen, ohne letztlich (sorry, jetzt kommt wieder das böse Wort vom vergangenen Wochenende) reduktinistisch zu verfahren, das heißt: schlicht ästhetische Strukturen auf (völlig anders geartete) (psycho-)pathologische Strukturen zu reduzieren?
    Naklar kann man etwa die Aussparung/das Fehlen von (nur ein blödes und ziemlich vordergründiges Beispiel) Solo-Kadenzen in allen drei Sätzen des Schumannschen Violinkonzerts als ein Zeichen formaler Unausgewogenheit, als eine Nicht-Erfüllung des Anforderungsprofils des Solokonzerts, als ein symptom verblassender Schöpferkraft oder usw. lesen und dies auf die »Krankheit« des Robert Schumann zurückführen. Kann man machen. Ist vielleicht sogar eine vordergründig überzeugende Erklärung - die aber hinsichtlich einer Einschätzung des Schumannschen Violinkonzerts als eines »Kunstwerks von Wert« letztlich immer noch ziemlich sehr irrelevant ist.


    Das bedeutet nun nicht, dass die Krankheit des Künstlers den Schaffensprozess nicht beeinflussen würde (siehe etwa mein Posting weiter oben). Aber der Schaffensprozess als solcher ist eben auch nicht gar sooo wichtig dafür, ob das was am Ende rauskommt als ein »Kunstwerk von Wert« Bestand haben wird.


    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Zitat

    Fairy Queen:
    Kunst wird von einem Menschen gemacht und dieser Mensch gibt ihr seine Handschrift, gehört also untrennbar dazu. Und wenn er schwer krank ist, gehört seine Krankheit auch mit dazu. Was m.E. die Qualität des Werkes nciht mindern und auch nicht steigern muss (von wegen Mythos "Genie und Wahnsinn") , aber das Werk selbst natürlcih in irgendeiner Weise beeinflusst.


    Liebe Fairy, ich sehe nicht, dass der mögliche Einfluss der persönlichen Situation des Künstlers auf die Entstehungsbedingungen eines Kunstwerkes hier von irgendjemandem bestritten wurde. Algabal schrieb zum Beispiel:


    Zitat

    Algabal:
    Das heißt keineswegs, dass die anderen von Dir angeführten Aspekte unwichtig, minderrangig oder zu vernachlässigen wären. Sie geben aber keine Hinweise darauf (bzw. stellen keine Kriterien dafür bereit, zu beurteilen), ob etwas Kunst ist oder nicht.


    Und Du selbst hast ja auch geschrieben:


    Zitat

    Fairy Queen:
    Was m.E. die Qualität des Werkes nciht mindern und auch nicht steigern muss…


    Eben. Sie nehmen vielleicht Einfluss auf die Entstehungsbedingungen des Werkes, seine ästhetische Qualität bzw. die Kriterien, ein Werk als Kunstwerk zu betrachten, beeinflussen sie damit jedoch nicht.


    Zitat

    Fairy Queen:
    Liebe Petra, Beci geht stark von persönlichen und zwischenmenschlichen, familiären, gesellschaftlichen und sozialen Blickwinkeln an die Schumanns heran.


    Ist es also eine Mischung aus Biografie und wissenschaftlicher Analyse?


    Zitat

    Sowohl ihren Ansatz als auch ihre Sprache finde ich weiblich.
    Aber wahrscheinlich kommen jetzt lautstarke Proteste, da es ja korrekterweise weder weiblche noch männliche Denk- und Schreibmuster geben darf.


    Nö, warum lautstarke Proteste? Ich sehe nur in mentaler Hinsicht die Geschlechterpolarität als nicht so stark gegeben als wie sie uns in der heutigen Zeit (wieder) vorgestellt wird - besonders in manchen Medien, in denen teilweise sehr vereinfacht wird nach dem Motto „Männer suchen Sinn, Frauen suchen Schuhe.“ Und es gibt sicherlich unter den Menschen unterschiedliche Denk- und Schreibmuster (wäre ja auch langweilig, wenn nicht ;+) ); ich bin nur immer sehr vorsichtig mit der Kategorisierung dieser Denkmuster als „männlich“ oder „weiblich“. Vielleicht habe ich aber auch nur einen bunt gemischten Familien- und Freundeskreis, der manches Schachtelteufelchen enthält, das aus diesen Schubladen gern heraus springt. ;+)


    Zitat

    Tant pis, ich bin sehr froh, dass es sie trotzdem gibt. :angel:


    Und ich bin froh, dass die Schubladen nicht so fest geschlossen sind. :angel:


    Aber das wird jetzt wirklich OT, shame on me. ;+)


    Viele Grüße,
    Federica
    [Ich sehe gerade, dass Algabals und mein Beitrag sich überkreuzt haben.]

  • Zitat

    Das heißt im Klartext: die im Werk präsenten ästhetischen Strukturen müssten dann nachweislich von, hm, sagen wir mal: pathologischen Strukturen kontaminiert worden sein.


    Warum denn *kontaminiert*? Andere meinen, die pathologischen Strukturen hätten die ästhetischen Strukturen *beflügelt*, d.h. im Sinne des Werkes, nicht unbedingt des Wohlbefinden seines Erzeugers, überhaupt erst evoziert. ---


    Zitat

    Nö, warum lautstarke Proteste? Ich sehe nur in mentaler Hinsicht die Geschlechterpolarität als nicht so stark gegeben als wie sie uns in der heutigen Zeit (wieder) vorgestellt wird - besonders in manchen Medien, in denen teilweise sehr vereinfacht wird nach dem Motto „Männer suchen Sinn, Frauen suchen Schuhe.“ Und es gibt sicherlich unter den Menschen unterschiedliche Denk- und Schreibmuster (wäre ja auch langweilig, wenn nicht ); ich bin nur immer sehr vorsichtig mit der Kategorisierung dieser Denkmuster als „männlich“ oder „weiblich“. Vielleicht habe ich aber auch nur einen bunt gemischten Familien- und Freundeskreis, der manches Schachtelteufelchen enthält, das aus diesen Schubladen gern heraus springt.


    Schön gesagt, Federica! Mein Freundeskreis enthält ebenfalls genug Schachtelteufelchen....und ich selber stehe (auf die Gefahr hin, als "Weichei" abgestempelt zu werden) gerne zu den AUCH vorhandenen eher femininen Zügen meiner Persönlichkeit.


    Herzliche Grüße


    Bernd

  • Warum denn *kontaminiert*? Andere meinen, die pathologischen Strukturen hätten die ästhetischen Strukturen *beflügelt*, d.h. im Sinne des Werkes, nicht unbedingt des Wohlbefinden seines Erzeugers, überhaupt erst evoziert. ---


    Ja, das Wort ist vielleicht doof. Ich meinte das nicht im naturwissenschaftlich-technischen Sinne, sondern eher allgemein im Sinne von »beeinflussen«, »durchdringen«. Das Wörtl floss mir so in die Tatstaur ;+) , weils eben auch im Diskurs er Medizin verwendet wird - da naklar deutlich pejorativ besetzt.


    Und nochwas: auch wenn die pathologischen Strukturen die ästhetischen »beflügelt« hätten, wie »andere meinen«, so müsste dies, um für eine Einschätzung des Ergebnisses als »Kunstwerk von Wert« Relevanz zu gewinnen, anhand der Strukturen des Werks selbst nachweisbar sein. Zumindest solange man nicht i-eine KünstlerKrankheitKunstwerk-Mystik betreiben will.


    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Zitat

    Und nochwas: auch wenn die pathologischen Strukturen die ästhetischen »beflügelt« hätten, wie »andere meinen«, so müsste dies, um für eine Einschätzung des Ergebnisses als »Kunstwerk von Wert« Relevanz zu gewinnen, nachweisbar sein.


    Nun, es finden sich ja gerade im Zeitraum der frühen bis späten Romantik einige erstrangige Komponisten mit ausgeprägt *pathologischem* Hintergrund - von Schubert über Schumann bis hin zu Tschaikowsky, Smetana und Hugo Wolf


    Thomas Mann bezog sich in seinem "Doktor Faustus" auf (natürlich gerade heutzutage sehr anfechtbare) Vorstellungen des Medizinschriftstellers Paul Julius Möbius. Aber ganz abgesehen davon ist die Kombination "Genie und Wahnsinn" ja nicht grundlos schon lange im mitteleuropäischen Denken fest etabliert...


    Viele Grüße


    Bernd

  • Lieber Algabal, falls ich dich richtig verstanden habe, sind wir gar nicht so meilenweit voneinander entfernt. Der Blickwinkel aus dem ich ein Werk betrachte ist zwar immer auch "antropozentriert"(siehe oben), aber ich stülpe anders als Herr Oberhoff und Company keine psychoanalytischen Theorien über Kunstwerke.
    Was pathologische Strukturen in Werken angeht: ich habe Psychiater erlebt, die Dir ins Gesicht sagen, sie könnten Bilder Kranker und Gesunder unterscheiden, ohne zu wissen, wer der Künstler sei.
    Im Hinblick auf Musik oder Poesie (die beiden Kûnste, mit denen ich vor allen Dingen in therapeutischen Zusammenhängen arbeite), ist mir das glücklicherweise noch nicht untergekommen.
    Ich bin mangels Fachkenntnissen selbst nciht in der Lage , detaillierte Werkanalysen von Schumanns Musik durchzuführen, um darin Unterschiede zwischen den Früh-und Spâtwerk aufzudecken.
    Da aber Werke niemals in einem luftleeren rein ästhetischen Raum entstehen, hat der Mensch Schumann seine Werke zu jeder Zeit mit seinem ganzen Sein also auch mit seiner Krankheit,beeinflusst.
    Welche Spuren davon wann in welcher Form zu finden sind, darum sollen sich bitte die Fachmänner kümmern. Das positiv oder negativ zu werten ist dann wieder eine ganz andere Sache.
    Dass es keine Unterschiede geben soll, widersprciht jeder Logik und würde den Schöpfer eines Werkes von Selbigem trennen. Woher kommen dann Kunstwerke? Aus spiritistischer Inspiration durch den ästhetischen Äther?


    Jedes Kunstwerk braucht allein schon den körperlichen Akt des Schaffens durch den Künstlers , um materialisiert zu werden, vom geistigen und seelischen mal ganz zu schweigen. Ich verstehe einfach nicht, wie man das Werk vom Menschen lösen kann. Und wenn man das nciht tut, muss man den Menschen in seiner Gesamtheit nehmen und nciht nur die Teile, die gerade opportun sind.


    [...]


    Der letzte Teil dieses Postings wurde in den Thread Heterogenität und Kohäsion verschoben. Gelöscht wurde - auf eigenen Wunsch - ein Post des Users Algabal.


    Caesar73



    F.Q.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Lieber Algabal, falls ich dich richtig verstanden habe, sind wir gar nicht so meilenweit voneinander entfernt. Der Blickwinkel aus dem ich ein Werk betrachte ist zwar immer auch "antropozentriert"(siehe oben), aber ich stülpe anders als Herr Oberhoff und Company keine psychoanalytischen Theorien über Kunstwerke.


    Ich war wirklich überrascht, wie oft mir in diesem Semester psychoanalytische Deutungen von Kunstwerken begegnet ist - dazu von höchst achtungswerten Dozenten. Die Trennung von Kunstwerk und Schöpfer ist für mich vor allem eine erkenntnistheoretische Größe - ich muss die Ebenen unterscheiden können. Dass beide in vielfältiger Weise in Beziehung stehen, ist selbstevident. Man kann aber nicht das Kunstwerk platt auf den Schöpfer oder den Schöpfer auf das Kunstwerk übertragen. Aber nicht nur eine, eine Vielzahl von perspektivischen Fragestellung an die Beziehungen ist möglich.


    Den Begriff des Schönen, darum geht es doch in der Ästhetik, habe ich immer als einen historisch-gesellschaftlichen begriffen (da gibt es doch die Geschichte der afrikanischen Schönen in Adbera bei Wieland, die von den Abderiten als abgrundhässlich gesehen wird, während sie in ihrem Heimatland als eine besondere Schönheit gilt). Wenn - überspitzt geschrieben - bei Schiller sich Nützliches und Schönes widerspricht, bei Brecht aber beides zusammenfällt, so habe ich nur zwei (relativ) richtige Aussagen konfrontiert, die in der jeweils von ihnen definierten Ästhetik wahr sind, die sich aber diametral widersprechen. Ich will damit keinem Relativismus das Wort reden, sondern nur feststellen, dass es gesellschaftliche Verabredungen zu bestimmten historischen Zeitpunkten gibt, die für bestimmte Räume gelten.


    Die künstlerischen Produktionen von Geisteskranken sind ohne Zweifel als Kunst anzusehen, die Wertung geschieht allerdings wiederum nach den gesellschaftlichen Interessen. Die Schizophrenenkunst, mit der ich mich in den 70ern beschäftigte, war damals hochaktuell, weil man auch Tendenzen der damaligen Kunstrichtungen darin entdecken konnte, sie ist aber keineswegs kanonisiert worden und Alexander März wird auch in künftigen Literaturgeschichten nicht zu finden sein. Deshalb gefällt mir die Unterscheidung von "Kunst" und "Mist" auch nicht so, weil sie deutlich auf Geschmackskriterien aufgebaut ist, die ihrerseits noch untersucht werden müssen - und weil jeder wieder in anderem "Mist" sehen wird. Natürlich ist die Frage der Kanonisierung (der Aufnahme in einen Kanon vorbildlicher Werke) auch auf ihre Bedingungen zu untersuchen. Ein Beispiel dafür ist eben die Wertung des Spätwerks von Schumann. Dazu in einem späteren Beitrag.


    [EDIT]Die Frage in diesem Thread geht mE nicht darum, dass es Kunstwerke sind, die zum Spätwerk gerechnet werden, sondern wie sie bewertet, wieweit sie kanonisiert sind, also als Werke von besonderer Bedeutung markiert wurden oder werden müssen.[/EDIT]


    Liebe Grüße Peter

    .
    Auch fand er aufgeregte Menschen zwar immer sehr lehrreich, aber er hatte dann die Neigung, ein bloßer Zuschauer zu sein, und es kam ihm seltsam vor, selbst mitzuspielen.
    (Hermann Bahr)

  • Lieber Algabal, falls ich dich richtig verstanden habe, sind wir gar nicht so meilenweit voneinander entfernt.


    Nein, liebe Fairy, das sind wir tatsächlich nicht.


    Zitat

    Der Blickwinkel aus dem ich ein Werk betrachte ist zwar immer auch "antropozentriert"(siehe oben), aber ich stülpe anders als Herr Oberhoff und Company keine psychoanalytischen Theorien über Kunstwerke.


    Das hab ich auch nicht unterstellen wollen.


    Zitat

    Was pathologische Strukturen in Werken angeht: ich habe Psychiater erlebt, die Dir ins Gesicht sagen, sie könnten Bilder Kranker und Gesunder unterscheiden, ohne zu wissen, wer der Künstler sei.


    Eben: »ohne zu wissen, wer der Künstler sei«. Darüber hat er auch – qua Profession – gar nicht zu befinden. Kanner auch gar nicht, weil’s nämlich nicht sein Ding ist. Und genau darum geht’s mir die ganze Zeit. Der Psychiater interessiert sich vornehmlich um pathologische Strukturen resp. Symptome pathologischer Persönlichkeitsstrukturen, die sich (möglicherweise) in Produkten gestalterischer Tätigkeit nachweisen lassen könnten. Ästhetische Strukturen interessieren ihn dabei nicht, er trifft auch keine Entscheidung dahingehend, ob das, was er da anschaut/anhört/liest nun »Kunst von Wert« ist oder nicht. Der »Wert« eines solchen Erzeugnisses erweist sich für ihn nämlich darin, ob es sich hinsichtlich einer Diagnose auswerten lässt.


    Psychoanalytische Deutungen von Kunstwerken, wie Peter sie anspricht, verlassen - soweit ich das überschauen kann - zumeist ziemlich bald das eigentliche Feld ihrer Profession (nämlich der Kunstbetrachtung). Letztlich treffen sie keine Aussagen mehr über Kunst, sondern fassen die Werke (zumindest implizit) als Zeugnisse verborgener psychischer resp. gar psychopathologischer Persönlichkeitsstrukturen ihres Produzenten (bisweilen auch der im schöpferischen Subjekt sich verdichtenden/wirksamen/oderwasauchimmer psychopathologischen Strukturen von Kollektiven).



    Zitat

    Da aber Werke niemals in einem luftleeren rein ästhetsichen Raum entstehen, hat der Mensch Schumann seine Werke zu jeder Zeit mit seinem ganzen Sein also auch mit seiner Krankheit,beeinflusst..Welche Spuren davon wann in welcher Form zu finden ist, darum sollen sich bitte die Fachmänner kümmern. Das positiv oder negativzu werten ist dann wieder eine andere Sache.
    Dass es keine Unterschiede geben soll, widersprciht jeder Logik und würde den Schöpfer eines Werkes von Selbigem trennen. Woher kommen dann Kunstwerke? Aus spiritistischer Inspiration durch den ästhetischen Äther?
    Jedes Kunstwerk braucht allein schon den körperlichen Akt des Schaffens eines Künstlers , um materialisiert zu werden, vom geistigen und seelischen mal ganz zu schweigen. Ich verstehe einfach nicht, wie man das Werk vom Menschen lösen kann. Und wenn man das nciht tut, muss man den Menschen in seiner Gesamtheit nehmen und nciht nur die Teile, die gerade opportun sind.


    Hierzu hat Peter ja in seinem letzten Posting schon einiges geschrieben, dem ich mich anschließen würde.


    Die Unterscheidung zwischen, vielleicht auch Trennung von Künstler und Kunstwerk ist tatsächlich ein erkenntnistheoretisches aber auch forschungspragmatisches und die Perspektive disziplinierendes Tool.
    Aus einer Perspektive, in der die Frage nach dem künstlerisches Wert eines Produkt gestalterischen Handelns im Zentrum steht, ließe sich dieses Problemfeld so formulieren: Der einzige Teil eines Menschen, der zu seiner Beurteilung als Künstler taugt, ist sein Werk. Also: das Werk zeugt vom Künstler (nicht vom Menschen); man könnte sogar zugespitzt formulieren: es erzeugt ihn (nämlich den Produzenten als Künstler), nicht umgekehrt.
    Der einzige Faktor, der wiederum zur Beurteilung eines Werks als »Kunst von Wert« opportun ist, ist das Werk selbst.



    Den Begriff des Schönen, darum geht es doch in der Ästhetik, habe ich immer als einen historisch-gesellschaftlichen begriffen [...] Wenn - überspitzt geschrieben - bei Schiller sich Nützliches und Schönes widerspricht, bei Brecht aber beides zusammenfällt, so habe ich nur zwei (relativ) richtige Aussagen konfrontiert, die in der jeweils von ihnen definierten Ästhetik wahr sind, die sich aber diametral widersprechen. Ich will damit keinem Relativismus das Wort reden, sondern nur feststellen, dass es gesellschaftliche Verabredungen zu bestimmten historischen Zeitpunkten gibt, die für bestimmte Räume gelten.


    So ist es. Aber weder Schiller noch Brecht interessier(t)en sich dafür, ob der Produzet des jeweiligen Werks, das gemäß historisch kontingenter Ästhetiken zu beurteilen wäre, gesund oder krank gewesen ist. Für Aristoteles war das übrigens auch schon nicht so wichtig ... ;+)


    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Klassiker:
    Werk (Qualität steht außer Frage) wird Künstler zugeschrieben.
    Wissenschaft findet heraus: Werk ist garnicht vom Künstler.
    Werk plötzlich weniger wert?

    "...es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen." - Johannes Brahms

  • Ich fand die bisherigen Beiträge in diesem Thread außerordentlich spannend!


    Eine andere Frage: Wie ist das "Spätwerk" denn auf CD´s, im Konzertsaal etc. etc. pp. vertreten? Vom Cellokonzert und vom Violinkonzert sind mir Aufnahmen bekannt, aber sonst? Also: Spiegelt sich das "Verkanntsein" des späten Schumanns auch im Konzertleben und auf dem Plattenmarkt wider?


    :wink: :wink:


    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Hier diese CD besitze ich. Zum Kennenlernen der späten Lieder fand ich sie bestens geeignet.



    Ich habe nach einer Aufnahme von "Ein Gleiches" (Wanderers Nachtlied 2) gesucht, weil ich etwas unglücklich darüber war, wie Thrasybulos Georgiades in seinem Schubertlieder-Buch ("Musik und Lyrik") die Schumannversion gegenüber der Schubertversion doch recht deutlich als qualitativ weniger gehaltvoll bezeichnet (Nein, ganz so einfach ist das nicht, ich will ihm nichts in den Mund legen, aber der Text legt zumindest nahe, dass dieser Eindruck entsteht). Bei der Beschäftigung mit den Noten und der Aufnahme der Schumann-Vertonung stellte ich dann jedenfalls fest, dass ich Schumanns Lied auch sehr mag. Auch sonst sind ein paar sehr schöne, eher unbekannte Lieder auf der CD enthalten.


    Tharon.

  • . Als ich anfing, mich für Carl Nielsens Musik zu interessieren, hielt mich mein Musiklehrer für einen Spinner. Die Quelle meiner Begeisterung war eine auf MC mitgeschnittene Rundfunkübertragung der 4. Sinfonie; einige Zeit später stieß ich dann im Kölner Saturn auf eine sehr ominöse, labelfreie, von sonstwo importierte Plattenbox mit den Nielsen-Sinfonien (Blomstedt dirigierte dort ein dänisches RSO) . Ansonsten gab es weit und breit keine Aufnahme dieser Musik.


    Hmm, also es gibt einen Mitschnitt der 5. unter Horenstein, der 4. unter Barbirolli, dann die Aufnahmen durch Bernstein und Karajan. Vielleicht waren die damals nicht verfügbar, oder das war nach Deiner Zeit. Ich möchte damit allerdings nur zum Ausdruck bringen, dass die eigenen Eindrücke bezüglich Rezeption und Verbreitung täuschen können.


    Ich gebe Dir aber insofern Recht, als dass es ein paar Jahrzente gedauert hat, bis eine größere Hörerschaft erkannt hat, dass sich Nielsens Musik nicht nur in national geprägter Spätromantik erschöpft, sondern dieser in seinen Symphonien einen ganz wesentlichen Beitrag zu dieser Gattung geschaffen hat.




    :wink:


    Wulf

    "Gar nichts erlebt. Auch schön." (Mozart, Tagebuch 13. Juli 1770)

  • Zu der Erkrankung Schumanns kann ich mich nicht äussern. Weder weiß ich, welche Erkrankung er nun sicher hatte, noch kann ich musikwissenschaftliche Äusserungen über derern Einfluß auf seine Musik abgeben.


    Ich habe jedoch schon einen schizophrenen Maler kennengelernt, dessen Bilder unter dem Einfluß seiner psychotischen Schübe gänzlich andere waren, als in seinen "ruhigen" Phasen, in denen er seine Medikamente regelmässig einnahm.


    Er selber äusserte sich dahingehend dazu, dass seine Bilder, die innerhalb seiner Psychose entstanden, seine wahren Kunstwerke seien (auch wenn er sich an ihren Schaffensprozeß nicht mehr erinnern konnte) und die Bilder unter Medikamenteneinfluß nicht seinem Kunstbegriff entsprächen. Dies war für ihn der Grund, seine medikamentöse Therapie abzubrechen, was für ihn zur Konsequenz hatte, dass er nur noch in einem betreuten Heim leben kann und meist nicht zu zwischenmenschlichen Beziehungen/Interaktion fähig ist. Ein grosses Opfer für die Kunst.


    Doch was ist nun wirklich nach ästhetischen Überlegungen die wirkliche Kunst? Die Bilder, an deren Erschaffung er nachher keinerlei Erinnerung hatte, die in einem einzigen Schub von Wirklichkeitsverkennung (mal im medizinischen Terminus unterstellt) entstanden oder die Bilder, die er bewußt und mit voller Erinnerung daran, warum und wie er sie gemalt hat, in seinen "gesunden" Phasen entstanden?


    Er äusserte sich da ja eindeutig. Diese "wahnhaften" Bilder sind übrigens auch diejenigen, welche sich verkaufen.




    Zitat

    Werk (Qualität steht außer Frage) wird Künstler zugeschrieben.
    Wissenschaft findet heraus: Werk ist garnicht vom Künstler.
    Werk plötzlich weniger wert?


    Diese Frage drängt sich in dem Zusammenhang hier nämlich auch auf. Verkaufen sich diese Bilder deshalb so gut, weil sie die Aura des "wahnhaften" (Genies?) haben oder weil sie auch völlig objektiv im Vergleich zu den anderen Bildern ästhetisch ansprechender sind?


    LG Lotte


  • Liebe Charlotte, hier kommt genau die von mir benannte Ethik ins Spiel, die ja angeblich mit Kunst nichts zu tun hat.
    In Fällen, wo es um schwerkranke und von medizinischer Therapie anhängige Menschen geht, hat sie das allerdings.
    Es ist einfach zynisch, sich auf eine Warte zu stellen, wo es nur die hehre Kunst und die erkenntnistheoretisch abgesicherte Ästhetik gibt und der Mensch, der das alles geschaffen hat und mit den Konsequenzen leben muss, keine Rolle mehr spielt.


    F.Q.

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

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