Gerade in der Musik schlage ich vor, dass ein Kriterium für Kitsch die Inkongruenz von musikalischen Mitteln und Inhalt ist.
Das scheint mir durchaus ein Ansatz, aus dem sich was machen ließe. Das Beispiel mit dem aufgemotzten Volkslied ist sehr instruktiv. (Hierher passt auch die bombastisch aufgemotzte Vertonung eines der zartesten Gebilde deutscher Lyrik – ich meine Eichendorffs »Im Abendrot« – durch einen höchst beliebten Komponisten des 20. Jahrhunderts, den man dafür eigentlich geteert und gefeder durch Garmisch hätte treiben sollen.)
Man müsste natürlich, um ein wirklich handhabbares Kriterium zu bekommen, noch sehr in die Tiefe gehen und diese Inkongruenz und den Inhalt usw. genauer definieren. Aber vorläufig wäre ja schon mal zu fragen, ob das auch umgekehrt funktioniert. Also eine Messe für Singstimme und Gitarre, komponiert im Stil von Konstantin Wecker. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es so etwas in der Art gibt, ich kenne jedenfalls mehr als genug modernen Kirchenmusik-Kitsch. Wäre also auch diese Inkongruenz als Kriterium verwendbar?
Hier ist übrigens möglicherweise noch zu beachten, dass Kitsch nur sein kann, was als Kunstwerk, also nicht als Gebrauchsmusik gehört werden will. Die von mir erdachte Wecker-Messe wäre im Gottesdienst ja vielleicht ganz in Ordnung, während sie im Konzert eine Art GAU wäre. Oder geht das so nicht?
Und wie ist es schließlich mit dem Inkongruenz von Aufwand und Substanz? Rachmaninows »Vokalise« die hinter viel harmonischer Sonderbarkeit erfolglos zu verbergen versucht, dass sie nur aus der Repetition eines einzigen Motivs besteht, wäre hier ein instruktives Beispiel.
Un im Zusammenhang mit diesem Stück fällt mir ein Punkt ein, der durch das Kriterium der Inkongruenz nicht abgedeckt zu werden scheint: Manche musikalische Formulierungen werden als abgegriffen empfunden und darum als kitschig, egal mit welchem Aufwand sie daherkommen. Wie lässt sich das fassen?
Ich breche mal ab, das sind einfach so ein paar Fragen, die sich mir in diesem Kontext aufdrängen.