Grigory Sokolov
Letzten Mittwoch (21.4.) erlebte ich einen Klavierabend mit Grigory Sokolov, der im Rahmen des Heidelberger Frühlings in der Stadthalle Heidelberg gastierte. Es war bereits das zweite Mal, daß ich dem hochgerühmten Pianisten im Konzertsaal begegnete; sein Konzert vor ein paar Jahren in Wiesloch hatte mich zwar beeindruckt und zum Kauf einer CD veranlaßt, mich aber nicht zum Fan gemacht (vielleicht lag es am Programm: u. a. Chopin-Etüden, für die ich zumindest damals nicht so empfänglich war).
Ein paar Eindrücke: Der Meister, von bulliger Statur, introvertiert wirkend, betrat das Podium, schritt zügig zum Klavier, setzte sich und begann: kein Lächeln, keine Gesten, die Kontakt mit dem Publikum suchen, auch nicht beim (ausgiebigen und warmen) Beifall. Man könnte es als Star-Attitüde auslegen – vielleicht gehört das auch zum Kult? -, auf mich machte das allerdings einen entschiedenen, konzentrierten Eindruck: Dieser Mann beschränkt sich auf das Wesentliche, nämlich die Musik.
Und das gab es:
- Johann Sebastian Bach: Partita Nr. 2 c-Moll BWV 826
- Johannes Brahms: Fantasien op. 116
- Robert Schumann: Klaviersonate Nr. 3 f-moll op. 14
Schon bei Bach wurde ein Ansatz deutlich, den ich als „orchestral“ bezeichnen würde: Alles wird in Klang aufgelöst, mit vielen Nuancen und fein abgestufter Dynamik: Die Hauptstimme wie eine Flöte, sehr sanglich, und fein getupfte Baßfiguren, wenig Pedal, so daß es – und das bestimmte Sokolovs Spiel generell – niemals unklar wurde, weit weg Klangbreiigem. Die einzelnen Sätze gestaltete er als Prozeß, mit wunderbar leisen Passagen.
Das war auch bei Brahms deutlich: Mit langsamem Tempo lotete Sokolov die Stücke aus, wobei es ihm möglicherweise darauf ankam, das Pathos der Musik zu betonen. Manchmal schien die Musik stillzustehen.
Nach der Pause das selten gespielte „Concert sans Orchestre“, die 3. Sonate Schumanns in der viersätzigen Fassung, in die eines der beiden ursprünglich komponierten Scherzi wieder aufgenommen wurde. „Orchestral“ paßt hier besonders gut; faszinierend, wie Sokolov die verschiedenen Strimmungen hervorzauberte.
Nicht weniger als sechs Zugaben bildeten den Abschluß: Ich kannte sie nicht und meine je zweimal Chopin und Skjabin erkannt zu haben. Und hier wurde mir vollends klar: Grigory Sokolov hat einen ganz besonderen Stil, eine, fast könnte man sagen, einheitliche Lesart, mit der er an alles herangeht, das ihm unter die Finger gerät: Es klingt immer nach Sokolov, d. h., schwerblütig, farbenreich, eine besondere Art von differenzierter Klanggestaltung, mit vielen Nuancen, vor allem, wie angedeutet, in leisen Passagen, in die er eine unglaubliche Zartheit zu legen weiß.
Grigory Sokolov gilt heute als einer der ganz Großen der lebenden Pianisten – für mich Grund genug, hier nicht nur einen Konzertbericht vorzulegen, sondern eine Diskussion über den Künstler selbst initiieren zu wollen. Auffällig ist, daß es anscheinend nicht viele Geschichten um seine Personen gibt. Was ich gefunden habe, ist kurz zusammengefaßt:
- geboren am 18.04.1950 in Leningrad
- Besuch einer Fachmusikschule beim Konservatorium
- Studium am Leningrader Konservatorium
- erstes öffentliches Konzert mit 12 Jahren
- 1966 Gewinn des Moskauer Tschaikowski-Wettbewerbs
- anschließend Tourneen durch die USA und Europa, zunächst als Geheimtip gehandelt, doch allmählicher Durchbruch, gilt heute als einer der besten Pianisten weltweit
- Konzerte mit vielen namhaften Orchestern und Dirigenten
- seit einigen Jahren vorwiegend Klavierabende
Bemerkenswert ist, daß – wenn ich es richtig überblicke – es von Sokolov keine Studioaufnahmen gibt; seine Aufnahmen sind alles Live-Aufnahmen. Von ihm selbst habe ich dieses Bekenntnis gefunden (aus einem Interview):
ZitatEhrlich gesagt, habe ich nie gerne Schallplatten gemacht. Früher war es ja so, dass eine Aufnahme als Dokument eines grossen Kunst-Erlebnisses gelten konnte, was interessant war. Heute dagegen ist der ganze Plattenmarkt eine grosse Fabrik.
Es gibt zwei Wege: Entweder, Sie machen Mitschnitte, in denen Sie nichts, oder nur ganz wenig, verändern. Oder Sie schneiden einfach die technisch gelungenen Passagen zusammen: Da ist alles tot. Solche Schnitte sind wie eine Operation: Man sollte sie nur dann machen, wenn man sich in wirklicher Lebensgefahr befindet! Es ist ja interessant: Die wirklich guten Künstler sind besser im Konzert als auf Schallplatte. Auf dem mittleren Niveau ist es genau umgekehrt: Ihre Schallplatten sind gut, aber im Konzert spielen sie enttäuschend.
http://www.rogev.com/sokolov/r…k%20Grigory%20Sokolov.htm
Ein Sokolov-Fan, mit dem ich mich dieser Tage ausgetauscht habe, hat mir gesagt, er „kenne keinen anderen Pianisten, welcher Ernsthaftigkeit, Akribie und überbordende Phantasie so kongenial vereinigen“ könne. Diese These stelle ich hier gern zur Diskussion.
Fragen in die Runde, an Sokolov-Begeisterte und an die Skeptiker:
- Welche Erfahrungen habt Ihr bislang mit Grigory Sokolov gemacht?
- Wie würdet Ihr sein Klavierspiel charakterisieren?
- Welche Aufnahmen sind herauszuheben?
- … ?