Wie antisemitisch darf ein Künstler sein?

  • Der Ring enthält sehr viel Kritik am Kapitalismus und an Machtausübung.

    Das ist natürlich eine sehr gewollte, verkopfte und einseitige Auslegung des Ringes. Da scheint mir die Antisemitische Deutung schon überzeugender, zumal für Wagner, wie bei den meisten Antisemiten, Kapital und Juden das gleiche war. Die antisemitische Karikatur von Mime und Alberich ist doch unverkennbar. Und beim Parsifal wird von Wagner Kundry selber in Beziehung zum Ahasver-Mythos gebracht. Zum Antisemitismus von Wagner sehr lesenswert Paul Lawrence Rose, Wagner und der Antisemitismus, Zürich1999. Eine Zusammenfassung der Seiten S.259-279 findet sich hier "http://www.comlink.de/cl-hh/m.blumentritt/rose.htm"
    Wagner war keineswegs "nur" ein Mitläufer bei der allgemeinen antisemitischen Welle, sondern ein Täter. Mit seiner Schrift "Das Judentum in der Musik" war er ein Wegbereiter des modernen Antisemitismus. Er selber rühmt sich damit, dass er den Anfang des "Kampfes" gemacht hätte. Und er denkt und propagiert dabei durchaus die Vernichtung der Juden. Cosima Wagner notiert in ihrem Tagebuch am 18. Dezember 1861 (es gab einen Theaterbrand in Wien, bei dem Hunderte Menschen verbrannten) die Äußerung von ihm: "Es sollten alle Juden in einer Aufführung des 'Nathan' verbrennen."
    Um auf die Ausgangsfrage der Threads zu kommen. Ich weiß nicht, wie man angesichts solcher Äußerungen Wagner noch unbelastet hören kann oder gar den Parsifal als Bühnenweihspiel feiern kann. Zumindest in der Inszenierung erwarte ich, dass diese Dinge reflektiert und aufgearbeitet werden. Leider erfüllen die wenigsten Inszenierungen diesen Anspruch, sondern bringen wie z.B. beim Pasifal einen unreflektierten Erlösungskitsch auf die Bühne. Natürlich höre ich Wagner weiterhin. Ich werde sogar im Sommer den Ring in Bayreuth besuchen. Aber ein ungebrochener Genuss ist das für mich nicht. Eher ein abarbeiten der negativen Seiten der Musik.
    kdp

  • Das ist natürlich eine sehr gewollte, verkopfte und einseitige Auslegung des Ringes. Da scheint mir die Antisemitische Deutung schon überzeugender,

    "Verkopft" ist ja wohl die neue Metapher um Deutungsversuche zu diskreditieren. Und die antisemitische Deutung von Wagners Werk ist ja offenbar keineswegs einseitig sondern schlüssig. Warum sich wohl derart viele Wissenschaftler an diesem Thema abarbeiten, wenn doch alles so einfach (vulgo unverkopft) und folgerichtig ist.


    Eusebius

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Wie wäre es eigentlich Diskussionen zu Wagner und dem Thema Antisemtismus u.ä. in den dafür vorgesehenen Threads zu führen? Auf diese wurde hier schon mehrfach hingewiesen.



    Für die Moderation:



    Caesar73

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Das ist auf jeden Fall eine gute Idee, denn das ufert sonst leicht aus und wir haben einen Megathread mit allen möglichen Themen.


    Eusebius

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Danke für den wichtigen Hinweis. Daraus könnte gefolgt werden, dass sich der Schaden durch Wagners ideologeme eher in Grenzen hält (was sie keinesfalls besser macht).

    Lesefehler? "Antisemitismuspetitionen" habe ich verstanden als "pro-Antisemitismuspetitionen".

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Das ist auf jeden Fall eine gute Idee, denn das ufert sonst leicht aus und wir haben einen Megathread mit allen möglichen Themen.

    Eben :) Und Ihr könnt Euch vorstellen, wie viel Freude es macht und wieviel Zeit es kostet, die paar Postings aus diesem Thread dorthin zu verschieben, wo sie eigentlich hin gehören .....

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Lesefehler? "Antisemitismuspetitionen" habe ich verstanden als "pro-Antisemitismuspetitionen".

    Eben, und daraus könnte geschlossen werden, dass Antisemitismus in Deutschland möglicherweise fester verankert war, als z.B. Rassismus in den USA, so dass es eigentlich keinen Wagner bedurfte, um Juden aus dem Musikleben zu mobben.

    Das ist natürlich eine sehr gewollte, verkopfte und einseitige Auslegung des Ringes.

    Das scheint eher auf mangelnder Vertrautheit mit Wagners Ring hinzudeuten.
    Kapitalismuskritik ist ein wichtiges Element im Rheingold.
    Macht/Herrschaft bildet eine zentrale Kategorie in Wagners Tetralogie
    Kunstwerke sind – trotz ihrer Rätselhaftigkeit bzw. Rätselcharakters – vor allem auch rationale Gebilde. Folglich ist der Wortprügel „Verkopft“ gänzlich unangemessen. Intellektueller Zugang zur Kunst ist ästhetischer Erfahrung angemessen.
    Und „gewollt“ sollte eine Auslegung sein und kein leeres Gebrabbel.
    Außerdem legst du völlig zu Recht Wert auf "verkopfte" szenische Umsetzung von Wagners Mucke: "Zumindest in der Inszenierung erwarte ich, dass diese Dinge reflektiert und aufgearbeitet werden".

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Eben, und daraus könnte geschlossen werden, dass Antisemitismus in Deutschland möglicherweise fester verankert war, als z.B. Rassismus in den USA, so dass es eigentlich keinen Wagner bedurfte, um Juden aus dem Musikleben zu mobben.

    Wenn die geschichtliche Realität mit den eigenen Vorstellungen nicht übereinstimmt, biegt man einfach die Fakten einfach so lange hin, bis sie wieder dem eigenen Wunschdenken entspricht - schließlich darf es nicht sein, das es vielleicht anders war, als man es gerne hätte...

    Was heißt hier modern? Betonen Sie das Wort mal anders! Richard Strauss

  • Wenn die geschichtliche Realität mit den eigenen Vorstellungen nicht übereinstimmt, biegt man einfach die Fakten einfach so lange hin, bis sie wieder dem eigenen Wunschdenken entspricht - schließlich darf es nicht sein, das es vielleicht anders war, als man es gerne hätte...

    Fakt ist, dass der Antisemitismus (dem auch Richard Wagner verhaftet war) einer der Hauptgründe bildete, dass es in Deutschland industriell organisierte Menschenvernichtung gab, aber nicht in den USA.

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Kapitalismuskritik ist ein wichtiges Element im Rheingold.
    ...
    Folglich ist der Wortprügel „Verkopft“ gänzlich unangemessen. Intellektueller Zugang zur Kunst ist ästhetischer Erfahrung angemessen.Und „gewollt“ sollte eine Auslegung sein und kein leeres Gebrabbel.

    Da gebe ich dir vollkommen recht. Verkopft sollte bei mir eigentlich in Anführungszeichen stehen und als Zitat von Gneisenau gekennzeichnet sein, der den Begriff in die Diskussion eingeführt hat.
    Kapitalismuskritik ist natürlich ein zentrales Element bei Wagner. Aber wie von mir geschrieben, ist hier immer die Gleichsetzung von Kapital mit Jude bei Wagner zu sehen. Kapitalismuskritik ist hier gleich Antisemitismus
    kdp

  • Das Ideologische ist ja, dass die Ordnung, die wiederhergestellt wird, letztlich doch die gleiche bleibt, aus der das Verhängnis ja entsprungen ist. Insofern deutet der Schluss des Rings auf einen quasi ewig gleichförmigen, gleichsam blinden Kreislauf hin, einem Kontinuum ohne Perspektive von Negation bzw. Entspringen.


    Kapitalismuskritik ist ein wichtiges Element im Rheingold.
    Macht/Herrschaft bildet eine zentrale Kategorie in Wagners Tetralogie

    Der Zusammenklang dieser beiden Ausagen macht die Fatalität deutlich:
    Kapitalismuskritik ist (ebenso wie die Kritik an unschönen Geschlechterverhältnissen) nur denkbar als antimodernistische, reaktionäre, einen (imaginären?) Naturzustand wiederherstellende.
    Wer die Paralellen zu dem Vorgang, daß die Nazis antikapitalistische Impulse in Antisemitismus kanalisieren konnten, nicht sehen möchte, kann ja andere Aspekte betrachten. bzw wie Amfortas auch Beides:

    es gibt Augenblicke von Durchbrechung des Banns. Neben der Klage der Rheintöchter gibt es z.B. auch die Figur des Siegmunds, der – seiner geliebten Zwillingsschwester wegen - sich weigert von der Wallhall-Welt korrumpieren zu lassen. Was Wagners geile Mucke betrifft, halte ich die großartige Todesverkündigung für den bewegensten Teil der Walküre, auch die quasi „expressionistischen“ Angstzustände Sieglindes............

    Schön gesagt!
    Wobei an solchen Stellen natürlich besonders traurig ist, daß im Gesamtzusammenhang diese "menschlichen" Regungen und Impulse doch mindestens zum Scheitern veurteilt sind, wenn nicht gar Mosaiksteine im sich unentrinnbar abwickelnden Verhängnis bilden.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Eben, und daraus könnte geschlossen werden, dass Antisemitismus in Deutschland möglicherweise fester verankert war, als z.B. Rassismus in den USA, so dass es eigentlich keinen Wagner bedurfte, um Juden aus dem Musikleben zu mobben.

    ach so - ok., würde ich auch annehmen, daß der deutsche Antisemitismus nicht auf Wagner angewiesen war. Den Antisemitismus vor dem "3.R." mit seinerzeitigem US-Rassismus zu vergleichen dürfte aber auch etwas komplizierter sein - z.B. wird es im US-Musikleben kaum Personen entsprechender Herkunft gegeben haben, die man hätte mobben können.


    edit

    Zitat von Amfortas09

    Fakt ist, dass der Antisemitismus (dem auch Richard Wagner verhaftet war) einer der Hauptgründe bildete, dass es in Deutschland industriell organisierte Menschenvernichtung gab, aber nicht in den USA.

    ja, das scheint für viele aber auch sehr unerwartet gekommen zu sein .

    ---
    Es wäre lächerlich anzunehmen, daß das, was alle, die die Sache kennen, daran sehen, von dem Künstler allein nicht gesehen worden wäre.
    (J. Chr. Lobe, Fliegende Blätter für Musik, 1855, Bd. 1, S. 24).


    Wenn du größer wirst, verkehre mehr mit Partituren als mit Virtuosen.
    (Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln).

  • Der Zusammenklang dieser beiden Ausagen macht die Fatalität deutlich:
    Kapitalismuskritik ist (ebenso wie die Kritik an unschönen Geschlechterverhältnissen) nur denkbar als antimodernistische, reaktionäre, einen (imaginären?) Naturzustand wiederherstellende.

    Häh? Und was ist mit dem Kommunismus?

    Im Zweifelsfall immer Haydn.

  • Wenn die geschichtliche Realität mit den eigenen Vorstellungen nicht übereinstimmt, biegt man einfach die Fakten einfach so lange hin, bis sie wieder dem eigenen Wunschdenken entspricht - schließlich darf es nicht sein, das es vielleicht anders war, als man es gerne hätte...

    Treffender hättest Du Deine Einlassungen zu diesem Thema kaum beschreiben können.


    Eusebius

    "Sie haben mich gerade beleidigt. Nehmen Sie das eventuell zurück?" "Nein" "Na gut, dann ist der Fall für mich erledigt" (Groucho Marx)

  • Da gebe ich dir vollkommen recht. Verkopft sollte bei mir eigentlich in Anführungszeichen stehen und als Zitat von Gneisenau gekennzeichnet sein, der den Begriff in die Diskussion eingeführt hat.
    Kapitalismuskritik ist natürlich ein zentrales Element bei Wagner. Aber wie von mir geschrieben, ist hier immer die Gleichsetzung von Kapital mit Jude bei Wagner zu sehen. Kapitalismuskritik ist hier gleich Antisemitismus

    Ja so macht das für mich Sinn. Vor allem Wagners Verknüpfung von Kapitalismuskritik mit Antisemitismus. Wobei im Rheingold Kapitalismuskritik sich nicht – wie z.B. im Schmachtfetzen „Pretty Woman“ – auf die Zirkulationssphäre beschränkt ist (also quasi „guter“ Kapitalismus gegen „bösen“ Kapitalismus) sondern – illusionslos - ausdrücklich auch die Produktionssphäre ja mit einschließt


    Wobei an solchen Stellen natürlich besonders traurig ist, daß im Gesamtzusammenhang diese "menschlichen" Regungen und Impulse doch mindestens zum Scheitern veurteilt sind, wenn nicht gar Mosaiksteine im sich unentrinnbar abwickelnden Verhängnis bilden.

    Ja durchaus.
    Andererseits wird durch die eindringliche Gestaltung ihres Scheiterns quasi unausgesprochen gesagt, dass das - also das Scheitern, die Qual - nicht sein soll !. Damit scheint sich Wagners Mucke doch zuweilen virtuell einem winzigen Stückchen dem eigenen Bann, der eigenen ideologischen Verblendung zu entrinnen.
    Die Bedeutung bzw. Rang von Wagners Mucke liegt – z.B. neben ihren – von dir hervorgehobenen harmonisch-avancierten Kühnheiten – auch- oder möglicherweise vor allem - in solchen "Mosaiksteinchen", welche die scheinbar totale Geschlossenheit der Ringwelt tendenziell in Frage stellen....

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Wenn die geschichtliche Realität mit den eigenen Vorstellungen nicht übereinstimmt, biegt man einfach die Fakten einfach so lange hin, bis sie wieder dem eigenen Wunschdenken entspricht - schließlich darf es nicht sein, das es vielleicht anders war, als man es gerne hätte...


    Verstehe nicht, was Du meinst ?( - einige scheinen (bzw. schienen) mir hier doch eher monokausal Wagner und seine einschlägigen Schriften für "die Wurzel allen Übels" zu halten, und das ist so sicherlich nicht richtig.

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • einige scheinen (bzw. schienen) mir hier doch eher monokausal Wagner und seine einschlägigen Schriften für "die Wurzel allen Übels" zu halten

    tun sie das? was mich betrifft, sehe ich Wagner als einerseits symptomatisch für seine Zeit, andererseits durch seine weitreichende Rezeption schon als bedeutenden Verstärker in gewissen Kreisen.
    "Monokausal" wäre eine erhebliche Verkürzung.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Häh? Und was ist mit dem Kommunismus?

    wenn Du auf das Marxsche Konstrukt eines "Urkommunismus" anspielst, sollte das einen doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß das menschliche Bemühen, Verhältnisse aktiv zu verändern, dort ganz anders bewertet wird als bei Wagner, wo außer der Zerstörung einer korrumpierten Welt erstmal nichts folgt als der Triumph der Naturkräfte.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • Neue Ausstellung im Bachhaus Eisenach "Luther, Bach - und die Juden"

    Zitat

    ....Johann Sebastian Bach, das Genie, der fünfte Evangelist, die in Musik gegossene Stimme des Luthertums – ein Antisemit? Oder zumindest ein Antijudaist, der Juden nur dann respektiert, wenn sie zum Christentum konvertieren? Die Ausstellung im Eisenacher Bachhaus stellt diese Fragen sehr deutlich.... DLF

    http://www.mdr.de/kultur/theme…ach-luther-juden-100.html
    http://www.br-klassik.de/aktue…bachhaus-eisenach100.html
    http://www.deutschlandfunk.de/…ml?dram:article_id=358140

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Das wäre auch mal ein schönes Thema für einen Thread.


    in wie weit sind bspw. die Turbae der Passionen antijudaistisch? Lässt sich das nachweisen?


    Gruß
    MB


    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

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