LOCATELLI, Pietro Antonio
[Blockierte Grafik: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/93/Locatelli.png]
Pietro Antonio Locatelli ca. 1733
Schabkunstblatt von Cornelis Troost (1696-1750) (Quelle: Wikimedia Commons)
Biografisches
Geboren am 3. 9. 1695 in Bergamo.
ab 1711 (wahrscheinlich, gesichert ab 1714) Aufenthalt in Rom, Bekanntschaft mit (Schüler von?) Valentini.
1717 – 1723 Mitglied (als Tutti-Geiger) der Kapelle des Kardinals Pietro Ottoboni.
wahrscheinlich ab 1723 Aufenthalt in Venedig.
1725 „Virtuoso da camera“; möglicherweise nur Titelträger am Hof des Landgrafs von Hessen-Darmstadt in Mantua.
1727 München.
1728 Aufenthalte in u. a. Berlin, Frankfurt, Kassel.
1729 endgültige Übersiedlung nach Amsterdam.
Gestorben am 30. März 1764 in Amsterdam.
Höchstwahrscheinlich war L. nicht Schüler von Corelli, wie immer noch behauptet wird, sondern genoss in Bergamo schon Unterricht bei Ferronati und/oder Marino und war später Schüler von Valentini, Montanari und/oder Ghilarducci – allesamt führende Musiker in den jeweiligen Städten.
Nach seinen Lehr- und Wanderjahren ließ er sich dauerhaft in Amsterdam, dem damaligen Zentrum des Buch- und Notendrucks- und handels, nieder und brachte es dort als Verleger nicht nur der eigenen Werke, Lehrer und Violinvirtuose zu einigem Wohlstand.
Werke
op. 1: Concerti grossi à quattro è à cinque. 1721.
op. 2: XII Sonate a flauto traversiere solo è basso, 1732.
op. 3: L’arte del violino. XII concerti … con XXIV capricci… 1733.
op. 4: Parte prima: VI Introduttioni teatrali. Parte seconda: VI Concerti. 1735.
op. 5: Sei Sonate à trè. 1736.
op. 6: XII Sonate à violino solo è basso. 1737.
op. 7: VI Concerti à quattro. 1741.
op. 8: X Sonate, VI à violino solo è basso, IV à tre. 1744.
op. 9: Sei concerti à quattro. 1762 (verschollen).
Werke ohne opus-Zahl: 2 Concerti, 1 Sinfonia, 1 Sonata.
Darüber hinaus existieren eine ganze Reihe Werke zweifelhafter Echtheit oder mit falscher Zuschreibung.
Verschollen sind neben op. 9 einige Concerti und eine ganze Reihe kammermusikalischer Kompositionen (hauptsächlich für Flöte und Violine), darunter auch das einzige Cembalo-solo-Werk.
Das op. 1 in der ausschließlichen Corelli-Nachfolge zu sehen, trifft die Sache nicht ganz. Vielmehr folgen die Concerti einem manieristischen Spätstil, der in ganz Italien den wohl sichersten Erfolg beim Publikum versprach. Aber schon hier gibt es einen sehr selbstständigen Umgang mit der Materie, der op. 1 durchaus aus dem verbreiteten Epigonentum heraushebt.
Die Flötensonaten op. 2 scheinen aus ähnlichen Gründen komponiert und veröffentlicht worden zu sein. Sie sind gefällig, nicht immer nur virtuos, manchmal schon durchaus galant, obwohl sie immer noch – wie op. 1 – als ‚da chiesa’ und ‚da camera’ daherkommen. Was op. 2 allerdings so besonders macht, ist das häufige zweithematische Satzmodell, das hier durchaus schon so gehandhabt wird wie der spätere Sonatenhauptsatz. Offensichtlich lag in diesen Jahren so etwas in der Luft, denn zur selben Zeit spielen auch vor allem Telemann, Bach und D. Scarlatti mit dieser Möglichkeit.
Mit op. 3 verlässt L. den Mainstream vollends. Das ist Musik zum Staunen, nicht zum selber Spielen. Der Ruf des konkurrenzlosen Violinvirtuosen gründet sich zuerst hierauf. Die technischen Grenzen des Violinspiels werden auf einen Schlag derart weit nach oben verschoben, dass Ähnliches erst wieder sehr viel später erscheint. War bisher das Spiel bis zur VII. Lage üblich, treibt es L. bis zur XVII., verlangt komplizierteste Doppelgriffe und ganze Phrasen im Flageolett.
Die sechs in op. 4 enthaltenen ‚Introduttioni teatratli’ haben nur dem Namen nach noch etwas mit dem Theater zu tun. Es handelt sich um die Form der neapolitanischen Opernouvertüre, der allerdings keine Oper mehr folgt. Die Satzfolge schnell-langsam-schnell in Verbindung mit dem Verzicht auf ein zu eigenständiges Concertino führt – um ein Menuett erweitert – zum bekannten klassischen Ergebnis. Den Namen Sinfonia trägt das noch dreisätzige Gebilde allerdings schon wesentlich früher. Es handelt sich auch nicht um eine Erfindung Locatellis, sondern war in den 1730er Jahren schon groß in Mode.
Die sechs Concerti folgen nicht mehr dem bewährten Modell, wie schon in op. 1 greift L. in die bisher übliche Besetzung ein und verändert damit den klanglichen Charakter des Ensembles. Auch die Satzfolgen variieren – hier z. B. setzt L. ein Minuetto an den Schluss eines Concertos. Natürlich bekommen die Violinen wie immer bei L. ein Übergewicht, was die Grenzen zwischen Concerto grosso und Solokonzert verwischt.
Die sechs Triosonaten op. 5 sind wahlweise für Flöten oder Violinen konzipiert, was virtuose Höhenflüge wie in der Technik für Violine allein natürlich nicht zulässt – qualitativ hochwertige Hausmusik in eher althergebrachter Machart.
In op. 6, mehr noch in op. 8 treibt L. die Virtuosität auf eine noch höhere Spitze als in op. 3. Hier geht es bis in die XXII. Lage, die Doppelgriff-Artistik kennt kaum Grenzen, Arpeggien und mehrstimmige Verzierungen müssen den Zeitgenossen den Atem genommen haben. Trotzdem ist das alles nicht nur leerer Zauber, sondern durchkonzipierte Komposition auf meisterlichem Niveau.
Als op. 7 erschienen sechs Concerti, die auf den ersten Blick wieder konventioneller anmuten. Doch im letzten Konzert „Il Pianto d’Arianna“ geschieht etwas völlig Unerwartetes: L. verwendet die Violine als Gesangsstimme, die in zehn Sätzen ein wahres Drama durchschreitet und dabei Arien wie Rezitative bewältigen muss.
Bei seinem Publikum war Locatelli berühmt und beliebt, alle seine selbst herausgegebenen Werke mussten wiederholt neu gedruckt werden. Und auch die professionellen Zeitgenossen kannten und schätzten ihn. So gehörten seine Werke zum Bestand von z. B. Bachs Notenbibliothek, der sie auch nachweislich mit dem Collegium musicum aufgeführt hat.
Hat L. auch die Spieltechnik der gesamten Violinliteratur nach ihm beeinflusst, sind die unmittelbaren Schüler und Anhänger nicht sehr zahlreich. Leclair, Mondonville, Francoeur sind die wichtigsten, bis zu Paganini vergehen noch ein paar Jahrzehnte. Aber der wäre ohne L. nicht denkbar. Manchmal ist er bis in seine eigenen Kompositionen ein notengetreuer Nachfolger des großen Vorbilds aus Bergamo.
Neben seinem musikalischem Schaffen ist besonders bemerkenswert, dass sich L. bereits in der Mitte des 18. Jahrhunderts als freier Künstler ohne feste Anstellung ein materiell sorgenfreies Leben erwirtschaften konnte.
Es gibt allerlei, aber nicht besonders viel Literatur zu Locatelli, meistens – wen wunderts? – in italienischer Sprache. Informativ sind manche CD-Booklets, manche verbreiten allerdings auch Unsinn.
Der Wikipedia-Artikel zu L. ('http://de.wikipedia.org/wiki/Pietro_Locatelli') ist ganz lesenswert, stützt sich aber in der Hauptsache auf ältere Sekundärliteratur (Dunning 1981) und beinhaltet daher einige Fehler.