Tschaikowski, Pjotr Iljitsch: Das Violinkonzert - Musik die man "stinken" hört?

  • Tschaikowski, Pjotr Iljitsch: Das Violinkonzert - Musik die man "stinken" hört?

    Im Sommer lief in den Kinos ein Film des rumänischen Regisseurs Radu Mihaileanu mit großem Erfolg, mit dem Titel: "Le Concert":


    die Geschichte handelt von dem in der Breschenew-Ära in Ungnade gefallenen Dirigenten Andre Filipov, der nun sein Dasein als Putzmann im Bolschoi-Theater fristet. Während er im Zimmer des Direktors putzt, trifft ein Fax ein, in dem das Bolschoi-Orchester für ein Konzert in Paris gebucht werden soll. Da kommt Filipov eine verrückte Idee: er stiehlt das Fax, trommelt seine alten Musiker zusammen, die inzwischen in Moskau allen möglichen anderen Tätigkeiten nachgehen zusammen und fliegt mit ihnen an Stelle des echten Bolschois nach Paris. Was hat diese Geschichte nun mit Tschaikowskys Konzert zu tun? Filipov möchte in Paris mit seinem Orchester das Konzert spielen - und das letzte Drittel des Films besteht aus der Aufführung des Konzerts.

    Der Film brachte mir das Konzert wieder mal ins Gedächtnis, welche emotionale Kraft diese Musik entfalten kann - man sitzt während des Finales des Konzerts, das ebenso der Finalsatz des Films ist, wie gebannt auf der Stuhlkante, was zugegebenermaßen auch daran liegt, wie der Regisseur diesen Teil des Films "macht" ;+)

    Tschaikowskys Violinkonzert - Musik die man stinken hört? Der Titel des Threads bezieht sich auf die legendäre Äußerung des Marcel Reich Ranickis des Fin de siecle Eduard Hanslick. Hanslick schrieb in seiner Kritik des Konzerts. Es bringe „uns auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken hört“ Hanslick findet in seiner Besprechung noch andere plakative Charakterisierungen: Er vergleicht die Musik mit der "brutalen und traurigen Lustigkeit eines russischen Kirchweihfestes“, sie erinnert ihn an „lauter wüste und gemeine Gesichter“ und „rohe Flüche“.

    Die vernichtende Kritik Hanslick hat der Beliebtheit des Konzerts keinen Abbruch getan: neben dem b-moll-Konzert dürfte das Violinkonzert zu den bekanntesten Werken Tschaikowskys gehören, zu den am häufigsten gespielten Violinkonzerten überhaupt gehören. Wozu sicher die "schmissige" Melodik beiträgt. Neben den, ein geschätzter User würde sagen "fetzigen" Rhythmen ;+) Ja, es "fetzt" ganz ordentlich, wenn der entsprechende Geiger in die Saiten greift, insbesondere im Kopfsatz und im Finale ;+)

    Tschaikowsky komponierte das Konzert während eines Erholungsaufenthalts in Clarens am Genfer See im Jahr 1878. Während des Aufenthalts besuchte ihn einer seiner Kompositionsschüler, der Geiger, Yosif Kotek. Tschaikowsky und Kotek musizierten gemeinsam Lalos "Symphonie espangnole", was den Komponisten möglichersweise zur Kompositions seines Konzerts inspirierte: binnen eines Monats war das Konzert vollendet, auch wenn Tschaikowsky den Mittelsatz in dieser Zeit komplett austauschte. Den ursrpünglichen Mittelsatz veröffentlichte der Komponist später eines von drei Stücken für Violine und Klavier op. 42: Souvenir d'un lieu cher.

    Tschaikowsky, selber kein Geiger, wurde bei der Einrichtung des Violinparts von Kotek beraten. Als Solisten für die Uraufführung wünschte sich Tschaikowsky Leopold Auer, der die Aufführung wohl wegen technischer Schwierigkeiten ablehnte. Die Premiere konnte deswegen nicht wie geplant 1879 stattfinden sondern erst am vierten Dezember 1881 durch Adolphe Brodsky unter der Leitung von Hans Richter in Wien.

    Das Konzert ist dreisätzig:

    Allegro moderato
    Canzonetta. Andante
    Finale. Allegro vivacissimo

    Einige kurze Eindrücke:

    Das Konzert beginnt mit einer Introduktion durch die ersten Geigen, die dann von anderen Instrumentengruppen aufgenommen wird. Eine Besonderheit: das Thema der Introduktion kehrt im Verlaufe des Konzerts nicht wieder. Im Anschluss an die Introduktion setzt die Solovioline mit dem eingängigen Hauptthema des ersten Satzes ein. Der Wirkung dieser Melodien kann man sich eigentlich kaum entziehen, finde ich

    Nach dem ausgedehnten Kopfsatz folgt ein langsamer Mittelsatz, der Canzonetta überschrieben ist. Auch hier hat der Melodiker Tschaikowsky wieder mal gezaubert, eine leise sehnsuchtsvolle Weise, schmeichelnd, innig. Ein Innehalten, ein Atemholen vor dem Finale.

    Mit der beschaulichen Idylle ist es dann im Finale dann aber rasch wieder vorbei. Da entfaltet der Komponist einen regelrechten Sturm der Emotionen.

    Damit wären wir am Ende - fast ;+) Da wäre ja noch was .... ach ja: die Aufnahmen ;+) Die gibt´s reichlich. Aber das ist Euer Part :D

    :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Hallo Christian,


    die Russen sind derzeit bei Dir auf der Tagesordung - Klasse !

    Es gab eine Zeit in der ich das Tschaikowsky-VC habe ich jahrelang gemieden habe !??! War es mir zu kitschig ?


    Seit Jahren/eigendlich Jahrzehnten sehe ich das anders. Seitdem ich die funkelnde und auch in der Orchesterbehandlung fulminate Oistrach/Ormandy (CBS) habe, schätze ich das Werk höher als zuvor.

    Und dann der Solist -Oistrach ! Wer könnte Tschaikowsky besser als David Oistrach ?

    Es gibt auch eine interpretatorisch fabelhafte Oistrach - Aufnahme mit Roshdestwensky - leider ist diese klanglich so desolat, dass sie mir keine Hörfreude bereitet ...


    Es gibt so einige, die gerade Ormandy als zu effekthascherisch bezeichnen - warscheinlich ist es gerade das, was mir an Ormandy mit dem Philadelphia Orchestra so gut gefällt. Ich finde Ormandy höchst packend und Oistrach einfach traumhaft - ein TOP-Duo !

    Ich habe jetzt nur diese neue Kopplung von Oistrach/Ormandy gefunden. Auf meiner alten CBS-CD ist die referenzwürdige Aufnahme des Sibelius-VC mit Oistrach/Ormandy gekoppelt:


    CBS/SONY, 1960, AAD

    ______________

    Gruß aus Bonn

    Wolfgang

  • Also, ich habe habe das Konzert Ewigkeiten nicht mehr gehört, aber im Violinpart ist Julia Fischer absoulte Referenzh. Eine Energie und eine gleichzeitige Präzision, gepaart mit intelligenter Artikulation, da kommen IMO auch die alten Hasen nicht mit, auch wenn die natürlich ihre Meriten haben:

    :wink:
    Wulf

    "Gar nichts erlebt. Auch schön." (Mozart, Tagebuch 13. Juli 1770)

  • RE: Oistrach/Ormandy

    Hallo wulf,


    ich wollte nach Oistrach/Ormandy (CBS) eigendlich nie wieder eine andere Aufnahme des Tschaikowsky-VC haben.

    Es hat sich nur ergeben, dass es schonmal bei Kopplungen mit dabei war:

    So hat es sich ergeben, dass Kyung Wha Chung/Dutoit (Decca, 1983, DDD) bekommen habe - die auf mich vergleichsweise langweilig wirkt und ein technisch perfekte, aber äußerst unterkühlte Interpretation mit Spiwakow/Philharmonia Orchestra/Ozawa (EMI Encore, 1985, DDD), die beide keinesfalls an Oistrach und Ormandy heranreichen.


    Auf der CD mit dem Korngold-VC mit ASM ist das Tschaikowsky-VC auch vertreten (DG, 2004, DDD).

    Man kann über Anne Sophie Mutter denken was man will, aber die hochvirtuose, ja fetzige Interpretation den Violinpart betreffend, finde ich Klasse. Den Orchesterpart betreitet Previn mit den Wiener PH etwas zu soft - wie nicht anders zu erwarten. Das er mit Ormandy in diesem Punkt nicht gleichziehen kann war eigendlich schon vorher klar. Dennoch insgesamt eine packende Aufnahme, die mir gefällt.

    ______________

    Gruß aus Bonn

    Wolfgang

  • Man kann über Anne Sophie Mutter denken was man will, aber die hochvirtuose, ja fetzige Interpretation den Violinpart betreffend, finde ich Klasse. Den Orchesterpart betreitet Previn mit den Wiener PH etwas zu soft - wie nicht anders zu erwarten.

    Was Anne-Sophie Mutters Part in dieser Aufnahme angeht hast Du völlig recht Wolfgang - und Previn und die Wiener spielen hier für mein Empfinden bisweilen etwas sehr routiniert, aber alleine schon der Solistin wegen lohnt sich die Einspielung:

    Mutter geht da noch mit mehr Espressivo, mit Feuer zur Sache als Julia Fischer. Julia Fischers Aufnahme höre ich auch sehr gerne - aber gegen Mutter wirkt sie vielleicht ein wenig kühl.

    :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • wie spielt denn das Russian National Orchestra unter Kreizberg ?
    (Bei manchen Aufnahmen mit der von mir verehrten Julia Fischer habe ich manchmal den Eindruck, dass der Orchesterpart nicht ganz an das zu wünschende Ergebnis heranreicht..)
    Die Beschreibung des Philadelphia Orchestra unter Ormandy klingt vielversprechend ...
    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

  • Muss gestehen, die Fischer nur ausschnittsweise vernommen zu haben, aber die Ausschnitte sind SEHR überzeugend. Das Orchester macht einen guten Eindruck, für einen halbwegs brauchbaren Vergleich kenne ich aber zu wenig.

    :wink:

    "Gar nichts erlebt. Auch schön." (Mozart, Tagebuch 13. Juli 1770)

  • wie spielt denn das Russian National Orchestra unter Kreizberg ?
    (Bei manchen Aufnahmen mit der von mir verehrten Julia Fischer habe ich manchmal den Eindruck, dass der Orchesterpart nicht ganz an das zu wünschende Ergebnis heranreicht..)

    Ich würde sagen: Solistin, Orchester und Dirgent sind hier auf gleicher Höhe - aber ich schreibe gerne in den nächsten Tagen etwas zu der Aufnahme ;+)

    :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Lieber Christian,

    vielen Dank für die Eröffnung.

    Meine Auswahl an Vergleichsaufnahmen ist extrem bescheiden. Ohne in der Verzeichnis-Datei oder den CD-Schrank nachzuschauen, fallen mir aus dem Stegreif lediglich folgemde Aufnahmen ein:

    - B. Huberman, E. Ormandy, Philharmonia Orchestra, 1944
    - P. Zukerman, Z. Mehta, Israel Philharmonia Orchestra, 1979
    - J. Heifetz, F. Reiner, Chicago Symphony Orchestra, 1957

    Wenn ich auch P. I. Tschaikowskijs Musik nicht so viel abgewinnen kann, die Interpretation von J. Heifetz (s. o.) ist eine der bewegensten Aufnahmen, welche ich jemals gehört habe. [Hallo! Ich schreibe dieses nicht ohne Grund! ;+) ]. Ich habe die CD damals (Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre) sehr teuer (ca. 40 DM; ich weiß: relativ) erstanden (gekoppelt mit F. Mendelssohn-Bartholdys, Violinkonzert op. 64). Gemäß CD war es ein Import aus Japan.

    Man höre nur im 1. Satz die Passage ab Laufzeit ca. 14,40 und bes. ab ca. 15,11 (Ich drehe dann zum Vergnügen meiner unfreiwilligen Mithörer in der Umgebung immer den Lautstärkeregler nach rechts…): Gab es schon einmal in einer Aufnahme dieses Konzertes einen Ton der verzweifelter, schreiender und bedrückender, weil so ‚atemberaubend’ war’? Dieses ist nur ein kleinstes Beispiel für die technische Perfektion des J. Heifetz'.

    „Wer konnte Tschaikowsky besser als Oistrach?“ (Zitat s. o.; Huch, diese Aufnahme habe ich ebenfalls.)
    Die Heifetz/Reiner-Aufnahme kann ich nur jedem ans Herz (und den Verstand) legen, wer dieses Konzert einmal mit absoluter technischer Finesse sowie Esprit und ohne aufgesetztem Pathos (denn nur dann „stinkt die Komposition“ nicht!) erhören möchte. Einige waren von der Komposition nicht begeistert - nicht nur E. Hanslick (siehe Eröffnungsbeitrag) - aber revidierten später ihr Urteil, vermutlich haben nicht alle Heifetz/Reiner hören Können/dürfen.

    Die Aufnahme: Ein ‚Hammer’, manche würden sagen: „Es fetzt!“

    Bis dann.

  • Eine Aufnahme, die mich immer sehr begeisterte, ist die von Frank Peter Zimmermann mit dem Royal Philharmonic Orchestra unter Paavo Berglund aus dem Jahr 2004. Sie schlummerte aufgrund etwas veränderter Präferenzen jetzt einige Jahre im CD-Regal. Er spielt das Konzert übrigens auf der Stradivari „Lady Inchiquin“ aus dem Jahre 1711, die einst Fritz Kreisler spielte.
    Was ist eigentlich aus Frank Peter Zimmermann geworden? Ich habe seinen Werdegang nicht mehr verfolgt.

    LG
    corda vuota

  • Ich kann dieses Konzert nur gaaanz selten mal hören - dann gefällt es mir aber auch. Vor allem in der Heifetz/Reiner-Einspielung, die ich einfach atemberaubend finde.

    Letztes Jahr gab es in Köln ein fantastisches Konzert unter Gustavo Dudamel (u.a. mit der Alpensinfonie). Dabei spielte Christian Tetzlaff das op. 35 sehr eindrucksvoll - ernsthaft, kraftvoll, herb im Ton, so als wolle er oberflächlichen Virtuosenglanz strikt vermeiden und das Stück als ein völlig ernst zu nehmendes Werk mit viel Tiefgang angehen. Da Klang Tschaikowsky fast wie Brahms 8| Leider überzeugt Tetzlaffs CD-Einspielung, die einige Jahre zuvor entstand, bei weitem nicht so sehr.

    Was ist eigentlich aus Frank Peter Zimmermann geworden?

    Hier findest Du ein Interview mit FPZ vom August 2010. "

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    " Er erhielt dieses Jahr den Paul Hindemith-Preis und 2008 das Bundesverdienstkreuz. Im August erschien von ihm eine Aufnahme des Sibelius-Konzerts mit dem Helsinki PO unter John Storgards.

    Cheers,

    Lavine :wink:

    “I think God, in creating man, somewhat overestimated his ability."
    Oscar Wilde

  • Zitat

    Was ist eigentlich aus Frank Peter Zimmermann geworden? Ich habe seinen Werdegang nicht mehr verfolgt.


    Er hat gerade ein tolle Einspielung der Szymanowski- Konzerte und des Britten-Konzertes veröffentlicht.
    Frank Peter Zimmermann ist ein toller Geiger, einer meiner liebsten. Ein ganz Großer!

    Im Juli 2011 spielt er bei uns unter Carlos Kalmar das Alban Berg Violinkonzert.

    Er ist ein solch kollegialer Mensch, er war schon öfters bei uns und wir alle lieben Ihn.

    Es gibt 'ne Menge an neuen, jungen, tollen Violinisten, es gibt natürlich ASM, aber FPZ ist trotzdem eine Klasse für sich.

    Menschlich wie künstlerisch.

    Bei Carlos Kalmar bin ich mir da nicht so sicher......ich bin gespannt.

    :wink:
    Michael

  • Hallo Lavine, hallo Michael,

    danke für die Infos. Ich habe gleich mal etwas bei Youtube gestöbert. Da gibt es noch ein interessantes Video mit Rostropovich und Zimmermann, Shostakovich Part 1of 2
    Das ist zwar etwas out off Toppic, aber was soll’s. Bin gleich fertig... :whistling:

    Von Frank Peter Zimmermann und Heinrich Schiff habe ich übrigens noch die tolle Einspielung mit Stücken von Matinu, Honegger, Bach, Pintschner und Ravel, die man unbedingt hören sollte.

    LG
    corda vuota

  • Frank Peter Zimmermann ist ein toller Geiger, einer meiner liebsten. Ein ganz Großer!

    Ja, sehe ich ebenso. Frank Peter Zimmermann ist seit 2001 Ehrenmitglied des Göttinger Symphonie Orchesters. So hatte ich schon öfter Gelegenheit, ihn auch live zu hören. Jedes Mal ein tolles Erlebnis!

    Zum Tschaikowsky-Violinkonzert: Nicht einer meiner Favoriten unter den Violinkonzerten - ich besitze Aufnahmen mit Zukerman, Oistrach und Repin. Die sind alle drei gut, aber besonders in der Erinnerung geblieben ist mir die 1929-er Aufnahme des Mischa Elman.

    Dieser Violinist war gar nicht mal der große Virtuose, besaß aber einen reichen, dunklen und schmelzenden Ton, der gerade in den langsameren, melodiösen Passagen wunderbar aufblüht. Ein großer Musiker – besonders den 2. Satz habe ich in dieser betörenden, beredten Form noch von keinem anderen Geiger gehört. Sicherlich nicht jedermanns Sache, klingt halt auch etwas altmodisch, aber irgendwie ganz anders als die anderen.

    Gruß, Cosima

  • Es freut mich, dass Ihr den Thread fleißig mit Leben füllt :D Weiter so! :thumbup:

    Da schon zahlreiche, interessante Aufnahmen genannt wurden, würde ich gerne noch auf einen anderen Punk zurückkommen: Hanslicks Verdikt ist ja sattsam bekannt, aber es wäre ja durchaus einmal hinteressant, welche Aspekte von Tschaikowskys Musik ihn zu diesem Verriss veranlasst haben: was meinte Hanslick seinerzeit, als er feststellte, dass Musik auch "stinken" könne?

    Habt Ihr Ideen?

    :wink: :wink:

    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • was meinte Hanslick seinerzeit, als er feststellte, dass Musik auch "stinken" könne?

    Ich könnte mir vorstellen, er empfand es so (oder wollte zumindest suggerieren), dass die Musik einen penetrant-süßlichen Geruch verströmt, der sich mit dem fauligen Moder der Dekadenz unschön verbindet. Das kann ja auch einen üblen Gestank ergeben, ähnlich den billigen Eau de Toilettes á la "Tosca", mit dem sich aufgetakelte alte Fregatten vor dem Besuch der Staatsoper einnebeln. Bei Tschaikowskys schlechterer Musik, wenn sie dann auch noch schlecht gespielt wird, finde ich die Anmerkung von "Gestank" gar nicht so fernliegend.

    “I think God, in creating man, somewhat overestimated his ability."
    Oscar Wilde

  • Hier mal das Zitat des Punks: :D

    Eine Weile bewegt es sich maßvoll, musikalisch und nicht ohne Geist, aber bald gewinnt die Rohheit Oberhand und behauptet sich bis ans Ende des 1. Satzes. Da wird nicht mehr Violine gespielt, sondern Violine gezaust, gerissen und gebläut.... Aber das Adagio bricht schnell ab, um einem Finale Platz zu machen, das uns in die brutale, traurige Lustigkeit eines russischen Kirchweihfestes versetzt. Wir sehen lauter wüste, gemeine Gesichter, hören rohe Flüche und riechen den Fusel. Tschaikowskys Violinkonzert bringt uns zum ersten Mal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken hört.

    Es stinkt also nach Fusel. Nun ja, eine vernichtende Kritik, die jedoch mehr über Hanslicks Begrenztheit aussagt als über das Konzert. Es ist freilich ein Virtuosenkonzert und u.U. war der Geiger dieser Wiener Aufführung den technischen Schwierigkeiten nicht gewachsen, so dass die darüber hinaus vorhandenen Schönheiten des Konzertes gar nicht mehr zur Geltung kommen konnten. Immerhin hatte Leopold Auer das Konzert kurz zuvor noch als unspielbar abgelehnt. Oder Hanslick mochte generell keine russische Musik, weil er sie als roh und oberflächlich-sentimental empfand. Ist ja im Grunde auch wurscht, das Konzert ist trotzdem ein Reißer geworden.

    :wink:

  • Der Titel des Threads bezieht sich auf die legendäre Äußerung des Marcel Reich Ranickis des Fin de siecle Eduard Hanslick. Hanslick schrieb in seiner Kritik des Konzerts. Es bringe „uns auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken hört“ Hanslick findet in seiner Besprechung noch andere plakative Charakterisierungen: Er vergleicht die Musik mit der "brutalen und traurigen Lustigkeit eines russischen Kirchweihfestes“, sie erinnert ihn an „lauter wüste und gemeine Gesichter“ und „rohe Flüche“.

    Also das mit dem Gestank in Tschaikowskys Violinkonzert bezieht sich ja im speziellen auf den letzten Satz. Hanslick schreibt:

    "Das Adagio mit seiner weichen slawischen Schwermut ist auf dem besten Wege uns zu versöhnen, zu gewinnen. Aber es bricht schnell ab, um einem Finale Platz zu machen, das uns in die brutale, traurige Lustigkeit eines russischen Kirchweihfestes versetzt. Wir sehen lauter wüste, gemeine Gesichter, hören rohe Flüche und riechen Fusel. Friedrich Vischer behautpt einmal bei Besprechung lasziver Schildereien, es gebe Bilder, 'die man stinken sieht.' Tschaikowskys Violinkonzert bringt uns zum erstenmal auf die schauerliche Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken hört." (Hervorhebungen von mir.)

    Leider fehlen mir Hanslicks Ausführungen zum Kopfsatz.

    Es scheint aber deutlich, dass sich das "Stinken" erst einmal ganz oberflächlich auf das von Hanslick phantasierte russische Kirchweihfest bezieht. Hanslick sieht eine Kirchweih, vermutlich auf einem Dorf, eine Schar trinkender, roher Menschen, vielleicht Bauern (schließlich ist Russland ja weitgehend agrarisch geprägt). Somit entdeckt der Kultur- und Stadtmensch Hanslick in Tschaikowskys Musik vielleicht etwas Unkultiviertes, das - rein hypothetisch gesprochen - aus seiner Sicht in der Kunst nichts zu suchen hat. Tschaikowsky der Bauer eben. Kein Brahms. Oder - wie Dickens es geschrieben hätte: "Bah! Humbug!"

    :wink: Agravain

    Edit.: Oh, sehe gerade, das Cosima einen flinkeren Finger hatte. Aber was soll's. Zwei Zitate sind besser als keines. :D

  • also war Hanslick nicht vom süßlichen Geruch angeeckelt, sondern vom Geruch nach Fusel (u. U. auch verbunden mit der Vorstellung von Schweiß- bzw Fäkalausdünstungen -> ist aber spekulativ).

    War sein Eindruck hellsichtiger als er es selbst ahnte ?

    Jetzt bin ich noch neugieriger auf einen neuen Eindruck vom VK. Werde versuchen mir günstig eine spannende Aufnahme des VKs zu organisieren (vielleicht die mit Ormandy oder eine mit H. Hahn..) Der Film "das Konzert" ist schon auf der Bestellliste als Miet-DVD..

    :wink:

    „Ein Komponist, der weiß, was er will, will doch nur was er weiß...“ Helmut Lachenmann

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