Donizetti, Lucrezia Borgia - Inzest, Verschwörung, Giftmord, das volle Programm
Ich gestehe, daß mir diese Oper bis vor kurzem einigermaßen unbekannt war. Zwar sang ich wie die meisten Mezzosoprane irgendwann einmal das Trinklied des Orsini, aber alles andere warmir nicht recht geläufig.
Auch, als ich diese Gesamtaufnahme kaufte und mehrfach hörte, fand ich es schwierig, diese Oper sozusagen innerlich zu bebildern.
Dann sah ich mir gestern diese DVD an und hatte mein Aha-Erlebnis.
Was für ein Drama! Die Inszenierung aus München wird den Dekorationsetat des Münchner Nationaltheaters nicht übermäßig strapaziert haben - eigentlich gibt's gar kein Bühnenbild, es werden ein paar Stühle und Tische auf- und abgeräumt, und das war's. Kostüme brauchte man auch nicht wirklich, denn die Sänger treten sozusagen im Straßenanzug auf, nur Edita Gruberova bekommt jeweils passend zur Szene ein aufwendigeres Kostüm. Musikalisch ist das Ganze hochbefriedigend. Frau Gruberova merkt man zwar an, daß die Spitzentöne nicht mehr ohne Mühe kommen, aber sie macht so manche rauhe Stelle durch ihre überlegene Gestaltung mehr als wett. Mir scheint es überhaupt, daß sie in dem Maße, in dem ihre Stimme einem -wenn auch noch sehr gebremsten!- Alterungsprozeß nicht mehr alle Reserven entgegensetzen kann, an Schauspielkunst und Engagement gewonnen hat. Das schließt ein, daß sie in der Schlußszene (Sohn tot, dessen Freunde halbtot, nur der verhaßte Ehemann Nr. 4 und dessen Gehülfe alive and kicking) bisweilen den Mut zu recht häßlichen tiefen Tönen hat, die aber dazu beitragen, eine Atmosphäre abgrundtiefer Verzweiflung zu verdeutlichen, die auch so ein Charaktermonster wie die Borgia beschleichen kann.
Im Vergleich dazu liefert Montserrat Caballé natürlich eine viel makellosere Leistung ab. Die Aufnahme entstand 1966, da war auch diese Sängerin noch jung und konnte ihre Stimme flexibelst und so differenziert einsetzen, wie es ihr eben zu Gebote steht. Das ist manchmal sehr beglückend (kein Problem, auch an unangenehmen Stellen noch einen kleinen dekorativen Vorschlag einszusetzen- das schafft die Gruberova heute natürlich nicht mehr), und es schafft einen sehr angenehmen Höreindruck. Der Einsatz ist aber immer fein dosiert, wie bei der Caballé nicht unüblich. Das rückhaltlose stimmliche Engagement der älteren Gruberova ist ihre Sache nie gewesen.
Zwischen dem damaligen Gennaro Alfredo Kraus und dem heute singenden Pavol Breslik kann ich keine Qualitätsunterschiede erkennen. Beide haben eine feine Gesngslinie, beide verfügen über einen schier unendlichen Atem, beide haben Spitzentöne, für die andere Tenöre morden würden. Das ist wirklich einmal ein seltener Fall, daß man nicht sehnsüchtig in alte Zeiten blicken und hören muß. Breslik hat das Potential, einer der ganz Großen zu werden, weil er neben seinen sängerischen und stimmlichen Qualitäten auch über ein sehr ordentlich schauspielerisches Talent verfügt.
Tadellos singt auf der CD natürlich Ezio Flagello. was aber Franco Vassallo in der Münchner Aufführung zeigt und singt, ist so überwältigend, daß das Publikum zu Recht jubelte, als er mit einem unglaublichen hohen Ton seine Arie "Vieni la mia vendetta" abschloß.
Die Orsinis sind ungefähr gleichwertig, Shirley Verrett hat die schönere Stimme, Alice Coots sicher den größeren Mut zur Gestaltung.
Soweit ein erster vergleichender Eindruck. Der Katalog gibt ja zu dieser Donizetti-Oper leider nicht allzuviel her. Dabei steht diese Oper an Melodienreichtum anderen Donizetti-Opern ja nicht viel nach. Kann es am Sujet liegen?
Grüße!
Honoria