Beethoven: Klaviersonate Nr. 21 C-Dur op. 53 "Waldstein-Sonate"
Liebe Capricciosi,
mit der Waldstein-Sonate möchte ich den ersten Beethoven-Klaviersonaten-Thread in dieses Forum setzen. Sie ist nicht nur meine persönliche Lieblingssonate, sondern generell als Meilenstein und Meisterwerk der Klavierliteratur zu betrachten.
Beethoven ebnet hier den Weg in die romantische Klaviermusik des 19. Jahrhunderts, die sowohl hoch virtuose als auch sinfonische Eigenschaften aufweist. In gleicher Weise kommt das "Schwesterwerk" daher, die 23. Sonate op. 57, die sogenannte "Appassionata".
Vielleicht sind diese beiden Sonaten auch die Meisteingespieltesten, eventuell noch konkurrierend mit der Mondscheinsonate.
Gewidmet ist die Sonate, die in den Jahren 1803 und 1804 entstand, dem Grafen Ferdinand Ernst von Waldstein. Daher dann auch der Beiname. Waldstein war einer der ersten Förderer Beethovens gewesen und sie waren eng miteinander befreundet. Es könnte sein, dass Waldstein Schuld daran war, dass Beethoven nach Wien aufgebrochen ist.
[Blockierte Grafik: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e2/Count_von_Waldstein.jpg]
Was ist nun das Besondere an dieser Sonate?
Im Grunde lässt sich das nicht an einzelnen Parametern festmachen, was hier so fortschrittlich und neu ist, denn alles war in seiner Einzelheit vorher auch schon vorhanden. Vielmehr ist es die Gesamtheit, wie diese Parameter aufeinander abgestimmt sind und sich gegenseitig beeinflussen, die diese Sonate zu einem vorher in dem Ausmaße nicht bekannten Konstrukt werden lässt. Bis dato ist es Beethovens längste Klaviersonate.
Eine bemerkenswerte Neuerung ist jedoch die Einbeziehung von geräuschartigen Klängen. Das kann man gleich am Anfang der Sonate hören. Die tiefen Bassquinten stellen ein motorisches Hämmern dar, die einzelnen Töne sind kaum zu verorten. Ebenso, wenn die linke Hand in diesen tiefen Regionen Läufe auf- und abwärts spielt. Das ist mehr ein Grummeln als eine klar erkennbare Tonleiter. Ebenso sind die flirrenden Tremoli zu erwähnen.
1. Satz - Allegro con brio
Der Satz beginnt völlig ungewöhnlich mit klopfenden C-Dur-Akkordrepititionen. 13 Mal wird der selbe Akkord wiederholt, bevor er zur Dominante moduliert. Weiter geht es mit diesem unbarmherzigen Rhythmus, allerdings ist jetzt das gesamte Thema einen Ton tiefer nach B-Dur sequenziert. So etwas finden wir bereits in op. 31 Nr. 1, nur dort von G-Dur nach F-Dur. Mit dieser Themenwiederholung ist bereits der Weg in die b-Bereiche des Quintenzirkels geöffnet. Mit großem Abstand zwischen linker und rechter Hand (mit bis zu 4 Oktaven Unterschied) setzt eine sich kreisende Bewegung in der rechten Hand ein und führt per Abwärtsbewegung zu einer Unisono-Dreiklangsbrechung mit Halbschluss. Plötzlich ist die Bewegung und fortwährende Motorik unterbrochen.
Es folgt der Anfang, nun aber nicht als hämmernde Akkordkaskaden, sondern als unruhige Tremoli, die erst einmal weniger scharf klingen. Vielleicht sogar ganz angenehm im Ohr liegen. Dieses Mal wendet sich jedoch das Thema nicht nach B-Dur wie am Anfang, sondern geht den anderen Weg nach oben über d-Moll und a-Moll bis sogar H-Dur erreicht ist und wir im Seitenthema auf E-Dur landen. Damit ist die #-Seite des Quintenzirkels nahezu vollständig erschlossen.
Wir haben also allein in der Exposition rein tonartlich eine ungeheure Spannweite erreicht.
Das Seitenthema steht also in E-Dur, was natürlich ebenso sehr ungewöhnlich ist, da E-Dur von C-Dur relativ weit entfernt ist (verdurte Dominantparallele). Charakterlich haben wir es jetzt nicht mehr mit einem fortschreitenden, vorwärtsdrängenden Duktus zu tun. Vielmehr scheint die Zeit jetzt stillzustehen und alles konzentriert sich auf diesen choralartigen, vollgriffigen Seitensatz. Dieser wird dann triolisch figuriert, d.h. die Geschwindigkeit nimmt wieder allmählich zu. Das eher verweilende Thema kann sich gegen den Vorwärtsdrang der Triolen nicht durchsetzen und das Tempo nähert sich der Anfangsgestalt. Anfangs triolisch wandelt es sich schnell wieder zu den bekannten Sechzehntelketten. Es folgt nun die Schlussgruppe, die auch die Akkorde vom Anfang wieder aufnimmt und sich so wieder ein eher aggressiverer Ton breit macht.
Die Bewegung beschleunigt sich bis zum Triller hin.
Der letzte Teil der Exposition ist damit beschäftigt, sich wieder vom E-Dur des Seitensatzes zum Ausgangspunkt C-Dur zurückzumodulieren.
Der erste Teil der Durchführung stellt zwei Motive aus dem Hauptthema gegenüber, wovon sich eines klar durchsetzen kann. Plötzlich erscheint wieder die Triolenbewegung aus dem 2. Thema und bahnt sich in immer neuen Anläufen den Weg, wobei nun der Schwerpunkt klar auf der Harmonik liegt. Melodie kommt kaum noch vor. Nachdem sich auch diese Triolen-Wellen beruhigt haben, beginnt der Weg zur Reprise im dritten Teil der Durchführung. In der linken Hand grummelt der Bass vor sich hin, während rechts sich die bruchstückhaften Motive weiter hinaufschwingen, bis eine Gegenbewegung zum Bass-Grummeln hergestellt ist, die dann in der Zusammenführung direkt in die Reprise mündet.
Das Hauptthema bleibt wie in der Exposition zunächst das Selbe, bis wir an den Punkt kommen, wo vorhin der Unisono-Halbschluss beschrieben wurde. Denn wir landen dieses Mal nicht auf der Dominante G, sondern auf As, was erstmal wie ein Trugschluss klingt und eine völlig unerwartete Wendung beschreibt. Doch damit nicht genug: Noch einmal kommt diese Dreiklangsbrechung und wir landen wieder einen Ton höher, dieses Mal auf B. Mit dieser Variabilität des Halbschlusses stellt Beethoven seine Dominante völlig in Frage. Zumal wir nach einer kurzen Zwischenepisode wieder zur Ausgangstonart C-Dur zurückkehren und so tun, als sei nichts passiert! Wieder setzt das Hauptthema - parallel zur Exposition - in der Tremolo-Version ein. Der Weg zum Seitenthema wird nun etwas anders beschritten als vorhin, jedoch nicht gravierend anders, denn wir landen in A-Dur, der Subdominante von E-Dur. Wieder können wir hier die große Tonartenspanne in den beiden Themen bewundern. As-Dur auf der einen Seite als vorübergehenden Halbschluss und A-Dur auf der anderen Seite als Tonart des Seitensatzes.
Doch auch jetzt wird uns nicht langweilig, denn wir bleiben nicht lange in A-Dur. Denn plötzlich vermollt sich das Thema und führt als neue Paralleltonart zu C-Dur zurück. Die figurierte Themenwiederholung steht jetzt also in der Tonika.
Wieder nimmt die Geschwindigkeit zu. Aus Triolen werden Sechzehntel bis hin zu Trillern und wir landen schlussendlich in der Coda, in der sich das Hauptthema plötzlich in Des-Dur (Neapolitaner) zeigt. Jetzt ist also die komplette b-Seite des Quintenzirkels abgedeckt. Die Coda kann als konzentrierte Durchführung gesehen werden, denn wieder konkurrieren zwei Anfangsmotive miteinander, bevor sich in virtuosen Läufen alles auf einen Höhepunkt zuspitzt, der dann in die reine C-Dur-Gestalt des zweiten Themas mündet. Zum Schluss setzt noch einmal das Hauptthema in Originalgestalt ein und läuft mit seinen Sechzehntelketten im fortissimo auf die Schlussakkorde zu.
2. Satz - Introduzione. Molto Adagio
Beethoven schrieb zuerst einen ausgedehnten langsamen Satz (Andante favori, WoO 57), fügte ihn dann aber schlussendlich doch nicht in diese Sonate ein.
Denn nach dem vorwärtstreibenden Charakter des ersten Satzes wäre ein zu langes Stehenbleiben und Ruhen eher hinderlich gewesen. So steht an dieser Stelle nun ein Introduzione, das nur eine kurze Verschnaufpause zulässt, um dann direkt attacca in das Schlussrondo zu gehen.
Insofern kann man bei der Großform auch von einer zweisätzigen Sonate ausgehen. Das Introduzione ist jedenfalls nicht als eigenständiger Satz zu sehen, sondern viel mehr, wie es der Name schon sagt, als Einführung zum nächsten Satz gedacht. Charakterlich ist dieser Satz eher rezitativisch gehalten, man schürt eine gewisse Erwartung auf das, was da kommt. Es wird also nichts Eigenständiges gesagt. Eher findet man noch Motive aus dem Kopfsatz, die noch einmal kurz zurückblicken lassen. Jedoch steigert sich auch hier das Tempo (Bassfiguren) und man erwartet mit Spannung den Anfang des Neuen. Noch einmal eine kurze Beruhigung, ein Atemholen, und dann geht es los:
3. Satz - Rondo. Allegretto moderato
Die Idee Beethovens mit diesem Schlussrondo ist das Festhalten der Zeit. Wenn der Satz einsetzt, erklingt ein himmlich schönes Thema, das durch perlende Dreiklangsbrechungen in angenehmen Lagen begleitet wird. Diese ersten paar Takte Motivbogen werden im Verlauf des Satzes 31 (!) mal in verschiedenen Tonarten intoniert. Beethoven versucht dieses Motiv immer als Erinnerung in schwereren, unruhigeren Zeiten zu bringen.
Zum Anfang fließt die Musik dahin, sie wirkt locker und völlig befreit vom Vorwärtsdrängen des ersten Satzes. Man kann sich förmlich im Wohlklang baden. Die Melodie scheint endlos, bzw. fängt sie immer wieder von vorne an. Doch genau das scheint ihr zum Verhängnis zu werden, denn sie kann sich im weiteren Verlauf des Satzes auch nicht weiter entwickeln. Am Deutlichsten wird das im Prestissimo, wo sie nur noch gehetzt erscheint und die Ruhe das Anfangs völlig weg ist. Für Beethoven'sche Verhältnisse ist dieser Stillstand in der Entwicklung bemerkenswert. Am Schluss ist nichts mehr von der einstigen Idylle zu spüren, die Gegenwart hat die Erinnerung kompromisslos eingeholt.
Dieser Satz stellt an den Pianisten höchste Herausforderungen, die man bis dato zu dieser Zeit noch nicht gekannt ist. Beispielsweise muss der Pianist im Prestissimo mit einer Hand unten trillern und oben die Melodie spielen. Eine für mich völlig unvorstellbare Leistung, seine Hand so unter Kontrolle zu haben. Und nach was klingen soll es ja auch noch!
Die Diskussion darüber, welcher Pianist das am Besten hinbekommen hat, überlasse ich euch.
Denn ich habe bis jetzt nur den Gulda im Schrank, mit dem ich absolut zufrieden bin. Vielleicht kommt aber demnächst noch Schnabel als Alternative dazu.
Quellen: -Jürgen Uhde: Beethovens Klaviersonaten 16-32 (Reclam)
- Partitur
Liebe Grüße,
Peter.