Jost: Hamlet – Oper Dortmund, 13. Mai 2011 (Premiere: 30. April 2011)

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  • Jost: Hamlet – Oper Dortmund, 13. Mai 2011 (Premiere: 30. April 2011)

    Christian Jost: Hamlet. 12 musikdramatische Tableaux nach William Shakespeare


    Musikalische Leitung: Jac van Steen
    Inszenierung: Peter te Nuyl


    Hamlet: Maria Hilmes
    Horatio: Brian Dore
    Claudius: Bart Driessen
    Gertrud: Susanne Schubert
    Polonius: Hannes Brock
    Rosenkranz / 1. Clown: Ji Young Mennekes
    Güldenstern / 2. Clown: Stephen Boving
    Ophelia: Julia Amos
    Laertes: Fausto Reinhard
    Geist: Männerchor
    12 innere Stimmen: Damen- und Herrenchor


    Opernchor des Theater Dortmund
    Dortmunder Philharmoniker



    Zeitgenössische Oper hat es beim Publikum nicht leicht. Das zeigte sich vergangenen Freitag auch im Dortmunder Opernhaus: Die zweite Vorstellung der Dortmunder Neuproduktion von Christian Josts Hamlet, uraufgeführt am 21. Juni 2009 an der Komischen Oper Berlin und von der Zeitschrift Opernwelt zur Uraufführung des Jahres gewählt, besuchten kaum 150 Zuschauer. Bedauerlich: denn geboten werden zweieinhalb Stunden fesselnden modernen Musiktheaters.


    Jost folgt der Handlung des Shakespearschen Dramas, skelletiert es aber auf 12 dichte Szenen, die insbesondere die Frage nach Mord, Schuld und Sühne fokussieren und dabei insbesondere das Spiel um Verführung zur und Überführung der Gewalt thematisieren.


    Peter te Nuyl inszeniert die musikalischen Tableaux als Spiel im Spiel im Spiel, als Folge ineinander verschränkter und verschachtelter Theaterszenen in Theaterszenen, die Inszenierung und das Inszenieren des Spiels werden so zum eigentlichen Gegenstand.


    Das Setting ist eine Drehbühne mit absichtsvoll sehr wackeligen Wackelkulissen (Edwin hätte seine schiere Freude daran), in denen sich die durchgehend auf der Bühne präsenten Figuren bewegen. Zu Beginn stehen mit den Namen der Figuren beschriftete Kartons im Bühnenvordergrund, die mit Kostümen gefüllt sind. Von dort aus inszeniert Horatio, im Spiel Hamlets alter Ego (beide mit ketchuproter Zottelfrisur, weißem Hemd und schwarzer Hose) das Spiel – er dreht mittels einer Kurbel die Bühne; gemeinsam mit Hamlet holt er von Szene zu Szene neu die jeweiligen Akteure zu sich, führt die Figuren, interagiert mit ihnen. Zu Beginn mischt Horatio verschlossene Umschläge und verteilt sie an die Darsteller (mit Ausnahme Hamlets). In den Umschlägen finden die Darsteller die Namen der Figuren, die Sie über den Abend darzustellen haben, nehmen sich die entsprechend beschrifteten Kartons und kostümieren sich.


    Im Zentrum der folgenden 12 Tableaux stehen als Antagonisten Hamlet, der sich im Laufe des Spiels immer mehr in seinen Inszenierungen verliert, und seine Figur/Kreatur Claudius; die Ophelia-Handlung tritt deutlich in den Hintergrund, wird nur zum Katalysator der Inszenierung weiterer Spielarten von Schuld und Entsühnung.


    Bemerkenswert ist eine immer wieder aufscheinende Doppelung/Spiegelung der Szenen, indem Horatio und Hamlet (der - und dies ist die wichtige Abweichung von der Shakespearschen Vorlage - am Ende überlebt, was eben seiner Rolle als Initiator des Spiels gezollt ist) die Handlung einzelner Tableaux zunächst nur zu zweit an der Rampe vorinszenieren/durchprobieren. Die Handlung des Stücks wird somit einerseits zwar in den schlaglichtartigen Tableaux linear erzählt, zugleich aber in szenischen Kommentaren gebrochen und erscheint bedrückend verspiegelt.


    Die Personenführung ist vorbildlich, selten habe ich so intensives Theater in der Oper erlebt wie an diesem Abend. Dies gelingt nicht zuletzt durch das durchgehend überwältigende Spiel der SängerInnen. Heraus sticht dabei Maria Hilmes (die über überaus expressiven und dabei anrühernd jugendlich wirkenden Sopran verfügt), die die Rolle des Hamlet sängerisch wie darstellerisch in einer verstörenden und für den Zuschauer beinahe schön physisch spürbaren Kompromisslosigkeit gestaltet.


    Josts Musik ist klanglich durchaus üppig, bewegt sich aber streckenweise in kammermusikalischer Besetzung auch an der Grenze zur Stille. Die Tonsprache ist überaus suggestiv: herb, rhythmisch akzentuiert und kann auch wild, exzessiv herausfahren.


    Jac van Steen, der sich schon früher für Josts Musik eingesetzt hat, ist nicht allein ein geeigneter Anwalt dieses Werk sondern sein kongenialer Gestalter. Die Dortmunder Philharmoniker bieten hier erstklassige Arbeit.


    Am Ende: 150 Zuschauer zollen langandernden stehenden Applaus.


    Weitere Vorstellungen am 26. Mai sowie am 3. und 12. Juni. Es wäre zu wünschen, dass diese Vorstellungen besser besucht sind. Werk und Produktion hätten dies allemal verdient.


    Adieu,
    Algabal

    Keine Angst vor der Kultur - es ist nur noch ein Gramm da.

  • Danke für den anschaulichen Bericht, lieber Algabal! Leider liegt Dortmund nicht in meinem Einzugsgebiet. ;(

    Josts Musik ist klanglich durchaus üppig, bewegt sich aber streckenweise in kammermusikalischer Besetzung auch an der Grenze zur Stille. Die Tonsprache ist herb, rhythmisch akzentuiert und kann auch wild, exzessiv herausfahren und überaus suggestiv.

    So läßt sich treffend auch die einzige Komposition beschreiben, die ich von Christian Jost kenne, knapp viertelstündig, 2002 entstanden: KΩMA - Lyrische Szene nach Fragmenten der Sappho (der Pianist muß teilweise Saiten im Korpus mit der Hand zupfen und mit einem Löffel traktieren, das klingt faszinierend), enthalten hier:



    Stella Doufexis, Mezzosopran; Axel Bauni, Klavier.


    Die Sängerin ist übrigens mit dem Komponisten verheiratet.


    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz


    Wissen Sie denn nicht, daß die Menschen manchmal nicht auf der Höhe ihrer Werke sind?
    Jean-Paul Sartre


    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.

    Helmut Lachenmann

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