Hindemith: Orchesterwerke

  • Hindemith: Orchesterwerke

    Nur von zwei Orchesterwerken Paul Hindemiths ist, soweit ich es überblicke, in diesem Forum bisher überhaupt kurz die Rede gewesen, und beide Male nicht zuvörderst der Werke wegen, sondern um ihrer herausragenden Interpretationen willen: Leonard Bernsteins Aufnahme von Hindemiths "Sinfonie in Es" und der Livemitschnitt von Evgeny Mravinskys Aufführung der Sinfonie "Die Harmonie der Welt" werden hier und da mit Begeisterung erwähnt, aber die Begeisterung scheint mehr den (in der Tat fantastischen) Interpretationen als den Kompositionen zu gelten. Mich haben sie immerhin neugierig gemacht und dazu bewegt, mehr von Hindemith zu hören - und ich bin ziemlich fasziniert von seinen Orchesterwerken, in denen er so entschieden und überzeugend den spätromantischen Pathosmanifakturen und den impressionistischen Parfümerieläden etwas damals Neues entgegensetzte: einen "sachlichen" Klang, der allerdings alles andere als emotionslos ist, einen Orchesterklang, der vom einzelnen Instrument ausgeht, anstatt an raffinierten Mischungen sich zu ergötzen. Darüber hinaus war Hindemith ein wunderbarer Kontrapunktiker und ein großartiger Spieler, der immer wieder an den überlieferten Formen seine Fantasie entzündete und sie raffiniert und einfallsreich für seine Zeit lebendig machte - ob es nun die Fuge, die Sonatenform, die Variationenreihe oder der Umgang mit Ostinati und ungewöhnlichen Metren war. Und schließlich: Hindemith verstand sich blendend aufs Erfinden von Melodien und war ein grandioser Rhythmiker. Warum dieser Komponist bei all den Wiederentdeckungen der letzten Jahrzehnte praktisch ausgespart blieb, ist mir völlig unverständlich, und ich bin mir sicher, dass jeder, der an Prokofiev, Elgar, Schostakowitsch oder Wellesz sein Vergnügen hat, auch bei Hindemith lohnende Entdeckungen machen dürfte. Ich möchte in diesem Thread einige von Hindemiths Orchesterwerken vorstellen und hoffe, damit den einen oder anderen neugierig auf diese Musik machen zu können.


    Die Veröffentlichungssituation ist eine traurige. Eine Gesamtaufnahme der Orchesterwerke erschien in den 90er Jahren bei cpo, Werner Andreas Albert dirigierte so illustre Klangkörper wie die Symphonieorchester von Sidney, Melbourne und Queensland, und es erscheint geradezu symbolisch, das es Orchester von der anderen Seite des Erdballs waren, mit denen diese Werke eingespielt wurden, als sich in Europa, auch im Jahr seines hundertsten Geburtstages 1995, offenbar nahezu niemand mehr für Hindemith interessierte. Über diese solide, aber kaum begeisternde Gesamtaufnahme hinaus sind viele Werke nur in historischen Aufnahmen, dirigiert von Furtwängler oder von Hindemith selbst, zu bekommen.
    Darüber hinaus waren es in erster Linie Dirigenten in der Sowjetunion und in der DDR, die einige sehr bemerkenswerte Aufnahmen von Hindemith-Werken eingespielt haben (in den Beiträgen zu den einzelnen Werken werde ich darauf eingehen). In Westeuropa findet sich allenfalls sehr gelegentlich die Symphonie "Mathis der Maler" oder das Bratschenkonzert "Der Schwanendreher" in Konzertprogrammen, im angelsächsischen Raum erfreuen sich anscheinend die "Symphonischen Metamorphosen über Themen von Carl Maria von Weber" einiger Beliebtheit. Wunderbare späte Werke wie die Symphonie "Die Harmonie der Welt", die Ballettsuite "Nobilissima Visione" oder die fabelhafte "Pittsburgh Symphony" scheinen, obwohl zu ihrer Zeit durchaus erfolgreich, völlig dem Vergessen anheimgefallen zu sein. Zu Unrecht - und inzwischen, da der Alleinvertretungsanspruch der Zweiten Wiener Schule für die Musik des 20. Jahrhunderts auch in Westdeutschland gefallen ist, ist es höchste Zeit, neben Stravinsky, Bartók, Prokofiev und Schostakowitsch auch wieder Hindemith aufzuführen.


    Wie gesagt, dieser Thread soll den Orchesterwerken Hindemiths gewidmet sein - einen allgemeinen Thread zu Hindemith, seinem biografischen Hintergrund, den Entwicklungen seiner Tonsprache und den diversen Kontroversen um ihn, die letztlich auch dafür gesorgt haben, dass seine Musik nach seinem Tod so schnell und gründlich von den Konzertprogrammen verschwand, hoffe ich demnächst auch starten zu können.


    Grüße
    vom Don

  • Kammermusik Nr. 1 (op. 24 Nr. 1)

    Die dem Fürsten Max Egon von Fürstenberg, dem Begründer der Donaueschinger Musiktage, gewidmete, Ende 1921 komponierte "Kammermusik" war die erste einer Reihe von insgesamt sieben meist viersätzigen Kompositionen für kleines Orchester, zu denen außerdem die opp. 36, Nr. 1-4 und opp. 46, Nr. 1 und 2 zählten (op. 24 Nr. 2 hingegen ist ein Bläserquintett). Die sieben "Kammermusiken" sind jeweils zwischen ca. 15 und 20 Minuten lang, und bis auf die erste sind sie alle Konzerte für ein Soloinstrument und kleines Orchester.


    Die "Kammermusik Nr. 1" ist für zwölf Instrumente (Streicher, Klavier, Harmonium, Flöte, Klarinette, Fagott, Trompete und Schlagzeug) gesetzt; es fehlen also wohl programmatisch die Instrumente, die in der musikalischen Romantik ihre besondere Rolle gespielt hatten: Hörner, Harfe, Oboe, Posaune. Es war das Werk, mit dem der junge, bislang kaum bekannte Hindemith "nachlegen" wollte: 1921 hatte der Sechsundzwanzigjährige mit seinem Zweiten Streichquartett bei den Donaueschinger Musiktagen einen sensationellen Überraschungserfolg errungen, und nicht nur die Widmung, auch die Betitelung des letzten Satzes mit "Finale: 1921" zeigt, dass er mit der für die Musiktage des Folgejahres komponierten "Kammermusik" mit aller Macht daran anzuknüpfen gedachte.


    Der erste Satz, gerade mal eine Minute lang, erinnert etwas an Ravel oder den Stravinsky des Sacre und ist etwas bruitistisch und sehr motorisch mit raffiniert verschobenen Metren gehalten, dabei aber von unbestreitbarer Eleganz. Der zweite Satz (3 Min.) ist so etwas wie ein parodistisch anmutendes Tanz- oder Zirkusmusikrondo mit Streichquartetteinlage. Interessanterweise ist von dem vierminütigen langsamen Satz, "Quartett. Sehr langsam und mit Ausdruck" in der Sekundärliteratur so gut wie nie die Rede, dabei zeigt sich schon hier Hindemiths "anderes Gesicht" neben den Clownerien der frühen Jahre: das vierminütige "Quartett" von Flöte, Klarinette, Fagott und Schlagzeug, das eigentlich ein Trio ist, zu dem das Schlagzeug lediglich einige Triangelschläge beiträgt, offenbart seine tief melancholische Seite, die auch später immer wieder in intensiven, sehr reduzierten und dem Stillstand nahen Sätzen zum Vorschein kam. Das Finale, mit sechs Minuten der gewichtigste Satz, ist mit seinem immer wieder wiederholten, punktierten abfallenden chromatischen Motiv, dem von der Trompete gespielten Zitat eines damals bekannten Foxtrots und schließlich der aufheulenden Sirene am Schluss ein veritabler Tanz auf dem Vulkan, der übrigens viel Ähnlichkeit mit gewissen Symphoniesätzen von Schostakowitsch hat. Ich glaube hier einen direkten Einfluss herauszuhören; beispielsweise taucht bei Hindemith im Klavier ein Motiv auf (nach dem Trompetensolo), das mir eine Vorwegnahme des berühmten, elfmal gesteigert wiederholten Motives aus dem ersten Satz von Schostakowitschs Siebter Symphonie zu sein scheint.


    Im März 1938 erlebte Paul Hindemith während einer seiner ausgedehnten USA-Tourneen eine Probe der Kammermusik Nr. 1 durch das Chicago Symphony Orchestra. Offenbar hörte er das Werk seit langer Zeit zum ersten Mal wieder. An seine Frau schrieb er:


    "Zum Schluss (...) probten sie noch die uralte Kammermusik von mir mit dem Sirenenpfiff. Man fragt sich, was die Leute damals an diesem Stück so aufgeregt hat. Es ist gar nicht schlecht gemacht und hat außer seinen harmonischen und melodischen Kinderkrankheiten wirklich nichts an sich, was ein harmloses Gemüt kränken könnte. Besonders vornehm ist's nicht gerade und der Aufwand an Schlagzeug usw. ist sicher eine Konzession an den damaligen Zeit(un)geschmack. Aber du lieber Gott, was wird denn heute in unserer chemisch reinen Kulturatmosphäre nicht alles für ein Kack produziert, der seiner Technik, seiner Erfindung, seiner musikalischen Haltung und sogar seiner Gesinnung nach tausendmal übler ist als dieses nicht sehr belangvolle Stück. Und wer sich über eine Sirene aufregt, der hätte bei Windmaschine und blökenden Hämmeln ein weit unfangreicheres Feld für seine Entrüstung."
    In dem kleinen Seitenhieb gegen Richard Strauss (gemeint sind die Alpensinfonie und Don Quichote) deutet Hindemith an, wogegen sich seine Musik damals richtete. (Paul Hindemith: Das private Logbuch. Briefe an seine Frau Gertrud. Mainz 1995)


    Eine wirklich gute Aufnahme der Kammermusik Nr. 1, gekoppelt mit den anderen Kammermusiken und dem "Schwanendreher", ist bei jpc derzeit günstig zu haben; eingespielt hat sie Claudio Abbado mit Musikern der Berliner Philharmoniker:


    Grüße
    vom Don

  • Bernstein und sein Hindemith

    Hallo Don,


    ich habe mal in die Kammermusik Nr.1 reingehört. Wirklich interessante Musik, die ich noch gar nicht kannte. Besonders das Schlagwerk gefällt mir, wie sich die, die mich kennen, denken können.


    In Beitrag 1 hast Du schon die Bernstein- und Mrawinsky-Hammer-Aufnahmen von der Sinfonie in Es und Harmonie der Welt erwähnt. Bei der Harmonie der Welt stimmt was du sagst - es ist die Mrawinsky-Aufnahme, die fastziniert und das Werk beinahe Atemlos macht - Megaklasse !


    Ich habe auch die Hindemith-GA mit W.A. Albert (cpo). Zum Kennenlernen einiger wenig oder nur dort eingespielten Werke sind diese cpo-CD´s brauchbar. Aber alle TOP-Hindemith-Werke, die in Aufnahmen von anderen Dirigenten vorliegen, sind eindeutig vorzuziehen. Die harmonie der welt wirkt mit W.A.Albert nichtssagend ... Mrawinsky dagegen - ein Traum !




    Bei bernsteins SONY-CD würde ich aber unbedingt auch die Weber-Metharmorphosen als genau so herausragend wie die Sinfonie in Es hinzufügen. Ein Werk, das mich seit meinem Erstkontakt Live in der Beethovenhalle Bonn nicht mehr losläßt. Meine Favoritenaufnahmen sind Bernstein (SONY), Szell (SONY) und Ormandy (EMI). Abbado (DG) klingt auch TOP, aber weniger auf Sturm getrimmt, sondern feinsinniger.


    :thumbup: Die absoluten Hammeraufnahmen von den Weber-Metharmorphosen, der Sinfonie Mathis der Maler und der Konzertmusik op.50 befinden sich aber auf dieser unbekannten und lange gestrichenen DG-CD:


    Was Bernstein aus diesem ansonst wenig beachteten Klangkörper, dem Israel PO raus holt ist unbeschreibbar. Er übertrift auch hier seine ohnehin schon fabelhaften CBS-Aufnahme der Weber-Metharmorphosen nochmal deutlich ... ein Feuer, ein Swing, dass es einfach Riesenspass macht diese CD zu geniessen. :angel: Und dann auch noch in aktueller TOP-DDD-Klangtechnik. ^^ Man, was geht hier die Post ab !


    [Blockierte Grafik: http://ecx.images-amazon.com/images/I/51rWpkimcIL._AA300_.jpg
    DG, 1991, DDD


    Die Kauferschichten für solche CD´s sind natürlich hier bei Capriccio und Tamino vorhanden ... aber das allgmeine Interesse für Hindemith ist dann doch so gering, dass solche "Wahnsinns-CD´s"(nach meiner Auffassung und Geschmack) bald wieder aus den DG-Katalogen verschwinden. Das ist zu wenig populär !


    Ich selber habe auch sehr lange gebraucht diese DG-CD an Land zu ziehen - ich glaube es war bei EBAY, sogar NEU.

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    Gruß aus Bonn


    Wolfgang

  • Warum dieser Komponist bei all den Wiederentdeckungen der letzten Jahrzehnte praktisch ausgespart blieb, ist mir völlig unverständlich


    Die Veröffentlichungssituation ist eine traurige.


    Wunderbare späte Werke wie die Symphonie "Die Harmonie der Welt", die Ballettsuite "Nobilissima Visione" oder die fabelhafte "Pittsburgh Symphony" scheinen, obwohl zu ihrer Zeit durchaus erfolgreich, völlig dem Vergessen anheimgefallen zu sein.


    Ganz so schlimm finde ich die Situation nicht, aber Hindemiths Fall ist schon ein tiefer. Ich habe vor einiger Zeit mal sämtliche Konzertprogramme der Bamberger Symphoniker in den 50er und 60er Jahren durchgeschaut, und dort zeigte sich ein Bild, das vielleicht nicht untypisch für deutsche Orchester dieser Zeit ist: es gab geradezu einen Hindemith-Overkill, er war nach Richard Strauss der mit Abstand meistaufgeführte Komponist des 20. Jahrhunderts (weit vor Strawinsky und Bartok). Bezeichnenderweise wurden fast ausschließlich die späteren Werke gespielt. Auf diese Weise ist das Bild von Hindemith - immer unter Aussparung der früheren Werke - stark mit der restaurativen Bundesrepublik dieser Zeit verschmolzen, was ihm später sehr stark und sehr lang geschadet hat. Daran war er ja selbst nicht ganz unschuldig. Man sollte es aber in der Tat mal wieder versuchen.


    Während z.B. die Kammermusiken oder die Mathis-Symphonie mit Chailly, Abbado, Salonen etc. auch der Moderne zugewandtere Dirigenten gefunden haben, verbinde ich den späteren Hindemith immer mit einem bestimmten deutschen Kapellmeistertypus, der heute kaum noch existiert: Keilberth, Sawallisch oder eben Werner Andreas Albert. Mit großem Engagement in Sachen Hindemith ist immer noch Herbert Blomstedt unterwegs, von ihm habe ich in Bamberg einiges gehört und dort hat er vor einer guten Woche noch Hindemiths Cellokonzert (mit Johannes Moser) dirigiert. Auch bei den Berliner Philharmonikern hat er im Frühjahr Nobilissima Visione aufs Programm gesetzt. Mit Blomstedt gibt es auf 3 CDs einen sehr schönen und relativ preiswerten Überblick über einige von Hindemiths Orchesterwerken:




    Viele Grüße


    Bernd

    .

  • Im Gegensatz zum Konzertleben, wo Hindemiths Werke leider stiefmütterlich behandelt werden, so sieht es auf dem Tonträgermarkt glücklicherweise anders aus:


    Neben den wirklich guten Aufnahmen von Bernstein und Blomstedt sind die Chandos-Aufnahmen auch von guter bis sehr guter interpretatorischer und klanglicher Qualität:


             


    Lionel

    "Musik ist für mich ein schönes Mosaik, das Gott zusammengestellt hat. Er nimmt alle Stücke in die Hand, wirft sie auf die Welt, und wir müssen das Bild zusammensetzen." (Jean Sibelius)

  • Den Blomstedt habe und liebe ich auch, ebenso die eine oder andere CPO-Aufnahme, trotz der illustren Orchester.


    Die Kammermusiken höre ich am liebsten in dieser Aufnahme:


    Eine sehr lebhafte, freudig musizierte Aufnahme. Bei dieser Aufnahme wird die geistig-seelische Verwandschaft der Kammermusiken mit Bachs Brandenburgischen Konzerten mehr als deutlich.

    Lucius Travinius Potellus
    Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety. (B.Franklin)

  • Hallo Don,


    dass Hindemith heutzutage im Konzertleben keine große Rolle mehr spielt, hattest du vor ein paar Wochen schon einmal quasi nebenbei erwähnt. Ich habe mir das seinerzeit kurz durch den Kopf gehen lassen und festgestellt, dass du völlig Recht hast. Ich glaube, ich bin 1995 zum ersten Mal ins Konzert gegangen, das sind also mittlerweile schon ein paar Jährchen – aber ein Stück von Hindemith habe ich wirklich noch nie gehört.


    Ich habe ihn lange Zeit selbst eher beiläufig wahrgenommen, und besonders viel Hindemith habe ich auch noch überhaupt nicht in meiner Sammlung – es ist gar nicht lange her, dass Hindemith sogar im Wesentlichen ein "blinder Fleck" bei mir war (mit wenigen Ausnahmen). Allerdings habe ich mir vor kurzer Zeit auf Empfehlung eines Bekannten das folgende CD-Set gekauft:



    Hier dirigiert Herbert Kegel einige seiner Orchesterwerke, also konkret "Mathis der Maler", das Konzert für Trompete, Fagott und Streichorchester, Nobilissima Visione, die Sinfonie in Es und die Symphonia serena. Herbert Kegel ist sicherlich eine sehr gute Adresse, auch wenn ich keine Vergleichseinspielungen habe. (Ich denke allerdings, dass man eine Interpretation auch für sich genommen bis zu einem gewissen Grad recht gut einschätzen kann, und mir erscheinen Kegels Einspielungen sehr kraftvoll und überzeugend.)


    Jedenfalls haben diese beiden CDs mein vorher eher diffuses Hindemith-Bild (es gibt ja eine Reihe von Stereotypen über ihn) deutlich geschärft. Diese Musik hat wesentlich mehr zu bieten, als ich vorher gedacht hätte. "Nobilissima Visone" habe ich mittlerweile schon etliche Male gehört, vom Anfang bis hin zum prachtvollen Passacaglia-Finale ein ausgezeichnetes Werk. Oder die Sinfonie in Es: die Ausdrucksstärke und Kraft dieser Musik hat mich wirklich überrascht.


    Deshalb habe ich mir vorgenommen, in Bälde auch die folgende CD zu kaufen:



    Gleiche Besetzung, also Kegel mit der Dresdner Philharmonie, eingespielt sind hier die "Harmonie der Welt"-Sinfonie und die Pittsburgh Symphony.


    Insofern stehe ich selbst mit Hindemith noch eher am Anfang, bin aber durch deine Beiträge der letzten Zeit und die Kegel-Doppel-CD mittlerweile sehr neugierig auf mehr geworden. Und weshalb er heute (in den Konzertprogrammen) so schlecht wegkommt, erschließt sich mir auf Basis der Musik auch überhaupt nicht.


    Viele Grüße
    Holger

  • Der unbekannte Hindemith

    Die Blomstedt-Aufnahmen (Decca) habe und schätze ich auch. Diese sind durchweg auch den W.A.Albert-Aufnahmen vorzuziehen.


    Aber auch diese Blomstedt-Aufnahmen klingen für meinen Geschmack deutlich konservativer (und damit spannungsärmer) als das, was Bernstein (Mathis-Sinfonie, Weber-Metharmorphosen, Konzertmusik op.50) und Mrawinsky (Sinfonie-Harmonie der Welt) vorlegten.


    Interessant sind Holger´s Eindrücke zu Herbert Kegel. Bereits auf meiner Blacher-CD von BerlinClassics habe ich einen hervorragenden Eindruck gewonnen, dass er diese Zeitepoche voll drauf hat.




    So sehr man (ich auch) über die etwas sehr konservativen, oftmals emotionsarmen Albert-Aufnahmen (cpo) meckern kann ... aber sie bieten die Orchesterwerke von Hindemith eben komplett. Ich habe neben der cpo-Serie Nr.1-6 auch drei cpo-CD´s mit weiteren Hindemith-Werken:


    *** Klavier-Orchesterwerke: Vier Tempramente für Klavier und Streicher (1940) und das Klavierkonzert (1945) das von Sigfried Mauser/ RSO Frankfurt / W.A.Albert angemessen interpretiert wird:


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    CPO, 1989, DDD



    *** Komplette Cellokonzerte: Cellokonzert op. 3 (1916), Kammermusik Nr.3 für obligates cello und 10Soloinstrumente und das reife Cellokonzert (1940).
    David Geringas ist der gute Solist. Albert diesesmal mit dem Queensland SO.


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    CPO, 1996, DDD



    *** Ballettmusik: Der Dämon (1922) und Herodiade (1944)
    Diese beiden vollkommen unbekannten Werke sind nicht uninteressant (natürlich keine Feger wie die TOP-Stücke):



    CPO, 1992/3, DDD


    :thumbup: Die CPO - CD´s haben vorbildliche Texthefte, in denen man vieles über Hindemith und die Werke erfahren kann. Für das Verständnis und um überhaupt erst einmal das Interesse dafür zu wecken, finde ich das unerlässlich.

    ______________


    Gruß aus Bonn


    Wolfgang

  • Szell und Ormandy

    Neben Bernsteins fulminanten Aufnahmen (SONY und DG) möchte ich aber unbedingt auch die folgende SONY-CD mit der Mathis - Sinfonie (hier mit Ormandy/Philadelphia Orchestra) und besonders der Sinfonischen Metharmorphosen nach C.M.Weber (hier mit Szell / Cleveland Orchestra) nicht unerwähnt lassen. Diese CD wird hoch angemessen durch Waltons hervorragende Variationen über eine Thema von Hindemith (auch mit Szell einfach fabelhaft) ergänzt.



    SONY, 1962/64, ADD


    :D Lustig, das diese CD bei den amazonen NEU für über 75€ angeboten wird und als Gebraucht-CD verschenkt wird 0,01€ ... Hindemith, das sind in der Tat keine "Renner" ... 8+) verkannt und unterschätzt würde ich das nennen.

    ______________


    Gruß aus Bonn


    Wolfgang

  • Eine wirklich gute Aufnahme der Kammermusik Nr. 1, gekoppelt mit den anderen Kammermusiken und dem "Schwanendreher", ist bei jpc derzeit günstig zu haben; eingespielt hat sie Claudio Abbado mit Musikern der Berliner Philharmoniker


    Das ist eins meiner persönlichen Lieblingsstücke überhaupt!


    Als Aufnahme empfehle ich aber diese hier:



    ich habe mal in den hier genannten Aufnahmen in den Schlusssatz der 1. hineingehört (die kurzen Probeschnipsel, zugegebenermaßen), aber weder Abbado noch Chailly schaffen das mit der Präzision und dem "Groove" wie das Ensemble Modern, was der Musik mE erst den eigentlichen Reiz gibt!


    Gruß,


    Normann

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • In dem kleinen Seitenhieb gegen Richard Strauss (gemeint sind die Alpensinfonie und Don Quichote) deutet Hindemith an, wogegen sich seine Musik damals richtete.


    BTW: Die Xylophonstelle im ersten Satz soll - wie ich irgendwo mal gelesen habe (wahrscheinlich im Booklett der Ensemble-Modern-CD) - ein arg beschleunigtes Zitat aus einer R.-Strauss-Oper sein... ;+)

    zwischen nichtton und weißem rauschen

  • Es hat mich sehr überrascht und erfreut, dass es hier offenbar doch allerlei Interesse an Hindemiths Werken gibt! Herzlichen Dank für die vielen diskographischen Hinweise, von denen mir einige, nachdem ich Hindemith erst seit wenigen Wochen für mich entdecke, bisher unbekannt waren. Die Kegel-Doppel-CD habe ich gleich bestellt; sie ist heute angekommen, ich habe aber aufgrund eines akuten Schreibanfalls noch nicht reinhören können. Die Kegelaufnahme der Pittsburgh-Symphony und der Harmonie der Welt kannte ich schon, sie ist absolut großartig, um so mehr freue ich mich auf die neue CD.
    Das auch das Ensemble Modern Hindemiths 1. Kammerkonzert eingespielt hat, wusste ich auch nicht - das kann ja nur gut sein! Wo wir gerade bei Moderne-Spezialisten sind: die von mir hoch verehrte Susanna Mälkki hat mit der Jungen Deutschen Philharmonie eine wunderbare Aufnahme der Symphonie 'Mathis der Maler' gemacht. Aber ich hoffe ja, dass wir noch zu den einzelnen Werken die Aufnahmen detaillierter diskutieren können.
    Vielen Dank auch an Zwielicht für die Anmerkungen zur Hindemith-Rezeption in der Nachkriegszeit, die letztlich bei mir den erwähnten Schreibanfall ausgelöst haben und auf die ich in einem neuen Thread (zu) ausführlich antworte, um diesen hier für die Diskussion über die Musik frei zu halten.


    Sehr herzliche Grüße
    vom Don

  • Eine Gesamtaufnahme der Orchesterwerke erschien in den 90er Jahren bei cpo, Werner Andreas Albert dirigierte so illustre Klangkörper wie die Symphonieorchester von Sidney, Melbourne und Queensland, und es erscheint geradezu symbolisch, das es Orchester von der anderen Seite des Erdballs waren, mit denen diese Werke eingespielt wurden, als sich in Europa, auch im Jahr seines hundertsten Geburtstages 1995, offenbar nahezu niemand mehr für Hindemith interessierte. Über diese solide, aber kaum begeisternde Gesamtaufnahme hinaus sind viele Werke nur in historischen Aufnahmen, dirigiert von Furtwängler oder von Hindemith selbst, zu bekommen.

    Diese Gesamtaufnahme mal so eben en passant und mit einer Prise Ironie ("illustre Klangkörper") abzuqualifizieren halte ich nicht für angebracht. Sie ist für mich vielmehr eine Pioniertat allerersten Ranges, für die man als Hindemith-Begeisterter dem Label cpo nicht dankbar genug sein kann - denn wie Du schon bemerkt hast, sind viele von Hindemiths Orchesterwerken wenn überhaupt nur in historischen Aufnahmen zu bekommen.


    Ob man von einer Aufnahme nun "begeistert" ist oder nicht, ist eine sehr subjektive Angelegenheit (davon abgesehen stellt sich die Frage, ob Hindemith überhaupt mit seiner Musik "begeistern" wollte). Ich war jedenfalls begeistert, dass ich durch diese Gesamtaufnahme einige Orchesterwerke überhaupt zum ersten Mal hören konnte - bis dahin kannte ich sie nämlich nur aus Werkverzeichnissen.


    Wenn Du darauf wartest, dass heutzutage die erste Dirigenten- und Orchestergarde Werke von Hindemith einspielt, wirst Du wohl lange warten müssen, denn damit kann man weder Ruhm und Ehre noch Geld verdienen. Es werden - wenn überhaupt - nur einzelne Werke (Mathis der Maler, Nobilissima Visione, Symphonische Metamorphosen, Die vier Temperamente) oder Werkzyklen (Kleine Kammermusiken) eingespielt, bei allen übrigen wird die Luft schon erheblich dünner.


    Viele Grüße,
    Andreas


  • Die hier gelobten Hindemith-Aufnahmen mit Herbert Kegel kann auch ich nur nachdrücklich empfehlen. Ich bin vor ein paar Jahren nicht aus Interesse am Komponisten an sie geraten, denn den hatte ich als damals eher als dröge und langweilig abgespeichert. Kegels Lesart belehrte mich allerdings eines Besseren: Wie in anderen Fällen auch gelang es dem Dirigenten, die Partituren zum Glühen zu bringen, mit Spielfreude und Intensität des Ausdrucks eine lebendige Musik zu präsentieren, die ich Hindemith so gar nicht zugetraut hätte.


    Deshalb halte ich die Hindemith-Aufnahmen mit Herbert Kegel für einen geradezu idealen Einstieg in das Werk des zu wenig geschätzten Meisters!


    Die CPO-Aufnahmen kenne ich übrigens nicht.


    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz


    Wissen Sie denn nicht, daß die Menschen manchmal nicht auf der Höhe ihrer Werke sind?
    Jean-Paul Sartre


    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.

    Helmut Lachenmann

  • Ich finde auch, dass die CPO-Gesamtaufnahme Lob verdient hat - wer sonst hätte dass denn machen sollen? Das war eine breit angelegte Initiative in den 1980er und 1990er Jahren, alle Werke von Hindemith aufzunehmen: Bei CPO mit Werner Andreas Albert die Orchestermusik, bei MDG die "Sonaten" (mit dem Ensemble Villa Musica), bei Wergo die komplette Klaviermusik (fantastisch gespielt von Siegfried Mauser); von der Vokal- und Kammermusik erschien etliches bei MDG und Wergo. Das ganze wurde von Hindemiths Verlag Schott in Mainz und dem Hindemith-Institut unterstützt - was will man mehr? Nach all den meistens von mangelnder Kenntnis seines Werkes geprägten Vor-Urteilen war das erst mal eine Grundlage zur Kenntnisnahme und Diskussion des Werkes, zusammen mit seinen bei Schott edierten Schriften und Briefen genügend Informationsmaterial. Hindemiths Standpunkt, bestimmte Moden - sei es Strawinskis Innovationen oder Dodekaphonie - nicht mitzumachen, ist ein persönlicher, nachvollziehbarer und zu akzeptierender Standpunkt - ob einem das gefällt, ist eine andere Frage. Was bis zu diesen CD-Editionen aufgeführt wurde, war ja weder vollständig noch repräsentativ - dass dann ein Adorno kein emotionsloses Urteil fällen konnte, scheint mir plausibel, das konnte ohnehein niemand in der schwierigen Zeit nach dem Ende des II. Weltkriegs, wie der Eröffnungsbeitrag in dem sehr lesenswerten Band der Musik-Konzepte, den Don Fatale erwähnte, sehr anschaulich schildert - nach dieser Lektüre kann man Hindemith sein Verhalten in jenen Jahren nicht mehr verübeln.


    Hindemiths Orchestermusik speist sich meinem Eindruck nach aus der aktuellen deutschen Orchestermusik seiner Zeit, z. B. Strauss und vor allem Reger (wer kennt und/oder spielt heute dessen Orchesterstücke?), und der Grundausbildung an den vorbildhaften Musiken der Vergangenheit von Bach und auch Beethoven. Die täglichen Erfahrungen und Abarbeitung an Leben und Arbeit eines jungen Musikers am Anfang des 20. Jahrhunderts haben ihn ebenso geprägt, wie man an seinen Briefen lebhaft geschildert sieht. In diesen tritt einem ein sympathischer, zeitkritischer praktischer Musiker entgegen - seine Entscheidungen im Leben hat er sich nie leicht gemacht, als Mensch wie als Musiker.


    Die beim ersten Hören etwas nüchterne Interpretation Aufnahmen Alberts ist mir bei dieser Musik eher sympathisch - mir war Bernsteins CD zu über-emotional. Ich habe sie übrigens bei amazon verkauft und musste über zwei Jahre warten, bis sich ein Käufer fand - so viel zum Interesse an dieser Musik. Die meisten Dirigenten und Veranstalter machen es sich leicht und picken sich immer die gleichen angeblichen Rosinen aus dem Werk heraus.




    Giselher Schubert hat übrigens für die Festschrift zum 60. Geburtstag von Werner Andreas Albert eine sehr gute und ausführliche Einführung in das Orchesterwerk Hindemiths und das Aufnahmeprojekt geschrieben - scheint aber nur schwer aufzutreiben zu sein ...

  • Ob man von einer Aufnahme nun "begeistert" ist oder nicht, ist eine sehr subjektive Angelegenheit


    Da hst Du vollkommen recht. Es besteht aber doch in unserem Forum längst Konsens darüber, dass persönliche Geschmacksurteile subjektive Urteile sind. Völlig unnötig, immer wieder darauf zu verweisen oder permanente Demutsgebärden einzufordern.


    stellt sich die Frage, ob Hindemith überhaupt mit seiner Musik "begeistern" wollte


    Warum sollte er es nicht gewollt haben? Oder was sollte er sonst gewollt haben?


    Wenn Du darauf wartest, dass heutzutage die erste Dirigenten- und Orchestergarde Werke von Hindemith einspielt, wirst Du wohl lange warten müssen


    Was auch immer das sein soll, die "erste Garde". Ich würde mich jedenfalls freuen und fände es auch angebracht, wenn Dirigenten, die sich etwa intensiv mit Bartók oder Strawinsky beschäftigt haben, wie z.B. Boulez, Gielen oder Iván Fischer, sich auch einmal für Hindemith interessieren würden. Gergiev immerhin hat in Rotterdam 2008 einen ganz interessanten Mathis aufgeführt.


    Grüße
    vom Don

  • An einer Hindemith-CD kommt man sicher nicht vorbei (so man sie denn noch findet):


    [Blockierte Grafik: http://ecx.images-amazon.com/images/I/51lGxZT4vCL.jpg]


    Und zwar wegen der Sinfonie "Mathis der Maler" und der "Konzertmusik op.50" mit dem Boston Symphony Orchestra unter William Steinberg von 1979. Dies sind wohl immer noch die unangefochtenen Spitzenaufnahmen dieser beiden Werke, sowohl interpretatorisch wie klangtechnisch.


    Zusatz: Im Booklett steht, daß die Aufnahmen von 1979 sind, in Wahrheit sind sie aber wohl von 1971. Scheint zu stimmen, denn Steinberg starb 1978.

  • Volle Übereinstimmung! Die Steinberg/Boston Symphony Orchestra Aufnahme ist für mich absolute Spitze. Ich habe noch vier weitere Mathis der Maler Einspielungen (Paul Hindemith/ Berliner Philharmoniker, Blomstedt/ San FranciscoSO, Ormandy/Philadelphia und Salwallisch/Philadelphia), aber die mit Steinberg gefällt mir - mit Abstand - am besten. Hervorragende Interpretation (der 2. Satz Grablegung ist für mich wesentlich berührender als beim Hindemith Dirigat), Spitzenorchester, tolle Aufnahmetechnik.


    Ist bei Australian Eloquence neu aufgelegt und erhältlich.


    Beste Grüsse


    Gerhard

  • ...und nochmalige Übereinstimmung. Diese Aufnahmen sind auch für mich Spitze. Ich finde die Klänge, besonders beim Mathis und beim Konzert, sehr klar, durchsichtig und erfrischend, ohne viel Geschnörkel und Schmelz. Trotz vieler Alternativeinspielungen höre ich beim Mathis diese am häufigsten. Doch auch bzw. besonders beim Konzert für Streicher und Blechbläser, die Besetzung also ohne das sonst meist verbindende Holz, erlebe ich entgegen meinen damaligen ursprünglichen Erwartungen ein (ich wiederhole mich, da mir nichts passenderes einfällt) klares, erfrischendes und die beiden sehr entgegengesetzten Orchestergruppen verbindendes Klangbild. Tolle Stücke, tolle Einspielung - eine meiner wichtigsten Orchester-CDs.


    Uwe

    Wenn alle ein klein wenig verrückter wären, dann wäre die Welt nicht so durchgedreht.

  • Na, ein Glück, daß sich "australian eloquence" dieser Aufnahmen angenommen hat, sonst wären sie wohl verloren. Ich habe sie gerade nochmal angehört. Einfach nur perfekt. Die orchestrale Balance, die Transparenz und Detailgenauigkeit - so muß es sein. Gerade in der Mathis-Sinfonie ist es sehr wichtig, daß alle Stimmen klar voneinander abgegrenzt werden und sich kein klanglicher Mischmasch entwickelt, sonst wirkt das Werk nämlich nicht richtig. Die Blechbläser müssen markant und hart sein, die Streicher kompakt, die Holzbläser scharf, das Schlagwerk dominant. Steinberg weiß einfach, wie es gemacht werden muß.


    Hier die "australian eloquence"-Ausgabe:



    Das Bratschenkonzert "Der Schwanendreher" finde ich übrigens ziemlich nervtötend. Vielleicht liegt das aber auch nur an der Aufnahme mit Benyamini/Barenboim...

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