Friedrich Gulda: Konzert für Violoncello und Blasorchester – Eklektische Liebeserklärung ans Salzkammergut
Friedrich Gulda, geboren 1930 in Wien, gestorben 2000 in Weißenbach am Attersee, einer der großen österreichischen Pianisten des 20. Jahrhunderts, Grenzgänger zwischen von Anfang an Maßstäbe setzenden Interpretationen etwa von Beethovens Klaviersonaten und der lebenslangen persönlichen Suche im Jazzbereich, als Komponist Eklektiker zwischen allen Stühlen, erhielt 1980 Besuch vom 1951 in Gmunden geborenen aufstrebenden Cellisten Heinrich Schiff. Folgt man Friedrich Guldas Gesprächen mit Kurt Hofmann, in Buchform veröffentlicht bei Langen Müller (München 1990), wollte Schiff vor allem mit Gulda diverse Literatur für Violoncello und Klavier neu einstudieren. Gulda, der Ende der 50er Jahre das Gesamtwerk Beethovens für Cello und Klavier zusammen mit Pierre Fournier eingespielt hatte, zeigte kein Interesse daran, schrieb stattdessen aber ein Konzert für Violoncello und Blasorchester, das im Mai 1981 im Wiener Austrophon Studio mit Heinrich Schiff und dem Wiener Bläserensemble unter der Leitung des Komponisten für Schallplatte aufgenommen und am 5.10.1981 in Villach sowie danach gleich zweimal in Wien mit großem Erfolg uraufgeführt wurde. Auf der LP fand sich schließlich – kleiner Kompromiss Guldas – mit den Variationen über „Ein Mädchen oder Weibchen“ für Cello und Klavier doch noch etwas Beethoven.
Das etwa 30 Minuten lange Werk umfasst fünf Sätze. Neben dem Cellosolo und dem Blasorchester sind Gitarre, Jazz Bass, Kontrabass und Schlagzeug aufzubieten.
In der Ouvertüre werden drei kräftige Jazz-Funkrock-Abschnitte durch zwei alpenidyllische Zwischenspiele unterbrochen
Die Idylle des zweiten Satzes bietet als Rahmen eine noch breitere Alpenidylle, in die eingebettet zweimal ein Ländler und ganz in der Mitte eine große Cellokantilene erscheinen. Die große ausgeschriebene Cadenza verlangt dem Solisten auch zwei Improvisationspassagen ab, die erste mit der leeren A-Saite als Basis, über der man sich exzessiv austoben kann, die zweite mit Flageolett-Tönen.
Das ursprünglich 1965 für „Les Hommages“ komponierte Menuett, eine Art höfischer Tanz, spielt mit Elementen der melodischen Tonleiter, wodurch spielmannsartige Strenge oder auch eine Pavane assoziiert werden kann.
Und das Finale alla marcia kostet offenherzig Bierzeltfreude aus, wie sie im Salzkammergut alltäglich sein mag, nur zwischendurch unterbrochen von einem (Jazzrock-)Unwetter – auch damit kann man ja im Salzkammergut jederzeit rechnen.
Das unverblümte Ausspielen der Klischees österreichischer Volksmusik in diesem darüber hinaus durchaus virtuos angelegten eklektischen Konzertwerk schielt unverhohlen nach guter Laune, ohne die Grenze zum Seicht-Kommerziellen anzustreben. Gulda wollte damit ganz sicher ungleich mehr erfreuen als provozieren. Er hat keinen Genierer vor vordergründiger Gefälligkeit. Für den Solisten ist dies zudem ein vehement forderndes Bravourstück. Die Sätze 1, 2, 4 und 5 verlangen genaue Abstimmung zwischen Blasorchester und Solist, interpretatorische Unterschiede bei Aufnahmen kommen hier mehr im klanglichen Bereich zur Geltung, allenfalls auch in der Tempowahl. Die ganz persönliche Note kann und muss sich in der großen Cadenza des dritten Satzes entfalten. Hier offenbaren sich die unterschiedlichen Persönlichkeiten, wie sie den Bogen führen, welchen Ton ihr Cello hat, ob sie jazzoid fühlbare Elemente als solche wahrhaben wollen oder auch diese „als wären sie E-Musik“ anlegen. Bei Interpretationsvergleichen kann man vielleicht beobachten, inwieweit „die österreichische Mundart“ getroffen ist oder ob die Solisten bereit sind, sich auch dem Schmelz der Musik ganz hinzugeben.
Eine detaillierte Analyse der Komposition findet sich bei Friedhelm Flamme, „Der Pianist und Komponist Friedrich Gulda“ (Cuvillier Verlag, Göttingen 2006). Der Begleittext von Heinrich Schiff zur LP, nachzulesen auch in der CD-Erstveröffentlichung (hier zusammen mit Guldas „Concerto for Ursula“, Details siehe weiter unten), umschreibt das Werk als Liebeserklärung ans Salzkammergut, weniger musikanalytisch als vielmehr außermusikalische Assoziationen einfangend.
Die Schallplatte wurde ein kommerzieller Erfolg, und die Aufführungen im Lauf der nächsten Jahre brachten dem Solisten genauso wie dem dirigierenden Komponisten viel Publikumsjubel ein. Ich habe zum Beispiel ein Konzert am 24.5.1988 im Wiener Konzerthaus miterlebt, bei dem man auch gut sehen konnte, wie intensiv sich Schiff geradezu hineintigert bei den exzessiven Passagen und wie locker-lustig der Komponist Gulda als Dirigent mehr den bewusst die Pointierung der Musik verstärkenden Kasperl macht als „seriös“ das Orchester zu leiten. Zweifellos gehört zu diesem Werk auch ein gehöriges Maß an Sinn für Entertainment. Ein zweites Mal konnte ich das Werk am 19.7.2005 in der Bayerischen Staatsoper in München im Rahmen eines Gedenkkonzerts für den fünf Jahre zuvor verstorbenen Gulda live hören. Diesmal spielte Gautier Capuçon, und Guldas Sohn Paul dirigierte die Bayerische Kammerphilharmonie ganz in der „frechen“ Tradition des Vaters. Beide Male wurde die Aufführung bejubelt wie sonst bei Popkonzerten gejubelt wird.
Am 16.7.1988 spielte Heinrich Schiff das Konzert unter Guldas Leitung mit den Münchner Philharmonikern in der Philharmonie am Gasteig, diese Aufführung wurde für Videoverwertung festgehalten.
Ouvertüre:
"http://www.classicaltv.com/v1070/friedrich-gulda-concert-for-cello-and-wind-orchestra"
Weitere Ausschnitte daraus in der Fernsehdokumentation „So What?!“ mit einer Stellungnahme Guldas zur Zusammenarbeit mit Schiff:
"http://www.youtube.com/watch?v=TgpL74n7Ivs"
Wie kam es zum Zerwürfnis? Friedrich Gulda fand eine Nichtanerkennung des Dirigenten Nikolaus Harnoncourt für die Salzburger Festspiele 1988 (wieder nachzulesen in den Gesprächen mit Kurt Hofmann sowie bei Irene Suchy, „Friedrich Gulda Ich-Theater, Styria, Wien 2010) derart inakzeptabel, dass er beschloss, die Salzburger Festspiele zu brüskieren, indem er zusammen mit Harnoncourt ein von den Festspielen unabhängiges Fest zur Festspieleröffnung spielte, um danach seine angekündigten und von den Festspielen beworbenen und verkauften Festspielkonzerte abzusagen und stattdessen nach Ibiza zu fliegen. Weil Heinrich Schiff das in diesem Festspielsommer jedenfalls auch geplante Gulda-Cellokonzert nun durch ein Haydn-Konzert ersetzte, kam es zum Zerwürfnis zwischen Solist und Komponist, das weitere gemeinsame Aufführungen verhinderte.
Das Konzert hat sich mittlerweile längst losgelöst vom Originalinterpreten. Bis 2012 liegen als Noten-Kaufausgaben eine Taschenpartitur und ein Klavierauszug (Verlag Papageno) sowie (mindestens) elf CD Aufnahmen vor, dazu gab und gibt es vielfach weitere Konzertaufführungen des Werks, auch mit Rundfunkaufzeichnung (etwa bei NDR Kultur, im BR oder bei DRS 2).