"Flow" beim Musikhören

  • "Flow" beim Musikhören

    Liebe Freunde


    In letzter Zeit habe ich mich intensiv mit dem „erweiterten Hören“ beschäftigt. Dazu habe ich viel Literatur gelesen und selber natürlich auch ausprobiert. Heute möchte ich Euch meine Resultate mitteilen, dass vielleicht der eine oder andere mit profitieren kann.


    Ich spreche davon, die Musik in der Art zu erleben, in der sie auf mich persönlich am stärksten wirken kann. Mihaly Csikszentmihalyi gilt als herausragendster Wissenschaftler auf dem Gebiet des FLOW-Erlebnis. Ich stütze mich folgend auf seine Forschungen ab.


    Was ist Flow? Flow ist das völlig „aufgehen“ in einer Tätigkeit und löst unmittelbare Folgen im Körper aus. Beispielsweise sind Herzschlag, Atmung und Blutdruck völlig synchronisiert.


    Der Flow lässt mich völlig hingerissen dahstehen und alles um mich herum vergessen. Das schöne dabei ist: Es geht wie von alleine! Doch etwas Vorbereitung muss auch hier sein…


    Wie erreiche ich ihn?


    Csikszentmihalyi nennt drei wichtige Punkte:


    1. Die Aktivität hat deutliche Ziele. Das Ziel besteht in der unmittelbaren Rückmeldung in mir.
    2. Konzentration.
    3. Anforderung und Fähigkeit stehen im optimalen Verhältnis.


    Diese drei Faktoren müssen immer gegeben sein, damit sich ein Flow einstellen kann.



    1. Das Ziel


    Der erste schritt bildet das aktive Musikhören. Also ein konzentriertes Hinhören und kein oberflächiges Anhören. Es setzt voraus, dass man sich auf das Stück einlässt.. Wir begeben uns mit dem Stück zusammen auf eine Reise, einen Weg. Der Schluss des Stücks ist allerdings nicht unser Ziel beim Hören, sondern das, was dazwischen passiert. Das, was es in uns auslöst, unsere Resonanz, die Gefühle, die Farben und Bilder, die aufsteigen und und und…


    2. Konzentration


    Konzentration ist dann möglich, wenn einem die Tätigkeit gefällt und die Anforderungen gerade so hoch ist, dass sie meine volle Konzentration erfordert. Ich muss fähig sein, meinen Fokus einige Zeit lang auf etwas richten zu können, ohne abzuschweifen. Das ist recht gut trainierbar! Oft ist da auch keine bewusste Anstrengung dahinter, wenn mich das Stück interessiert, bin ich sowieso schon „voll dabei“! :P


    3. Anforderung und Fähigkeit stehen im optimalen Verhältnis.


    Der Flow bildet sich nur dann, wenn ich mich weder unterfordert („ich langweile mich…“) noch überfordert („im bin gestresst, ich ängstige mich…“) fühle.


    Dazu eine schöne Grafik aus dem Artikel zu Flow bei Wikipedia:



    [Blockierte Grafik: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e6/Flow.png]


    Um das zu testen, bin ich wie folgt vorgegangen:


    Ich habe mich gefragt, wo ich überfordert bin beim Hören. Das ist recht schnell möglich, hat aber immer etwas mit MIR zu tun. Sobald ich zu viel erwarte und ich dies oder jenes nicht heraushöre, stresse ich mich und dann bin ich auf der oberen Kurve. Das ist aber ein Flowkiller. Also zurück: Schritt für Schritt. Ersteinmal nichts erwarten vom Stück, einfach mal anhören.


    Aber halt! Meine Gedanken schweifen bereits schon ab, jetzt bin ich auf der unteren Kurve, und auch da ist kein Flow zu finden…also mehr, ich möchte ein bestimmtes Motiv heraushören und


    konzentriere mich erstmal voll darauf. Ein schönes Gefühl


    Die Schwierigkeit besteht darin, sich subjektiv immer so viel zu geben, dass man sich „in der Mitte“ der zwei Pole findet. Und das ist wahrlich sehr sehr individuell. Das aber macht die Musik auch so grossartig, jeder hört sie auf seine Weise anders…


    Liebe Freunde, habt ihr auch schon den Flow erlebt während des Hörens? Was meinst ihr, treffen diese obigen Punkte auch auf Euch zu? Seid ihr schnell „in der Musik“ oder braucht ihr –wie ich- einige Anlaufzeit bis der Groschen fällt?



    Ich bin gespannt über Eure Erfahrungen…


    Mauritius

  • Also ich find' flow beim MusikMACHEN schöner. Da muß ich mich nicht so auf's Konzentrieren konzentrieren... :D

    viele Grüße


    Bustopher



    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Ich muss fähig sein, meinen Fokus einige Zeit lang auf etwas richten zu können, ohne abzuschweifen.

    Ich gebe zu: Genaudas fällt mir beim Musikhören oft schwer, auch dann, wenn ich nichts sonst nebenher tue (lese, Capriccio studiere usw.). Auch im Konzert. Wünschen würde ich mir schon, mich besser auf Musik konzentrieren zu können. Vielleicht hängt es davon ab, worauf konkret man sich fokussiert. Z. B. auf die thematische Arbeit. Aber: Dann höre ich ein Motiv, ich überlege, wann vorher oder nachher es noch erscheint - oder ich überlege, wie dieselbe Stelle in einer anderen Interpretation klingt usw. usf. Es gibt viele Verführungen zur Ablenkung.


    Allerdings ist mir auch nicht ganz klar, was genau "Flow" in Bezug auf Musikhören bedeutet...


    Jedenfalls finde ich "richtiges" Hören verdammt schwer (für mich "richtig" heißt: aufmerksam der Musik zugewandt, alles ausschließend, was nichts damit zu tun hat...)


    Soweit ein paar ungeordnete Gedanken zum durchaus interessanten Thema.


    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz


    Wissen Sie denn nicht, daß die Menschen manchmal nicht auf der Höhe ihrer Werke sind?
    Jean-Paul Sartre


    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.

    Helmut Lachenmann

  • Stellt sich flow nicht immer dann ein, wenn man in der Sache aufgeht? Seine Aufmerksamkeit also gerade nicht auf die eigene Konzentration, Anstrengung oder momentane Leistung lenkt?

    viele Grüße


    Bustopher



    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Zitat

    Der im Verlauf dieses ersten Satzes immer mögliche Aufmerksamkeitsverlust des Zuhörers ist etwas, was mich nicht stört. Im Gegenteil. Es ist eben der Sinn des schubertschen Diskurses, die gerade Linie zu verlassen, zu schlendern, zu verweilen, um dann ohne Zwang, ohne besondere Entschlossenheit auf dem Weg weiterzugehen, den man letztendlich etwas zufällig gewählt hat.


    Der Pianist Philippe Cassard über Schuberts B-Dur Sonate (übrigens ist er ein vehementer Verfechter der Wiederholung der Exposition).

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Stellt sich flow nicht immer dann ein, wenn man in der Sache aufgeht? Seine Aufmerksamkeit also gerade nicht auf die eigene Konzentration, Anstrengung oder momentane Leistung lenkt?


    Just so ist es.


    :wink: Agravain


    P.S. Ich kann mir ein tatsächliches Flow-Erleben tatsächlich auch nur beim Musizieren selbst vorstellen. So erlebe ich es zumindest. Überhaupt bezieht sich Csikszentmihalyi mit dem Begriff eher auf ein aktives Tun. Musikhören gehört bei ihm - und da stimme ich aus meiner Perspektive auch zu - zu dem Feld des Medienkonsums, den er eher als passive Gestaltung der Freizeit deutet und zu dem Schluss kommt, das dieser nur wenig flow erzeugt. (vgl. vom Autor: Lebe gut! München 2001)


    :wink:

  • Hallo bustopher

    Stellt sich flow nicht immer dann ein, wenn man in der Sache aufgeht? Seine Aufmerksamkeit also gerade nicht auf die eigene Konzentration, Anstrengung oder momentane Leistung lenkt?


    Gute Frage. Ist das überhaupt möglich, sich auf das Konzentrieren zu konzentrieren? In der Regel braucht es doch irgendetwas, ein "Objekt", auf dem ich meine Konzentration lenken kann.


    Zum Üben im Flow gibt es übrigens diese schöne Dokumentation, vielleicht hast Du mal interesse, reinzuschauen: http://www.musikschulen.de/med…/mk03/referat_ag08_16.pdf


    Mauritius

  • Gute Frage. Ist das überhaupt möglich, sich auf das Konzentrieren zu konzentrieren? In der Regel braucht es doch irgendetwas, ein "Objekt", auf dem ich meine Konzentration lenken kann.


    Eben. Wenn ich aber das lese:


    Sobald ich zu viel erwarte und ich dies oder jenes nicht heraushöre, stresse ich mich und dann bin ich auf der oberen Kurve. Das ist aber ein Flowkiller. Also zurück: Schritt für Schritt. Ersteinmal nichts erwarten vom Stück, einfach mal anhören.


    Aber halt! Meine Gedanken schweifen bereits schon ab, jetzt bin ich auf der unteren Kurve, und auch da ist kein Flow zu finden…also mehr, ich möchte ein bestimmtes Motiv heraushören und konzentriere mich erstmal voll darauf.


    bin ich nicht beim Objekt, sondern ich reflektiere meine Reaktion auf das Objekt. Ich höre nicht (um im Beispiel zu bleiben), sondern ich beschäftige mich damit wie ich höre. Ich glaub' nicht, daß sich auf diese Weise flow erzwingen läßt.
    Läßt er sich überhaupt erzwingen? Eigentlich darf mir (wieder im Beispiel) gar nicht mehr bewußt sein, daß ich höre.


    Die angegebene Publikation kenne ich nicht, aber einige andere zu diesem Thema. Trotzdem danke.

    viele Grüße


    Bustopher



    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Hallo Agravain

    Überhaupt bezieht sich Csikszentmihalyi mit dem Begriff eher auf ein aktives Tun. Musikhören gehört bei ihm - und da stimme ich aus meiner Perspektive auch zu - zu dem Feld des Medienkonsums, den er eher als passive Gestaltung der Freizeit deutet


    Für mich kann Musikhören auch eine aktive Tätigkeit sein. Der Witz ist, die Musik eben unmittelbar aktiv und direkt zu erfahren. Sei es durch mitdirigieren oder durch sehr bewusstes hin-Hören, mit-Gehen oder mit-Erleben. Etwas Probleme bereitet mir dann die Qualifkation der Musikhörens als rein passive "Tätigkeit". Musik kann man sicher völlig passiv und ganz nebenher wahrnehmen, aber dann bleibt sie im Belanglosen hängen (Fahrstuhlmusik). Er wenn sie in mir etwas auslöst und meine Emotionen bewegt wird sie lebendig. Für mich ist ein aktives Musikhören -analog dem Schaubschen "Aktivhörer"- ein wichtiger Schritt in Richtung intensives Wahrnehmen.


    Wenn ich Dich nach einem wunderbaren Musikerlebnis frage, das bei Dir Spuren hinterlassen hat, wirst Du wahrschienlich ein Erlebnis schildern, das bei Dir Emotionen auslöste, oder?


    Mauritus

  • Hallo Mauritius,


    die Musik eben unmittelbar aktiv und direkt zu erfahren.


    ich fürchte, dass sich das für mich wie ein Widerspruch in sich liest. Wenn ich etwas erfahre, bin ich am Ende immer passiv, auch wenn ich mit hoher Konzentration daran gehe. Selbst wenn ich hochkonzentriert höre, dann bin am Ende nicht ich es, der die Musik gestaltet. Vielleicht gestalte ich ein wenig mit, vor allem im Bereich meines persönlichen Erlebens. Mehr aber auch nicht. Ich empfange sie, nehme sie an, gehe mit ihr mit, fühle, aber sie ist am Ende auch ohne mein Zutun da. Auch, um das Beispiel aufzugreifen, wenn ich mitdirigiere. ;+) Mein Dirigieren selbst hat am Ende keinerlei Effekt auf das musikalische Geschehen.
    Mache ich Musik selbst, so ist sie auch nur dann da, wenn ich sie mache. Will sagen: Dann sind Musik und Ich im Einklang - und dann heißt das Ganze entweder "flow" oder "Zen".
    Wobei ich natürlich hier nicht antrete, um Dich von Deiner Position in diesem Punkt abzubringen. Die meine präsentiere ich nur als Alternative.


    Wenn ich Dich nach einem wunderbaren Musikerlebnis frage, das bei Dir Spuren hinterlassen hat, wirst Du wahrschienlich ein Erlebnis schildern, das bei Dir Emotionen auslöste, oder?


    Ja, aber diese Emotionen waren immer, aber auch wirklich immer vom aktiven Gestalten, vom selbst klingen/spielen ausgelöst. Eine "Matthäus-Passion", eine Aufführung von Verdis "Requiem", ein gut gesungenes Lied usw. Die Qualität des Erlebens ist hier - das behaupte ich einfach ganz forsch - eine genaz andere (für mich, versteht sich).


    :wink: Agravain

  • Ich muß Agravain beipflichten: Flow-Erlebnisse hatte ich bisher immer nur beim Selbermachen, egal von was. Klar gibt es beim Musikhören intensive Erlebnisse, aber das habe ich immer als Begeisterung, innere Anteilnahme oder dergleichen empfunden, auch durchaus auch als Trauer und Bedauern, wenn es zu Ende ging, niemals aber als flow, so wie ich ihn bei intensiven (!) aktiven Tätigkeiten erlebt habe. Wenn Flow tatsächlich das Ergebnis der Ausschüttung von neurotropen Substanzen wie z.B. von Dopamin ist, wäre das auch theoretisch so zu erwarten, denn beim aktiven Musizieren sind sehr viel mehr Hirnareale und Nervenzellen aktiv, als beim reinen (wenn auch bewußten) Hören. Und gehöhrt zum Flowerlebnis nicht auch die erlebte Kontolle und Beherrschbarkeit über das Objekt im Sinne von ICH KANN DAS?
    Ist eine aktive Aufmerksamkeitslenkung nicht eher eine Art von Meditation?

    viele Grüße


    Bustopher



    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • Dann wäre jetzt die Gretchenfrage


    kann flow das Ergebnis von Meditation sein?

    viele Grüße


    Bustopher



    Wenn ein Kopf und ein Buch zusammenstoßen und es klingt hohl, ist denn das allemal im Buche?
    Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher, Heft D (399)

  • P.S. Ich kann mir ein tatsächliches Flow-Erleben tatsächlich auch nur beim Musizieren selbst vorstellen. So erlebe ich es zumindest.


    Ich muß Agravain beipflichten: Flow-Erlebnisse hatte ich bisher immer nur beim Selbermachen, egal von was.


    Ich behaupte, dass es sehr wohl ein aktives Musikhören gibt, das das Geschehen auf der strukturellen wie auf der emotionalen Ebene simultan verfolgt und teilweise sogar antizipiert. Ich behaupte ferner, dass man so auch in den Flow kommen kann.


    Man probiere es mit Celibidache und Bruckner.


    Wer ein Problem damit hat, dass seine Gedanken beim Musikhören abschweifen, der hört nicht aktiv. Der macht andere Dinge. Man versuche ohne Musik, mit geschlossenen Augen und in Stille (idealerweise mit einem elektronschen Wecker o. ä.) in gesteigerter Länge (eine, zwei, drei ... Minuten) gar nichts zu denken, noch nicht einmal, dass man gar nichts denken soll. Eine gute Übung. Dann genießt man Celi um so mehr.


    Wie sagt ein Capriccioso gerne: just my 5 cts.


    Gruß
    MB


    :wink:

    "Den Geschmack kann man nicht am Mittelgut bilden, sondern nur am Allervorzüglichsten." - Johann Wolfgang von Goethe

  • Tschuldige, aber mit Bruckner geht das bestimmt nicht (nicht bei mir jedenfalls) :wut2:

    Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum (Nietzsche)
    In der Tat spuckte ... der teuflische Blechtrichter nun alsbald jene Mischung von Bronchialschleim und zerkautem Gummi aus, welchen die Besitzer von Grammophonen und Abonnenten von Radios übereingekommen sind Musik zu nennen (H Hesse)
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    Im übrigen bin ich der Meinung, dass immer Sommerzeit sein sollte (gerade im Winter)

  • Dann wäre jetzt die Gretchenfrage


    kann flow das Ergebnis von Meditation sein?

    Erstmal muss man definieren, was Meditation ist und da es sehr verschiedene Formen von Meditation gibt, ist das für mich nciht ganz eindeutig zu beantworten.


    Es gibt Meditationsformen (z.B. Zen oder das Herzensgebet der russischen Mönche, der Rosenkranz und andere mantrische Meditationsformen) die abschweifende Gedanken möglichst minimalisieren wollen, indem sie den Geist auf einen ganz bestimmten Gegenstand kon-zentrieren. Das kann ein Gebet, ein Wort/Mantra (z.B. OM) oder ein Satz sein, aber oft ist es auch nur die Atmung ganz für sich allein genommen. Man konzentriert sich auf das Ein- und das Ausatmen und wenn die Gedanken abschweifen, bringt man sie immer wieder dorthin zurück. Es gibt aber auch eine ganz andere Meditationsform: die Achtsamkeitsmeditation, die aus der buddhistischen Vippassana-Tradition kommt Hier wird nichts ausgeschlossen sondern ganz im Gegenteil alle Gedanken und Gefühle, die sich im jeweiligen Moment zeigen, angenommen, betrachtet und beobachtet, ohne zu bewerten und ohne irgendetwas ändern zu wollen. Diese Achtsdamkeitsmeditation wurde von dem amerikanischen Arzt Jon Kabat Zinn und seinen Schülern für westliche Menschen zu einer serh wirksamen Therapie entwickelt und heisst "Mindfullness". Im Gegensatz zu vielen anderen Meditationsformen hat Mindfullness nicht a priori ein spirituelles Ziel sondern soll helfen, das Hier und Jetzt anzunehmen und ganz im Augenblick zu leben: weder Vergangenes widerkäuen, noch Zukunftiges befürchten und voraus-leben, sondern nur hier und jetzt einfach mit allen Sinnen da sein . Hier sehe ich durchaus Parallelen zum Flow, in dem man ja auch total im Augenblick aufgeht und damit befreit ist von der ewigen Wiederkäu- und Denkmaschine . Die Vippassana- Meditation kann zu grossen Glûcksmomenten fûhren, aber ich bin mir unsicher und eher skeptisch dass es sich dabei wirklich um dasselbe wie den hier gemeinten Flow handelt. Es gibt sicher Gemeinsamkeiten. Wenn der erfüllte Augenblick gleich der "Ewigkeit " ist, ist das der Flow?
    Das gewünschte Ergebnis von spiritueller Meditation z.B. im Buddhismus ist die sogenannte "Erleuchtung" oder "Erweckung" ein Zustand, der im Idealfall zu einem Freisein von allem irdischen Leiden führen kann und soll. (Wie auch die Vippassana-Meditation allerdings auf ganz anderem Weg und erstmal scheinbar im Gegensatz) Ob man diesen Zustand der spirituellen Erleuchtung als Dauerflow bezeichnen darf, weiss ich nicht, lasse mich aber gerne überzeugen, wenn es hier "dauerflowende Erleuchtete" geben sollte.


    Wer ein Problem damit hat, dass seine Gedanken beim Musikhören abschweifen, der hört nicht aktiv.

    Jeder Mensch, ausser den in irgendeiner Weise "Erleuchteten" hat ein Problem damit, dass seine Gedanken abschweifen, das liegt einfach in der Natur des Menschen. Man kann aber Musikhören als Meditation betreiben und sich immer wieder auf die Musik zurückkonzentrieren, wenn die Gedanken abschweifen, so als wâre sie das Mantra oder der Atem. Das kann man üben und darin grosse Fortschritte machen. Viele Musikhörer geniessen es aber gerade, sich nicht zu konzentrieren sondern von der Musik in Gedanken und Emotionen wegführen zu lassen- das wäre dann genau das Gegenteil der meditativ- aktiven Weise zu hören, die Mauerblümchen vielleicht meint? Und wenn sie dann emotionale Rauschzustände erleben, denken sie wahrscheinlich auch , das sei nun der Flow? Ganz schôn komplex, scheint mir!


    Ich kenne den Flow im musikalischen Tun aus eigener Erfahrung ziemlich gut und bisher habe ich ihn trotz regelmâssiger Meditationspraxis nur im Machen erlebt. Im gelungenen Musikhôren oder beim gelungenen Meditieren ist der Zustand für mich ein anderer, wenn auch nicht weniger intensiv und beglückend. Wie man die Unterschiede mit Worten beschreiben soll, weiss ich im Moment leider nicht. Es gibt gottseidank Dinge, die sich dem Wort schlicht und einfach verweigern. :fee:

    Jede Krankheit ist ein musikalisches Problem und die Heilung eine musikalische Auflösung (Novalis)

  • Zitat

    Tschuldige, aber mit Bruckner geht das bestimmt nicht (nicht bei mir jedenfalls)


    Bei mir auch kaum - höchstens mit dem langsamen Satz aus dem Streichquintett, aber den muss dann nicht unbedingt Celi dirigieren :D . -


    Generell kann ich mit neukreierten Anglizismen wie "Flow" oder auch "Mindfullness" zumindestens im Hinblick auf das Erleben von Kunst und Musik eher wenig anfangen. Mal packt es einen beim Hören (und vor allem Ausüben - diesbezüglich schließe ich mich gerne diversen Vorrednern an! ) wirklich, mal nicht. Das hängt zum einen mit der persönlichen Disposition zusammen - und zum anderen manchmal (weniger häufig) auch mit dem altehrwürdigen "Kairos", dem rechten Augenblick.

    Wenn es mich dann packt, handelt es sich um "Flow"? Ja, meinetwegen, aber ohne diesen Begríff würde ich mich nicht deutlich ärmer fühlen!


    Zitat

    Was ist Flow? Flow ist das völlig „aufgehen“ in einer Tätigkeit und löst unmittelbare Folgen im Körper aus. Beispielsweise sind Herzschlag, Atmung und Blutdruck völlig synchronisiert.


    Ja, mag ja sein, aber ein solcher Zustand stellt sich eben genau dann nicht ein, wenn ich ihn unbedingt um seiner selbst willen erreichen will....


    Beste Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Was ist Flow? Flow ist das völlig „aufgehen“ in einer Tätigkeit und löst
    unmittelbare Folgen im Körper aus. Beispielsweise sind Herzschlag,
    Atmung und Blutdruck völlig synchronisiert.

    Na ja, wenn ich mich völlig Musikhörend in ein Werk hineinsteigere-was schon mal vorkommt, früher häufiger als heute- dann ist bei mir gar nichts mehr synchronisiert.Es sei denn, es ist gemeint, daß Herzschlag, Atmung und Blutdruck hoch gehen,und das dann synchron............Nö, das ist irgendwie wohl nicht der Sinn.


    Habe gerade heute abend mal wieder Mahlers 1.Sinfonie gespielt, und wie immer dachte ich bei jedem Satz:"Warum haut er jetzt nicht rein, warum nimmt er noch einen Umweg? "
    Aber das ist gut so!


    Denn es gibt halt Beruhigungspunkte, die sind wichtig für die Ausführenden wie auch das Publikum...Momente, wo man innehalten kann, sich neu sammeln kann, durchaus auch mal kurz emotional durchatmen kann.
    Ich meine das rein dramaturgisch.


    Den Begriff "flow" mag ich auch nicht, ich schließe mich da Bernds Ausführungen an.


    Als Musiker habe ich in meinem Studium beim Amadeus-Quartett gelernt, mich kurzfristig sozusagen zu 150% zu konzentrieren.
    Also eine kurze Zeit alle Aufmerksamkeit zu moblisieren, welche möglich ist.


    Das würde ich aber nicht als "flow" bezeichnen.


    Bei einer Mahler-Sinfonie z.B. weiß ich aber ganz genau:Von hier aus muß ich mich 150% konzentrieren und hier kann ich mich kurz erholen..........Irgendwie so läuft das ab.


    Und für den Zuhörer gilt, so denke ich, dasselbe.


    Im Prinzip denke ich sogar, daß ein solcher sog. "flow" gar nicht erwartet und auch gar nicht erwünscht wird.


    Jedenfalls ein interessantes Thema, ich möchte es gar nicht negativ kommentieren, das sind nur meine ersten Gedanken dazu.


    Denn:
    Es gibt Werke, bei welchen ich mich für eine bestimmte Zeit (halt die Zeit der 150%) in einem solchen Zustand befand, als Hörer wie als Ausführender.
    Aber halt nicht durchgehend.
    Ich denke da an bestimmte Werke von Bach, Berg und auch John Foulds.....
    DAS hier ist solch ein Werk:


    "http://www.youtube.com/watch?v=fLR21wbcSnU"


    Und die Götterdämmerung habe ich die letzten 2 Stunden auch immer in Trance gespielt.
    Parzival sowieso.......Da gib es den alten Musikerjoke:


    Ich träumte, ich spiele Parzival.....und ich wachte auf und spielte Parzival.


    Gruß,
    Michael

  • Meine Vermutung:
    Man will nicht "meditativ" sagen, nicht, man handele "in Trance", denn das klingt so irrational und könnte einen ja des Spiritualismus verdächtig machen - also einen schönen neuen Anglizismus, das klingt smart, das klingt modern... So viel zu dem Wort.


    Zu der Sache: Beim Musikhören würde ich den Zustand tatsächlich "meditativ" nennen, der manchmal eintritt. Gerade mit Bruckner habe ich das schon öfter erlebt. Aber auch mit anderen, auch Beethoven - so ein Gefühl von Folgerichtigkeit bei jeder Wendung, als könnte es garnicht anders sein (wenn dieser Gedanke Platz hätte, wäre er da - aber es ist ja kein gedachtes Gefühl).


    Beim Musikmachen eher das, was "flow" genannt wird, speziell beim Improvisieren, aber auch beim reinen Nachspielen: da kann es sich dann so anfühlen, als entstehe das Werk erst in dem Moment, als wäre es selber eine Improvisation. Vielleicht daß ein Teil das Wissen um den Fortgang ausblendet und sich darüber freut, wie es weitergeht...

    Von hier aus muß ich mich 150% konzentrieren und hier kann ich mich kurz erholen.....

    So ist das wohl - in glücklichern Momenten empfinde ich die Konzentration dann nicht als Anstrengung, sondern als erfüllendes Spiel. Aber das läßt sich nicht erzwingen. Die Momente der Beruhigung dagegen sind, wenn es eine intensiv gefühlte Aufführung ist, eher noch konzentrierter - da wird dann jede millisekunde bedeutend - das ist gleichzeitig sehr wach und sehr hingegeben. Was zur Meditation fehlt, ist einfach das loslassen, denn es ist ja eher ein konzentrieres Halten der Spannung in jedem Moment. Also macht es vielleicht doch Sinn, ein neues Wort zu benutzen. Obwohl die Zen-meditation beim Bogenschießen schon eine ähnliche "aktive" Geschichte ist, wie ich vermute. Oder, wie es in "Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten" zu schildern versucht wird: Eine Versöhnung von aktiver und empfänglicher Haltung, von Technik und Gefühl. Nur sollte einen das Wort "Versöhnung" nicht verführen, an ein Übergewicht des Gefühls zu denken...


    Gruss
    Herr Maria

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht

  • ...Obwohl die Zen-meditation beim Bogenschießen schon eine ähnliche "aktive" Geschichte ist, wie ich vermute...


    Soviel dazu: Du bist ganz im Hier und Jetzt. Absolut auf das Ziel konzentriert. Absolute Präsenz über den Schuss hinaus. Die Spannung von Körper und Geist führt hin zum Ziel und wieder zu Dir selbst zurück. Sie ist immer. Die Wahrnehmung ist auf dem Punkt dessen was ich tue und dennoch herrscht absolute Achtsamkeit für die Umwelt, das was um mich herum geschieht. Höchste Achtsamkeit! Stille im Geist, stille im Körper!


    corda vuota

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