Bruckner: Sinfonie Nr. 9 d-Moll – Dem lieben Gott gewidmet

  • Schuberts h-moll ist ein komplexer Fall. Leute wie Ben Cohrs vermuten, dass das Rosamunde-Zwischenspiel das Finale dieser Sinfonie sein könnte und es gibt ja ein begonnenes Scherzo. Es scheint jenseits vernünftigen Zweifels zu sein, dass eine zweisätzige Sinfonie, insbesondere eine, die in der falschen Tonart endet, für Schubert (und nach Cohrs etc. entsprechend auch für Bruckner) undenkbar gewesen ist.


    Einfach die normative Kraft des Faktischen. Rattle wird ja auf dem Cover mit der Aussage zitiert, dass im Finale mehr Bruckner sei als Mozart im Requiem. Nur haben wir das Requiem eben von Beginn an in der komplettierten Fassung kennengelernt.

    Tout le malheur des hommes vient d'une seule chose, qui est de ne pas savoir demeurer en repos dans une chambre.
    (B. Pascal)


  • Das Bruckner-Handbuch ist ja 2010 herausgekommen und gibt damit vermutlich den Forschungsstand von ca. 2009 wieder. Die Rattle-Einspielung basiert aber auf der letzten Überarbeitung von Cohrs & Co., und ich meine, dass diese jüngeren Datums ist. Rattle hat sich ja auch erst aufgrund dieser letzten Fassung für eine Aufführung des Satzes entschieden, das sollte man berücksichtigen!


    BG,


    Christian

  • Schuberts h-moll ist ein komplexer Fall. Leute wie Ben Cohrs vermuten, dass das Rosamunde-Zwischenspiel das Finale dieser Sinfonie sein könnte und es gibt ja ein begonnenes Scherzo.

    Das mit dem Rosamunde-Zwischenspiel beruht auf Spekulationen. Das Scherzo ist begonnen, hört in der Partitur nach ein paar Takten auf (10, wenn das Gedächtnis hilft). Der Rest des Scherzos und die Hälfte des Trios ist skizzziert.
    Vom Finale existieren keine Skizzen, was ein paar Leute zu der Annahme geführt hat, Schubert hätte sie für Rosamunde zweitverwendet.


    Tatsache ist aber, Schubert hat die ersten zwei Sätze abgetrennt (dabei das erste Blatt des Scherzos, das auf der Rückseite des Andantes war von den weiteren orchestrierten Takten getrennt), nach Graz zu Hüttenbrenner verschickt (verschicken lassen) und sich nie wieder um die Symphonie gekümmert. Auch wenn er Finaleskizzen als Zwischenspiel für Rosamunde umfunktioniert hätte, würde es eher den Tatbestand verstärken, daß er mit der Symphonie abgeschlossen hatte.

    Es scheint jenseits vernünftigen Zweifels zu sein, dass eine zweisätzige Sinfonie, insbesondere eine, die in der falschen Tonart endet, für Schubert (und nach Cohrs etc. entsprechend auch für Bruckner) undenkbar gewesen ist.

    Ist unbestreitbar. Unbestreitbar ist auch die Tatsache, daß man damals in Konzerten einzelne Symphoniesätze spielte.
    Schubert hat D759 nicht als "abgeschlossene Symphonie" betrachtet, hat aber deutlich gemacht, daß das Werk in seinen zwei Sätzen ein abgeschlossenes Werk ist (wie z.B. Schlegels Roman Lucinde, das unvollendet publiziert wurde). Ob Schubert eine Art Fragmentästhetik im Sinn hatte, darüber läßt sich auch nur spekulieren.
    Fakt ist, daß er nach dem unvollendeten Werk einen Schlußpunkt gesetzt hat. In diesem besonderen Fall. Nicht im Fall der Reliquie oder anderen unvollendeten Werken.


    Bei Mozarts Requiem und Bruckners Neunten ist es anders. Der Komponist hat sich nicht faktisch damit abgefunden, daß das Werk unvollendet war. Deshalb kann man bei Bruckner die Kraft des Faktischen bedauern. Genauso wie mit der Reliquie. Wer sie zweisätzig spielt, vollendet sie künstlich, indem er suggeriert, nach dem Andante käme nichts mehr. Wer sie wenigstens mit dem aufführbaren fragmentarischen Menuett gehört hat (Klavierskizzen haben diesen Vorteil), weiß, daß es sich anders verhält.

    Alles, wie immer, IMHO.

  • Seid so gut und führt die Diskussion über Schubert an anderer Stelle fort - eigener Thread? Das hier ist sonst später kaum noch auseinanderzufieseln.


    Danke.
    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz


    Wissen Sie denn nicht, daß die Menschen manchmal nicht auf der Höhe ihrer Werke sind?
    Jean-Paul Sartre


    Der Kunstschaffende hat nichts zu sagen - sondern er hat: zu schaffen. Und das Geschaffene wird mehr sagen, als der Schaffende ahnt.

    Helmut Lachenmann

  • Hallo Faktensucherin, wenn ich richtig recherchiert habe, gibt es zu Schuberts h-moll-Symphonie noch keinen eigenen Thread. Wenn Du willst, dann mach doch einen auf :)

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • Is ja unglaublich, man merkt doch, das zu dem Stück noch längst nicht alles gesagt ist, Irrtümer und Legenden ohne Ende, genau wie bei Bruckners Neunter, und wie ich auch bei Lektüre dieses Threads bemerke, ein beachtlicher Unwillen bei manchen, wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse der Quellenforschung zu akzeptieren. Um mal den Bogen zurück zu Bruckner zuschlagen.

  • Nun, ich bin mir vorerst noch im Unklaren, welche Irrtümer und Legenden Du konkret meinst. Das ließe sich sicher vertiefen - also nur zu.


    Beste Grüße aus dem "Umfeld von Hannover".

  • Bei Schubert zum Beispiel das Argument, er habe das Fragment selbst aus der Hand gegeben und somit Aufführungen indirekt gestattet. Als Beweis dient jedoch nur ein angebliches Widmungsschreiben Schuberts an den Steyermärkischen Musikverein. Allerdings wurde dieses von der Schubert-Forschung als Fälschung Hüttenbrenners entlarvt (siehe Schubert-Lexikon; siehe auch das Vorwort zur Partiturausgabe von Scherzo und mutmaßlichem Finale von Cohrs). Wenn schon der angebliche "Hauptbeweis" gefälscht ist , bleibt von dem ganzen Lügengebäude um die vollendete Unvollendete nichts mehr übrig. Und das Leute über Bruckners Finale immer noch als einem unzusammenhängenden Haufen von Skizzen sprechen, obwohl die Faksimileausgabe unwiderlegbar beweist, daß es sich um eine von Bruckner selbst Bogen für Bogen durchnumerierte, "Im Entstehen begriffene Autographpartitur" (Philipps) handelt, ist mir überhaupt nicht verständlich. Entweder man will es nicht wissen, oder man versucht eigenwillig, Legenden am Leben zu erhalten. Warum auch immer. :D

  • Zur Faktenlage der Entstehungsgeschichte von Schuberts "Unvollendeter" gibt es neuerdings dieses: Schuberts h-moll Symphonie D759 "Die Unvollendete" - Fakten und Versuch einer Deutung.


    :wink:

    Es grüßt Gurnemanz


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    Helmut Lachenmann

  • Bruckners Neunte als Bühnenaufführung

    Hallo Freunde


    Ich bin zufälligerweise über die Seite bruckners-neunte.de gestolpert. Offenbar sind Herr Marthé und W. Legenstein daran, die neunte Sinfonie in einer umfassenden Neuversion auf die "Bühne zu bringen". Habt Ihr schon davon gehört?


    Mauritius

  • Habt Ihr schon davon gehört?


    Nein, danke für den Hinweis - zumindest für Diskussionsstoff ist dann gesorgt ;+)


    Klingt interessant: Bruckner multidimensional :D


    :wink: :wink:


    Christian

    Rem tene- verba sequentur - Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen

    Cato der Ältere

  • wenn ich das richtig sehe, hat es auf der Seite seit 2010 keine Änderungen gegeben. Ich denke, daß das Projekt aktuell auf Eis liegt, aber vielleicht fragt ja jemand mal beim "putstone" nach?

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  • Bemerkenswert ist natürlich, daß hier die viersätzige Fassung, also mit rekonstruiertem Finale, geboten wird. Rattle (laut JPC-Werbetext): „Alles, was an diesem Finale merkwürdig ist, ist 100% Bruckner. Und wir sehen hier den Schrecken, die Furcht und die Passion, die er zu dieser Zeit durchlebte.“

    Bemerkenswert ist natürlich auch, dass Rattle und die Berliner B9 in Baden-Baden im Frühjahr 2013 leider nur in der dreisätzigen Fassung spielen werden... :huh:

    “I think God, in creating man, somewhat overestimated his ability."
    Oscar Wilde

  • Bemerkenswert ist natürlich auch, dass Rattle und die Berliner B9 in Baden-Baden im Frühjahr 2013 leider nur in der dreisätzigen Fassung spielen werden... :huh:


    Es tut sich wieder etwas in Sachen "Finale" :D :D :D
    Mehr dazu demnächst an dieser Stelle.
    Dieses Forum bzw. dieser Thread wird in Kürze wieder richtig Zündstoff bieten, und im Gegensatz zu 2006 bin ich mir absolut sicher, daß es bei Capriccio ganz ganz spannend zugehen wird und es tolle Diskussionen geben wird.

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  • [...]




    Liebe Capricci,


    die folgenden Beiträge wurden gelöscht, da es sich hier um Inhalte handelt, die Gegenstand eines möglichen Rechtsstreites sein könnten. Bei Rückfragen wendet Ihr Euch bitte an den Vorstand. Von Anfragen im Thread bitten wir abzusehen.


    Für die Moderation:


    Caesar73





  • Presseinfo, April 2013
    Johannes Wildner & Nürnberger Symphoniker:
    Neuer Blick auf Bruckners Neunte
    Johannes Wildner dirigiert am 13.04.2013 in der Meistersingerhalle zu Nürnberg Bruckners Neunte Sinfonie mit dem rekonstruierten 4. Satz. Es spielen die Nürnberger Symphoniker.
    Wien/Nürnberg. „Die Musik von Anton Bruckner, deren Pflege mir besonders am Herzen liegt, ist von ihrer Quellenlage her ein besonders schwieriges, aber dadurch auch besonders interessantes Gebiet“, so Johannes Wildner, der sich gemeinsam mit den Nürnberger Symphonikern der 2012 letztgültig revidierten Aufführungsfassung von Samale-Phillips-Cohrs-Mazzuca widmet. „Bruckners Eigenart, fertige Kompositionen immer wieder in Frage zu stellen und zu verändern, stellt uns ständig vor die Frage, was sein wirklicher kompositorischer Wille gewesen war und was er aus Gründen der Erfüllung des Zeitgeschmacks oder um seine Musik leichter spielbar zu machen selbst verändert hat – oft gegen seine ursprüngliche Absicht.“ Eine Werkeinführung vor dem Konzert mit Dr. Johannes Wildner, Dr. Benjamin-Gunnar Cohrs und dem Orchester vermittelt die neuesten Ergebnisse der Bruckner-Forschung. „Einer der Kernpunkte meiner Arbeit ist, die Geschichte der Klangästhetik der österreichischen Musikkultur angesichts der neuen Erkenntnisse nicht über Bord zu werfen, sondern mit den aus dieser Entwicklung resultierenden Veränderungen harmonisch zu verbinden“, erklärt Wildner, der an der Neuen Bruckner Gesamtausgabe der Verlagsgruppe Hermann unter der Editionsleitung von B.G.Cohrs mitarbeitet, die in den kommenden Jahren erscheinen wird. „Ich sehe es als eine wichtige Säule meiner Arbeit, durch die Berücksichtigung dieser Erkenntnisse die Bruckner-Interpretation mit dem neuesten Stand der Forschung zu harmonisieren.“
    Johannes Wildner steht regelmäßig am Pult großer Orchester wie des London Philharmonic und des Royal Philharmonic Orchestra London, der St. Petersburger Philharmoniker, des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, der Dresdner Philharmoniker, des Orchestra Sinfonica Siciliana (Palermo), des Bergen Philharmonic Orchestra, der Wiener Symphoniker, des Tokyo Philharmonic, des China und des Hongkong Philharmonic oder des Shanghai Symphony Orchestra.
    Er nahm über 60 CDs, DVDs und Videos auf. 2013 erscheint bei Warner Classics seine Aufnahme mit Beethovens Violinkonzert (Solist: Alexandre Da Costa) und Beethovens 7. Symphonie mit dem Taipei Symphony Orchestra.
    Ab 15. 04. 2013 leitet Johannes Wildner die CD-Aufnahme (Dutton Records) von W. Braunfels´ Klavierkonzert, Ariels Gesang und die Scottish Fantasy mit dem BBC Concert Orchestra London.
    Termin:
    13. April 2013, 20:00 Uhr, Meistersingerhalle, Nürnberg
    Johannes Wildner, Nürnberger Symphoniker: Anton Bruckner - Symphonie Nr. 9 d-Moll WAB 109 (Viersätzige Aufführungsfassung Samale, Phillips, Cohrs & Mazzuca)
    Weitere Infos: http://www.nuernbergersymphoni…/kon_det.php?KonDetID=821


    Vorschau:
    30. 04. 2013
    Litauen - Klaipedas Chamber Orchestra - Beethoven: Klavierkonzerte Nr. 1 – 5
    Infos: http://www.koncertusale.lt/en/repertoire/date/2013-04-30/

    26. 05 2013
    Wiener Symphoniker, Musikverein Wien, Großer Saal: Klassik Hits – Mozart.
    Infos: http://www.wienersymphoniker.a…/pid/000000e9h58h0001c455


    Pressefotos / Biografie / Infos:
    http://www.johanneswildner.com

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  • Ich weiß nicht, wie viele Neunte ich von Bruckner habe; es sind sicher ein paar Dutzend; aber meine liebste Aufnahme bleibt meine erste: Die von Keilberth mit dem PSH von 1960 (1990 auf CD)!!!

  • Hallo Yorick , die von 1960 ist diese in verschiedenen Ausgaben, oder ?
    Wenn ja, welche ist vom Klang besser !




    LG palestrina

    „ Die einzige Instanz, die ich für mich gelten lasse, ist das Urteil meiner Ohren. "
    Oolong

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