Die Elbphilharmonie - Groschengrab, Musentempel, Zukunftsvision... ?
Gestern konnte man der Presse entnehmen, dass der Bau der Elbphilharmonie in Hamburg weitere 200 Millionen € verschlingen wird. Damit sind die Baukosten von ursprünglich angenommenen 77 Mio € auf 575 Mio €, also auf mehr als das Siebenfache gestiegen, bezahlt zum großen Teil von der Stadt Hamburg und damit aus Steuermitteln. Auch wenn (oder weil?) ich mich leider auf dem Gebiet der Kulturfinanzierung nicht wirklich auskenne, hat diese Nachricht bei mir ein mittelstarkes Magengrummeln ausgelöst, gefolgt von einigen Fragen, die ich hier zur Diskussion stellen möchte:
1. Wie muss man das Projekt und die damit verbundene Kostenexplosion bewerten? Warum war ein richtungsweisender, wenn auch kleinerer Bau wie die Berliner Philharmonie für umgerechnet etwa 20 Millionen € zu haben (edit: glücklich ist, wer rechnen kann: die Philharmonie Berlin wird auf 23,5 Mio D-Mark geschätzt, also etwas mehr als 12 Mio €!), während die Elbphilharmonie (zugegebenermaßen angereichert mit Restaurants, einem Hotel und mehr) nicht mal mehr ansatzweise in dieser Preisklasse zu finden ist? Wird ein neuer Konzertsaal in Hamburg so dringend gebraucht? Wird hier ein Wahrzeichen gebaut, das die Jahrzehnte überdauern und im Rückblick alle Kostenfragen kleinkariert aussehen lassen wird?
2. Wie würdet ihr die Programmgestaltung (und damit den Zweck des ganzen Projekts) und die Konzertfinanzierung bewerten? Die Konzerte werden veranstaltet werden von der HamburgMusik gGmbH, also einer gemeinnützigen GmbH, die lt. Wikipedia damit ähnlich einer Stiftung behandelt wird. Steuerlichen Erleichterungen steht die Pflicht zu gemeinnützigem Handeln gegenüber. Dazu gleich mehr.
Die HamburgMusik gGmbH veranstaltet sowohl die Konzerte in der Laeiszhalle, wie auch die in der Elbphilharmonie. Wenn ich online nicht total geschielt habe, scheint bei beiden Standorten das Augenmerk auf großen und größten Namen zu liegen, die ein gut betuchtes Publikum ansprechen, das dem Kunstgenuss in konventionellen Aufführungssituationen mit relativ konventionellem Programm frönt. Ich bin da voreingenommen, mich öden solche Konzepte ziemlich an. Andererseits finde ich die Vorstellung interessant, dass irgendeine Stadt einem sich später selbst finanzierenden Konzertveranstalter mit neuen Konzepten/ Zielgruppen/ Programmideen etc. einen 575 Mio € teuren Tempel baut. Oder auch nur einen der halb so teuer ist... oder ein viertel...
Um sich die steuerlichen Vergünstigungen zu verdienen, gibt es von der HamburgMusik gGmbH selbstverständlich ein mächtiges Educationprojekt mit dem Namen "Kompass". Der Facebook-Account der anhängigen ElbCommunity verzeichnet nach mehreren Jahren ganze 42 Likes, aber das ist vielleicht meinem bösen Blick geschuldet. Auf der anderen Seite lesen sich die Protokolle zu Künstlerbesuchen in Schulen (na gut, größtenteils Gymnasien, oder sogar Schulorchester und Musikkurse, also die, die schon auf der richtigen Spur sind, aber was soll's...) ganz spannend und vermitteln gute Ergebnisse. Interessant finde ich in dem Zusammenhang auch die öfter auftauchende Kritik der Jugendlichen, dass Klassik wenige Experimente durchmachen sollte und besser in einem "elitären" Rahmen stattfinden sollte. So gesehen schließt sich da ja der Kreis zum Aufführungsambiente des Veranstalters.
Wie bewertet ihr den wohltätigen Charakter des Projekts? Ist das notwendiges Übel um Steuern zu sparen? Oder Altruismus? Oder echte Sorge um den Nachwuchs?
Hier noch ein paar links zum Nachlesen:
SPIEGEL online-Artikel: "http://www.spiegel.de/kultur/musik/elbphilharmonie-in-hamburg-nochmal-200-millionen-euro-teurer-a-873013.html"
Kosten Berliner Philharmonie: "http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46172387.html"
Organisationsmodell Elbphilharmonie: "http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Organisationsmodell_Elbphilharmonie.png&filetimestamp=20100616100651"
HamburgMusik gGmbH: "http://www.landesmusikrat-hamburg.de/index.php/landesmusikrat-hamburg/mitglieder/335-hamburgmusik-ggmbh.html"
Daniel