Haydn, Joseph: Symphonie Es-Dur Hob.I:91 (Huss 93)

  • Haydn, Joseph: Symphonie Es-Dur Hob.I:91 (Huss 93)

    Man nehme ein klassisches Symphonieorchester mit Streichern, Holzbläsern und wenn man es etwas kräftiger haben möchte auch mit Pauken und Trompeten, experimentiere ordentlich mit der Form herum, bis man sich auf vier Sätze als Standard festlegt, biete einen schnelleren ersten Satz an, wenn man will mit langsamer Einleitung, dann mit Sonatenhauptsatzform (Exposition mit Hauptthema und Seitenthema sowie vielfach mit eigener Schlussgruppe, Wiederholung der Exposition, Durchführung mit Themenverarbeitung, Reprise mit oft leicht veränderter Wiederholung der Exposition), danach einen langsameren Satz (kann wieder Sonatensatzform haben, aber auch dreiteilige Liedform, gerne auch Variationen über ein meist recht eingängiges Thema), danach ein Menuett mit integriertem Trio (meist tänzerisch, im Dreiertakt) und schließlich ein Finale (praktisch ist hier ein markantes Thema, dann am besten Sonatensatz mit Rondoelementen mischen) und komponiere über einhundert Symphonien, und die sollen so abwechslungsreich klingen, dass sie auch noch nach 250 Jahren gerne gehört werden und jede für sich so inspiriert wirkt, auch exponiert als außergewöhnlich wahrgenommen zu werden.

    Joseph Haydn (1732-1809) konnte das (und er konnte kompositorisch noch viel mehr, wie man weiß). Das Reizvolle beim Kennenlernen so einer Haydn Symphonie (vielleicht auch beim Wiederhören nach längerer Zeit) mag neben dem hoffentlich möglichst erbaulichen Durchhören auch ohne weitere Gedanken (warum nicht?) das Augenmerk auf Haydns Umgang mit den Formen sein, auf seine jeweils „neue“ Idee des Werks. Gibt es diesmal eine langsame Einleitung zum ersten Satz? Welchen Charakter hat das Hauptthema? Erkennt man deutlich das zweite Thema? Wiederholen sie bei der gerade gehörten Interpretation die Exposition? Wie verarbeitet Haydn die Themen in der Durchführung? Was verändert er gegenüber der Exposition in der Reprise? Welche Form wählt er für den zweiten Satz? Wenn es Variationen gibt – wie wandelt er das Thema ab, wie setzt er die Instrumente ein? Ist das Menuett mehr tänzerisch leicht oder mehr symphonisch angelegt? Wie kontrastiert das Trio dazu? Spielt im Trio das eine oder andere Holzblasinstrument solistisch? Wird das meist markante Thema des Finalsatzes Ausgangspunkt eines Sonatensatzes, oder tendiert der Satz mehr zum Rondo mit mehreren Teilen dazwischen? Welche Überraschungen hat sich Haydn bei dieser Symphonie einfallen lassen, unerwartete Generalpausen, Orchesterschläge, „lustige“ Effekte?

    Haydns Symphonie Es-Dur Hob. I:91 (Huss 93), ohne Pauken und Trompeten komponiert, gehört zu den fünf Symphonien zwischen den berühmten „Pariser“ und „Londoner“ Symphonien. Die drei Symphonien Hob.I:90, 91 und 92 komponierte Haydn 1788/89 auch für Paris, verkaufte sie aber nichtsdestotrotz noch einmal an einen Fürsten.

    Eine genaue Werkeinführung findet man bei wikipedia:
    "http://de.wikipedia.org/wiki/91._Sinfonie_%28Haydn%29"

    Was mir so einfiel beim Hören für den Capriccio Thread...

    Beim ersten Satz (Largo – Allegro assai) mag man speziell auf eine chromatisch absteigende Tonfolge am Ende der Largo-Einleitung aufpassen, denn die geht nahtlos über in eine umgekehrt aufsteigende chromatische Tonfolge, mit der das Hauptthema anhebt. In dieser Symphonie ist es besonders reizvoll, ein zweites Thema zu „suchen“. Haydn bietet allerlei „Partikel“ dazu an. Gibt es überhaupt ein zweites Thema? Für harmonische Feinschmecker sei auch auf das Ende der Exposition verwiesen, wo von Des-Dur über es-Moll, f-Moll und F-Dur zu B-Dur, also zur Dominante, moduliert wird. Was Haydn zur Durchführung und zur Reprise einfällt – dies zu entdecken lohnt auch einmal mehr.

    Das B-Dur Andante des zweiten Satzes bietet Variationen über ein Thema, welches man (oberflächlich betrachtet) als verwandt mit dem berühmten Thema des zweiten Satzes aus der „Symphonie mit dem Paukenschlag“ (Hob. I:94) bezeichnen könnte. Hier heißt es Haydns Orchesterfarben zu genießen, es gibt unter anderem eine schöne Fagottvariation.

    Im Menuet (Un poco Allegretto) weitet sich der zweite Teil symphonisch ganz schön aus, und das Trio kontrastiert als Ländler dazu.

    Einmal mehr schließt eine Haydn Symphonie mit einem spritzigen Finale (Vivace) ab, ein ziemlich deutlich durchhörbarer Sonatensatz.

    Empfehlenswert ist sicher die Aufnahme mit Simon Rattle.

    Ich konnte das Werk in einer anderen Aufnahme hören.

    Karl Böhms Aufnahme mit den Wiener Philharmonikern, im Rahmen seiner Haydn Symphonien Aufnahmen von Hob. I:88 bis Hob. I:92 (plus Sinfonia concertante Hob. I:105) im September 1973 im Großen Wiener Musikvereinssaal für DGG LP eingespielt (gehört von der 50 CD Box „Wiener Philharmoniker Symphony Edition“ DGG 00289 479 0718, es dürfte die erste CD Veröffentlichung dieser Aufnahme des Werks sein), präsentiert das typische harmonisierende klangschöne Wiener Orchesterklangbild, vielfach vielleicht etwas zu gemütlich (Menuet!), aber hörbar mit liebevoller Hingabe an die Musik interpretiert. Die Haydnschen Klangfarben kommen auf jeden Fall wunderschön zur Geltung. Die Symphonie dauert bei Böhm ca. 27 ½ Minuten lang.

    Vielleicht möchte jemand etwas zum außergewöhnlichen Kontrapunkt im ersten Satz schreiben, zu anderen Aufnahmen, zum Werk allgemein, zur Stellung der Symphonie in Haydns Gesamtschaffen - worüber auch immer im Zusammenhang mit dieser Symphonie, dieser Thread lädt hiermit dazu ein.

    Herzliche Grüße
    AlexanderK

  • Bei der Sinfonie Nr. 91 gibt es neben der von Dir bereits genannten - höchst empfehlenswerten - Berliner Philharmoniker-Einspielung mit Sir Simon Rattle noch eine weitere erwähnenswerte neuere Aufnahme: nämlich mit René Jacobs und dem Freiburger Barockorchester (rec. 2/2004):

    Mir fehlt leider momentan sehr die Zeit, Näheres hierzu zu schreiben. Vielleicht demnächst einmal. Aber vorab möchte ich schon mal die Spielzeiten der beiden Aufnahmen nennen (ohne jetzt geprüft zu haben, ob die signifikanten Unterschiede zwischen Rattle und Jacobs im 1. und im 4. Satz auf unterschiedlicher Handhabung von Wiederholungsvorschriften beruhen):

    1. Satz (Largo - Allegro assai): 7:28 (Rattle) / 9:45 (Jacobs)
    2. Satz (Andante): 7:03 (Rattle) / 7:01 (Jacobs)
    3. Satz (Menuetto: Un poco allegretto - Trio): 3:26 (Rattle) / 3:17 (Jacobs)
    4. Satz (Finale: Vivace): 5:03 (Rattle) / 7:10 (Jacobs)

    «Denn Du bist, was Du isst»
    (Rammstein)

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