Händel - Dixit Dominus, HWV 232
Liebe Capricciosi,
ein relativ außergewöhnliches Stück Musik stellt der Psalm 110, das "Dixit Dominus", von Georg Friedrich Händel dar.
Als ich es vor einigen Monaten im Radio hörte - ich hatte die ersten Minuten verpasst und wusste nicht, was und von wem es ist - dachte ich so bei mir: Wer hat denn so einen Mist geschrieben? Ich fand das qualitativ gar nicht überzeugend, mir ging dieser Musikstil ziemlich auf den Senkel. Als dann die Ansage kam "Händel Dixit Dominus", wunderte ich mich schon sehr, dass das aus der Feder des großen Händel kommen sollte. Ich hätte eher auf einen unbekannten Italiener getippt.
Nun, meine Meinung über das Stück hat sich glücklicherweise zum Positiven gewandelt. Sonst hätte ich wahrscheinlich auch nicht diesen Thread gestartet.
Entstehung:
Meine oben beschriebene Vermutung, dass das Stück von einem Italiener kommt, war auch gar nicht so verkehrt. Denn die Einflüsse, die Händel auf seiner dreieinhalbjährigen Italienreise bekam, spiegeln sich auch deutlich in diesem Stück wieder. In Italien komponierte Händel hauptsächlich Opern. Warum er dann ausgerechnet ein geistliches Werk schrieb, weiß man nicht genau. Es könnte eine Bestellung des Kardinals Colonna für die Vesper am Fest der Madonna del Carmine gewesen sein. Österlich-gregorianische Themen lassen aber auch die Vermutung zu, dass das Werk für die Ostermesse in Rom geschrieben wurde. Fakt ist, dass Händel den Psalm im April 1707 vollendete und eine Uraufführung noch im selben Jahr irgendwo in Italien stattfand.
Das "Dixit Dominus" stellt somit ein Frühwerk Händels dar, er war zur Zeit der Komposition 22 Jahre alt.
Musik:
Die Besetzung verdient bereits eine explizite Erwähnung. Denn hier gilt das Prinzip 3 mal 5: 5 Solopartien, ein 5-stimmiger Chor sowie ein 5-stimmiges Streicherensemble.
Grundtonart ist g-Moll und dieses Moll bestimmt auch den dramatischen und forschen Charakter des Werkes.
Den Musikern wird alles abverlangt, die Schwierigkeit des Stückes ist exorbitant hoch. Gerade der Chor muss richtig arbeiten, denn Händel behandelt ihn selten vokal, sondern oft vielmehr instrumental, als wenn es ein großes Konzert, also ein Concerto grosso nach italienischer Art, ist. Der Ambitus in den Stimmen ist riesig: Soprane müssen richtig hoch (Beethoven 9 ist dagegen Kuschelwiese), Bässe müssen auch richtig hoch und kurz vor Schluss ganz tief.
Das Werk besteht aus acht Sätzen, man kann es (jenachdem) auch in 10 Sätze einteilen.
Der erste Satz "Dixit dominus domino meo" beginnt mit einer längeren fast opernhaften Orchestereinleitung. Der Chor agiert noch häufig homophon, wird zwischendurch aber von Solisten unterbrochen. Hier kann man besonders gut das Prinzip des Tutti-Solo aus dem italienischen Konzert beobachten, Corelli wird hier Händel Vorbild gewesen sein. Immer wieder kommen vom Chor diese charakteristischen "Dixit"-Rufe hervor, auch am Schluss gibt es keine Chorkadenz, sondern nur ein Ruf und das Orchester spielt das Schlussritornell.
Die nächsten beiden Sätze sind den Alt- und Sopran-Solisten vorbehalten. Eine Arie findet mit Continuo-, die andere mit Orchesterbegleitung statt.
Im vierten Satz bekommen wir dann erstmals die kühne Harmonik mit, die dieses Stück so schwierig macht. Beim "Juravit Dominus" wird man vielleicht an das "Denn wie durch Adam alles stirbt" aus dem Messias erinnert. Das ist aber im Gegensatz zu dieser Stelle wirklich Kindergarten , denn was Händel hier an chromatischen Vorhaltsfortschreitungen präsentiert, ist seiner Zeit meilenweit voraus. Was er in seiner Jugendzeit musikalisch so ausprobiert hat, kann man hier ganz gut sehen.
Das "Juravit" kommt dann noch einmal und wird von einem schnellen "Et non non poenitebit"-Teil abgelöst, der dann in den fünften Satz mündet.
Auch hier kann man wieder Händels kontrapunktische Stärke sehen. Denn der Text, der diesem Satz zugrunde liegt, ist eigentlich kaum vertonbar: "Tu es sacerdos in aeternum secundum ordinem Melchisedech." Während also ein Thema mit dem Text "Tu es sacerdos in aeternum" den Grund legt, ist der Kontrapunkt "secundum ordinem Melchisedech" im schnellen Tempo ein echter Zungenbrecher.
Der sechste Satz ist von besonderer Schärfe, denn hier gibt es besonders viele schöne Dissonanzen. Nacheinanderfolgende Choreinsätze im Sekundabstand und viele weitere dichte Klänge lassen einen fragen, ob man hier wirklich noch in der Barockmusik ist. Es gibt aber auch eine sehr angenehme "Judicabit"-Fuge, die wirklich gut auf die Stimme geschrieben ist und sich sehr gut singen lässt. Der Höhepunkt kommt dann vielleicht im "Conquassabit", das durch diese staccatoartigen Tonwiederholungen eine besonders eindrucksvolle Textdeklamation ist. (dt.: er wird zerschmettern das Haupt über alle Lande).
Satz sieben "De torrente" ist eher zärtlich von den Sopranen gestaltet. Darunter darf der Männerchor und ein sich reibender Streichersatz den Grund bilden.
Das großangelegte Finale dann im "Gloria", viele Koloraturen in Fugenform, perfekte kontrapunktische Arbeit. Der Schlussteil "Et in saecula saeculorum" basiert auf einem einzigen Ton, das Thema (oder der Dux) wird in den Notenwerten immer kleiner und führt dann direkt in die Koloratur hinein. Ein sehr pracht- und prunkvoller Satz, den man vielleicht mit ähnlichen Sätzen aus Bachs h-Moll-Messe vergleichen kann.
Insgesamt bietet dieses rund 40-minütige Stück Musik so viele verschiedene Techniken, jeder Satz ist für sich genommen einzigartig. Händel hat hier wirklich einige Sachen ausprobiert, die dann später zu seinem Stil geführt haben.
Wahrscheinlich hatte ich deshalb auch anfangs so viel Probleme mit diesem Stück. Es war für mich keine runde Sache, ich konnte halt keinen ausgeprägten Stil erkennen. Mit der Beschäftigung mit den Noten und des Selbersingens steigt man aber in die Großartigkeit dieses Werks ein und entdeckt es dann ganz für sich.
Aufnahmen:
Ich kann zwei Aufnahmen empfehlen.
Mit Gardiner kann man ja meistens nichts falsch machen. Eine ausgewogene Interpretation, die auch die nötige Dramatik nicht vermissen lässt.
Ganz extrem ist Hengelbrocks Interpretation. Rasend schnelle Tempi, kaum schaffbar vom Chor (aber sie schaffen es). Hier kann man den stürmischen und wilden Jungspund Händel vielleicht am Besten erleben.
Jetzt bin ich auf Eure Beiträge gespannt, welcher Art sie auch sein mögen!
Liebe Grüße,
Peter.